Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Voraussetzungen der Demokratie Dr. Karl Buchheim von n einer großen demokratischen Versanmnlung vor den National¬ Daß die Praxis des Bolschewismus wirklich nach diesem Rezept verfährt, Der Gedanke, eine gerechte Staatsordnung zu schaffen, ist ja auch das Grenzboten II 1919 1
Voraussetzungen der Demokratie Dr. Karl Buchheim von n einer großen demokratischen Versanmnlung vor den National¬ Daß die Praxis des Bolschewismus wirklich nach diesem Rezept verfährt, Der Gedanke, eine gerechte Staatsordnung zu schaffen, ist ja auch das Grenzboten II 1919 1
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[Abbildung]
Voraussetzungen der Demokratie
Dr. Karl Buchheim von
n einer großen demokratischen Versanmnlung vor den National¬
wahlen hörte ich einmal einen jungen leidenschaftlichen Vertreter
des Bolschewismus als Debatteredner. Er sagte, man spreche
immer von den Gewalttaten, und Greueln der Bolschewisten und
werde ihrer großen Idee nicht gerecht. Dies sei die Idee der
Gerechtigkeit. Sie verkläre und rechtfertige alle Taten der
Bolschewisten. Es müßte gelingen, die Idee der Gerechtigkeit zu einer
Wirklichkeit in dieser bis jetzt so ungerechten Welt zu machen. Die
Gerechtigkeit sei es wert, auch mit Feuer und Schwiert erzwungen zu werden,
wenn es nicht anders gehe. Und wer einmal von der Idee der Gerechtigkeit
leidenschaftlich erfüllt sei, dem mache es nichts aus, in ihrem Dienste auch über
Leichen zu schreiten.
Daß die Praxis des Bolschewismus wirklich nach diesem Rezept verfährt,
bemerken wir ja. Sie scheut selbst vor offener Verbrüderung mit dem gemeinen
Verbrechertum nicht zurück. Wem ideologische Besessenheit noch nicht völlig daS
Gewissen und die kühle Überlegung geraubt hat, der muß sich sagen, daß auf
diesem Wege alles andere eher als die Idee der Gerechtigkeit auf Erden ver¬
wirklicht wird. Doch finde ich: wenn der Bolschewismus glaubt, nur durch
rücksichtslose Zerstörung, durch anarchistisches und verbrecherisches Niederreißen
der alten Gesellschaft fein Ziel erveichen zu können, so liegt dieser Handlungs¬
weise sicherlich ein dumpfes Bewußtsein davon zugrunde, wie ungeheuer schwierig
das Unterfangen ist, die Idee der Gerechtigkeit in der Welt verwirklichen zu
wollen. Vielleicht erfassen die Bolschewisten und Spartakisten diese Schwierig¬
keit instinktmäßig klarer wie die Sozialdemokraten, die den schönen Glauben auf¬
bringen, die Welt gerecht machen zu können, ohne sie dabei zu zerschlagen. Die
Berge sind gewaltig, die dieser Glaube versetzen möchte.
Der Gedanke, eine gerechte Staatsordnung zu schaffen, ist ja auch das
Ideal aller Demokraten. Es hat sich aber gezeigt, daß Gerechtigkeit im öffent¬
lichen Leben durch bloße politische Einrichtungen nicht geschaffen werden kann.
Es müssen auch schwerwiegende Voraussetzungen wirtschaftlicher, technischer und
sittlicher Art erfüllt sein. Daß die wahre Demokratie wirtschaftliche Voraus¬
setzungen hat, erkennen die heutigen Sozialdemokraten klar genug. Das wußte
auch schon Rousseau, während es der bürgerliche Radikalismus'des 19. Jahr¬
hunderts nicht wahr haben wollte. Rousseau wollte den Kleinbetrieb und das
kleine Privateigentum erhalten. Kein Bürger sollte! einen wesentlich größeren
Besitz haben als sein Nachbar, aber jeder sein Eigen. Im Jahre 1762, als der
„Contrat social" erschien, konnte man noch hoffen, sich einem solchen Ideal an¬
zunähern. Seit aber die moderne Industrialisierung eingesetzt hat, seit man auf
Großbetrieb und weitverzweigte Arbeitsteilung, auf komplizierte Maschinen und
Grenzboten II 1919 1
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