Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Politisches Heldentum geführt hatten und die das Lebensprinzip für die Fortführung des Krieges Auch wenn man über die Aufrichtigkeit der verschiedentlicher deutschen Warum hat England bei dieser Sachlage den Krieg fortgesetzt? Wenn Es ist oft darauf aufmerksam gemacht worden, daß fast alle von England Politisches Heldentum geführt hatten und die das Lebensprinzip für die Fortführung des Krieges Auch wenn man über die Aufrichtigkeit der verschiedentlicher deutschen Warum hat England bei dieser Sachlage den Krieg fortgesetzt? Wenn Es ist oft darauf aufmerksam gemacht worden, daß fast alle von England <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335616"/> <fw type="header" place="top"> Politisches Heldentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_855" prev="#ID_854"> geführt hatten und die das Lebensprinzip für die Fortführung des Krieges<lb/> bildeten, mutzte auch die Stellungnahme zu den praktischen Fragen der Politik<lb/> und der Kriegführung während des Krieges sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_856"> Auch wenn man über die Aufrichtigkeit der verschiedentlicher deutschen<lb/> Friedensschritte verschiedener Ansicht sein sollte, und wenn man der Auffassung huldigt,<lb/> datz bei größerer Geschicklichlichkeit eine Annäherung an den Gegner sich hätte<lb/> erreichen lassen, ist doch eins sicher: die Entente, und bei ihr gab bis ins<lb/> Frühjahr 1918 England den Ausschlag, hätte den Frieden oft haben können,<lb/> wenn sie ihn ernstlich gewollt hätte. Daß die deutsche Regierung um sogenannter<lb/> alldeutscher Kriegsziele willen, wie flandrische Küste, Longwy, Bricy und<lb/> dergleichen den Krieg fortgesetzt hätte, wenn sie wirklich auf einen ernsthaften<lb/> englischen Verständigungswillen gestotzen wäre, wenn sie ohne die Möglichkeit,<lb/> um die Sache herum zu reden, klar hätte Farbe bekennen müssen, ob Verständigungs¬<lb/> friede oder Fortsetzung des Krieges für imperialistische Ziele, kann als ausgeschlossen<lb/> gelten. Und dabei wäre das Ergebnis für England immer ein recht erfreuliches<lb/> gewesen. Der russischen Gefahr wäre es für absehbare Zeit ledig gewesen. Auf<lb/> dem Weltmarkt hätte es durch die lange Abschließung Deutschlands infolge des<lb/> Krieges einen Vorsprung vorausgehabt, den Deutschland schwer hätte einholen<lb/> können, und das Ziel der Landbrücke Indien-Ägypten hätte es bei der türkischen<lb/> Kiiegsmüdigkeit wohl in etwas verklausulierterer Form aber sachlich kaum weniger<lb/> vollständig als jetzt selbst mit türkischer Einwilligung erreichen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_857"> Warum hat England bei dieser Sachlage den Krieg fortgesetzt? Wenn<lb/> England wirklich die händlerische Nation ist, für die wir es noch jetzt im allge¬<lb/> meinen halten, warum hat es dann Hunderttausende seiner eigenen Söhne auf<lb/> die Schlachtfelder geschickt, hat es Amerika einen Einfluß auf seine Politik einge.<lb/> räumt, der vor dem Kriege nie für möglich gehalten wäre, hat es im fernen<lb/> Osten Japan die unbestreitbare Vorherrschaft erringen lassen, und hat es Japan<lb/> und Amerika zusammen zu einem wirtschaftlichen Wettbewerber werden lassei:,<lb/> wie es vorher nicht so bald zu befürchten gewesen wäre? Churchill hat vor<lb/> mehreren Wochen eine Rede gehalten, aus der hier folgende Sätze entnommen<lb/> seien: „Während wir über die Art, wie unsere Angelegenheiten geführt werden,<lb/> murren, ist der übrige Teil der Welt und fast alle unsere Feinde von Bewunde¬<lb/> rung für das britische System erfüllt. Kann ich es wohl sagen, wir sind gerade<lb/> noch durchgekommen? Je mehr man unterrichtet ist, um so mehr weiß man,<lb/> auf was für einem schmalen, engen und gefährlichen Wege der Erfolg sich uns<lb/> zuwandte. Be'im ersten Ansturm war Frankreich nahe daran, zerstört zu werden,<lb/> noch etwas länger, und die Unterseebootskriegführung anstatt Amerika uns zu<lb/> Hilfe zu rufen, hätte uns durch Hunger zur Übergabe gezwungen. Sogar nach<lb/> dem 21. März war die Gefahr außerordentlich groß, wie für Paris so auch für<lb/> die Kanalhäfen. Aber weil die ganze Nation zusammenarbeitete ohne zurück¬<lb/> zuweichen, weil wir gesund waren, erfüllt von allen männlichen tapferen Eigen¬<lb/> schaften, und weil wir das Recht auf unserer Seite hatten, sind wir durchgekommen."<lb/> Oft während des Krieges, darüber kann ein Zweifel gar nicht bestehen, hätte<lb/> ernsthafter englischer Friedenswille zu einem Ergebnis führen können, daß der<lb/> englischen Weltgeltung zum mindesten die gleichen Aussichten ließ, wie sie vor dem<lb/> Kriege bestanden. Auf der anderen Seite drohte die Gefahr der Niederlage.<lb/> Warum hat die englische Regierung das schwere Risiko der Fortführung des Krieges<lb/> auf sich genommen, und wie konnte sie bei dieser Politik den nötigen Rückhalt im<lb/> englischen Volke finden?</p><lb/> <p xml:id="ID_858" next="#ID_859"> Es ist oft darauf aufmerksam gemacht worden, daß fast alle von England<lb/> geführten Kriege anfangs nur schwächlich, ja mit einer gewissen Leichtfertigkeit<lb/> gefühlt worden find, daß aber im Verlauf der Kämpfe und in dem Maße, indem<lb/> die Gefahren eines unglücklichen Ausganges wuchsen, die Kraftanspannung des<lb/> englischen Volkes zur Erreichung des Endsieges gewachsen sind. Wenn man die<lb/> englische Politik und die englische Kriegführung schon als eine auf die Verwirk¬<lb/> lichung von Geschäftsinteressen gerichtete auffassen will, so handelt es sich doch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
Politisches Heldentum
geführt hatten und die das Lebensprinzip für die Fortführung des Krieges
bildeten, mutzte auch die Stellungnahme zu den praktischen Fragen der Politik
und der Kriegführung während des Krieges sein.
Auch wenn man über die Aufrichtigkeit der verschiedentlicher deutschen
Friedensschritte verschiedener Ansicht sein sollte, und wenn man der Auffassung huldigt,
datz bei größerer Geschicklichlichkeit eine Annäherung an den Gegner sich hätte
erreichen lassen, ist doch eins sicher: die Entente, und bei ihr gab bis ins
Frühjahr 1918 England den Ausschlag, hätte den Frieden oft haben können,
wenn sie ihn ernstlich gewollt hätte. Daß die deutsche Regierung um sogenannter
alldeutscher Kriegsziele willen, wie flandrische Küste, Longwy, Bricy und
dergleichen den Krieg fortgesetzt hätte, wenn sie wirklich auf einen ernsthaften
englischen Verständigungswillen gestotzen wäre, wenn sie ohne die Möglichkeit,
um die Sache herum zu reden, klar hätte Farbe bekennen müssen, ob Verständigungs¬
friede oder Fortsetzung des Krieges für imperialistische Ziele, kann als ausgeschlossen
gelten. Und dabei wäre das Ergebnis für England immer ein recht erfreuliches
gewesen. Der russischen Gefahr wäre es für absehbare Zeit ledig gewesen. Auf
dem Weltmarkt hätte es durch die lange Abschließung Deutschlands infolge des
Krieges einen Vorsprung vorausgehabt, den Deutschland schwer hätte einholen
können, und das Ziel der Landbrücke Indien-Ägypten hätte es bei der türkischen
Kiiegsmüdigkeit wohl in etwas verklausulierterer Form aber sachlich kaum weniger
vollständig als jetzt selbst mit türkischer Einwilligung erreichen können.
Warum hat England bei dieser Sachlage den Krieg fortgesetzt? Wenn
England wirklich die händlerische Nation ist, für die wir es noch jetzt im allge¬
meinen halten, warum hat es dann Hunderttausende seiner eigenen Söhne auf
die Schlachtfelder geschickt, hat es Amerika einen Einfluß auf seine Politik einge.
räumt, der vor dem Kriege nie für möglich gehalten wäre, hat es im fernen
Osten Japan die unbestreitbare Vorherrschaft erringen lassen, und hat es Japan
und Amerika zusammen zu einem wirtschaftlichen Wettbewerber werden lassei:,
wie es vorher nicht so bald zu befürchten gewesen wäre? Churchill hat vor
mehreren Wochen eine Rede gehalten, aus der hier folgende Sätze entnommen
seien: „Während wir über die Art, wie unsere Angelegenheiten geführt werden,
murren, ist der übrige Teil der Welt und fast alle unsere Feinde von Bewunde¬
rung für das britische System erfüllt. Kann ich es wohl sagen, wir sind gerade
noch durchgekommen? Je mehr man unterrichtet ist, um so mehr weiß man,
auf was für einem schmalen, engen und gefährlichen Wege der Erfolg sich uns
zuwandte. Be'im ersten Ansturm war Frankreich nahe daran, zerstört zu werden,
noch etwas länger, und die Unterseebootskriegführung anstatt Amerika uns zu
Hilfe zu rufen, hätte uns durch Hunger zur Übergabe gezwungen. Sogar nach
dem 21. März war die Gefahr außerordentlich groß, wie für Paris so auch für
die Kanalhäfen. Aber weil die ganze Nation zusammenarbeitete ohne zurück¬
zuweichen, weil wir gesund waren, erfüllt von allen männlichen tapferen Eigen¬
schaften, und weil wir das Recht auf unserer Seite hatten, sind wir durchgekommen."
Oft während des Krieges, darüber kann ein Zweifel gar nicht bestehen, hätte
ernsthafter englischer Friedenswille zu einem Ergebnis führen können, daß der
englischen Weltgeltung zum mindesten die gleichen Aussichten ließ, wie sie vor dem
Kriege bestanden. Auf der anderen Seite drohte die Gefahr der Niederlage.
Warum hat die englische Regierung das schwere Risiko der Fortführung des Krieges
auf sich genommen, und wie konnte sie bei dieser Politik den nötigen Rückhalt im
englischen Volke finden?
Es ist oft darauf aufmerksam gemacht worden, daß fast alle von England
geführten Kriege anfangs nur schwächlich, ja mit einer gewissen Leichtfertigkeit
gefühlt worden find, daß aber im Verlauf der Kämpfe und in dem Maße, indem
die Gefahren eines unglücklichen Ausganges wuchsen, die Kraftanspannung des
englischen Volkes zur Erreichung des Endsieges gewachsen sind. Wenn man die
englische Politik und die englische Kriegführung schon als eine auf die Verwirk¬
lichung von Geschäftsinteressen gerichtete auffassen will, so handelt es sich doch
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