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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Der Friedensvertrag und die öffentliche Meinung Frankreichs

ja nach seiner Meinung den Krieg angefangen hat, ist es nur gerecht, wenn es
die Konsequenzen auf sich nehmen nutz. Aus diesem Grunde macht er sich auch
keinerlei Gedanken darüber, ob der Friede mit den Wilsonschen Punkten vereinbar
ist oder nicht, oder wenn er es tut, wie etwa Heros in der "Victoire", so behilft
er sich mit Sophismen wie, die deutschen Kolonien seien ja von Fremdvölkern
bewohnt und keine Auswanderungskolonien, und wenn es, wie "Progrös de Lyon"
schreibt, vielleicht ratsamer gewesen wäre, sich auf die Ausbeutung der Saarbergwerke
zu beschränken, so sei ja eine zwangsweise Annexion der Bevölkerung auch keines¬
wegs beabsichtigt.

Und die Sozialistenpresse? Wird sie nicht aufstehen wie ein Mann und
gegen diese Verdrehung der Wilsonschen Punkte protestieren? Ach nein. Wohl
gibt die "Humcmitö", die nebenbei bemerkt, kaum mehr als 120000 Leser hat.
während die Boulevardblätter in Millionen von Exemplaren verbreitet sind, ihrer
Enttäuschung über Wilsons Zurückweichen Ausdruck, aber sie tut das in sehr zahmer,
fast akademischer Weise, sozusagen anstandshalber und der Parteipolitik zuliebe, und
wenn sie gegen die finanziellen oder territorialen Bestimmungen des Vertrages
opponiert, so geschieht das nur, weil sie darin den Keim zu grotzer Enttäuschung im
Innern und zu neuen Verwicklungen nach außen, nicht weil sie darin eine Ungerechtig¬
keit erblickt. Wenn sich in Frankreich sozialistische Stimmen gegen den Vertrag erheben,
so tun sie es überhaupt nicht um der Weltgerechtigkeit willen, sondern um gegen
ihren eigenen Militarismus und Kapitalismus Opposition zu machen. Denn das
weiß auch der französische Arbeiter, datz es besser ist, von Deutschland so viel
herauszupressen wie irgend mit einer weitsichtigen Politik vereinbar ist, als selber
in irgendeiner Weise einen Teil der Kriegslasten übernehmen zu müssen. Und
was z. B. Elsaß-Lothringen betrifft, so ist nach "Humcmits" das ganze französische
Proletariat darin einig, daß "das Verbrechen von 1871" wieder gutgemacht
werden muß. Einzig der "Populaire" und der "Populaire du Centre" erheben mutig
und kräftig ihre Stimmen gegen die Vergewaltigung des Rechts, die dieser Friede
bringt. Aber der "Populaire" ist ein ganz kleines Blatt ohne Einfluß und Ver-
breitung und "Populaire du Centre" ist lediglich ein Informationsblatt für organisierte
Arbeiter. "Populaire" spricht auch keineswegs aus Deutschfreundlichkeit so, ein der-
artiges Blatt wäre in Frankreich heute schon nach drei Tagen unmöglich, sondern
aus Humanität und um einer ehrlich angestrebten abstrakten Gerechtigkeit willen,
und wir erweisen ihm einen schlechten Dienst, wenn wir ihn durch fortwährendes
Zitieren den eigenen Lcmdsleuieu verdächtig machen; die äußerste Linke gilt sowieso
schönem Frankreich als deutschfreundlich und bolschewistisch. Gerade deshalb
aber werden ihre Äußerungen offenbar geduldet, nicht als ob die hinter ihnen
stehenden Kreise zu mächtig wären, sondern weil Clemenceau jeden Gedanken
daran, daß der Friede etwa gewalttätig sei, durch den von der gesamten übrigen
Presse denn auch eifrig gehandhabten Hinweis ans diese wenigen Verworfenen
und Abtrünnigen verdächtig machen und entkräftigen kann."

Die Hauptfrage der Presse aber lautet gegenwärtig: "SiMercmt-ils?
Werden sie unterzeichnen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
diese Frage nicht ohne Unbehagen aufgeworfen wird. Die in der deutschen Presse
zutage getretene Entrüstung über den Friedensvertrag hält man freilich für leere
Komödie (Revanchedrohnngen benutzt man zur Befestigung der eigenen Forde¬
rungen nach größter militärischer Sicherheit I), aber so ganz sicher, wie man sich
geben möchte, ist man offenbar nicht, und daß neben der Drohung mit Ver¬
schärfung der Blockade die Forderung sofortigen Einrückens nur vereinzelt erhoben
wird, deutet darauf hin, daß man an eine Verlängerung des NbergangSzustcmdes
nur ungern, an eine Wiedermobilmachung aber nur mit Schrecken denkt. Darüber,
daß beim wirklichen Scheitern der Verhandlungen die Ententetruppen sofort weiter
einrücken, kann kein Zweifel bestehen. Die Frage drüben ist nur, ob man sich
stark genug fühlt, die mit einer Remobilisierung verbundene Abkühlung des
SiegeswillenS aus sich zu nehmen. Wie wenig dabei aber aus die Einwirkung
der Internationalen zu rechnen ist, geht aus der Äußerung Roziers in "France


Der Friedensvertrag und die öffentliche Meinung Frankreichs

ja nach seiner Meinung den Krieg angefangen hat, ist es nur gerecht, wenn es
die Konsequenzen auf sich nehmen nutz. Aus diesem Grunde macht er sich auch
keinerlei Gedanken darüber, ob der Friede mit den Wilsonschen Punkten vereinbar
ist oder nicht, oder wenn er es tut, wie etwa Heros in der „Victoire", so behilft
er sich mit Sophismen wie, die deutschen Kolonien seien ja von Fremdvölkern
bewohnt und keine Auswanderungskolonien, und wenn es, wie „Progrös de Lyon"
schreibt, vielleicht ratsamer gewesen wäre, sich auf die Ausbeutung der Saarbergwerke
zu beschränken, so sei ja eine zwangsweise Annexion der Bevölkerung auch keines¬
wegs beabsichtigt.

Und die Sozialistenpresse? Wird sie nicht aufstehen wie ein Mann und
gegen diese Verdrehung der Wilsonschen Punkte protestieren? Ach nein. Wohl
gibt die „Humcmitö", die nebenbei bemerkt, kaum mehr als 120000 Leser hat.
während die Boulevardblätter in Millionen von Exemplaren verbreitet sind, ihrer
Enttäuschung über Wilsons Zurückweichen Ausdruck, aber sie tut das in sehr zahmer,
fast akademischer Weise, sozusagen anstandshalber und der Parteipolitik zuliebe, und
wenn sie gegen die finanziellen oder territorialen Bestimmungen des Vertrages
opponiert, so geschieht das nur, weil sie darin den Keim zu grotzer Enttäuschung im
Innern und zu neuen Verwicklungen nach außen, nicht weil sie darin eine Ungerechtig¬
keit erblickt. Wenn sich in Frankreich sozialistische Stimmen gegen den Vertrag erheben,
so tun sie es überhaupt nicht um der Weltgerechtigkeit willen, sondern um gegen
ihren eigenen Militarismus und Kapitalismus Opposition zu machen. Denn das
weiß auch der französische Arbeiter, datz es besser ist, von Deutschland so viel
herauszupressen wie irgend mit einer weitsichtigen Politik vereinbar ist, als selber
in irgendeiner Weise einen Teil der Kriegslasten übernehmen zu müssen. Und
was z. B. Elsaß-Lothringen betrifft, so ist nach „Humcmits" das ganze französische
Proletariat darin einig, daß „das Verbrechen von 1871" wieder gutgemacht
werden muß. Einzig der „Populaire" und der „Populaire du Centre" erheben mutig
und kräftig ihre Stimmen gegen die Vergewaltigung des Rechts, die dieser Friede
bringt. Aber der „Populaire" ist ein ganz kleines Blatt ohne Einfluß und Ver-
breitung und „Populaire du Centre" ist lediglich ein Informationsblatt für organisierte
Arbeiter. „Populaire" spricht auch keineswegs aus Deutschfreundlichkeit so, ein der-
artiges Blatt wäre in Frankreich heute schon nach drei Tagen unmöglich, sondern
aus Humanität und um einer ehrlich angestrebten abstrakten Gerechtigkeit willen,
und wir erweisen ihm einen schlechten Dienst, wenn wir ihn durch fortwährendes
Zitieren den eigenen Lcmdsleuieu verdächtig machen; die äußerste Linke gilt sowieso
schönem Frankreich als deutschfreundlich und bolschewistisch. Gerade deshalb
aber werden ihre Äußerungen offenbar geduldet, nicht als ob die hinter ihnen
stehenden Kreise zu mächtig wären, sondern weil Clemenceau jeden Gedanken
daran, daß der Friede etwa gewalttätig sei, durch den von der gesamten übrigen
Presse denn auch eifrig gehandhabten Hinweis ans diese wenigen Verworfenen
und Abtrünnigen verdächtig machen und entkräftigen kann.«

Die Hauptfrage der Presse aber lautet gegenwärtig: „SiMercmt-ils?
Werden sie unterzeichnen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
diese Frage nicht ohne Unbehagen aufgeworfen wird. Die in der deutschen Presse
zutage getretene Entrüstung über den Friedensvertrag hält man freilich für leere
Komödie (Revanchedrohnngen benutzt man zur Befestigung der eigenen Forde¬
rungen nach größter militärischer Sicherheit I), aber so ganz sicher, wie man sich
geben möchte, ist man offenbar nicht, und daß neben der Drohung mit Ver¬
schärfung der Blockade die Forderung sofortigen Einrückens nur vereinzelt erhoben
wird, deutet darauf hin, daß man an eine Verlängerung des NbergangSzustcmdes
nur ungern, an eine Wiedermobilmachung aber nur mit Schrecken denkt. Darüber,
daß beim wirklichen Scheitern der Verhandlungen die Ententetruppen sofort weiter
einrücken, kann kein Zweifel bestehen. Die Frage drüben ist nur, ob man sich
stark genug fühlt, die mit einer Remobilisierung verbundene Abkühlung des
SiegeswillenS aus sich zu nehmen. Wie wenig dabei aber aus die Einwirkung
der Internationalen zu rechnen ist, geht aus der Äußerung Roziers in „France


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[0225] Der Friedensvertrag und die öffentliche Meinung Frankreichs ja nach seiner Meinung den Krieg angefangen hat, ist es nur gerecht, wenn es die Konsequenzen auf sich nehmen nutz. Aus diesem Grunde macht er sich auch keinerlei Gedanken darüber, ob der Friede mit den Wilsonschen Punkten vereinbar ist oder nicht, oder wenn er es tut, wie etwa Heros in der „Victoire", so behilft er sich mit Sophismen wie, die deutschen Kolonien seien ja von Fremdvölkern bewohnt und keine Auswanderungskolonien, und wenn es, wie „Progrös de Lyon" schreibt, vielleicht ratsamer gewesen wäre, sich auf die Ausbeutung der Saarbergwerke zu beschränken, so sei ja eine zwangsweise Annexion der Bevölkerung auch keines¬ wegs beabsichtigt. Und die Sozialistenpresse? Wird sie nicht aufstehen wie ein Mann und gegen diese Verdrehung der Wilsonschen Punkte protestieren? Ach nein. Wohl gibt die „Humcmitö", die nebenbei bemerkt, kaum mehr als 120000 Leser hat. während die Boulevardblätter in Millionen von Exemplaren verbreitet sind, ihrer Enttäuschung über Wilsons Zurückweichen Ausdruck, aber sie tut das in sehr zahmer, fast akademischer Weise, sozusagen anstandshalber und der Parteipolitik zuliebe, und wenn sie gegen die finanziellen oder territorialen Bestimmungen des Vertrages opponiert, so geschieht das nur, weil sie darin den Keim zu grotzer Enttäuschung im Innern und zu neuen Verwicklungen nach außen, nicht weil sie darin eine Ungerechtig¬ keit erblickt. Wenn sich in Frankreich sozialistische Stimmen gegen den Vertrag erheben, so tun sie es überhaupt nicht um der Weltgerechtigkeit willen, sondern um gegen ihren eigenen Militarismus und Kapitalismus Opposition zu machen. Denn das weiß auch der französische Arbeiter, datz es besser ist, von Deutschland so viel herauszupressen wie irgend mit einer weitsichtigen Politik vereinbar ist, als selber in irgendeiner Weise einen Teil der Kriegslasten übernehmen zu müssen. Und was z. B. Elsaß-Lothringen betrifft, so ist nach „Humcmits" das ganze französische Proletariat darin einig, daß „das Verbrechen von 1871" wieder gutgemacht werden muß. Einzig der „Populaire" und der „Populaire du Centre" erheben mutig und kräftig ihre Stimmen gegen die Vergewaltigung des Rechts, die dieser Friede bringt. Aber der „Populaire" ist ein ganz kleines Blatt ohne Einfluß und Ver- breitung und „Populaire du Centre" ist lediglich ein Informationsblatt für organisierte Arbeiter. „Populaire" spricht auch keineswegs aus Deutschfreundlichkeit so, ein der- artiges Blatt wäre in Frankreich heute schon nach drei Tagen unmöglich, sondern aus Humanität und um einer ehrlich angestrebten abstrakten Gerechtigkeit willen, und wir erweisen ihm einen schlechten Dienst, wenn wir ihn durch fortwährendes Zitieren den eigenen Lcmdsleuieu verdächtig machen; die äußerste Linke gilt sowieso schönem Frankreich als deutschfreundlich und bolschewistisch. Gerade deshalb aber werden ihre Äußerungen offenbar geduldet, nicht als ob die hinter ihnen stehenden Kreise zu mächtig wären, sondern weil Clemenceau jeden Gedanken daran, daß der Friede etwa gewalttätig sei, durch den von der gesamten übrigen Presse denn auch eifrig gehandhabten Hinweis ans diese wenigen Verworfenen und Abtrünnigen verdächtig machen und entkräftigen kann.« Die Hauptfrage der Presse aber lautet gegenwärtig: „SiMercmt-ils? Werden sie unterzeichnen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Frage nicht ohne Unbehagen aufgeworfen wird. Die in der deutschen Presse zutage getretene Entrüstung über den Friedensvertrag hält man freilich für leere Komödie (Revanchedrohnngen benutzt man zur Befestigung der eigenen Forde¬ rungen nach größter militärischer Sicherheit I), aber so ganz sicher, wie man sich geben möchte, ist man offenbar nicht, und daß neben der Drohung mit Ver¬ schärfung der Blockade die Forderung sofortigen Einrückens nur vereinzelt erhoben wird, deutet darauf hin, daß man an eine Verlängerung des NbergangSzustcmdes nur ungern, an eine Wiedermobilmachung aber nur mit Schrecken denkt. Darüber, daß beim wirklichen Scheitern der Verhandlungen die Ententetruppen sofort weiter einrücken, kann kein Zweifel bestehen. Die Frage drüben ist nur, ob man sich stark genug fühlt, die mit einer Remobilisierung verbundene Abkühlung des SiegeswillenS aus sich zu nehmen. Wie wenig dabei aber aus die Einwirkung der Internationalen zu rechnen ist, geht aus der Äußerung Roziers in „France

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/225>, abgerufen am 18.12.2024.