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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Soll die Provinz Posen dem polnischen Staate einverleibt werden?

Konfession in der fürchterlichen Gefahr, mit einem Lande verbunden zu werden,
das kulturell ungeheuer rückständig ist, vielmehr fürchten sie mit Recht zu einer
Art von Ghetto-Juden herabgedrückt zu werden. Sollen sie doch zu einem Lande
kommen, das die ungeheuere Zahl von zirka drei Millionen Ostjuden beherbergt.
Und dieses Land denkt nicht etwa daran, wie es in einem analogen Falle etwa
England oder Amerika tun würde, die drei Millionen Ostjuden, in denen eine
ungeheuere intellektuelle Kraft steckt, durch nicht bloß auf dem Papier stehende,
sondern auch in der Praxis ausgeübte paruättsche Behandlung möglichst schnell
zu gleichwertigen Staatsbürgern zu machen! Vielmehr haben schon wiederholt
die politischen Führer der Polen in vertrautem Kreise erklärt, daß sie selbst¬
verständlich keine Ausnahmegesetze für die Juden schaffen werden, schon allein
aus dem Grunde nicht, weil das ja die Entente nicht zulassen würde, daß sie
aber durch einen wohlorganisierten Boykott den größten Teil der Juden zwingen
würden, das Land, das 'sie schon seit Jahrhundeiten bewohnen, möglichst schnell
zu verlassen. Und wie systematisch die Polen gerade in bezug auf wirtschaftlichen
Boykott vorgehen, haben sie schon wiederholt bewiesen. Es könnte sein, daß
der eine oder andere die hier gemachten Ausführungen für übertrieben ansieht,
aber daß sie keineswegs übertrieben sind, kann durch die Tatsache erhärtet werden,
daß die bloße Möglichkeit, die Provinz Posen könnte zu Polen kommen, zahlreiche
Deutsche, besonders solche jüdischer Konfession, veranlaßt hat, ihre Grundstücke,
ihre Geschäfte und Handlungshäuser, an deren Verkauf sie sonst nie gedacht haben
würden, schleunigst den Polen zum Kauf anzubieten, damit sie in der Lage sind,
die Provinz Posen schnellstens verlassen zu können. Eine ganze Anzahl Verkäufe
haben bereits stattgefunden, und wegen weiterer Objekte ist malt in Unterhandlung.
Sollte aber der Fall eintreten, daß die Provinz Posen oder ein Teil von ihr zu
Polen kommt, so würden sich diese Verkäufe derartig vermehren, daß man von
einer Flucht der Deutschen, besonders der jüdischen Deutschen, sprechen können
wird. Man hat in eingeweihten Kreisen eben kein Vertrauen zu den Polen,
weder zu ihrer Wirtschaftsweise (weshalb das deutsche Publikum jetzt seine Gelder
von den Sparkassen zurückfordert) noch zu ihrem Rechtsempfinden (siehe Freispruch
der Mörder des Herrn v. HazwNadlitz), noch zu ihrer "Toleranz". Deshalb
steht schon bei vielen deutschen Nechtsanwälten, Ärzten, Kaufleuten, Gewerbe¬
treibenden, Handwerkern der unabänderliche Entschluß fest, die Provinz Posen
für den Fall daß sie polnisch wird, zu verlassen. Das wird natürlich ein ungeheuerer
wirtschaftlicher Schaden für die Provinz Posen sein, denn es handelt sich gerade
um diejenigen Elemente, die in Handel, Industrie, Landwirtschaft, den akademischen
Berufen usw. die erste Rolle spielen und die steuerkräftigsten Elemente sind.
Auch ein großer Teil der deutschen Landwirte ist darunter. Wie oben erwähnt,
sehet: sogar viele polnische Landwirte einer eventuellen Zuteilung der Provinz
Posen zum polnischen Staate mit großer Betrübnis entgegen, denn es ist ihnen
ohne weiteres klar, daß auch die landwirtschaftliche Kultur sofort zurückgehen wird,
wenn die Provinz durch eine Landesgrenze bezw. Zollgrenze vom Deutschen
Reiche abgeschnitten wird. Schon allein der Umstand, daß sie für Getreide, Vieh
usw. billigere Preise haben würden als bisher bezw. ihre deutschen Nachbarn,
daß sie andererseits Düngemittel und Maschinen usw- teurer bezahlen müßten,
verheißt ven Rückgang der landwirtschaftlichen Kultur.

Sollte es unter den hier geschilderten Verhältnissen für die Mitglieder der
Friedenskonferenz nicht ganz indiskutabel sein, die Provinz Posen dem polnischen
Staate zuzusprechen? Will man eine in jeder Hinsicht kulturell hochstehende
Provinz mit einem Staatengebilde verschmelzen, das in seiner ganzen kulturellen
Struktur gegenüber dieser Provinz ungeheuer rückständig ist, und will man da¬
durch zwei Fünftel der Bewohner dieser Provinz -- es handelt sich um etwa
8S0 000 Menschen -- unglücklich machen? So unglücklich, daß ein nicht geringer
Teil von ihnen den Entschluß fassen würde, die alte Existenz lieber aufzugeben
und sich in alle Winde zu zerstreuen und eine neue, unsichere Existenz zu suchen.
Ja noch mehr. Es würde auch, wie oben erwähnt, ein wesentlicher Teil der


Soll die Provinz Posen dem polnischen Staate einverleibt werden?

Konfession in der fürchterlichen Gefahr, mit einem Lande verbunden zu werden,
das kulturell ungeheuer rückständig ist, vielmehr fürchten sie mit Recht zu einer
Art von Ghetto-Juden herabgedrückt zu werden. Sollen sie doch zu einem Lande
kommen, das die ungeheuere Zahl von zirka drei Millionen Ostjuden beherbergt.
Und dieses Land denkt nicht etwa daran, wie es in einem analogen Falle etwa
England oder Amerika tun würde, die drei Millionen Ostjuden, in denen eine
ungeheuere intellektuelle Kraft steckt, durch nicht bloß auf dem Papier stehende,
sondern auch in der Praxis ausgeübte paruättsche Behandlung möglichst schnell
zu gleichwertigen Staatsbürgern zu machen! Vielmehr haben schon wiederholt
die politischen Führer der Polen in vertrautem Kreise erklärt, daß sie selbst¬
verständlich keine Ausnahmegesetze für die Juden schaffen werden, schon allein
aus dem Grunde nicht, weil das ja die Entente nicht zulassen würde, daß sie
aber durch einen wohlorganisierten Boykott den größten Teil der Juden zwingen
würden, das Land, das 'sie schon seit Jahrhundeiten bewohnen, möglichst schnell
zu verlassen. Und wie systematisch die Polen gerade in bezug auf wirtschaftlichen
Boykott vorgehen, haben sie schon wiederholt bewiesen. Es könnte sein, daß
der eine oder andere die hier gemachten Ausführungen für übertrieben ansieht,
aber daß sie keineswegs übertrieben sind, kann durch die Tatsache erhärtet werden,
daß die bloße Möglichkeit, die Provinz Posen könnte zu Polen kommen, zahlreiche
Deutsche, besonders solche jüdischer Konfession, veranlaßt hat, ihre Grundstücke,
ihre Geschäfte und Handlungshäuser, an deren Verkauf sie sonst nie gedacht haben
würden, schleunigst den Polen zum Kauf anzubieten, damit sie in der Lage sind,
die Provinz Posen schnellstens verlassen zu können. Eine ganze Anzahl Verkäufe
haben bereits stattgefunden, und wegen weiterer Objekte ist malt in Unterhandlung.
Sollte aber der Fall eintreten, daß die Provinz Posen oder ein Teil von ihr zu
Polen kommt, so würden sich diese Verkäufe derartig vermehren, daß man von
einer Flucht der Deutschen, besonders der jüdischen Deutschen, sprechen können
wird. Man hat in eingeweihten Kreisen eben kein Vertrauen zu den Polen,
weder zu ihrer Wirtschaftsweise (weshalb das deutsche Publikum jetzt seine Gelder
von den Sparkassen zurückfordert) noch zu ihrem Rechtsempfinden (siehe Freispruch
der Mörder des Herrn v. HazwNadlitz), noch zu ihrer „Toleranz". Deshalb
steht schon bei vielen deutschen Nechtsanwälten, Ärzten, Kaufleuten, Gewerbe¬
treibenden, Handwerkern der unabänderliche Entschluß fest, die Provinz Posen
für den Fall daß sie polnisch wird, zu verlassen. Das wird natürlich ein ungeheuerer
wirtschaftlicher Schaden für die Provinz Posen sein, denn es handelt sich gerade
um diejenigen Elemente, die in Handel, Industrie, Landwirtschaft, den akademischen
Berufen usw. die erste Rolle spielen und die steuerkräftigsten Elemente sind.
Auch ein großer Teil der deutschen Landwirte ist darunter. Wie oben erwähnt,
sehet: sogar viele polnische Landwirte einer eventuellen Zuteilung der Provinz
Posen zum polnischen Staate mit großer Betrübnis entgegen, denn es ist ihnen
ohne weiteres klar, daß auch die landwirtschaftliche Kultur sofort zurückgehen wird,
wenn die Provinz durch eine Landesgrenze bezw. Zollgrenze vom Deutschen
Reiche abgeschnitten wird. Schon allein der Umstand, daß sie für Getreide, Vieh
usw. billigere Preise haben würden als bisher bezw. ihre deutschen Nachbarn,
daß sie andererseits Düngemittel und Maschinen usw- teurer bezahlen müßten,
verheißt ven Rückgang der landwirtschaftlichen Kultur.

Sollte es unter den hier geschilderten Verhältnissen für die Mitglieder der
Friedenskonferenz nicht ganz indiskutabel sein, die Provinz Posen dem polnischen
Staate zuzusprechen? Will man eine in jeder Hinsicht kulturell hochstehende
Provinz mit einem Staatengebilde verschmelzen, das in seiner ganzen kulturellen
Struktur gegenüber dieser Provinz ungeheuer rückständig ist, und will man da¬
durch zwei Fünftel der Bewohner dieser Provinz — es handelt sich um etwa
8S0 000 Menschen — unglücklich machen? So unglücklich, daß ein nicht geringer
Teil von ihnen den Entschluß fassen würde, die alte Existenz lieber aufzugeben
und sich in alle Winde zu zerstreuen und eine neue, unsichere Existenz zu suchen.
Ja noch mehr. Es würde auch, wie oben erwähnt, ein wesentlicher Teil der


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[0148] Soll die Provinz Posen dem polnischen Staate einverleibt werden? Konfession in der fürchterlichen Gefahr, mit einem Lande verbunden zu werden, das kulturell ungeheuer rückständig ist, vielmehr fürchten sie mit Recht zu einer Art von Ghetto-Juden herabgedrückt zu werden. Sollen sie doch zu einem Lande kommen, das die ungeheuere Zahl von zirka drei Millionen Ostjuden beherbergt. Und dieses Land denkt nicht etwa daran, wie es in einem analogen Falle etwa England oder Amerika tun würde, die drei Millionen Ostjuden, in denen eine ungeheuere intellektuelle Kraft steckt, durch nicht bloß auf dem Papier stehende, sondern auch in der Praxis ausgeübte paruättsche Behandlung möglichst schnell zu gleichwertigen Staatsbürgern zu machen! Vielmehr haben schon wiederholt die politischen Führer der Polen in vertrautem Kreise erklärt, daß sie selbst¬ verständlich keine Ausnahmegesetze für die Juden schaffen werden, schon allein aus dem Grunde nicht, weil das ja die Entente nicht zulassen würde, daß sie aber durch einen wohlorganisierten Boykott den größten Teil der Juden zwingen würden, das Land, das 'sie schon seit Jahrhundeiten bewohnen, möglichst schnell zu verlassen. Und wie systematisch die Polen gerade in bezug auf wirtschaftlichen Boykott vorgehen, haben sie schon wiederholt bewiesen. Es könnte sein, daß der eine oder andere die hier gemachten Ausführungen für übertrieben ansieht, aber daß sie keineswegs übertrieben sind, kann durch die Tatsache erhärtet werden, daß die bloße Möglichkeit, die Provinz Posen könnte zu Polen kommen, zahlreiche Deutsche, besonders solche jüdischer Konfession, veranlaßt hat, ihre Grundstücke, ihre Geschäfte und Handlungshäuser, an deren Verkauf sie sonst nie gedacht haben würden, schleunigst den Polen zum Kauf anzubieten, damit sie in der Lage sind, die Provinz Posen schnellstens verlassen zu können. Eine ganze Anzahl Verkäufe haben bereits stattgefunden, und wegen weiterer Objekte ist malt in Unterhandlung. Sollte aber der Fall eintreten, daß die Provinz Posen oder ein Teil von ihr zu Polen kommt, so würden sich diese Verkäufe derartig vermehren, daß man von einer Flucht der Deutschen, besonders der jüdischen Deutschen, sprechen können wird. Man hat in eingeweihten Kreisen eben kein Vertrauen zu den Polen, weder zu ihrer Wirtschaftsweise (weshalb das deutsche Publikum jetzt seine Gelder von den Sparkassen zurückfordert) noch zu ihrem Rechtsempfinden (siehe Freispruch der Mörder des Herrn v. HazwNadlitz), noch zu ihrer „Toleranz". Deshalb steht schon bei vielen deutschen Nechtsanwälten, Ärzten, Kaufleuten, Gewerbe¬ treibenden, Handwerkern der unabänderliche Entschluß fest, die Provinz Posen für den Fall daß sie polnisch wird, zu verlassen. Das wird natürlich ein ungeheuerer wirtschaftlicher Schaden für die Provinz Posen sein, denn es handelt sich gerade um diejenigen Elemente, die in Handel, Industrie, Landwirtschaft, den akademischen Berufen usw. die erste Rolle spielen und die steuerkräftigsten Elemente sind. Auch ein großer Teil der deutschen Landwirte ist darunter. Wie oben erwähnt, sehet: sogar viele polnische Landwirte einer eventuellen Zuteilung der Provinz Posen zum polnischen Staate mit großer Betrübnis entgegen, denn es ist ihnen ohne weiteres klar, daß auch die landwirtschaftliche Kultur sofort zurückgehen wird, wenn die Provinz durch eine Landesgrenze bezw. Zollgrenze vom Deutschen Reiche abgeschnitten wird. Schon allein der Umstand, daß sie für Getreide, Vieh usw. billigere Preise haben würden als bisher bezw. ihre deutschen Nachbarn, daß sie andererseits Düngemittel und Maschinen usw- teurer bezahlen müßten, verheißt ven Rückgang der landwirtschaftlichen Kultur. Sollte es unter den hier geschilderten Verhältnissen für die Mitglieder der Friedenskonferenz nicht ganz indiskutabel sein, die Provinz Posen dem polnischen Staate zuzusprechen? Will man eine in jeder Hinsicht kulturell hochstehende Provinz mit einem Staatengebilde verschmelzen, das in seiner ganzen kulturellen Struktur gegenüber dieser Provinz ungeheuer rückständig ist, und will man da¬ durch zwei Fünftel der Bewohner dieser Provinz — es handelt sich um etwa 8S0 000 Menschen — unglücklich machen? So unglücklich, daß ein nicht geringer Teil von ihnen den Entschluß fassen würde, die alte Existenz lieber aufzugeben und sich in alle Winde zu zerstreuen und eine neue, unsichere Existenz zu suchen. Ja noch mehr. Es würde auch, wie oben erwähnt, ein wesentlicher Teil der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/148>, abgerufen am 01.09.2024.