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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Gin Bericht über Frauenbestrebungen der Gegenwart

abgeschaffte Frauenarbeit aufs neue verboten werden, im übrigen verdichten sich
die Erfahrungen zu folgenden Forderungen: verstärkter Arbeiterinnenschutz, ins¬
besondere der Wöchnerinnen^), Ausbau der Sozialversicherung und vermehrte
soziale Fürsorge. Letztere hat besonders wichtige Aufgaben zu lösen, wo die Last
deS doppelten Berufs auf Frauenschultern liegt. Niemand, dem das körperliche
und geistige Gedeihen des Volkes am Herzen liegt, wünscht die Betätigung der
Mutter in der Fabrik. Die Möglichkeiten eines kulturellen Aufstiegs des mit
der Hand arbeitenden Volkes hängen in hohem Maße vom Pflichtbewußtsein ab,
das die Frau ihrer Familie gegenüber aufzubringen vermag. Einer verständigen
Volkserziehung sind somit die Wege gewiesen. Sie hat bei der Frau den Hebel
anzusetzen, ihr die ungeheure Verantwortung, die auf ihr als Mittelpunkt der
Familie, als Hüterin des Nachwuchses ruht, vor Augen zu führen und sie mit
Ernst und Nachdruck anzuweisen, wie sie zu pflegen und zu erziehen hat. Es
muß aber auch, wo es irgend angeht, dahin gewirkt werden, daß namentlich
Mütter minderjähriger Kinder in erster Reihe um diesen ihre Pflichten tatsächlich
zu erfüllen imstande sind. Die fürsorgliche Tätigkeit wird dort, wo sie in Anbe¬
tracht der wirtschaftlichen Lage der Frau Aufgaben übernimmt, die in den Händen
der Hausfrau und Mutter liegen sollten, stets dessen eingedenk sein, daß sie Not¬
standsarbeit leistet. Eine einsichtige Sozialpolitik wird die Entlastung der Mutter
von Berufsarbeit fördern und die Maßnahmen der Fürsorge unterstützen, um
über sie hinauszuweisen. Das Los der Jndustriearbeiterin wird auch in Zukunft
nicht beneidenswert sein. In der ganzen industriellen Entwicklung liegt soviel
Unnatur, daß ein gesunder froher Menschenschlag auf dem von ihr bereiteten
Boden nicht gedeihen kann. Im letzten Grunde liegen hier die Wurzeln der
Katastrophe, die den Erdball mehr als vier Jahre lang erschüttert but und deren
Wahnsinn die Menschheit zur Besinnung führen solltet-

Unwillkürlich wendet sich unser Blick dorthin, wo das Leben in einfacheren,
gesünderen Formen abläuft, wo vor allen Dingen auch das Problem des doppelten
Berufs der Frau in so einfacher Weise gelöst werden kann -- auf das Land.
Warum mußten wir aber schon seit vielen Jahren vor Ausbruch des Krieges die
Landflucht erleben, die in weitem Ausmaße auch die Frau ergriff, und wie ist sie
zu bannen, ja in ihr Gegenteil zu Verkehren? Hier stehen wir am Schnittpunkt
agrarpolitischer und frauenrechtlerischer Probleme. Wenn die Emanzipation der
Töchter auf dem Lande sich stark geltend machen konnte, so liegt das sicher nicht
lediglich in ihrer Genußsucht begründet, sondern auch in durchaus berechtigten,
von der allgemeinen Entwicklung getragenen Wandlungen der Frauenseele, denen
die ländlichen Verhältnisse nicht angepaßt wurden. Eine eingehende Untersuchung
von Gertrud Dyhrcnfurth'') ergab, daß innerhalb der verschiedenen Gruppen der
auf dein Lande arbeitenden Frauen ganz allgemein Unzulänglichkeiten der Lebens¬
verhältnisse nachweisbar sind, die notwendig unerwünschte Folgeerscheinungen
zeitigen müssen. So wird die Vauernmcigd durch ein Übermaß an Arbeit erdrückt,
die zum Teil, wie etwa die Stallarbeit, sehr unsauber ist und sie abstößt, umso-
mehr, als sie ihre äußere Erscheinung beeinträchtigt und wenn auch nicht schlecht
bezahlt, so doch nicht hoch geschätzt wird. Jugendfreuden werden ihr nicht viel
geboten und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zum Weiterkommen sieht
sie auf dem Lande nicht. Die Hvfgängerin oder Scharwerkerin ist dadurch vor





2) Vergleiche den Aufsatz von Dr. med. Agnes Blühen "Der Wöchnerinnenschutz in
dem neuen Entwurf eines internationalen Arbeiterrechtes" in Heft 7/8 der Grenzboten
dieses Jahres."
°) Vergl. den Aufsatz "Zusammenbruch und Aufbau von Arthur A. Brandt in
Heft 16 der Grenzboten dieses Juhres.
4) Gertrud Dyhrenfurth, Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeiis- und
LebensverlMtnisse der Frauen in der Landwirtschaft. Schriften des ständigen Ausschusses
zur Förderung der Arbeiterinneninteressen, Heft 7, Jena, Verlag ton Gustav Fächer, 1916.
Auch diese Untersuchung ist mit Sachkenntnis und großem Fleiß durchgeführt worden und
stellt eine sehr wertvolle Bereicherung der Frauenliteratur dar.
Gin Bericht über Frauenbestrebungen der Gegenwart

abgeschaffte Frauenarbeit aufs neue verboten werden, im übrigen verdichten sich
die Erfahrungen zu folgenden Forderungen: verstärkter Arbeiterinnenschutz, ins¬
besondere der Wöchnerinnen^), Ausbau der Sozialversicherung und vermehrte
soziale Fürsorge. Letztere hat besonders wichtige Aufgaben zu lösen, wo die Last
deS doppelten Berufs auf Frauenschultern liegt. Niemand, dem das körperliche
und geistige Gedeihen des Volkes am Herzen liegt, wünscht die Betätigung der
Mutter in der Fabrik. Die Möglichkeiten eines kulturellen Aufstiegs des mit
der Hand arbeitenden Volkes hängen in hohem Maße vom Pflichtbewußtsein ab,
das die Frau ihrer Familie gegenüber aufzubringen vermag. Einer verständigen
Volkserziehung sind somit die Wege gewiesen. Sie hat bei der Frau den Hebel
anzusetzen, ihr die ungeheure Verantwortung, die auf ihr als Mittelpunkt der
Familie, als Hüterin des Nachwuchses ruht, vor Augen zu führen und sie mit
Ernst und Nachdruck anzuweisen, wie sie zu pflegen und zu erziehen hat. Es
muß aber auch, wo es irgend angeht, dahin gewirkt werden, daß namentlich
Mütter minderjähriger Kinder in erster Reihe um diesen ihre Pflichten tatsächlich
zu erfüllen imstande sind. Die fürsorgliche Tätigkeit wird dort, wo sie in Anbe¬
tracht der wirtschaftlichen Lage der Frau Aufgaben übernimmt, die in den Händen
der Hausfrau und Mutter liegen sollten, stets dessen eingedenk sein, daß sie Not¬
standsarbeit leistet. Eine einsichtige Sozialpolitik wird die Entlastung der Mutter
von Berufsarbeit fördern und die Maßnahmen der Fürsorge unterstützen, um
über sie hinauszuweisen. Das Los der Jndustriearbeiterin wird auch in Zukunft
nicht beneidenswert sein. In der ganzen industriellen Entwicklung liegt soviel
Unnatur, daß ein gesunder froher Menschenschlag auf dem von ihr bereiteten
Boden nicht gedeihen kann. Im letzten Grunde liegen hier die Wurzeln der
Katastrophe, die den Erdball mehr als vier Jahre lang erschüttert but und deren
Wahnsinn die Menschheit zur Besinnung führen solltet-

Unwillkürlich wendet sich unser Blick dorthin, wo das Leben in einfacheren,
gesünderen Formen abläuft, wo vor allen Dingen auch das Problem des doppelten
Berufs der Frau in so einfacher Weise gelöst werden kann — auf das Land.
Warum mußten wir aber schon seit vielen Jahren vor Ausbruch des Krieges die
Landflucht erleben, die in weitem Ausmaße auch die Frau ergriff, und wie ist sie
zu bannen, ja in ihr Gegenteil zu Verkehren? Hier stehen wir am Schnittpunkt
agrarpolitischer und frauenrechtlerischer Probleme. Wenn die Emanzipation der
Töchter auf dem Lande sich stark geltend machen konnte, so liegt das sicher nicht
lediglich in ihrer Genußsucht begründet, sondern auch in durchaus berechtigten,
von der allgemeinen Entwicklung getragenen Wandlungen der Frauenseele, denen
die ländlichen Verhältnisse nicht angepaßt wurden. Eine eingehende Untersuchung
von Gertrud Dyhrcnfurth'') ergab, daß innerhalb der verschiedenen Gruppen der
auf dein Lande arbeitenden Frauen ganz allgemein Unzulänglichkeiten der Lebens¬
verhältnisse nachweisbar sind, die notwendig unerwünschte Folgeerscheinungen
zeitigen müssen. So wird die Vauernmcigd durch ein Übermaß an Arbeit erdrückt,
die zum Teil, wie etwa die Stallarbeit, sehr unsauber ist und sie abstößt, umso-
mehr, als sie ihre äußere Erscheinung beeinträchtigt und wenn auch nicht schlecht
bezahlt, so doch nicht hoch geschätzt wird. Jugendfreuden werden ihr nicht viel
geboten und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zum Weiterkommen sieht
sie auf dem Lande nicht. Die Hvfgängerin oder Scharwerkerin ist dadurch vor





2) Vergleiche den Aufsatz von Dr. med. Agnes Blühen „Der Wöchnerinnenschutz in
dem neuen Entwurf eines internationalen Arbeiterrechtes" in Heft 7/8 der Grenzboten
dieses Jahres."
°) Vergl. den Aufsatz „Zusammenbruch und Aufbau von Arthur A. Brandt in
Heft 16 der Grenzboten dieses Juhres.
4) Gertrud Dyhrenfurth, Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeiis- und
LebensverlMtnisse der Frauen in der Landwirtschaft. Schriften des ständigen Ausschusses
zur Förderung der Arbeiterinneninteressen, Heft 7, Jena, Verlag ton Gustav Fächer, 1916.
Auch diese Untersuchung ist mit Sachkenntnis und großem Fleiß durchgeführt worden und
stellt eine sehr wertvolle Bereicherung der Frauenliteratur dar.
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[0121] Gin Bericht über Frauenbestrebungen der Gegenwart abgeschaffte Frauenarbeit aufs neue verboten werden, im übrigen verdichten sich die Erfahrungen zu folgenden Forderungen: verstärkter Arbeiterinnenschutz, ins¬ besondere der Wöchnerinnen^), Ausbau der Sozialversicherung und vermehrte soziale Fürsorge. Letztere hat besonders wichtige Aufgaben zu lösen, wo die Last deS doppelten Berufs auf Frauenschultern liegt. Niemand, dem das körperliche und geistige Gedeihen des Volkes am Herzen liegt, wünscht die Betätigung der Mutter in der Fabrik. Die Möglichkeiten eines kulturellen Aufstiegs des mit der Hand arbeitenden Volkes hängen in hohem Maße vom Pflichtbewußtsein ab, das die Frau ihrer Familie gegenüber aufzubringen vermag. Einer verständigen Volkserziehung sind somit die Wege gewiesen. Sie hat bei der Frau den Hebel anzusetzen, ihr die ungeheure Verantwortung, die auf ihr als Mittelpunkt der Familie, als Hüterin des Nachwuchses ruht, vor Augen zu führen und sie mit Ernst und Nachdruck anzuweisen, wie sie zu pflegen und zu erziehen hat. Es muß aber auch, wo es irgend angeht, dahin gewirkt werden, daß namentlich Mütter minderjähriger Kinder in erster Reihe um diesen ihre Pflichten tatsächlich zu erfüllen imstande sind. Die fürsorgliche Tätigkeit wird dort, wo sie in Anbe¬ tracht der wirtschaftlichen Lage der Frau Aufgaben übernimmt, die in den Händen der Hausfrau und Mutter liegen sollten, stets dessen eingedenk sein, daß sie Not¬ standsarbeit leistet. Eine einsichtige Sozialpolitik wird die Entlastung der Mutter von Berufsarbeit fördern und die Maßnahmen der Fürsorge unterstützen, um über sie hinauszuweisen. Das Los der Jndustriearbeiterin wird auch in Zukunft nicht beneidenswert sein. In der ganzen industriellen Entwicklung liegt soviel Unnatur, daß ein gesunder froher Menschenschlag auf dem von ihr bereiteten Boden nicht gedeihen kann. Im letzten Grunde liegen hier die Wurzeln der Katastrophe, die den Erdball mehr als vier Jahre lang erschüttert but und deren Wahnsinn die Menschheit zur Besinnung führen solltet- Unwillkürlich wendet sich unser Blick dorthin, wo das Leben in einfacheren, gesünderen Formen abläuft, wo vor allen Dingen auch das Problem des doppelten Berufs der Frau in so einfacher Weise gelöst werden kann — auf das Land. Warum mußten wir aber schon seit vielen Jahren vor Ausbruch des Krieges die Landflucht erleben, die in weitem Ausmaße auch die Frau ergriff, und wie ist sie zu bannen, ja in ihr Gegenteil zu Verkehren? Hier stehen wir am Schnittpunkt agrarpolitischer und frauenrechtlerischer Probleme. Wenn die Emanzipation der Töchter auf dem Lande sich stark geltend machen konnte, so liegt das sicher nicht lediglich in ihrer Genußsucht begründet, sondern auch in durchaus berechtigten, von der allgemeinen Entwicklung getragenen Wandlungen der Frauenseele, denen die ländlichen Verhältnisse nicht angepaßt wurden. Eine eingehende Untersuchung von Gertrud Dyhrcnfurth'') ergab, daß innerhalb der verschiedenen Gruppen der auf dein Lande arbeitenden Frauen ganz allgemein Unzulänglichkeiten der Lebens¬ verhältnisse nachweisbar sind, die notwendig unerwünschte Folgeerscheinungen zeitigen müssen. So wird die Vauernmcigd durch ein Übermaß an Arbeit erdrückt, die zum Teil, wie etwa die Stallarbeit, sehr unsauber ist und sie abstößt, umso- mehr, als sie ihre äußere Erscheinung beeinträchtigt und wenn auch nicht schlecht bezahlt, so doch nicht hoch geschätzt wird. Jugendfreuden werden ihr nicht viel geboten und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zum Weiterkommen sieht sie auf dem Lande nicht. Die Hvfgängerin oder Scharwerkerin ist dadurch vor 2) Vergleiche den Aufsatz von Dr. med. Agnes Blühen „Der Wöchnerinnenschutz in dem neuen Entwurf eines internationalen Arbeiterrechtes" in Heft 7/8 der Grenzboten dieses Jahres." °) Vergl. den Aufsatz „Zusammenbruch und Aufbau von Arthur A. Brandt in Heft 16 der Grenzboten dieses Juhres. 4) Gertrud Dyhrenfurth, Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeiis- und LebensverlMtnisse der Frauen in der Landwirtschaft. Schriften des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinneninteressen, Heft 7, Jena, Verlag ton Gustav Fächer, 1916. Auch diese Untersuchung ist mit Sachkenntnis und großem Fleiß durchgeführt worden und stellt eine sehr wertvolle Bereicherung der Frauenliteratur dar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/121>, abgerufen am 01.09.2024.