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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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eine Berücksichtigung der anderen verbietet. Dies ist in der Ostmark nicht der
Fall. Wenn es in Posen neben 1270000 Polen 850000 Deutsche, in West-
Preußen neben 630000 Polen sogar über eine Million Deutscher gibt, wäre eine
Entscheidung, die lediglich die ziffernmäßige Überlegenheit der einen Nationalität
berücksichtigt, eine Nichtachtung des Selbstbestimmnngsrechts der anderen. Ver¬
suchte man aber eine Lösung dergestalt, daß die starre Formel des Selbst¬
bestimmnngsrechts nur auf solche Gebietsteile zur Anwendung kommen sollte, in
denen der zahlenmäßige Unterschied zwischen beiden Nationalitäten die erwähnte
Voraussetzung erfüllte, so bliebe in den nichtberücksichtigten Gebieten das Selbst-
bestimmungsrecht immer noch mißachtet, und eines Prinzips zuliebe würden wirt¬
schaftlich und kulturell zusammenhängende Landesteile zerrissen und abgetrennt.
I^lat justitia, pereat auratus, auf Deutsch, mag die Ostmark zerstückelt werden
und zugrunde gehen, wenn nur das Prinzip der Gerechtigkeit, d. h. das Selvst-
bestimmungsrccht zur Anwendung gelaugt. Das bedeutet eine Verneinung des
Selbstbestimmungsrechts durch sich selbst, also baren Widersinn! Auch im bürger¬
lichen Recht wird, wie schon die römischen Rechtsgelehrten des corpus iuriZ lehrten,
nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Sinn des Gesetzes entschieden.
Wieviel mehr muß dieser Grundsatz auch für das Verhältnis zwischen großen
Völkern gelten. Mehr oder minder läuft eine derartige Anwendung des Selost-
bestimmungsrcchts bei der geographischen Lage und den mannigfaltigen wirt-
schaftlichen'Zusammenhängen der einzelnen in Frage kommenden Gebietsteile auf
eine Art Kuhhandel hinaus, und schließlich würde die Bevölkerung trotzdem wie
Schachfiguren von einem Feld auf das andere geschoben. Deshalb fordern die
Voltsräle in der Maricnburgcr Entschließung, daß die Frage der Ostmark nicht
durch von außen hineingetragene Begriffe, noch weniger durch Interessen zweier
Länder, Polens und Deutschlands, geregelt werde, sondern allein durch einen
Ausgleich zwischen den Bevölkerungen der Ostmark selbst. Die Frage dreht sich
also nicht darum, ob die Deutschen oder die Polen in der Ostmark über deren
Zugehörigkeit entscheiden sollen, sondern beide zusammen sollen bestimmen, wie
sie miteinander auskommen "vollen. Dies ist die allein mögliche Lösung.

Allerdings ist zurzeit ein großer Teil der polnischen Bevölkerung dermaßen
verblendet und haßerfüllt, daß er die Rechte des Deutschtums mit Füßen treten
möchte. Andererseits aber besteht in führenden polnischen Kreisen auch keine
große Geneigtheit, die Ostmark restlos in Groß-Polen aufgehen zu lassen. Was
sie daran hindert, ist zwar nicht ein Rechtsgefühl zugunsten der deutschen Be¬
völkerung, sondern das Bewußtsein, daß eine Annexion der Ostmark auch zum
Nachteil ihrer polnischen Bewohner auslaufen muß; aber hier liegt für beide
Teile die Möglichkeit, zu einer Verständigung zu gelangen. So gering die Aus¬
sichten für eine Verständigung zurzeit auch noch sein mögen, sie werden in dem
Maße wachsen und in greifbarer Nähe sein, als die deutsche Bevölkerung der
Ostmark sich mit aller Gewalt, mit dem Aufgebot ihrer ganzen Kräfte gegen eins
Vergewaltigung ihres Selbstbestimmungsrechts zur Wehr setzt. Der Schwache
hat keine Möglichkeit, sich mit einem Starken zu verständigen, der nur seine
eigenen Interessen im Auge hat, Aber der ebenbürtige Gegner hat leichteres
Spiel. Die deutsche Bevölkerung der Ostmark will Versöhnung und Verständigung,
an den Polen liegt es, die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Hat sich die Ostmark
untereinander verständigt, so wird sie beiden Teilen, Deutschland und Polen, den
Interessenausgleich gewähren, der ihnen zukommt.

So schiebt sich die Ostmark in den Teilnngsprozeß zwischen Deutschland
und Polen als Haupibeteiligtcr Dritter hinein, der vor dem internationalen
Friedensgerichtshof gleichfalls Gehör verlangt und zwar auf Grund eigenen
Rechts. Die Ostmark als wirtschaftlich und geographisch zusammenhängendes
Ganzes ist trotz größerer überwiegend deutscher und geringer überwiegend pol¬
nischer Gebietsteile weder rein deutsch -- als Ganzes wohlverstanden -- noch
rein polnisch, sondern deutsch-polnisch. Wer die Ostmark zerreißen oder ungeteilt
"n Polen geben will, aber auch wer sie in ihrem jetzigen Zustand bei Deutsch-


eine Berücksichtigung der anderen verbietet. Dies ist in der Ostmark nicht der
Fall. Wenn es in Posen neben 1270000 Polen 850000 Deutsche, in West-
Preußen neben 630000 Polen sogar über eine Million Deutscher gibt, wäre eine
Entscheidung, die lediglich die ziffernmäßige Überlegenheit der einen Nationalität
berücksichtigt, eine Nichtachtung des Selbstbestimmnngsrechts der anderen. Ver¬
suchte man aber eine Lösung dergestalt, daß die starre Formel des Selbst¬
bestimmnngsrechts nur auf solche Gebietsteile zur Anwendung kommen sollte, in
denen der zahlenmäßige Unterschied zwischen beiden Nationalitäten die erwähnte
Voraussetzung erfüllte, so bliebe in den nichtberücksichtigten Gebieten das Selbst-
bestimmungsrecht immer noch mißachtet, und eines Prinzips zuliebe würden wirt¬
schaftlich und kulturell zusammenhängende Landesteile zerrissen und abgetrennt.
I^lat justitia, pereat auratus, auf Deutsch, mag die Ostmark zerstückelt werden
und zugrunde gehen, wenn nur das Prinzip der Gerechtigkeit, d. h. das Selvst-
bestimmungsrccht zur Anwendung gelaugt. Das bedeutet eine Verneinung des
Selbstbestimmungsrechts durch sich selbst, also baren Widersinn! Auch im bürger¬
lichen Recht wird, wie schon die römischen Rechtsgelehrten des corpus iuriZ lehrten,
nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Sinn des Gesetzes entschieden.
Wieviel mehr muß dieser Grundsatz auch für das Verhältnis zwischen großen
Völkern gelten. Mehr oder minder läuft eine derartige Anwendung des Selost-
bestimmungsrcchts bei der geographischen Lage und den mannigfaltigen wirt-
schaftlichen'Zusammenhängen der einzelnen in Frage kommenden Gebietsteile auf
eine Art Kuhhandel hinaus, und schließlich würde die Bevölkerung trotzdem wie
Schachfiguren von einem Feld auf das andere geschoben. Deshalb fordern die
Voltsräle in der Maricnburgcr Entschließung, daß die Frage der Ostmark nicht
durch von außen hineingetragene Begriffe, noch weniger durch Interessen zweier
Länder, Polens und Deutschlands, geregelt werde, sondern allein durch einen
Ausgleich zwischen den Bevölkerungen der Ostmark selbst. Die Frage dreht sich
also nicht darum, ob die Deutschen oder die Polen in der Ostmark über deren
Zugehörigkeit entscheiden sollen, sondern beide zusammen sollen bestimmen, wie
sie miteinander auskommen »vollen. Dies ist die allein mögliche Lösung.

Allerdings ist zurzeit ein großer Teil der polnischen Bevölkerung dermaßen
verblendet und haßerfüllt, daß er die Rechte des Deutschtums mit Füßen treten
möchte. Andererseits aber besteht in führenden polnischen Kreisen auch keine
große Geneigtheit, die Ostmark restlos in Groß-Polen aufgehen zu lassen. Was
sie daran hindert, ist zwar nicht ein Rechtsgefühl zugunsten der deutschen Be¬
völkerung, sondern das Bewußtsein, daß eine Annexion der Ostmark auch zum
Nachteil ihrer polnischen Bewohner auslaufen muß; aber hier liegt für beide
Teile die Möglichkeit, zu einer Verständigung zu gelangen. So gering die Aus¬
sichten für eine Verständigung zurzeit auch noch sein mögen, sie werden in dem
Maße wachsen und in greifbarer Nähe sein, als die deutsche Bevölkerung der
Ostmark sich mit aller Gewalt, mit dem Aufgebot ihrer ganzen Kräfte gegen eins
Vergewaltigung ihres Selbstbestimmungsrechts zur Wehr setzt. Der Schwache
hat keine Möglichkeit, sich mit einem Starken zu verständigen, der nur seine
eigenen Interessen im Auge hat, Aber der ebenbürtige Gegner hat leichteres
Spiel. Die deutsche Bevölkerung der Ostmark will Versöhnung und Verständigung,
an den Polen liegt es, die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Hat sich die Ostmark
untereinander verständigt, so wird sie beiden Teilen, Deutschland und Polen, den
Interessenausgleich gewähren, der ihnen zukommt.

So schiebt sich die Ostmark in den Teilnngsprozeß zwischen Deutschland
und Polen als Haupibeteiligtcr Dritter hinein, der vor dem internationalen
Friedensgerichtshof gleichfalls Gehör verlangt und zwar auf Grund eigenen
Rechts. Die Ostmark als wirtschaftlich und geographisch zusammenhängendes
Ganzes ist trotz größerer überwiegend deutscher und geringer überwiegend pol¬
nischer Gebietsteile weder rein deutsch — als Ganzes wohlverstanden — noch
rein polnisch, sondern deutsch-polnisch. Wer die Ostmark zerreißen oder ungeteilt
«n Polen geben will, aber auch wer sie in ihrem jetzigen Zustand bei Deutsch-


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[0279] eine Berücksichtigung der anderen verbietet. Dies ist in der Ostmark nicht der Fall. Wenn es in Posen neben 1270000 Polen 850000 Deutsche, in West- Preußen neben 630000 Polen sogar über eine Million Deutscher gibt, wäre eine Entscheidung, die lediglich die ziffernmäßige Überlegenheit der einen Nationalität berücksichtigt, eine Nichtachtung des Selbstbestimmnngsrechts der anderen. Ver¬ suchte man aber eine Lösung dergestalt, daß die starre Formel des Selbst¬ bestimmnngsrechts nur auf solche Gebietsteile zur Anwendung kommen sollte, in denen der zahlenmäßige Unterschied zwischen beiden Nationalitäten die erwähnte Voraussetzung erfüllte, so bliebe in den nichtberücksichtigten Gebieten das Selbst- bestimmungsrecht immer noch mißachtet, und eines Prinzips zuliebe würden wirt¬ schaftlich und kulturell zusammenhängende Landesteile zerrissen und abgetrennt. I^lat justitia, pereat auratus, auf Deutsch, mag die Ostmark zerstückelt werden und zugrunde gehen, wenn nur das Prinzip der Gerechtigkeit, d. h. das Selvst- bestimmungsrccht zur Anwendung gelaugt. Das bedeutet eine Verneinung des Selbstbestimmungsrechts durch sich selbst, also baren Widersinn! Auch im bürger¬ lichen Recht wird, wie schon die römischen Rechtsgelehrten des corpus iuriZ lehrten, nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Sinn des Gesetzes entschieden. Wieviel mehr muß dieser Grundsatz auch für das Verhältnis zwischen großen Völkern gelten. Mehr oder minder läuft eine derartige Anwendung des Selost- bestimmungsrcchts bei der geographischen Lage und den mannigfaltigen wirt- schaftlichen'Zusammenhängen der einzelnen in Frage kommenden Gebietsteile auf eine Art Kuhhandel hinaus, und schließlich würde die Bevölkerung trotzdem wie Schachfiguren von einem Feld auf das andere geschoben. Deshalb fordern die Voltsräle in der Maricnburgcr Entschließung, daß die Frage der Ostmark nicht durch von außen hineingetragene Begriffe, noch weniger durch Interessen zweier Länder, Polens und Deutschlands, geregelt werde, sondern allein durch einen Ausgleich zwischen den Bevölkerungen der Ostmark selbst. Die Frage dreht sich also nicht darum, ob die Deutschen oder die Polen in der Ostmark über deren Zugehörigkeit entscheiden sollen, sondern beide zusammen sollen bestimmen, wie sie miteinander auskommen »vollen. Dies ist die allein mögliche Lösung. Allerdings ist zurzeit ein großer Teil der polnischen Bevölkerung dermaßen verblendet und haßerfüllt, daß er die Rechte des Deutschtums mit Füßen treten möchte. Andererseits aber besteht in führenden polnischen Kreisen auch keine große Geneigtheit, die Ostmark restlos in Groß-Polen aufgehen zu lassen. Was sie daran hindert, ist zwar nicht ein Rechtsgefühl zugunsten der deutschen Be¬ völkerung, sondern das Bewußtsein, daß eine Annexion der Ostmark auch zum Nachteil ihrer polnischen Bewohner auslaufen muß; aber hier liegt für beide Teile die Möglichkeit, zu einer Verständigung zu gelangen. So gering die Aus¬ sichten für eine Verständigung zurzeit auch noch sein mögen, sie werden in dem Maße wachsen und in greifbarer Nähe sein, als die deutsche Bevölkerung der Ostmark sich mit aller Gewalt, mit dem Aufgebot ihrer ganzen Kräfte gegen eins Vergewaltigung ihres Selbstbestimmungsrechts zur Wehr setzt. Der Schwache hat keine Möglichkeit, sich mit einem Starken zu verständigen, der nur seine eigenen Interessen im Auge hat, Aber der ebenbürtige Gegner hat leichteres Spiel. Die deutsche Bevölkerung der Ostmark will Versöhnung und Verständigung, an den Polen liegt es, die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Hat sich die Ostmark untereinander verständigt, so wird sie beiden Teilen, Deutschland und Polen, den Interessenausgleich gewähren, der ihnen zukommt. So schiebt sich die Ostmark in den Teilnngsprozeß zwischen Deutschland und Polen als Haupibeteiligtcr Dritter hinein, der vor dem internationalen Friedensgerichtshof gleichfalls Gehör verlangt und zwar auf Grund eigenen Rechts. Die Ostmark als wirtschaftlich und geographisch zusammenhängendes Ganzes ist trotz größerer überwiegend deutscher und geringer überwiegend pol¬ nischer Gebietsteile weder rein deutsch — als Ganzes wohlverstanden — noch rein polnisch, sondern deutsch-polnisch. Wer die Ostmark zerreißen oder ungeteilt «n Polen geben will, aber auch wer sie in ihrem jetzigen Zustand bei Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/279>, abgerufen am 18.12.2024.