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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Geistige Typen

fürchten). Aber einen Tag lang freier König seines Tuns, Heros, Verbrecher,
glorreicher Besiegter sein -- eine Nacht lang Antonius oder Romeo -- und dann
käme der Morgen, und alles wäre wie sonst! reingebadet stände man wieder in
seinem vertrauten, geliebten, vielgeschmähten Lebenswinkel und trüge nur die
Erinnerung an das bunte Spiel mit sich herum: wer fände solche Aussicht nicht
götterwürdig und köstlicher als alle Köstlichkeiten der hegenden Kultur? Gut:
einen ahnungsvollen Abglanz solches Glücks schenkt uns die Bühne. Man mordet
und läßt sich morden -- "zum Spaß", wie Hamlet sagt. Ein Rausch der Ein¬
fühlung in das größte und vollste Erleben, das ohne den Tod undenkbar bleibt.
Als der ätherische Spießbürger anfing, grauselnd Gelüste nach der schaurigen
Gottähnlichkeit des Oedipus und dem Empörertrotz des Prometheus zu spüren,
wurde die Tragödie geboren. Ein Bocksgesang überschwellender Naturkraft wurde
die, und wahrlich kein "Trauerspiel". Ja! Wir Älteren sitzen als artistisch ge¬
stimmte Kritiker im Parkett; aber denken wir an unsere Frühjugend! Wie mächtig
atmeten wir da, wie spannten sich unsere Sehnen, wie glühten unsere Wangen,
wenn wir nach "Wallensteins Tod" oder Lecirs Sturmnächten heimwärts schritten,
von unsren suchten und Kulturplagen "gereinigt"! -- Nein, es verhält sich eher
so. Die Düsternisse des Lebens, die den Menschen des gedrückten Typs traurig
stimmen, stimmen den des gehobenen Typs trotzig; und wenn er obendrein ästhetisch
fühlt, "tragisch"; und die übergewaltigen Eindrücke der Natur und der Kunst, die
den Zaghaften niederpressen, geben dem Hochfliegenden den Genuß des Erhabenen.
Das schließt gar nicht aus, daß ein Pyramidenerbauer Erhabenes türmen konnte
mit der Absicht, das Gewimmel der Verängsteten in den Staub zu drücken; aber
denen waren dann die steinernen Berge nicht "erhaben", sondern nur schreckhaft;
"erhaben" wirken sie auf uns. Und daß auch Verschüchterte sich der Kunstform
der Tragödie bedienen, ist natürlich; aber dann kommen jene quälenden Werke
Peinlicher Zerrung und müder Resignation heraus, die eben den echten "tragischen"
Eindruck nicht hinterlassen. "Einsame Menschen" oder "Monna Vanua"!




Da hätten wir drei gegensätzliche Paare von Persönlichkeit-Typen: den
gedrückten und den gehobenen, den auditiven und den optischen (und wiederum:
den rein auditiven oder optischen und den sensomotorischen), endlich den statischen
und den dynamischen (oder allgemein motorischen) Menschen. Müller-Freienfels
gibt solcher Gegensätze noch mehr: da steht dem Aggressiven der Sympathisch¬
fühlende, dem Erotiker der Frigide, dem Objektiven der Subjektive, dem Speziell¬
denker der Typendenker gegenüber; als einen besonders wichtigen Kontrast möchte
ich den des Schauenden und des Tätigen anreihen. Aber worauf läuft die ganze
Typik hinaus?

Auf einen allen philosophischen Streit schlichtenden Relativismus. Den zu
begründen, hat Müller-Freienfels sein geistvolles und geistaufregendes Buch geschrieben.

Jedermann weiß, daß über alle Problems der Metaphysik, Ethik. Ästhetik
ohne Entscheidung von Thales Zeit bis aus die unsre diskutiert worden ist. Wie
stellen wir uns zu dieser seltsamen Tatsache! -- Die einen erklären, ihre eigne
Meinung sei dennoch die endgültig richtige; wer dagegen anzubellen wage, sei
einfach auf veralteten Standpunkten zurückgeblieben und verstocke sich in längst¬
widerlegten Irrtümern. Sonderbar nur: nach einem Weilchen, sagen wir zehn
Jahren oder so etwas, ist die "veraltete" Meinung wieder modern und die "end¬
gültig richtige" gilt als "veraltet". So hat der "Vitalismus" in der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts geherrscht und ist jetzt wieder beliebt; die Mecha-
nistik machte in der Zwischenzeit allein selig. Hegels Geschichtsauffassung und die
naturwissenschaftliche lösten einander etwa in den gleichen Zeiträumen ab. In der
Metaphysik folgten einander als Regenten: Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer;
dann fing es in den sechziger oder siebenziger Jahren wieder mit dem echten
Kant an; bei Hegel stehen wir heute glücklich wieder; und ich zweifle nicht, daß
wir bald einen neuen Sturz der neuen Hegelei erleben werden. In Poesie und


Geistige Typen

fürchten). Aber einen Tag lang freier König seines Tuns, Heros, Verbrecher,
glorreicher Besiegter sein — eine Nacht lang Antonius oder Romeo — und dann
käme der Morgen, und alles wäre wie sonst! reingebadet stände man wieder in
seinem vertrauten, geliebten, vielgeschmähten Lebenswinkel und trüge nur die
Erinnerung an das bunte Spiel mit sich herum: wer fände solche Aussicht nicht
götterwürdig und köstlicher als alle Köstlichkeiten der hegenden Kultur? Gut:
einen ahnungsvollen Abglanz solches Glücks schenkt uns die Bühne. Man mordet
und läßt sich morden — „zum Spaß", wie Hamlet sagt. Ein Rausch der Ein¬
fühlung in das größte und vollste Erleben, das ohne den Tod undenkbar bleibt.
Als der ätherische Spießbürger anfing, grauselnd Gelüste nach der schaurigen
Gottähnlichkeit des Oedipus und dem Empörertrotz des Prometheus zu spüren,
wurde die Tragödie geboren. Ein Bocksgesang überschwellender Naturkraft wurde
die, und wahrlich kein „Trauerspiel". Ja! Wir Älteren sitzen als artistisch ge¬
stimmte Kritiker im Parkett; aber denken wir an unsere Frühjugend! Wie mächtig
atmeten wir da, wie spannten sich unsere Sehnen, wie glühten unsere Wangen,
wenn wir nach „Wallensteins Tod" oder Lecirs Sturmnächten heimwärts schritten,
von unsren suchten und Kulturplagen „gereinigt"! — Nein, es verhält sich eher
so. Die Düsternisse des Lebens, die den Menschen des gedrückten Typs traurig
stimmen, stimmen den des gehobenen Typs trotzig; und wenn er obendrein ästhetisch
fühlt, „tragisch"; und die übergewaltigen Eindrücke der Natur und der Kunst, die
den Zaghaften niederpressen, geben dem Hochfliegenden den Genuß des Erhabenen.
Das schließt gar nicht aus, daß ein Pyramidenerbauer Erhabenes türmen konnte
mit der Absicht, das Gewimmel der Verängsteten in den Staub zu drücken; aber
denen waren dann die steinernen Berge nicht „erhaben", sondern nur schreckhaft;
„erhaben" wirken sie auf uns. Und daß auch Verschüchterte sich der Kunstform
der Tragödie bedienen, ist natürlich; aber dann kommen jene quälenden Werke
Peinlicher Zerrung und müder Resignation heraus, die eben den echten „tragischen"
Eindruck nicht hinterlassen. „Einsame Menschen" oder „Monna Vanua"!




Da hätten wir drei gegensätzliche Paare von Persönlichkeit-Typen: den
gedrückten und den gehobenen, den auditiven und den optischen (und wiederum:
den rein auditiven oder optischen und den sensomotorischen), endlich den statischen
und den dynamischen (oder allgemein motorischen) Menschen. Müller-Freienfels
gibt solcher Gegensätze noch mehr: da steht dem Aggressiven der Sympathisch¬
fühlende, dem Erotiker der Frigide, dem Objektiven der Subjektive, dem Speziell¬
denker der Typendenker gegenüber; als einen besonders wichtigen Kontrast möchte
ich den des Schauenden und des Tätigen anreihen. Aber worauf läuft die ganze
Typik hinaus?

Auf einen allen philosophischen Streit schlichtenden Relativismus. Den zu
begründen, hat Müller-Freienfels sein geistvolles und geistaufregendes Buch geschrieben.

Jedermann weiß, daß über alle Problems der Metaphysik, Ethik. Ästhetik
ohne Entscheidung von Thales Zeit bis aus die unsre diskutiert worden ist. Wie
stellen wir uns zu dieser seltsamen Tatsache! — Die einen erklären, ihre eigne
Meinung sei dennoch die endgültig richtige; wer dagegen anzubellen wage, sei
einfach auf veralteten Standpunkten zurückgeblieben und verstocke sich in längst¬
widerlegten Irrtümern. Sonderbar nur: nach einem Weilchen, sagen wir zehn
Jahren oder so etwas, ist die „veraltete" Meinung wieder modern und die „end¬
gültig richtige" gilt als „veraltet". So hat der „Vitalismus" in der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts geherrscht und ist jetzt wieder beliebt; die Mecha-
nistik machte in der Zwischenzeit allein selig. Hegels Geschichtsauffassung und die
naturwissenschaftliche lösten einander etwa in den gleichen Zeiträumen ab. In der
Metaphysik folgten einander als Regenten: Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer;
dann fing es in den sechziger oder siebenziger Jahren wieder mit dem echten
Kant an; bei Hegel stehen wir heute glücklich wieder; und ich zweifle nicht, daß
wir bald einen neuen Sturz der neuen Hegelei erleben werden. In Poesie und


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[0177] Geistige Typen fürchten). Aber einen Tag lang freier König seines Tuns, Heros, Verbrecher, glorreicher Besiegter sein — eine Nacht lang Antonius oder Romeo — und dann käme der Morgen, und alles wäre wie sonst! reingebadet stände man wieder in seinem vertrauten, geliebten, vielgeschmähten Lebenswinkel und trüge nur die Erinnerung an das bunte Spiel mit sich herum: wer fände solche Aussicht nicht götterwürdig und köstlicher als alle Köstlichkeiten der hegenden Kultur? Gut: einen ahnungsvollen Abglanz solches Glücks schenkt uns die Bühne. Man mordet und läßt sich morden — „zum Spaß", wie Hamlet sagt. Ein Rausch der Ein¬ fühlung in das größte und vollste Erleben, das ohne den Tod undenkbar bleibt. Als der ätherische Spießbürger anfing, grauselnd Gelüste nach der schaurigen Gottähnlichkeit des Oedipus und dem Empörertrotz des Prometheus zu spüren, wurde die Tragödie geboren. Ein Bocksgesang überschwellender Naturkraft wurde die, und wahrlich kein „Trauerspiel". Ja! Wir Älteren sitzen als artistisch ge¬ stimmte Kritiker im Parkett; aber denken wir an unsere Frühjugend! Wie mächtig atmeten wir da, wie spannten sich unsere Sehnen, wie glühten unsere Wangen, wenn wir nach „Wallensteins Tod" oder Lecirs Sturmnächten heimwärts schritten, von unsren suchten und Kulturplagen „gereinigt"! — Nein, es verhält sich eher so. Die Düsternisse des Lebens, die den Menschen des gedrückten Typs traurig stimmen, stimmen den des gehobenen Typs trotzig; und wenn er obendrein ästhetisch fühlt, „tragisch"; und die übergewaltigen Eindrücke der Natur und der Kunst, die den Zaghaften niederpressen, geben dem Hochfliegenden den Genuß des Erhabenen. Das schließt gar nicht aus, daß ein Pyramidenerbauer Erhabenes türmen konnte mit der Absicht, das Gewimmel der Verängsteten in den Staub zu drücken; aber denen waren dann die steinernen Berge nicht „erhaben", sondern nur schreckhaft; „erhaben" wirken sie auf uns. Und daß auch Verschüchterte sich der Kunstform der Tragödie bedienen, ist natürlich; aber dann kommen jene quälenden Werke Peinlicher Zerrung und müder Resignation heraus, die eben den echten „tragischen" Eindruck nicht hinterlassen. „Einsame Menschen" oder „Monna Vanua"! Da hätten wir drei gegensätzliche Paare von Persönlichkeit-Typen: den gedrückten und den gehobenen, den auditiven und den optischen (und wiederum: den rein auditiven oder optischen und den sensomotorischen), endlich den statischen und den dynamischen (oder allgemein motorischen) Menschen. Müller-Freienfels gibt solcher Gegensätze noch mehr: da steht dem Aggressiven der Sympathisch¬ fühlende, dem Erotiker der Frigide, dem Objektiven der Subjektive, dem Speziell¬ denker der Typendenker gegenüber; als einen besonders wichtigen Kontrast möchte ich den des Schauenden und des Tätigen anreihen. Aber worauf läuft die ganze Typik hinaus? Auf einen allen philosophischen Streit schlichtenden Relativismus. Den zu begründen, hat Müller-Freienfels sein geistvolles und geistaufregendes Buch geschrieben. Jedermann weiß, daß über alle Problems der Metaphysik, Ethik. Ästhetik ohne Entscheidung von Thales Zeit bis aus die unsre diskutiert worden ist. Wie stellen wir uns zu dieser seltsamen Tatsache! — Die einen erklären, ihre eigne Meinung sei dennoch die endgültig richtige; wer dagegen anzubellen wage, sei einfach auf veralteten Standpunkten zurückgeblieben und verstocke sich in längst¬ widerlegten Irrtümern. Sonderbar nur: nach einem Weilchen, sagen wir zehn Jahren oder so etwas, ist die „veraltete" Meinung wieder modern und die „end¬ gültig richtige" gilt als „veraltet". So hat der „Vitalismus" in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geherrscht und ist jetzt wieder beliebt; die Mecha- nistik machte in der Zwischenzeit allein selig. Hegels Geschichtsauffassung und die naturwissenschaftliche lösten einander etwa in den gleichen Zeiträumen ab. In der Metaphysik folgten einander als Regenten: Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer; dann fing es in den sechziger oder siebenziger Jahren wieder mit dem echten Kant an; bei Hegel stehen wir heute glücklich wieder; und ich zweifle nicht, daß wir bald einen neuen Sturz der neuen Hegelei erleben werden. In Poesie und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/177>, abgerufen am 01.09.2024.