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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Christentum und Sozialismus

Gedanken die Höherentwicklung der Menschheit aus sich selbst heraus begreiflich
An machen. Immer "mußte" ein bestimmtes Neues kommen, wenn die Gattung
sich erhalten oder weiter kommen sollte. Warum "mußte"? Warum blieb die
Menschheit nicht bei ihren tierischen Ansängen stehen? Es fällt Kautsky niemals
ein, diese Frage auch nur auszuwerfen. Es "mußte" so sein, weil es eben so
geworden ist. weil die "Entwicklung" es so wollte. Der Leugner des persönlichen
Gottes wird hier zum Begriffsgläubigen strengster Observanz. Die "Entwicklung"
gilt ihm selbst als etwas Wirkliches, als etwas selbst Treibendes. Es ist der
nämliche Aberglaube, wie wenn gewisse Mathematiker ihre Formeln, die doch nur
eine Beschreibung, nur ein Versuch zur Erfassung der Wirklichkeit sind, für die
Wirklichkeit selbst halten."

Das Gewissen wird aber zugleich die "Unruhe, die den Menschen un¬
weigerlich in seinem Gottesverhältnis wcitertreibt. Sei" Eingreifen bewirkt, daß
neben der bloßen unwiderstehlichen Macht das Heilige im Gottesbild Hervortritt.
Die Religion wird persönlich, innerlich; es offenbart sich der von Kants?y aller¬
dings verspottete Zwiespalt zwischen dem "Engel und dem Tier" im Menschen,
und dies führt zu einem Ringen, bei dein es sich nicht um die von der Sozial¬
demokratie allein geschätzten Güter, nicht um Glück und Lebensbehaglichkeit,
sondern um das Dasein der Seele vor Gott handelt. Gegenüber dieser im
Christentum gewonnenen Höhe erscheint die Religion des Sozialismus als eine
ungeheure Verflachung, als bloße "ideologische" Verklärung eines Mafsengefühls,
als ein Zukunftsglaube, dem selbst, wenn er sein Ziel, die Beseelung des Pro¬
letariats, erreicht, doch der Segen der inneren Bereicherung fehlt.

Aber ist es dann nicht möglich, den umgekehrten Standpunkt zu vertreten,
daß das Christentum unbeschadet all seines Drängens auf Innerlichkeit doch dem
Gläubigen zugleich die Pflicht auferlege, Welt und Wirthes ist im Sinu des
Sozialismus umzugestalten? Dem Gebot der unbedingten Nächstenliebe scheint
doch nur eine Bereinigung der äußeren Verhältnisse zu entsprechen, die auss
Ganze geht; die mit dem Kapitalismus zugleich auch die Wurzeln des Mam-
monismuS, der sittlichen Verelendung der Massen und des Kriegs zwischen den
Völkern beseitigt.

Unleugbar steck! darin eine Wahrheit. Wir sind heute hinausgewachsen
über den Standpunkt des Urchristentums, auch über die Zurückhaltung, die Luther
sich auferlegte. Wohl bewährt sich der christliche Gottesglaube in seiner Helden-
haftigkeit inmitten der drückendsten Armut und Entbehrung. Aber wir haben
kein Recht, jemand in diese Versuchung hineinzuführen. Wir müssen uns gegen¬
wärtig halten, wie unendlich schwer es für den mit des Lebens Not Ringenden
ist, auch nur die Zeit und die körperliche Kraft für die innere Sammlung zu
erschwingen. Für uns ist es Pflicht, dein Nebenmenschen die Lasten abzunehmen,
um deretwillen er auch in der Richtung auf Gott nnr "übel aufsehen" kann.
Dazu genügt die Wohltätigkeit im einzelnen nicht; die Verhältnisse müssen im
Großen gebessert werden: in den Wohnuugsverhältnisssn muß Wandel geschafft,
für Arbeitsruhe muß gesorgt, die ganze Rechtsordnung muß so weitergebildet werden,
daß überall die Rücksicht auf die Menschenwürde zu ihrer Anerkennung gelangt.

Der Punkt, um den es sich handelt, ist somit nur der, ob erst mit dem
Sozialismus diese Absichten voll erreicht oder ob sie auch mir damit am besten
erreicht würden.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß mit der Vergesellschaftung der Pro¬
duktionsmittel unter gleichzeitiger Einführung einer vernünftigen Arbeitslosen^
Unterstützung unsäglich viel Druck von dem einzelnen genommen, sein ganzes
Leben aus einen festeren Boden gestellt wäre. Aber daneben muß doch sofort
betont werden: das, worauf es uns eigentlich ankommt, daß die Menschen sich
als Menschen innerlich näherrücken, ist damit noch in keiner Weise erreicht, ja es
ist eher dadurch verhindert.

Ich sehe ganz davon ab, daß die sozialdemokratische Partei sich auf den
Grundsatz des Klassenkampfes gestellt hat. Man rühmt es ja heute K. Marx als


Christentum und Sozialismus

Gedanken die Höherentwicklung der Menschheit aus sich selbst heraus begreiflich
An machen. Immer „mußte" ein bestimmtes Neues kommen, wenn die Gattung
sich erhalten oder weiter kommen sollte. Warum „mußte"? Warum blieb die
Menschheit nicht bei ihren tierischen Ansängen stehen? Es fällt Kautsky niemals
ein, diese Frage auch nur auszuwerfen. Es „mußte" so sein, weil es eben so
geworden ist. weil die „Entwicklung" es so wollte. Der Leugner des persönlichen
Gottes wird hier zum Begriffsgläubigen strengster Observanz. Die „Entwicklung"
gilt ihm selbst als etwas Wirkliches, als etwas selbst Treibendes. Es ist der
nämliche Aberglaube, wie wenn gewisse Mathematiker ihre Formeln, die doch nur
eine Beschreibung, nur ein Versuch zur Erfassung der Wirklichkeit sind, für die
Wirklichkeit selbst halten."

Das Gewissen wird aber zugleich die „Unruhe, die den Menschen un¬
weigerlich in seinem Gottesverhältnis wcitertreibt. Sei» Eingreifen bewirkt, daß
neben der bloßen unwiderstehlichen Macht das Heilige im Gottesbild Hervortritt.
Die Religion wird persönlich, innerlich; es offenbart sich der von Kants?y aller¬
dings verspottete Zwiespalt zwischen dem „Engel und dem Tier" im Menschen,
und dies führt zu einem Ringen, bei dein es sich nicht um die von der Sozial¬
demokratie allein geschätzten Güter, nicht um Glück und Lebensbehaglichkeit,
sondern um das Dasein der Seele vor Gott handelt. Gegenüber dieser im
Christentum gewonnenen Höhe erscheint die Religion des Sozialismus als eine
ungeheure Verflachung, als bloße „ideologische" Verklärung eines Mafsengefühls,
als ein Zukunftsglaube, dem selbst, wenn er sein Ziel, die Beseelung des Pro¬
letariats, erreicht, doch der Segen der inneren Bereicherung fehlt.

Aber ist es dann nicht möglich, den umgekehrten Standpunkt zu vertreten,
daß das Christentum unbeschadet all seines Drängens auf Innerlichkeit doch dem
Gläubigen zugleich die Pflicht auferlege, Welt und Wirthes ist im Sinu des
Sozialismus umzugestalten? Dem Gebot der unbedingten Nächstenliebe scheint
doch nur eine Bereinigung der äußeren Verhältnisse zu entsprechen, die auss
Ganze geht; die mit dem Kapitalismus zugleich auch die Wurzeln des Mam-
monismuS, der sittlichen Verelendung der Massen und des Kriegs zwischen den
Völkern beseitigt.

Unleugbar steck! darin eine Wahrheit. Wir sind heute hinausgewachsen
über den Standpunkt des Urchristentums, auch über die Zurückhaltung, die Luther
sich auferlegte. Wohl bewährt sich der christliche Gottesglaube in seiner Helden-
haftigkeit inmitten der drückendsten Armut und Entbehrung. Aber wir haben
kein Recht, jemand in diese Versuchung hineinzuführen. Wir müssen uns gegen¬
wärtig halten, wie unendlich schwer es für den mit des Lebens Not Ringenden
ist, auch nur die Zeit und die körperliche Kraft für die innere Sammlung zu
erschwingen. Für uns ist es Pflicht, dein Nebenmenschen die Lasten abzunehmen,
um deretwillen er auch in der Richtung auf Gott nnr „übel aufsehen" kann.
Dazu genügt die Wohltätigkeit im einzelnen nicht; die Verhältnisse müssen im
Großen gebessert werden: in den Wohnuugsverhältnisssn muß Wandel geschafft,
für Arbeitsruhe muß gesorgt, die ganze Rechtsordnung muß so weitergebildet werden,
daß überall die Rücksicht auf die Menschenwürde zu ihrer Anerkennung gelangt.

Der Punkt, um den es sich handelt, ist somit nur der, ob erst mit dem
Sozialismus diese Absichten voll erreicht oder ob sie auch mir damit am besten
erreicht würden.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß mit der Vergesellschaftung der Pro¬
duktionsmittel unter gleichzeitiger Einführung einer vernünftigen Arbeitslosen^
Unterstützung unsäglich viel Druck von dem einzelnen genommen, sein ganzes
Leben aus einen festeren Boden gestellt wäre. Aber daneben muß doch sofort
betont werden: das, worauf es uns eigentlich ankommt, daß die Menschen sich
als Menschen innerlich näherrücken, ist damit noch in keiner Weise erreicht, ja es
ist eher dadurch verhindert.

Ich sehe ganz davon ab, daß die sozialdemokratische Partei sich auf den
Grundsatz des Klassenkampfes gestellt hat. Man rühmt es ja heute K. Marx als


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[0190] Christentum und Sozialismus Gedanken die Höherentwicklung der Menschheit aus sich selbst heraus begreiflich An machen. Immer „mußte" ein bestimmtes Neues kommen, wenn die Gattung sich erhalten oder weiter kommen sollte. Warum „mußte"? Warum blieb die Menschheit nicht bei ihren tierischen Ansängen stehen? Es fällt Kautsky niemals ein, diese Frage auch nur auszuwerfen. Es „mußte" so sein, weil es eben so geworden ist. weil die „Entwicklung" es so wollte. Der Leugner des persönlichen Gottes wird hier zum Begriffsgläubigen strengster Observanz. Die „Entwicklung" gilt ihm selbst als etwas Wirkliches, als etwas selbst Treibendes. Es ist der nämliche Aberglaube, wie wenn gewisse Mathematiker ihre Formeln, die doch nur eine Beschreibung, nur ein Versuch zur Erfassung der Wirklichkeit sind, für die Wirklichkeit selbst halten." Das Gewissen wird aber zugleich die „Unruhe, die den Menschen un¬ weigerlich in seinem Gottesverhältnis wcitertreibt. Sei» Eingreifen bewirkt, daß neben der bloßen unwiderstehlichen Macht das Heilige im Gottesbild Hervortritt. Die Religion wird persönlich, innerlich; es offenbart sich der von Kants?y aller¬ dings verspottete Zwiespalt zwischen dem „Engel und dem Tier" im Menschen, und dies führt zu einem Ringen, bei dein es sich nicht um die von der Sozial¬ demokratie allein geschätzten Güter, nicht um Glück und Lebensbehaglichkeit, sondern um das Dasein der Seele vor Gott handelt. Gegenüber dieser im Christentum gewonnenen Höhe erscheint die Religion des Sozialismus als eine ungeheure Verflachung, als bloße „ideologische" Verklärung eines Mafsengefühls, als ein Zukunftsglaube, dem selbst, wenn er sein Ziel, die Beseelung des Pro¬ letariats, erreicht, doch der Segen der inneren Bereicherung fehlt. Aber ist es dann nicht möglich, den umgekehrten Standpunkt zu vertreten, daß das Christentum unbeschadet all seines Drängens auf Innerlichkeit doch dem Gläubigen zugleich die Pflicht auferlege, Welt und Wirthes ist im Sinu des Sozialismus umzugestalten? Dem Gebot der unbedingten Nächstenliebe scheint doch nur eine Bereinigung der äußeren Verhältnisse zu entsprechen, die auss Ganze geht; die mit dem Kapitalismus zugleich auch die Wurzeln des Mam- monismuS, der sittlichen Verelendung der Massen und des Kriegs zwischen den Völkern beseitigt. Unleugbar steck! darin eine Wahrheit. Wir sind heute hinausgewachsen über den Standpunkt des Urchristentums, auch über die Zurückhaltung, die Luther sich auferlegte. Wohl bewährt sich der christliche Gottesglaube in seiner Helden- haftigkeit inmitten der drückendsten Armut und Entbehrung. Aber wir haben kein Recht, jemand in diese Versuchung hineinzuführen. Wir müssen uns gegen¬ wärtig halten, wie unendlich schwer es für den mit des Lebens Not Ringenden ist, auch nur die Zeit und die körperliche Kraft für die innere Sammlung zu erschwingen. Für uns ist es Pflicht, dein Nebenmenschen die Lasten abzunehmen, um deretwillen er auch in der Richtung auf Gott nnr „übel aufsehen" kann. Dazu genügt die Wohltätigkeit im einzelnen nicht; die Verhältnisse müssen im Großen gebessert werden: in den Wohnuugsverhältnisssn muß Wandel geschafft, für Arbeitsruhe muß gesorgt, die ganze Rechtsordnung muß so weitergebildet werden, daß überall die Rücksicht auf die Menschenwürde zu ihrer Anerkennung gelangt. Der Punkt, um den es sich handelt, ist somit nur der, ob erst mit dem Sozialismus diese Absichten voll erreicht oder ob sie auch mir damit am besten erreicht würden. Es besteht kein Zweifel darüber, daß mit der Vergesellschaftung der Pro¬ duktionsmittel unter gleichzeitiger Einführung einer vernünftigen Arbeitslosen^ Unterstützung unsäglich viel Druck von dem einzelnen genommen, sein ganzes Leben aus einen festeren Boden gestellt wäre. Aber daneben muß doch sofort betont werden: das, worauf es uns eigentlich ankommt, daß die Menschen sich als Menschen innerlich näherrücken, ist damit noch in keiner Weise erreicht, ja es ist eher dadurch verhindert. Ich sehe ganz davon ab, daß die sozialdemokratische Partei sich auf den Grundsatz des Klassenkampfes gestellt hat. Man rühmt es ja heute K. Marx als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/190>, abgerufen am 18.12.2024.