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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

es den Polen trotz der unfraglich vorhandenen Intelligenz und Gelehrigkeit an
Organisationstalent mangelt, und gerade diese Eigenschaft ist, wie wohl nicht erst
des näheren begründet zu werden braucht, für die Errichtung eines neuen Staats¬
wesens von allergrößter Wichtigkeit. Hierzu kommt der schwerwiegende Umstand,
daß den Polen jede Erfahrung in der Verwaltungstechnik fehlt. Die staatliche
Verwaltungstechnik ist nun aber heutzutage -- im zwanzigsten Jahrhundert und
überdies nach einem viereinhalbjährigen Weltkriege -- unsraglich komplizierter
als vor eineinhalb Jahrhunderten, und schon damals reichte die Verwaltungs¬
technik der Polen für die Erhaltung des Staates nicht aus. Deshalb dürfte diese
Frage nicht so leicht zu lösen sein. Dies wiegt um so schwerer, als die Polen
gar nicht daran denken, nichtpolnische Elemente in die Verwaltung zu nehmen.
Schon jetzt, da ihnen die Provinz Posen von der Friedenskonferenz noch gar nicht
zugesprochen ist. da sie sie vielmehr erst seit wenigen Wochen provisorisch verwalten,
hatten sie nichts eiligeres zu tun, als die Deutschen -- besonders aber die Juden
-- überall aus der Provinzial- und Komnmnalverwaltung herauszudrängen.
Obwohl die Juden einen hervorragenden Anteil an dem Lebensmittelhandel der
Provinz Posen haben, ist weder in das von den Polen geschaffene Haupternährungs¬
amt, noch als Leiter eines der diesem unterstellten Ämter, ein Jude berufen
worden. Der por den Polen eingesetzte neue Oberbürgermeister erklärte, ein
jüdischer Name würde bei der polnischen Bevölkerung den Anschein erwecken, "daß
es da was zu verdienen gäbe" II! Ebenso sind im Kreise Sabrina sämtliche
jüdischen Viehkommissionme ausgeschaltet worden. Diese Beispiele ließen sich noch
vermehren, denn die Polen sind bestrebt, den gesamten VerwaliungSapparat im
"Schnellzugstempo" zu polonisieren, ohne jede Rücksicht auf die 800 000 Deutschen,
von denen -- mit dieser Tatsache muß nun einmal gerechnet werden -- noch
nicht ein Prozent polnisch spricht! -- Man weiß, daß die Deutschen -- wenigstens
für die nächsten Jahrzehnte -- in der Verwaltung schwer zu entbehren sind, aber
der blinde Fanatismus setzt sich darüber hinweg. Man verzichtet lieber von
vornherein auf eine gute Verwaltung, nur "polnisch" soll sie seinl

Typisch sür die Polen ist auch außer ihrem Mangel an Organisationstalent
eine geradezu kindliche Naivität und Leichtfertigkeit in wirtschaftlichen Dingen, die
sie. wie das jeder Eingeweihte aus unzähligen Beispielen kennt, Unternehmungen
mit unzulänglichen Mitteln und nicht genügender Vorbereitung in Szene setzen
läßt. Hierzu kommt ein Mangel an Ausdauer und eine Abneigung gegen wirklich
intensive Arbeit, wie sie hier im Osten besonders notwendig ist. Deshalb gibt es
unter den Polen selbst sehr viel Elemente, welche trotz des brennenden Wunsches,
wieder einen eigenen polnischen Staat zu haben, den kommenden Dingen mit
großer Skepsis entgegensehen. Natürlich wagen sie es nicht, diese Meinung öffentlich
oder in größerem Kreise zu äußern, tun es vielmehr nur in vertrautester Unter¬
haltung. Diese besonnenen polnischen Elemente wissen eben, daß mau auf die
Dauer' von Patriotismus allein nicht leben kann, daß vielmehr in erster Reihe
die wirtschaftlichen Momente in Betracht gezogen werden müssen. Sie fürchten
aber, daß in dem jetzt zu gründenden polnischen Staate die Verwaltungs- und
Wirtschaftstechnik in jeder Beziehung zu wünschen übrig lassen wird. Besonders
Peinlich ist dieser Gedanke den seit fast eineinhalb Jahrhunderten an die preußische
Verwaltung gewöhnten und durch diese verwöhnten pvsenschen Polen. Die Ver-
waltung war, abgesehen von den ebenso törichten wie intoleranten Ausnahme-
gesehen gegen die Polen, eine vorzügliche und hat die pvsenschen Polen zu einem
von ihnen selbst ungeahnten Wohlstand gebracht. Die radikalen Elemente der
Pvsenschen Polen, welche trotz alledem eine Einverleibung der Provinz Posen in
Polen wünschen, setzen sich vorwiegend zusammen aus den Kreisen des polnischen
Klerus und der Presse, die bei der geringen politischen Reife und der naiven
Gläubigkeit des Volkes einen entscheidenden Einfluß auf die öffentliche Meinung
ausüben, ferner der polnischen Juristen, welche in dem neuen polnischen Staate
mit Recht auf große Karriere hoffen, und den polnischen Kaufleuten und Gewerbe¬
treibenden, die große materielle Vorteile infolge Boykotts der nichtpoluischen
Konkurrenz und auf Grund von Protektionswirtschaft erwarten.


Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

es den Polen trotz der unfraglich vorhandenen Intelligenz und Gelehrigkeit an
Organisationstalent mangelt, und gerade diese Eigenschaft ist, wie wohl nicht erst
des näheren begründet zu werden braucht, für die Errichtung eines neuen Staats¬
wesens von allergrößter Wichtigkeit. Hierzu kommt der schwerwiegende Umstand,
daß den Polen jede Erfahrung in der Verwaltungstechnik fehlt. Die staatliche
Verwaltungstechnik ist nun aber heutzutage — im zwanzigsten Jahrhundert und
überdies nach einem viereinhalbjährigen Weltkriege — unsraglich komplizierter
als vor eineinhalb Jahrhunderten, und schon damals reichte die Verwaltungs¬
technik der Polen für die Erhaltung des Staates nicht aus. Deshalb dürfte diese
Frage nicht so leicht zu lösen sein. Dies wiegt um so schwerer, als die Polen
gar nicht daran denken, nichtpolnische Elemente in die Verwaltung zu nehmen.
Schon jetzt, da ihnen die Provinz Posen von der Friedenskonferenz noch gar nicht
zugesprochen ist. da sie sie vielmehr erst seit wenigen Wochen provisorisch verwalten,
hatten sie nichts eiligeres zu tun, als die Deutschen — besonders aber die Juden
— überall aus der Provinzial- und Komnmnalverwaltung herauszudrängen.
Obwohl die Juden einen hervorragenden Anteil an dem Lebensmittelhandel der
Provinz Posen haben, ist weder in das von den Polen geschaffene Haupternährungs¬
amt, noch als Leiter eines der diesem unterstellten Ämter, ein Jude berufen
worden. Der por den Polen eingesetzte neue Oberbürgermeister erklärte, ein
jüdischer Name würde bei der polnischen Bevölkerung den Anschein erwecken, „daß
es da was zu verdienen gäbe" II! Ebenso sind im Kreise Sabrina sämtliche
jüdischen Viehkommissionme ausgeschaltet worden. Diese Beispiele ließen sich noch
vermehren, denn die Polen sind bestrebt, den gesamten VerwaliungSapparat im
„Schnellzugstempo" zu polonisieren, ohne jede Rücksicht auf die 800 000 Deutschen,
von denen — mit dieser Tatsache muß nun einmal gerechnet werden — noch
nicht ein Prozent polnisch spricht! — Man weiß, daß die Deutschen — wenigstens
für die nächsten Jahrzehnte — in der Verwaltung schwer zu entbehren sind, aber
der blinde Fanatismus setzt sich darüber hinweg. Man verzichtet lieber von
vornherein auf eine gute Verwaltung, nur „polnisch" soll sie seinl

Typisch sür die Polen ist auch außer ihrem Mangel an Organisationstalent
eine geradezu kindliche Naivität und Leichtfertigkeit in wirtschaftlichen Dingen, die
sie. wie das jeder Eingeweihte aus unzähligen Beispielen kennt, Unternehmungen
mit unzulänglichen Mitteln und nicht genügender Vorbereitung in Szene setzen
läßt. Hierzu kommt ein Mangel an Ausdauer und eine Abneigung gegen wirklich
intensive Arbeit, wie sie hier im Osten besonders notwendig ist. Deshalb gibt es
unter den Polen selbst sehr viel Elemente, welche trotz des brennenden Wunsches,
wieder einen eigenen polnischen Staat zu haben, den kommenden Dingen mit
großer Skepsis entgegensehen. Natürlich wagen sie es nicht, diese Meinung öffentlich
oder in größerem Kreise zu äußern, tun es vielmehr nur in vertrautester Unter¬
haltung. Diese besonnenen polnischen Elemente wissen eben, daß mau auf die
Dauer' von Patriotismus allein nicht leben kann, daß vielmehr in erster Reihe
die wirtschaftlichen Momente in Betracht gezogen werden müssen. Sie fürchten
aber, daß in dem jetzt zu gründenden polnischen Staate die Verwaltungs- und
Wirtschaftstechnik in jeder Beziehung zu wünschen übrig lassen wird. Besonders
Peinlich ist dieser Gedanke den seit fast eineinhalb Jahrhunderten an die preußische
Verwaltung gewöhnten und durch diese verwöhnten pvsenschen Polen. Die Ver-
waltung war, abgesehen von den ebenso törichten wie intoleranten Ausnahme-
gesehen gegen die Polen, eine vorzügliche und hat die pvsenschen Polen zu einem
von ihnen selbst ungeahnten Wohlstand gebracht. Die radikalen Elemente der
Pvsenschen Polen, welche trotz alledem eine Einverleibung der Provinz Posen in
Polen wünschen, setzen sich vorwiegend zusammen aus den Kreisen des polnischen
Klerus und der Presse, die bei der geringen politischen Reife und der naiven
Gläubigkeit des Volkes einen entscheidenden Einfluß auf die öffentliche Meinung
ausüben, ferner der polnischen Juristen, welche in dem neuen polnischen Staate
mit Recht auf große Karriere hoffen, und den polnischen Kaufleuten und Gewerbe¬
treibenden, die große materielle Vorteile infolge Boykotts der nichtpoluischen
Konkurrenz und auf Grund von Protektionswirtschaft erwarten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/145>, abgerufen am 01.09.2024.