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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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.'piete und Megp der deutschlUndlicheu Forschung

Gruppen zusannnenzufassen und den Schülern vorzutragen. Sie muß vielmehr
alle Tatsächlichkeiten unter den Gesichtspunkt rücken, ob und iniuiefern sie dazu
angetan sind, die Wesensart des deutschen Menschen erkennen zu lassen. Sie
muß ihre Zusammenfassungen danach orientieren, daß Teilbilder der so beschaffenen
deutschen Volksart gewonnen werden. Sie muß danach streben, daß ans diesen
Teilbildern ein Gesamtbild, vielleicht ein Gesamtbegriff des Deutschtums erhalte"
wird. Sie wird daher die bisherigen Abgrenzungen der Einzelwissenschasten
grundsätzlich verneinen. Denn es geht nicht an, ans Literatur allein, ans Kunst,
aus Philosophie, ans Wirtschaftsgeschichte allein, natürlich auch nicht aus Rassen¬
physiologie und Biologie allein ein irgendwie zureichendes Verständnis für den
deutschen Menschen einer bestimmten Zeit oder gar der gesamten Vergangenheit
bis zum heutigen Tag erschließen zu wollen. Hierzu erweist sich die Arbeits¬
teilung der Forschung und Lehre -- so fruchtbar sie für die Heuristik bisher ge¬
wesen ist - als ganz unzureichend. Eine synthetische Arbeitsweise unter dem
Gesichtspunkt des Deutschen ist es, was uns heut frommt. Sie ist möglich, nach¬
dem die Einzelwissenschaften im letzten Jahrhundert an Stofferschließung und
Analyse so viel vorgearbeitet haben.

Nur auf diese Weise kann auch unser Wissen in höherem Maße fruchtbar
werden. Der bisherige Betrieb der Geisteswissenschaften ist nicht umsonst von
der Übermacht der Naturwissenschaften in den Hintergrund gedrängt worden.
Die Gegenwart hat die Neigung, alle Arbeit, deren Ertrag nicht unmittelbar
ersichtlich ist, als unnütze Spielerei zu verwerfen. Die Naturwisfenschajteu zeigte"!
in ihrer Anwendbarkeit in Technik und Medizin den unmittelbaren Ertrag. Die
Menschen der Gegenwart haben den Geisteswissenschaften damit freilich llu-
recht getan. Die grobschlächtige Betrachtungsweise des durchschnittlichen Materia¬
listen der letzten Jahrzehnte hatte gar kein Organ für die geistesbilveude und
verfeinernde Wirkung der Beschäftigung mit Kunst, Geschichte und Philosphie.
Aber in rein ideeller Bildung und Erkenntnis liegt doch die Gefahr, daß über
dein geistreichen Spiel der Gedanken die diesseitigen Ziele des Menschen, der
doch nun einmal auch ein Erdenmensch ist, verloren gehen, eine Gefahr, der "das
Volk der Dichter und Denker" je länger je mehr ausgesetzt ist. Mir scheint, das;
selbst die Romantik, die nach der zeitlosen und gewissermaßen raumlosen Größe
Kants und Goethes znerst wieder fühlen lernte, daß Beschränkung auf das
Nationale nicht Beschränktheit bedeute, doch dieser Gefahr erlag, und daß erst
von der Staatspolitik her, der am wenigsten sublimen Geistesvetätignng, der
Volksgedanke aus der Sphäre des Gefühls in den Bereich der Grvifbarkeit gerückt
Wurde. Und auf dem Gebiete der Politik im höchsten und weitesten Sinne
verstanden ist die Kenntnis vom deutschen Menschen am meisten anwendbar.

Es ist nun ein Versäumnis der Geisteswissenschaften gewesen, daß sie nicht
längst dem Deutschbewußtsein, das doch erwacht war, für den Bereich seines
Wissenschastskomplexes .die Rolle des Richtbegriffes zugewiesen haben, zumal sie
hier eine Brücke zu den Naturwissenschaften hätten schlagen können. Der Mensch
>se Naturwesen und Geistwesen, und der deutsche Mensch muß von beide" Seiten
her betrachtet werden. Beide weiten ergänzen und erklären einander.

Ans der Neuorientierung der Wissenschaften unter dem Gesichtspunkt des
Deutschtums werden neue Ergebnisse erwartet werden dürfen. Wir werden den
körperlichen Habitus und das geistige Leben des deutschen Menschen von der
Urzeit bis zur Gegenwart und insbesondere des Menschen in verschiedenen sozialen
und Bildimgsschichten, und auch des Augehörigen jedes Einzelstaumus studieren.
Wir werde", aus dem Vergleich mit der Wesensart der Nachbarvölker wertvolle
^ufschiüs^ erhalten. Wir werden insbesondere bedeutsame Beobachtungen darüber
anstellen, wie sich der Deutsche fremden Einflüssen gegenüber verhält, die früh
Won Christentum und Kirche, von Römerzügen und Kreuzzügen, von Slawenkämpfen
Wid kolonialer Betätigung, von fraiizösischen höfischen Vorbildcrii und gotisch
"Mstlerischen Anregungen in Deutschland eindringen. Das Bettclmönchtum wird
u>ehe weniger wie das römische Recht, die Pariser^ Scholastik nicht weniger wie
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.'piete und Megp der deutschlUndlicheu Forschung

Gruppen zusannnenzufassen und den Schülern vorzutragen. Sie muß vielmehr
alle Tatsächlichkeiten unter den Gesichtspunkt rücken, ob und iniuiefern sie dazu
angetan sind, die Wesensart des deutschen Menschen erkennen zu lassen. Sie
muß ihre Zusammenfassungen danach orientieren, daß Teilbilder der so beschaffenen
deutschen Volksart gewonnen werden. Sie muß danach streben, daß ans diesen
Teilbildern ein Gesamtbild, vielleicht ein Gesamtbegriff des Deutschtums erhalte»
wird. Sie wird daher die bisherigen Abgrenzungen der Einzelwissenschasten
grundsätzlich verneinen. Denn es geht nicht an, ans Literatur allein, ans Kunst,
aus Philosophie, ans Wirtschaftsgeschichte allein, natürlich auch nicht aus Rassen¬
physiologie und Biologie allein ein irgendwie zureichendes Verständnis für den
deutschen Menschen einer bestimmten Zeit oder gar der gesamten Vergangenheit
bis zum heutigen Tag erschließen zu wollen. Hierzu erweist sich die Arbeits¬
teilung der Forschung und Lehre — so fruchtbar sie für die Heuristik bisher ge¬
wesen ist - als ganz unzureichend. Eine synthetische Arbeitsweise unter dem
Gesichtspunkt des Deutschen ist es, was uns heut frommt. Sie ist möglich, nach¬
dem die Einzelwissenschaften im letzten Jahrhundert an Stofferschließung und
Analyse so viel vorgearbeitet haben.

Nur auf diese Weise kann auch unser Wissen in höherem Maße fruchtbar
werden. Der bisherige Betrieb der Geisteswissenschaften ist nicht umsonst von
der Übermacht der Naturwissenschaften in den Hintergrund gedrängt worden.
Die Gegenwart hat die Neigung, alle Arbeit, deren Ertrag nicht unmittelbar
ersichtlich ist, als unnütze Spielerei zu verwerfen. Die Naturwisfenschajteu zeigte»!
in ihrer Anwendbarkeit in Technik und Medizin den unmittelbaren Ertrag. Die
Menschen der Gegenwart haben den Geisteswissenschaften damit freilich llu-
recht getan. Die grobschlächtige Betrachtungsweise des durchschnittlichen Materia¬
listen der letzten Jahrzehnte hatte gar kein Organ für die geistesbilveude und
verfeinernde Wirkung der Beschäftigung mit Kunst, Geschichte und Philosphie.
Aber in rein ideeller Bildung und Erkenntnis liegt doch die Gefahr, daß über
dein geistreichen Spiel der Gedanken die diesseitigen Ziele des Menschen, der
doch nun einmal auch ein Erdenmensch ist, verloren gehen, eine Gefahr, der „das
Volk der Dichter und Denker" je länger je mehr ausgesetzt ist. Mir scheint, das;
selbst die Romantik, die nach der zeitlosen und gewissermaßen raumlosen Größe
Kants und Goethes znerst wieder fühlen lernte, daß Beschränkung auf das
Nationale nicht Beschränktheit bedeute, doch dieser Gefahr erlag, und daß erst
von der Staatspolitik her, der am wenigsten sublimen Geistesvetätignng, der
Volksgedanke aus der Sphäre des Gefühls in den Bereich der Grvifbarkeit gerückt
Wurde. Und auf dem Gebiete der Politik im höchsten und weitesten Sinne
verstanden ist die Kenntnis vom deutschen Menschen am meisten anwendbar.

Es ist nun ein Versäumnis der Geisteswissenschaften gewesen, daß sie nicht
längst dem Deutschbewußtsein, das doch erwacht war, für den Bereich seines
Wissenschastskomplexes .die Rolle des Richtbegriffes zugewiesen haben, zumal sie
hier eine Brücke zu den Naturwissenschaften hätten schlagen können. Der Mensch
>se Naturwesen und Geistwesen, und der deutsche Mensch muß von beide» Seiten
her betrachtet werden. Beide weiten ergänzen und erklären einander.

Ans der Neuorientierung der Wissenschaften unter dem Gesichtspunkt des
Deutschtums werden neue Ergebnisse erwartet werden dürfen. Wir werden den
körperlichen Habitus und das geistige Leben des deutschen Menschen von der
Urzeit bis zur Gegenwart und insbesondere des Menschen in verschiedenen sozialen
und Bildimgsschichten, und auch des Augehörigen jedes Einzelstaumus studieren.
Wir werde», aus dem Vergleich mit der Wesensart der Nachbarvölker wertvolle
^ufschiüs^ erhalten. Wir werden insbesondere bedeutsame Beobachtungen darüber
anstellen, wie sich der Deutsche fremden Einflüssen gegenüber verhält, die früh
Won Christentum und Kirche, von Römerzügen und Kreuzzügen, von Slawenkämpfen
Wid kolonialer Betätigung, von fraiizösischen höfischen Vorbildcrii und gotisch
"Mstlerischen Anregungen in Deutschland eindringen. Das Bettclmönchtum wird
u>ehe weniger wie das römische Recht, die Pariser^ Scholastik nicht weniger wie
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[0199] .'piete und Megp der deutschlUndlicheu Forschung Gruppen zusannnenzufassen und den Schülern vorzutragen. Sie muß vielmehr alle Tatsächlichkeiten unter den Gesichtspunkt rücken, ob und iniuiefern sie dazu angetan sind, die Wesensart des deutschen Menschen erkennen zu lassen. Sie muß ihre Zusammenfassungen danach orientieren, daß Teilbilder der so beschaffenen deutschen Volksart gewonnen werden. Sie muß danach streben, daß ans diesen Teilbildern ein Gesamtbild, vielleicht ein Gesamtbegriff des Deutschtums erhalte» wird. Sie wird daher die bisherigen Abgrenzungen der Einzelwissenschasten grundsätzlich verneinen. Denn es geht nicht an, ans Literatur allein, ans Kunst, aus Philosophie, ans Wirtschaftsgeschichte allein, natürlich auch nicht aus Rassen¬ physiologie und Biologie allein ein irgendwie zureichendes Verständnis für den deutschen Menschen einer bestimmten Zeit oder gar der gesamten Vergangenheit bis zum heutigen Tag erschließen zu wollen. Hierzu erweist sich die Arbeits¬ teilung der Forschung und Lehre — so fruchtbar sie für die Heuristik bisher ge¬ wesen ist - als ganz unzureichend. Eine synthetische Arbeitsweise unter dem Gesichtspunkt des Deutschen ist es, was uns heut frommt. Sie ist möglich, nach¬ dem die Einzelwissenschaften im letzten Jahrhundert an Stofferschließung und Analyse so viel vorgearbeitet haben. Nur auf diese Weise kann auch unser Wissen in höherem Maße fruchtbar werden. Der bisherige Betrieb der Geisteswissenschaften ist nicht umsonst von der Übermacht der Naturwissenschaften in den Hintergrund gedrängt worden. Die Gegenwart hat die Neigung, alle Arbeit, deren Ertrag nicht unmittelbar ersichtlich ist, als unnütze Spielerei zu verwerfen. Die Naturwisfenschajteu zeigte»! in ihrer Anwendbarkeit in Technik und Medizin den unmittelbaren Ertrag. Die Menschen der Gegenwart haben den Geisteswissenschaften damit freilich llu- recht getan. Die grobschlächtige Betrachtungsweise des durchschnittlichen Materia¬ listen der letzten Jahrzehnte hatte gar kein Organ für die geistesbilveude und verfeinernde Wirkung der Beschäftigung mit Kunst, Geschichte und Philosphie. Aber in rein ideeller Bildung und Erkenntnis liegt doch die Gefahr, daß über dein geistreichen Spiel der Gedanken die diesseitigen Ziele des Menschen, der doch nun einmal auch ein Erdenmensch ist, verloren gehen, eine Gefahr, der „das Volk der Dichter und Denker" je länger je mehr ausgesetzt ist. Mir scheint, das; selbst die Romantik, die nach der zeitlosen und gewissermaßen raumlosen Größe Kants und Goethes znerst wieder fühlen lernte, daß Beschränkung auf das Nationale nicht Beschränktheit bedeute, doch dieser Gefahr erlag, und daß erst von der Staatspolitik her, der am wenigsten sublimen Geistesvetätignng, der Volksgedanke aus der Sphäre des Gefühls in den Bereich der Grvifbarkeit gerückt Wurde. Und auf dem Gebiete der Politik im höchsten und weitesten Sinne verstanden ist die Kenntnis vom deutschen Menschen am meisten anwendbar. Es ist nun ein Versäumnis der Geisteswissenschaften gewesen, daß sie nicht längst dem Deutschbewußtsein, das doch erwacht war, für den Bereich seines Wissenschastskomplexes .die Rolle des Richtbegriffes zugewiesen haben, zumal sie hier eine Brücke zu den Naturwissenschaften hätten schlagen können. Der Mensch >se Naturwesen und Geistwesen, und der deutsche Mensch muß von beide» Seiten her betrachtet werden. Beide weiten ergänzen und erklären einander. Ans der Neuorientierung der Wissenschaften unter dem Gesichtspunkt des Deutschtums werden neue Ergebnisse erwartet werden dürfen. Wir werden den körperlichen Habitus und das geistige Leben des deutschen Menschen von der Urzeit bis zur Gegenwart und insbesondere des Menschen in verschiedenen sozialen und Bildimgsschichten, und auch des Augehörigen jedes Einzelstaumus studieren. Wir werde», aus dem Vergleich mit der Wesensart der Nachbarvölker wertvolle ^ufschiüs^ erhalten. Wir werden insbesondere bedeutsame Beobachtungen darüber anstellen, wie sich der Deutsche fremden Einflüssen gegenüber verhält, die früh Won Christentum und Kirche, von Römerzügen und Kreuzzügen, von Slawenkämpfen Wid kolonialer Betätigung, von fraiizösischen höfischen Vorbildcrii und gotisch "Mstlerischen Anregungen in Deutschland eindringen. Das Bettclmönchtum wird u>ehe weniger wie das römische Recht, die Pariser^ Scholastik nicht weniger wie ' 1.6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/199>, abgerufen am 18.12.2024.