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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Das Staatstheater

beim Neuaufbau der menschlichen Gesellschaft der lebensgestaltenden Macht der
Kunst den entscheidenden Anteil zuwies. Daß bei dieser Neugestaltung dem
Theater eine hervorragende Rolle zufallen müsse, war beiden als den geborenen
Dramatikern selbstverständlich. Denn die Schauspielkunst hat mehr als alle an¬
deren Kumte einen sozialen Charakter, keine ist von so umfassender und volks¬
tümlicher Bedeutung wie sie. Aber weder Schiller noch Wagner konnten sich
verhehlen, daß das Theater ihrer Tage weit hinter seiner Bestimmung zurückblieb.
Ein unglücklicher Stern hat von jeher über ihm gestanden und verhindert, daß
es seine kulturelle. Funktion ganz rein auswirken konnte. In den unwürdigen
Fesseln industrieller Spekulation hatte es seinen schöpferischen Wert verloren und
war herabgesunken zu einer Stätte wohlfeiler Unterhaltung. Ohne Zweifel, sollte
die Schaubühne ihre bildende Kraft und ihre nationale Bedeutung bewähren, so
mußten ihre Existenzbedingungen von Grund aus geändert werden.

Die Geschichte des deutschen Theaters zählt eine glänzende Reihe von
Namen, die diese Notwendigkeit voll erkannten. Von der Neuberin bis auf
Heinrich Laube eine leuchtende Kette viel versprechender Ansätze, momentaner
Erfolge, aber auch eine Kette bitterer Erfahrungen, zerstörter Hoffnungen. Das
Schicksal der Neuberin, deren imponierende Gestalt auch heute noch unvergessen
leb,, wurde typisch für alle folgenden Versuche willensstarker Geister, das deutsche
Theater nach dein Bilde zu formen, das sie als hohes Ideal in ihrer Brust
trugen. Sie war die erste, die unerschrocken der Geschmacksverwirrung des Publi-
kums ihre geläuterte Kunstaufsassung entgegensetzte, die im Kampf mit pedainischer
Nützlichkeitspolitik die großen naiionalen Aufgaben der Kunst im Auge behielt,
um doch zuletzt gebrochen und verbittert aus dem ungleichen Kampfe auszuscheiden.
Es ist dieselbe Enttäuschung, die später Lessing erlebte und die ihm das unwillige
Wort abnötigte: "Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein National-
theciter zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!" Von der Ncuverin
und Lessing über Goethe, T>cet und Immermann bis in unsere Tage immer
wieder der Versuch, der allgemeinen Teilnahmslosigkeit und niedrigen Spelulalions-
sucht in Sachen der Kunst Herr zu werden, dem dann früher oder später
die erschreckende Erkenntnis folgte, wohin das deutsche Theater trotz cilledcm
gelangen mußte, wenn ihm der Rückhalt weitgespannter nationaler Interessen
fehlte. Selbst Goethe, unter dessen Leitung das Weimarer Theater zmeiiwcise
eine unerreichte Kulturbedeutung gewann, blieb von dieser schlimmen Erfahrung
nicht verschont.

Was die Nationalbildung verlangte, konnte nur von der Nation gleistet
Werden. Wollte man also das Theater nicht als eine leichtfertige Verguügungs-
anstalt sich selbst und der geschäftlichen Ausbeutung überlassen, wollte man in der
dramatischen .Kunst einen mächtigen Faktor zur Veredelung der menschlichen Ge-
sellichaft anerkennen, so mußte auch die Gesamtheit der Nation, die dabei dringend
beteiligt war, der Staat mußte sich der Bühne annehmen, sie schützen, fördern
und beaufsichtigen, so gut wie die anderen Bildungsstätten, Schule und Kirche.
Auch hier war es wieder Schiller, welcher zum ersten Male mit Nachdruck diesen
Gedanken betonte, der seitdem ein imnrsr wiederkehrender Programmpunkt aller
ThtiNerreformbestrebungen blieb. Gleichzeitig einsetzende Versuche, die so glücklich
begriffene Aufgabe nun auch in die Tat umzusetzen, schienen dem deutschen Theater
ganz neue zukunftsreiche Aussichten zu eröffnen. Da der Staat in Deutschland
damals keine anderen Repräsentanten besaß als seine Fürsten, so war die Ent-
scheidung in ihre Hand gelegt. Und wirtlich war es ein Fürst, der diesen be-
deuiungsvollen Schritt tat, der den höheren Staatszweck der Bühne verkündete.
Das derzeitige Neichsoberhaupt selbst, der ideal gesinnte Kaiser Joseph der Zweiie,
gab seiner Hosbühne 177L den Namen und die Grundsätze eines Nationalchwters.
Der Huf betitelt sich nur Schutz und Oberaufsicht über das Theater vor, die künst¬
lerische Verwaltung wurde ganz Künstlerhänden anvertraut, die aller Wirtschaft-
uchen Sorge bar und ohne alle Einmischung nicht kompetenter Kreise nun das
U)nen überlassene Institut seiner höchsten Bestimmung entgegenführen konnten.


Das Staatstheater

beim Neuaufbau der menschlichen Gesellschaft der lebensgestaltenden Macht der
Kunst den entscheidenden Anteil zuwies. Daß bei dieser Neugestaltung dem
Theater eine hervorragende Rolle zufallen müsse, war beiden als den geborenen
Dramatikern selbstverständlich. Denn die Schauspielkunst hat mehr als alle an¬
deren Kumte einen sozialen Charakter, keine ist von so umfassender und volks¬
tümlicher Bedeutung wie sie. Aber weder Schiller noch Wagner konnten sich
verhehlen, daß das Theater ihrer Tage weit hinter seiner Bestimmung zurückblieb.
Ein unglücklicher Stern hat von jeher über ihm gestanden und verhindert, daß
es seine kulturelle. Funktion ganz rein auswirken konnte. In den unwürdigen
Fesseln industrieller Spekulation hatte es seinen schöpferischen Wert verloren und
war herabgesunken zu einer Stätte wohlfeiler Unterhaltung. Ohne Zweifel, sollte
die Schaubühne ihre bildende Kraft und ihre nationale Bedeutung bewähren, so
mußten ihre Existenzbedingungen von Grund aus geändert werden.

Die Geschichte des deutschen Theaters zählt eine glänzende Reihe von
Namen, die diese Notwendigkeit voll erkannten. Von der Neuberin bis auf
Heinrich Laube eine leuchtende Kette viel versprechender Ansätze, momentaner
Erfolge, aber auch eine Kette bitterer Erfahrungen, zerstörter Hoffnungen. Das
Schicksal der Neuberin, deren imponierende Gestalt auch heute noch unvergessen
leb,, wurde typisch für alle folgenden Versuche willensstarker Geister, das deutsche
Theater nach dein Bilde zu formen, das sie als hohes Ideal in ihrer Brust
trugen. Sie war die erste, die unerschrocken der Geschmacksverwirrung des Publi-
kums ihre geläuterte Kunstaufsassung entgegensetzte, die im Kampf mit pedainischer
Nützlichkeitspolitik die großen naiionalen Aufgaben der Kunst im Auge behielt,
um doch zuletzt gebrochen und verbittert aus dem ungleichen Kampfe auszuscheiden.
Es ist dieselbe Enttäuschung, die später Lessing erlebte und die ihm das unwillige
Wort abnötigte: „Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein National-
theciter zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!" Von der Ncuverin
und Lessing über Goethe, T>cet und Immermann bis in unsere Tage immer
wieder der Versuch, der allgemeinen Teilnahmslosigkeit und niedrigen Spelulalions-
sucht in Sachen der Kunst Herr zu werden, dem dann früher oder später
die erschreckende Erkenntnis folgte, wohin das deutsche Theater trotz cilledcm
gelangen mußte, wenn ihm der Rückhalt weitgespannter nationaler Interessen
fehlte. Selbst Goethe, unter dessen Leitung das Weimarer Theater zmeiiwcise
eine unerreichte Kulturbedeutung gewann, blieb von dieser schlimmen Erfahrung
nicht verschont.

Was die Nationalbildung verlangte, konnte nur von der Nation gleistet
Werden. Wollte man also das Theater nicht als eine leichtfertige Verguügungs-
anstalt sich selbst und der geschäftlichen Ausbeutung überlassen, wollte man in der
dramatischen .Kunst einen mächtigen Faktor zur Veredelung der menschlichen Ge-
sellichaft anerkennen, so mußte auch die Gesamtheit der Nation, die dabei dringend
beteiligt war, der Staat mußte sich der Bühne annehmen, sie schützen, fördern
und beaufsichtigen, so gut wie die anderen Bildungsstätten, Schule und Kirche.
Auch hier war es wieder Schiller, welcher zum ersten Male mit Nachdruck diesen
Gedanken betonte, der seitdem ein imnrsr wiederkehrender Programmpunkt aller
ThtiNerreformbestrebungen blieb. Gleichzeitig einsetzende Versuche, die so glücklich
begriffene Aufgabe nun auch in die Tat umzusetzen, schienen dem deutschen Theater
ganz neue zukunftsreiche Aussichten zu eröffnen. Da der Staat in Deutschland
damals keine anderen Repräsentanten besaß als seine Fürsten, so war die Ent-
scheidung in ihre Hand gelegt. Und wirtlich war es ein Fürst, der diesen be-
deuiungsvollen Schritt tat, der den höheren Staatszweck der Bühne verkündete.
Das derzeitige Neichsoberhaupt selbst, der ideal gesinnte Kaiser Joseph der Zweiie,
gab seiner Hosbühne 177L den Namen und die Grundsätze eines Nationalchwters.
Der Huf betitelt sich nur Schutz und Oberaufsicht über das Theater vor, die künst¬
lerische Verwaltung wurde ganz Künstlerhänden anvertraut, die aller Wirtschaft-
uchen Sorge bar und ohne alle Einmischung nicht kompetenter Kreise nun das
U)nen überlassene Institut seiner höchsten Bestimmung entgegenführen konnten.


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[0219] Das Staatstheater beim Neuaufbau der menschlichen Gesellschaft der lebensgestaltenden Macht der Kunst den entscheidenden Anteil zuwies. Daß bei dieser Neugestaltung dem Theater eine hervorragende Rolle zufallen müsse, war beiden als den geborenen Dramatikern selbstverständlich. Denn die Schauspielkunst hat mehr als alle an¬ deren Kumte einen sozialen Charakter, keine ist von so umfassender und volks¬ tümlicher Bedeutung wie sie. Aber weder Schiller noch Wagner konnten sich verhehlen, daß das Theater ihrer Tage weit hinter seiner Bestimmung zurückblieb. Ein unglücklicher Stern hat von jeher über ihm gestanden und verhindert, daß es seine kulturelle. Funktion ganz rein auswirken konnte. In den unwürdigen Fesseln industrieller Spekulation hatte es seinen schöpferischen Wert verloren und war herabgesunken zu einer Stätte wohlfeiler Unterhaltung. Ohne Zweifel, sollte die Schaubühne ihre bildende Kraft und ihre nationale Bedeutung bewähren, so mußten ihre Existenzbedingungen von Grund aus geändert werden. Die Geschichte des deutschen Theaters zählt eine glänzende Reihe von Namen, die diese Notwendigkeit voll erkannten. Von der Neuberin bis auf Heinrich Laube eine leuchtende Kette viel versprechender Ansätze, momentaner Erfolge, aber auch eine Kette bitterer Erfahrungen, zerstörter Hoffnungen. Das Schicksal der Neuberin, deren imponierende Gestalt auch heute noch unvergessen leb,, wurde typisch für alle folgenden Versuche willensstarker Geister, das deutsche Theater nach dein Bilde zu formen, das sie als hohes Ideal in ihrer Brust trugen. Sie war die erste, die unerschrocken der Geschmacksverwirrung des Publi- kums ihre geläuterte Kunstaufsassung entgegensetzte, die im Kampf mit pedainischer Nützlichkeitspolitik die großen naiionalen Aufgaben der Kunst im Auge behielt, um doch zuletzt gebrochen und verbittert aus dem ungleichen Kampfe auszuscheiden. Es ist dieselbe Enttäuschung, die später Lessing erlebte und die ihm das unwillige Wort abnötigte: „Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein National- theciter zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!" Von der Ncuverin und Lessing über Goethe, T>cet und Immermann bis in unsere Tage immer wieder der Versuch, der allgemeinen Teilnahmslosigkeit und niedrigen Spelulalions- sucht in Sachen der Kunst Herr zu werden, dem dann früher oder später die erschreckende Erkenntnis folgte, wohin das deutsche Theater trotz cilledcm gelangen mußte, wenn ihm der Rückhalt weitgespannter nationaler Interessen fehlte. Selbst Goethe, unter dessen Leitung das Weimarer Theater zmeiiwcise eine unerreichte Kulturbedeutung gewann, blieb von dieser schlimmen Erfahrung nicht verschont. Was die Nationalbildung verlangte, konnte nur von der Nation gleistet Werden. Wollte man also das Theater nicht als eine leichtfertige Verguügungs- anstalt sich selbst und der geschäftlichen Ausbeutung überlassen, wollte man in der dramatischen .Kunst einen mächtigen Faktor zur Veredelung der menschlichen Ge- sellichaft anerkennen, so mußte auch die Gesamtheit der Nation, die dabei dringend beteiligt war, der Staat mußte sich der Bühne annehmen, sie schützen, fördern und beaufsichtigen, so gut wie die anderen Bildungsstätten, Schule und Kirche. Auch hier war es wieder Schiller, welcher zum ersten Male mit Nachdruck diesen Gedanken betonte, der seitdem ein imnrsr wiederkehrender Programmpunkt aller ThtiNerreformbestrebungen blieb. Gleichzeitig einsetzende Versuche, die so glücklich begriffene Aufgabe nun auch in die Tat umzusetzen, schienen dem deutschen Theater ganz neue zukunftsreiche Aussichten zu eröffnen. Da der Staat in Deutschland damals keine anderen Repräsentanten besaß als seine Fürsten, so war die Ent- scheidung in ihre Hand gelegt. Und wirtlich war es ein Fürst, der diesen be- deuiungsvollen Schritt tat, der den höheren Staatszweck der Bühne verkündete. Das derzeitige Neichsoberhaupt selbst, der ideal gesinnte Kaiser Joseph der Zweiie, gab seiner Hosbühne 177L den Namen und die Grundsätze eines Nationalchwters. Der Huf betitelt sich nur Schutz und Oberaufsicht über das Theater vor, die künst¬ lerische Verwaltung wurde ganz Künstlerhänden anvertraut, die aller Wirtschaft- uchen Sorge bar und ohne alle Einmischung nicht kompetenter Kreise nun das U)nen überlassene Institut seiner höchsten Bestimmung entgegenführen konnten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/219>, abgerufen am 27.07.2024.