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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Revolutionslireraten
Tine Abrechnung
Dr. Moritz Goldstein von

üugst geriet ich in einen Disput mit einem jungen Studenten. Er
erwies sich, mit Temperament und vielen Worten, als Partei¬
gänger -- ja, wessen eigentlich? Nun, sagen wir: der Revolution.
Für die Negierung, für die Nationalversammlung, für die Ver¬
suche, Ordnung ins Chaos zu bringen, und vollends für alles,
was bürgerlich heißt, hatte er nichts als Hohn und Spott, allen¬
falls ein Lächeln des Mitleids. Zuletzt versuchte ich es mit folgendem Einwand:
"Gesetzt, man übertrüge Ihnen von Staats wegen die Sorge für die Arbeits¬
losen. Sie ordnen eine auskömmliche Unterstützung für jeden Feiernden an.
Binnen kurzem stellen Sie fest, daß daraufhin der größte Teil die Annahme von
Arbeit glatt verweigert, weil er es ja, um zu existieren, nicht nötig hat, so daß
zwischen dem steigenden Bedarf an Arbeitern und der steigenden Arbeitslosig¬
keit kein Ausgleich stattfindet. (Das Beispiel ist bekanntlich nicht aus den Fingern
gesogen.) Was würden Sie, als Volksbeauftragter der Arbeitslosenfürsorge, in
dieser Lage tun?"

Mein Partner erwiderte: "Ich würde sagen, man muß sozialisieren."

Ich bemerkte: "Sie würden also gar nichts tun, sondern etwas sagen."
"

Er verbesserte sich: "Ich würde sozialisieren.

Darüber war er nicht hinaufzubringen, und das Gespräch hatte den toten
Punkt erreicht.

Diese Debatte hätte ich mit jedem von euch führen können; sie ist humor¬
volles Symbol eurer Art von Politik.

Worauf kommt es in diesem Augenblick an? Sind wir uns darüber einig,
daß uns eine feindliche Übermacht mit brutalem Griff bei der Kehle gepackt hält?
Daß wir hungern? Daß wir verhungern, wenn es der Übermacht gefällt, unsere
Gurgel nicht loszulassen? Worauf also kommt es an? Zum Beispiel darauf,
daß Kohle gefördert wird. Denn Kohle gehört zu den paar Dingen, die wir
haben und die anderen brauchen, und die sie als Zahlungsmittel von uns er¬
pressen wollen. Sind wir uns darüber wenigstens einig?

Gut. Also müssen die Bergleute arbeiten. Alles andere ist Nebensache.
Dies eine ist die Hauptforderung. Wohlverstanden: Kohle fördern, in den
Schächten sich Plagen ist Lein Zeichen von Kultur, ist kein ethisches Ideal, ist nicht,
was wir unser Ziel nennen. Nicht in diesem .Sinne meine ich es, wenn ich sage,
Kohlenprobuttion sei die Hauptsache. Kohlenproduktion ist bloß Mittel zum
Zweck, Vordergvundinteresse -- mit Kant zu reden: ein hypothetischer Imperativ;


(Älenzboten II 1919 11


Revolutionslireraten
Tine Abrechnung
Dr. Moritz Goldstein von

üugst geriet ich in einen Disput mit einem jungen Studenten. Er
erwies sich, mit Temperament und vielen Worten, als Partei¬
gänger — ja, wessen eigentlich? Nun, sagen wir: der Revolution.
Für die Negierung, für die Nationalversammlung, für die Ver¬
suche, Ordnung ins Chaos zu bringen, und vollends für alles,
was bürgerlich heißt, hatte er nichts als Hohn und Spott, allen¬
falls ein Lächeln des Mitleids. Zuletzt versuchte ich es mit folgendem Einwand:
„Gesetzt, man übertrüge Ihnen von Staats wegen die Sorge für die Arbeits¬
losen. Sie ordnen eine auskömmliche Unterstützung für jeden Feiernden an.
Binnen kurzem stellen Sie fest, daß daraufhin der größte Teil die Annahme von
Arbeit glatt verweigert, weil er es ja, um zu existieren, nicht nötig hat, so daß
zwischen dem steigenden Bedarf an Arbeitern und der steigenden Arbeitslosig¬
keit kein Ausgleich stattfindet. (Das Beispiel ist bekanntlich nicht aus den Fingern
gesogen.) Was würden Sie, als Volksbeauftragter der Arbeitslosenfürsorge, in
dieser Lage tun?"

Mein Partner erwiderte: „Ich würde sagen, man muß sozialisieren."

Ich bemerkte: „Sie würden also gar nichts tun, sondern etwas sagen."
"

Er verbesserte sich: „Ich würde sozialisieren.

Darüber war er nicht hinaufzubringen, und das Gespräch hatte den toten
Punkt erreicht.

Diese Debatte hätte ich mit jedem von euch führen können; sie ist humor¬
volles Symbol eurer Art von Politik.

Worauf kommt es in diesem Augenblick an? Sind wir uns darüber einig,
daß uns eine feindliche Übermacht mit brutalem Griff bei der Kehle gepackt hält?
Daß wir hungern? Daß wir verhungern, wenn es der Übermacht gefällt, unsere
Gurgel nicht loszulassen? Worauf also kommt es an? Zum Beispiel darauf,
daß Kohle gefördert wird. Denn Kohle gehört zu den paar Dingen, die wir
haben und die anderen brauchen, und die sie als Zahlungsmittel von uns er¬
pressen wollen. Sind wir uns darüber wenigstens einig?

Gut. Also müssen die Bergleute arbeiten. Alles andere ist Nebensache.
Dies eine ist die Hauptforderung. Wohlverstanden: Kohle fördern, in den
Schächten sich Plagen ist Lein Zeichen von Kultur, ist kein ethisches Ideal, ist nicht,
was wir unser Ziel nennen. Nicht in diesem .Sinne meine ich es, wenn ich sage,
Kohlenprobuttion sei die Hauptsache. Kohlenproduktion ist bloß Mittel zum
Zweck, Vordergvundinteresse — mit Kant zu reden: ein hypothetischer Imperativ;


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[0133] [Abbildung] Revolutionslireraten Tine Abrechnung Dr. Moritz Goldstein von üugst geriet ich in einen Disput mit einem jungen Studenten. Er erwies sich, mit Temperament und vielen Worten, als Partei¬ gänger — ja, wessen eigentlich? Nun, sagen wir: der Revolution. Für die Negierung, für die Nationalversammlung, für die Ver¬ suche, Ordnung ins Chaos zu bringen, und vollends für alles, was bürgerlich heißt, hatte er nichts als Hohn und Spott, allen¬ falls ein Lächeln des Mitleids. Zuletzt versuchte ich es mit folgendem Einwand: „Gesetzt, man übertrüge Ihnen von Staats wegen die Sorge für die Arbeits¬ losen. Sie ordnen eine auskömmliche Unterstützung für jeden Feiernden an. Binnen kurzem stellen Sie fest, daß daraufhin der größte Teil die Annahme von Arbeit glatt verweigert, weil er es ja, um zu existieren, nicht nötig hat, so daß zwischen dem steigenden Bedarf an Arbeitern und der steigenden Arbeitslosig¬ keit kein Ausgleich stattfindet. (Das Beispiel ist bekanntlich nicht aus den Fingern gesogen.) Was würden Sie, als Volksbeauftragter der Arbeitslosenfürsorge, in dieser Lage tun?" Mein Partner erwiderte: „Ich würde sagen, man muß sozialisieren." Ich bemerkte: „Sie würden also gar nichts tun, sondern etwas sagen." " Er verbesserte sich: „Ich würde sozialisieren. Darüber war er nicht hinaufzubringen, und das Gespräch hatte den toten Punkt erreicht. Diese Debatte hätte ich mit jedem von euch führen können; sie ist humor¬ volles Symbol eurer Art von Politik. Worauf kommt es in diesem Augenblick an? Sind wir uns darüber einig, daß uns eine feindliche Übermacht mit brutalem Griff bei der Kehle gepackt hält? Daß wir hungern? Daß wir verhungern, wenn es der Übermacht gefällt, unsere Gurgel nicht loszulassen? Worauf also kommt es an? Zum Beispiel darauf, daß Kohle gefördert wird. Denn Kohle gehört zu den paar Dingen, die wir haben und die anderen brauchen, und die sie als Zahlungsmittel von uns er¬ pressen wollen. Sind wir uns darüber wenigstens einig? Gut. Also müssen die Bergleute arbeiten. Alles andere ist Nebensache. Dies eine ist die Hauptforderung. Wohlverstanden: Kohle fördern, in den Schächten sich Plagen ist Lein Zeichen von Kultur, ist kein ethisches Ideal, ist nicht, was wir unser Ziel nennen. Nicht in diesem .Sinne meine ich es, wenn ich sage, Kohlenprobuttion sei die Hauptsache. Kohlenproduktion ist bloß Mittel zum Zweck, Vordergvundinteresse — mit Kant zu reden: ein hypothetischer Imperativ; (Älenzboten II 1919 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/133>, abgerufen am 18.12.2024.