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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Voraussetzungen t>er Demokratie

Wiederum nur eine Minderheit politisch, und auch Weltschs "organische Demo¬
kratie" läuft aus eine Aristokratie hinaus.

Alle diese technischen Schwierigkeiten, wie es möglich sein soll, den wirk¬
lichen Volkswillen zur Geltung zu bringen, wären sofort beseitigt, wenn der
Staat lauter Bürger von der nötigen sittlichen Reise und von wahrem politischen
Interesse hätte. Die wichtigsten Voraussetzungen der Demokratie sind allezeit
sittlicher Natur gewesen. Eine Demokratie kann nur bestehen, wenn ihre Bürger
wahrhaft demokratisch gesinnt sind. In einem kleinen Büchlein über "Deutsche
Demokratie" zählt Charmatz svhr hübsch die Grundsätze auf, mit deren
Beobachtung jede Volksherrschaft stehe und falle/) Erstens müsse sich der Zweck
der staatlichen Gemeinschaft mit dem allgemeinen Besten decken. Zweitens müsse
der einzelne bei dem geringsten notwendigen Maß von Einschränkung das höchste
mögliche Maß von bürgerlichen Rechten genießen. Drittens dürfe die Staats-
"utorität der Volksautorität nicht feindlich gegenüberstehen. Und viertens müsse
der Mehrheitswille auf die Minderheit schonende Rücksicht nehmen. Wie es aber
möglich sein soll, Demokraten von solcher Gesinnung zu erzeugen, daß sie alle
diese Grundsätze achten, darüber schweigt sich Charmatz aus.' Offenbar ist er
Optimist genug, sie dem deutschen Volke zuzutrauen. Wir stehen hier bei der
schwierigsten und wichtigsten Voraussetzung der Demokratie.
"

"Demokratie und Unduldsamkeit, sagt Steffen (S. 105), "Demokratie und
rücksichtslose Herrschsucht schließen einander aus. Demokratie und soziale Un¬
wissenheit, Demokratie und soziale Voreingenommenheit, Demokratie und blinde
soziale Parteilichkeit sind miteinander unvereinbar." Es gibt nun zweierlei Art,
wie man sich die Beseitigung der undemokratischen Gesinnung der Menschen vor¬
stellen kann. Man kann nach dem materialistischen Prinzip glauben, diese Un¬
tugenden seien das Erzeugnis des Milieus, der Unterdrückung und Beengtheit,
in der die Menschen bisher leben mußten. So reden Zum Beispiel die Lobhudler
des Proletariats. Die Untugenden, die der Proletarier jetzt zeigt, sind nach An¬
sicht dieser Leute nur die Folge der elenden Zustände, unter denen er unter der
bisherigen Klassenherrschaft vegetieren mußte. Ist erst einmal durch die Revolu¬
tion der Bann gebrochen, ist der Proletarier zur Freiheit und Herrschaft be¬
rufen, dann wird er ganz von selber unter Anleitung seiner genialen Führer
sehr bald in allen demokratischen Tugenden leuchten. Aus solchen Gedanken-
gängen folgern radikale Sozialisten und Spartakisten die Theorie von der Dikta¬
tur des Proletariats als Übergang zu der allgemeinen Gleichheit und Freiheit
"lller Manschen. Die Klassenherrschaft des Proletariats soll nach dieser Lehre
vermöge der Solidarität und hervorragenden Einsicht der Arbeiterklasse zur Herr¬
schaft der demokratischen Tugenden unter den Menschen überleiten.

ES ist kein Zweifel, daß diese Lehre ein Wahn ist bei denen, die daran
glauben, eine gewissenlose Demagogie bei denen, die mit ihr bewußt dem Pöbel
schmeicheln. ?s<zos,tur int-ra umros c-t c-xtra! Das Bürgertum und die bisher
herrschenden Schichten bestanden gewiß nicht aus Engeln, aber die sozialdemo¬
kratischen Arbeiter sind ebenso gewiß nicht besser und werden nicht tugendhafter
werden, wenn sie zur Herrschaft kommen und ihren Dünkel Pflegen können. Die
sittlichen Qualitäten der Menschen heben sich durchaus nicht automatisch, wenn
die äußere Lebensstellung verbessert wird. Vielmehr kann der plötzlich zur Macht
Gerufene sittlich noch stärker versagen, als der im äußeren Leben Gedruckte.
Demokratische Tugend kommt nicht dadurch zur Herrschaft, daß man bisher be¬
herrschte Massen statt der oberen Schichten zur Macht beruft, sondern nur da¬
durch, daß man in mühevoller Arbeit allen Menschen eine Gesinnung anerzieht,
in der sie mehr Liebe zueinander und mehr Ehrfurcht vor der Menschenwürde
des andern betätigen. Eine solche Gesinnung wird nicht die Solidarität der
Arbeiterklasse erzeugen, -- weil sie ihre Kraft zu sehr aus dem nackten Klassen-
vgoismus zieht, -- sondern nur das Christentum, von dem die heutigen sozial¬
demokratischen Machthaber leider Menig wissen wollen.



5) Richard Charmatz, "Deutsche Demokratie". , Bei Ed. Strande, Wien-Wa,nS-
dvH-Leipzig. ISIS- S. 31f.
Voraussetzungen t>er Demokratie

Wiederum nur eine Minderheit politisch, und auch Weltschs „organische Demo¬
kratie" läuft aus eine Aristokratie hinaus.

Alle diese technischen Schwierigkeiten, wie es möglich sein soll, den wirk¬
lichen Volkswillen zur Geltung zu bringen, wären sofort beseitigt, wenn der
Staat lauter Bürger von der nötigen sittlichen Reise und von wahrem politischen
Interesse hätte. Die wichtigsten Voraussetzungen der Demokratie sind allezeit
sittlicher Natur gewesen. Eine Demokratie kann nur bestehen, wenn ihre Bürger
wahrhaft demokratisch gesinnt sind. In einem kleinen Büchlein über „Deutsche
Demokratie" zählt Charmatz svhr hübsch die Grundsätze auf, mit deren
Beobachtung jede Volksherrschaft stehe und falle/) Erstens müsse sich der Zweck
der staatlichen Gemeinschaft mit dem allgemeinen Besten decken. Zweitens müsse
der einzelne bei dem geringsten notwendigen Maß von Einschränkung das höchste
mögliche Maß von bürgerlichen Rechten genießen. Drittens dürfe die Staats-
«utorität der Volksautorität nicht feindlich gegenüberstehen. Und viertens müsse
der Mehrheitswille auf die Minderheit schonende Rücksicht nehmen. Wie es aber
möglich sein soll, Demokraten von solcher Gesinnung zu erzeugen, daß sie alle
diese Grundsätze achten, darüber schweigt sich Charmatz aus.' Offenbar ist er
Optimist genug, sie dem deutschen Volke zuzutrauen. Wir stehen hier bei der
schwierigsten und wichtigsten Voraussetzung der Demokratie.
"

„Demokratie und Unduldsamkeit, sagt Steffen (S. 105), „Demokratie und
rücksichtslose Herrschsucht schließen einander aus. Demokratie und soziale Un¬
wissenheit, Demokratie und soziale Voreingenommenheit, Demokratie und blinde
soziale Parteilichkeit sind miteinander unvereinbar." Es gibt nun zweierlei Art,
wie man sich die Beseitigung der undemokratischen Gesinnung der Menschen vor¬
stellen kann. Man kann nach dem materialistischen Prinzip glauben, diese Un¬
tugenden seien das Erzeugnis des Milieus, der Unterdrückung und Beengtheit,
in der die Menschen bisher leben mußten. So reden Zum Beispiel die Lobhudler
des Proletariats. Die Untugenden, die der Proletarier jetzt zeigt, sind nach An¬
sicht dieser Leute nur die Folge der elenden Zustände, unter denen er unter der
bisherigen Klassenherrschaft vegetieren mußte. Ist erst einmal durch die Revolu¬
tion der Bann gebrochen, ist der Proletarier zur Freiheit und Herrschaft be¬
rufen, dann wird er ganz von selber unter Anleitung seiner genialen Führer
sehr bald in allen demokratischen Tugenden leuchten. Aus solchen Gedanken-
gängen folgern radikale Sozialisten und Spartakisten die Theorie von der Dikta¬
tur des Proletariats als Übergang zu der allgemeinen Gleichheit und Freiheit
«lller Manschen. Die Klassenherrschaft des Proletariats soll nach dieser Lehre
vermöge der Solidarität und hervorragenden Einsicht der Arbeiterklasse zur Herr¬
schaft der demokratischen Tugenden unter den Menschen überleiten.

ES ist kein Zweifel, daß diese Lehre ein Wahn ist bei denen, die daran
glauben, eine gewissenlose Demagogie bei denen, die mit ihr bewußt dem Pöbel
schmeicheln. ?s<zos,tur int-ra umros c-t c-xtra! Das Bürgertum und die bisher
herrschenden Schichten bestanden gewiß nicht aus Engeln, aber die sozialdemo¬
kratischen Arbeiter sind ebenso gewiß nicht besser und werden nicht tugendhafter
werden, wenn sie zur Herrschaft kommen und ihren Dünkel Pflegen können. Die
sittlichen Qualitäten der Menschen heben sich durchaus nicht automatisch, wenn
die äußere Lebensstellung verbessert wird. Vielmehr kann der plötzlich zur Macht
Gerufene sittlich noch stärker versagen, als der im äußeren Leben Gedruckte.
Demokratische Tugend kommt nicht dadurch zur Herrschaft, daß man bisher be¬
herrschte Massen statt der oberen Schichten zur Macht beruft, sondern nur da¬
durch, daß man in mühevoller Arbeit allen Menschen eine Gesinnung anerzieht,
in der sie mehr Liebe zueinander und mehr Ehrfurcht vor der Menschenwürde
des andern betätigen. Eine solche Gesinnung wird nicht die Solidarität der
Arbeiterklasse erzeugen, — weil sie ihre Kraft zu sehr aus dem nackten Klassen-
vgoismus zieht, — sondern nur das Christentum, von dem die heutigen sozial¬
demokratischen Machthaber leider Menig wissen wollen.



5) Richard Charmatz, „Deutsche Demokratie". , Bei Ed. Strande, Wien-Wa,nS-
dvH-Leipzig. ISIS- S. 31f.
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[0017] Voraussetzungen t>er Demokratie Wiederum nur eine Minderheit politisch, und auch Weltschs „organische Demo¬ kratie" läuft aus eine Aristokratie hinaus. Alle diese technischen Schwierigkeiten, wie es möglich sein soll, den wirk¬ lichen Volkswillen zur Geltung zu bringen, wären sofort beseitigt, wenn der Staat lauter Bürger von der nötigen sittlichen Reise und von wahrem politischen Interesse hätte. Die wichtigsten Voraussetzungen der Demokratie sind allezeit sittlicher Natur gewesen. Eine Demokratie kann nur bestehen, wenn ihre Bürger wahrhaft demokratisch gesinnt sind. In einem kleinen Büchlein über „Deutsche Demokratie" zählt Charmatz svhr hübsch die Grundsätze auf, mit deren Beobachtung jede Volksherrschaft stehe und falle/) Erstens müsse sich der Zweck der staatlichen Gemeinschaft mit dem allgemeinen Besten decken. Zweitens müsse der einzelne bei dem geringsten notwendigen Maß von Einschränkung das höchste mögliche Maß von bürgerlichen Rechten genießen. Drittens dürfe die Staats- «utorität der Volksautorität nicht feindlich gegenüberstehen. Und viertens müsse der Mehrheitswille auf die Minderheit schonende Rücksicht nehmen. Wie es aber möglich sein soll, Demokraten von solcher Gesinnung zu erzeugen, daß sie alle diese Grundsätze achten, darüber schweigt sich Charmatz aus.' Offenbar ist er Optimist genug, sie dem deutschen Volke zuzutrauen. Wir stehen hier bei der schwierigsten und wichtigsten Voraussetzung der Demokratie. " „Demokratie und Unduldsamkeit, sagt Steffen (S. 105), „Demokratie und rücksichtslose Herrschsucht schließen einander aus. Demokratie und soziale Un¬ wissenheit, Demokratie und soziale Voreingenommenheit, Demokratie und blinde soziale Parteilichkeit sind miteinander unvereinbar." Es gibt nun zweierlei Art, wie man sich die Beseitigung der undemokratischen Gesinnung der Menschen vor¬ stellen kann. Man kann nach dem materialistischen Prinzip glauben, diese Un¬ tugenden seien das Erzeugnis des Milieus, der Unterdrückung und Beengtheit, in der die Menschen bisher leben mußten. So reden Zum Beispiel die Lobhudler des Proletariats. Die Untugenden, die der Proletarier jetzt zeigt, sind nach An¬ sicht dieser Leute nur die Folge der elenden Zustände, unter denen er unter der bisherigen Klassenherrschaft vegetieren mußte. Ist erst einmal durch die Revolu¬ tion der Bann gebrochen, ist der Proletarier zur Freiheit und Herrschaft be¬ rufen, dann wird er ganz von selber unter Anleitung seiner genialen Führer sehr bald in allen demokratischen Tugenden leuchten. Aus solchen Gedanken- gängen folgern radikale Sozialisten und Spartakisten die Theorie von der Dikta¬ tur des Proletariats als Übergang zu der allgemeinen Gleichheit und Freiheit «lller Manschen. Die Klassenherrschaft des Proletariats soll nach dieser Lehre vermöge der Solidarität und hervorragenden Einsicht der Arbeiterklasse zur Herr¬ schaft der demokratischen Tugenden unter den Menschen überleiten. ES ist kein Zweifel, daß diese Lehre ein Wahn ist bei denen, die daran glauben, eine gewissenlose Demagogie bei denen, die mit ihr bewußt dem Pöbel schmeicheln. ?s<zos,tur int-ra umros c-t c-xtra! Das Bürgertum und die bisher herrschenden Schichten bestanden gewiß nicht aus Engeln, aber die sozialdemo¬ kratischen Arbeiter sind ebenso gewiß nicht besser und werden nicht tugendhafter werden, wenn sie zur Herrschaft kommen und ihren Dünkel Pflegen können. Die sittlichen Qualitäten der Menschen heben sich durchaus nicht automatisch, wenn die äußere Lebensstellung verbessert wird. Vielmehr kann der plötzlich zur Macht Gerufene sittlich noch stärker versagen, als der im äußeren Leben Gedruckte. Demokratische Tugend kommt nicht dadurch zur Herrschaft, daß man bisher be¬ herrschte Massen statt der oberen Schichten zur Macht beruft, sondern nur da¬ durch, daß man in mühevoller Arbeit allen Menschen eine Gesinnung anerzieht, in der sie mehr Liebe zueinander und mehr Ehrfurcht vor der Menschenwürde des andern betätigen. Eine solche Gesinnung wird nicht die Solidarität der Arbeiterklasse erzeugen, — weil sie ihre Kraft zu sehr aus dem nackten Klassen- vgoismus zieht, — sondern nur das Christentum, von dem die heutigen sozial¬ demokratischen Machthaber leider Menig wissen wollen. 5) Richard Charmatz, „Deutsche Demokratie". , Bei Ed. Strande, Wien-Wa,nS- dvH-Leipzig. ISIS- S. 31f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/17>, abgerufen am 01.09.2024.