Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Demokratischer Parlamentarismus und Xätesystem gaben zu nehmen und ihr nur die allgemein politischen und kulturellen Aufgaben Die allergrößten Bedenken muß aber die Stellung der Regierung zur zweiten Die besonderen Probleme, die sich aus dem Charakter des deutschen Reichs Theoretisch denkbar wäre die Vertretung der Räte in einem StaatenhauS. Demokratischer Parlamentarismus und Xätesystem gaben zu nehmen und ihr nur die allgemein politischen und kulturellen Aufgaben Die allergrößten Bedenken muß aber die Stellung der Regierung zur zweiten Die besonderen Probleme, die sich aus dem Charakter des deutschen Reichs Theoretisch denkbar wäre die Vertretung der Räte in einem StaatenhauS. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335525"/> <fw type="header" place="top"> Demokratischer Parlamentarismus und Xätesystem</fw><lb/> <p xml:id="ID_455" prev="#ID_454"> gaben zu nehmen und ihr nur die allgemein politischen und kulturellen Aufgaben<lb/> zu lassen, hat bei erster Betrachtung viel Bestechendes. Die Absorbiernng des<lb/> eigentlichen Parlaments durch die Beschäftigung mit der Fülle wirtschaftlicher<lb/> Probleme würde aufhören und Zeit und Kraft zur Beschäftigung besonders auch<lb/> mit den Fragen der auswärtigen Politik frei machen. Die Trennung ist aber<lb/> praktisch undurchführbar. Steuerbewillignngs- und Etatrecht der ersten Kammer<lb/> nehmen, hie^e ihr das Blut abzapfen, denn hier ist auch beim reinen Parlamen¬<lb/> tarismus der Punkt, bei dem Abhängigkeit und Verantwortung der Regierung<lb/> gegenüber dem Parlament in erster Linie praktisch werden. Hier nutz jede<lb/> Regierung Farbe bekennen und über ihre Tätigkeit Rechenschaft legen, was bei<lb/> andern Gesetzen mit einigem Geschick vermieden werden kann. Umgekehrt stehen<lb/> aber Steuer- und Ausgabepolitik in so engem Verhältnis zur Wirtschaftspolitik,<lb/> daß es der zweiten Kammer gar nicht verwehrt werden kann, sich damit zu be¬<lb/> schäftigen. Je mehr Fortschritte staatliche Monopolisierung und Sozialisierung<lb/> machen, in um so größere Abhängigkeit kommt die Durchführung kultureller Auf¬<lb/> gaben von der Wirtschaftspolitik. Auch die staatliche Rechtspflege, die Gesetzgebung<lb/> auf dem Gebiet des bürgerlichen, des Prozeß- und des Strafrechts, sowie die<lb/> Verwaltungsorganisation steht mit der staatlichen Wirtschaft in unlöslicher Wechsel¬<lb/> wirkung. Es läßt sich kaum ein einziges noch so kleines Sondergebiet finden, auf<lb/> dem eine radikale Trennung denkbar wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_456"> Die allergrößten Bedenken muß aber die Stellung der Regierung zur zweiten<lb/> Kammer erwecken. Das Wesen der parlamentarischen Demokratie besteht darin,<lb/> daß die Regierung in schärfster Abhängigkeit vom Parlament steht, ja, daß sie<lb/> eigentlich nicht mehr als der Vollzugsausschuß des Parlaments ist. An diesem<lb/> Verhältnis kann man nichts ändern, ohne den Parlamentarismus zu begraben.<lb/> Was tritt aber ein, wenn die zweite Kammer mit der Amtsführung der Regie-ung<lb/> unzufrieden ist? Da es gesetzliche Mittel der Beeinflussung nicht gibt, bleibt wieder<lb/> nur der wirtschaftliche Machtkampf. Man könnte vielleicht daran denken, daß<lb/> gewisse Nessortminister aus dem Berufsparlament entnommen werden müssen, und<lb/> daß bei der Besetzung der Ministerposten die zlveite Kammer gehört werden muß.<lb/> Das ändert aber grundsätzlich nichts, da der einzelne Nessortminister immer nur<lb/> die vom Gesamtministerium gebilligte Politik treiben kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_457"> Die besonderen Probleme, die sich aus dem Charakter des deutschen Reichs<lb/> als Bundesstaat ergeben, können hier nur gestreift werden. Es ist klar, daß das<lb/> Nebeneinanderbestehen von zwei Kammern und einem Reichtrat oder StaatenhauZ<lb/> den Konfliktsstoff noch vermehren muß. Es ist der Vorschlag gemacht worden,<lb/> die Berufsräte in den Reichsrat einzubauen. Eine Vermischung zweier so<lb/> völlig verschiedener Organisationsprinzipien sollte ernsthaft gar nicht zur Diskussion<lb/> gestellt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_458" next="#ID_459"> Theoretisch denkbar wäre die Vertretung der Räte in einem StaatenhauS.<lb/> Wenn das Prinzip des Staatenhauses darin besteht, an Stelle von Vertretern der<lb/> Regierungen durch Parlaments- oder Volkswahlen entsandte Vertreter der Staaten<lb/> oder Landschaften zu einer besonderen die Interessen der Gliedstaaten ver¬<lb/> tretenden Körperschaft zusammenzufügen, kann man hier an die Möglichkeit denken,<lb/> einen Teil dieser Vertreter durch die einzelstaatlichen Kammern der Berufsräte<lb/> entsenden zu lassen. Würde nun aber ein anderer Teil der Vertreter aus den<lb/> einzelstaatlichen ersten Kammern genommen werden, so würde der oben geschilderte<lb/> Konflikt zwischen Räte- und politischem Parlament bereits in das Staatenhaus<lb/> verlegt. Gangbarer erscheint deshalb der Weg, das Staatenhaus lediglich aus<lb/> Vertretern der einzelstaatlichen Berufsparlamente zu bilden. Damit würde dann<lb/> natürlich die Notwendigkeit einer zweiten Kammer-entfallen, da das Staatenhaus<lb/> dann d-e zweite Kammer, die Kammer der Berufsräte, wäre. Es wäre damit<lb/> immerhin erreicht, daß zu dem Konflikt zwischen erster und zweiter Kammer nicht<lb/> auch noch ein Konflikt zwischen Kammer und Rcichsrat hinzuträte. Aussicht auf<lb/> Verwirklichung hat dieser Gedanke bei der derzeitigen Zusammensetzung und<lb/> Stimmung der einzelstaatlichen Regierungen allerdings kaum. Der Kernpunkt der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Demokratischer Parlamentarismus und Xätesystem
gaben zu nehmen und ihr nur die allgemein politischen und kulturellen Aufgaben
zu lassen, hat bei erster Betrachtung viel Bestechendes. Die Absorbiernng des
eigentlichen Parlaments durch die Beschäftigung mit der Fülle wirtschaftlicher
Probleme würde aufhören und Zeit und Kraft zur Beschäftigung besonders auch
mit den Fragen der auswärtigen Politik frei machen. Die Trennung ist aber
praktisch undurchführbar. Steuerbewillignngs- und Etatrecht der ersten Kammer
nehmen, hie^e ihr das Blut abzapfen, denn hier ist auch beim reinen Parlamen¬
tarismus der Punkt, bei dem Abhängigkeit und Verantwortung der Regierung
gegenüber dem Parlament in erster Linie praktisch werden. Hier nutz jede
Regierung Farbe bekennen und über ihre Tätigkeit Rechenschaft legen, was bei
andern Gesetzen mit einigem Geschick vermieden werden kann. Umgekehrt stehen
aber Steuer- und Ausgabepolitik in so engem Verhältnis zur Wirtschaftspolitik,
daß es der zweiten Kammer gar nicht verwehrt werden kann, sich damit zu be¬
schäftigen. Je mehr Fortschritte staatliche Monopolisierung und Sozialisierung
machen, in um so größere Abhängigkeit kommt die Durchführung kultureller Auf¬
gaben von der Wirtschaftspolitik. Auch die staatliche Rechtspflege, die Gesetzgebung
auf dem Gebiet des bürgerlichen, des Prozeß- und des Strafrechts, sowie die
Verwaltungsorganisation steht mit der staatlichen Wirtschaft in unlöslicher Wechsel¬
wirkung. Es läßt sich kaum ein einziges noch so kleines Sondergebiet finden, auf
dem eine radikale Trennung denkbar wäre.
Die allergrößten Bedenken muß aber die Stellung der Regierung zur zweiten
Kammer erwecken. Das Wesen der parlamentarischen Demokratie besteht darin,
daß die Regierung in schärfster Abhängigkeit vom Parlament steht, ja, daß sie
eigentlich nicht mehr als der Vollzugsausschuß des Parlaments ist. An diesem
Verhältnis kann man nichts ändern, ohne den Parlamentarismus zu begraben.
Was tritt aber ein, wenn die zweite Kammer mit der Amtsführung der Regie-ung
unzufrieden ist? Da es gesetzliche Mittel der Beeinflussung nicht gibt, bleibt wieder
nur der wirtschaftliche Machtkampf. Man könnte vielleicht daran denken, daß
gewisse Nessortminister aus dem Berufsparlament entnommen werden müssen, und
daß bei der Besetzung der Ministerposten die zlveite Kammer gehört werden muß.
Das ändert aber grundsätzlich nichts, da der einzelne Nessortminister immer nur
die vom Gesamtministerium gebilligte Politik treiben kann.
Die besonderen Probleme, die sich aus dem Charakter des deutschen Reichs
als Bundesstaat ergeben, können hier nur gestreift werden. Es ist klar, daß das
Nebeneinanderbestehen von zwei Kammern und einem Reichtrat oder StaatenhauZ
den Konfliktsstoff noch vermehren muß. Es ist der Vorschlag gemacht worden,
die Berufsräte in den Reichsrat einzubauen. Eine Vermischung zweier so
völlig verschiedener Organisationsprinzipien sollte ernsthaft gar nicht zur Diskussion
gestellt werden.
Theoretisch denkbar wäre die Vertretung der Räte in einem StaatenhauS.
Wenn das Prinzip des Staatenhauses darin besteht, an Stelle von Vertretern der
Regierungen durch Parlaments- oder Volkswahlen entsandte Vertreter der Staaten
oder Landschaften zu einer besonderen die Interessen der Gliedstaaten ver¬
tretenden Körperschaft zusammenzufügen, kann man hier an die Möglichkeit denken,
einen Teil dieser Vertreter durch die einzelstaatlichen Kammern der Berufsräte
entsenden zu lassen. Würde nun aber ein anderer Teil der Vertreter aus den
einzelstaatlichen ersten Kammern genommen werden, so würde der oben geschilderte
Konflikt zwischen Räte- und politischem Parlament bereits in das Staatenhaus
verlegt. Gangbarer erscheint deshalb der Weg, das Staatenhaus lediglich aus
Vertretern der einzelstaatlichen Berufsparlamente zu bilden. Damit würde dann
natürlich die Notwendigkeit einer zweiten Kammer-entfallen, da das Staatenhaus
dann d-e zweite Kammer, die Kammer der Berufsräte, wäre. Es wäre damit
immerhin erreicht, daß zu dem Konflikt zwischen erster und zweiter Kammer nicht
auch noch ein Konflikt zwischen Kammer und Rcichsrat hinzuträte. Aussicht auf
Verwirklichung hat dieser Gedanke bei der derzeitigen Zusammensetzung und
Stimmung der einzelstaatlichen Regierungen allerdings kaum. Der Kernpunkt der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |