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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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einförmig, desgleichen weniger früh tätig gewesen seien. Was sind nun für
Scheler die unmittelbaren Ursachen des Deutschenhasses? Eine Reihe von ihnen
beruhen auf sozusagen notwendigen Mißverständnissen unseres Wesens; das ist
der Fall beim Militarismus und der Freiheitsidee. Augenblicklich droht diesen
Gedanken ja im eigenen Volke das gleiche Mißverständnis wie im Auslande, aber
der Tag wird kommen, wo man die Wahrheit der Schelerschen Unterscheidung
zwischen Ge^innungs- und Zweckmilitarismus bei uns wieder besser begreifen wird.
Abwendbare Mißverständnisse sind die falsche Beurteilung des Auslanddeutschen,
das unselige nationale Flagelluntcntum vor, in und nach dem Kriege, endlich die
schädlichen Wirkungen des alldeutschen Schrifttums. Der tragende Orgelpunkt
im Stimmengewirr der Leidenschaften, das von Äderall her an unser Ohr brandet,
ist etwas anderes I Der Deutsche hat die Welt aus ihrem Paradiese vertrieben,
er, der Arbeitsmensch, hat dem bequemen Lebensstil der Nachbarvölker, mochte es
sich nun um russische Kontemplation, englischen Komfort oder französisches
Nentncrtnm handeln, ein Ende gemacht. IIs travaillsnr trop, mit diesen drei
Worten begründete vor dem Kriege ein Franzose den universalen Haß gegen
Deutschland. Das geht auf eine alte deutsche Eigenschaft, die laboriosiws. wie
sie Leibniz nennt, jene Fähigkeit und Neigung zur Arbeit um der Arbeit willen,
einen seelischen Antrieb, der aus letzten Gründen unseres Seins quillt, zu der
ihm eigentümlichen moralischen Kategorie des unendlichen Strebens gehört und
dem Auslande unverständlich, unheimlich erscheint. Neben dem seelischen Motor
ist es das Tempo unserer Arbeit, das Beunruhigung erweckte. Denn es war
ungesund, ließ nicht die nötigen Pausen der Sammlung, Kontemplation, des
Lebensgenusses im höheren Sinne. Man versteckte die Unfähigkeit, "die Pausen
zwischen der Arbeit sinnvoll auszufüllen hinter einer vermeintlichen Pflicht, weiler¬
zuarbeiten." Aber auch jene Aktionsform: Unendlichkeit des Strebens konnte zu
schweren Fehlern führen. Ihr "Gehalt, im ersten Drittel des neunzehnten Jahr¬
hunderts einseitig theoretisch-geistiger Natur, materialisierte sich fast Mit einem
Schlage, mit derselben Maßlosigkeit und ekstatischen Verlorenheit in die Sache
schien dieses Volk jetzt aufzugehen in der Arbeit an seinen politischen, militärischen
und ökonomischen Daseinsgrundlagen". Hier drohte der kategorische Imperativ
des immer strebend Sichbemühens ans eine schiefe Bahn zu geraten. Denn "der
Märtyrer seines ökonomischen Arbeitsimpulses ist nicht erhaben, er ist komisch".
Er ist auch verdächtig und gefährlich, hier führt der Weg zu jenem radikalen
Mißverständnis des Auslandes von unserem angeblichen Welteroberertuml --
Schelers,Gedanken über die Hauptmsache des Deutschenhasses finden heute wohl
Zweifel und Ungläubigkeit. Wir dürfen uns aber angesichts der so gänzlich ver¬
wandeltem Gegenwart über ihre Berechtigung in der Vergangenheit und auch
wieder nach Überwindung dieser ungeheuren postmorbiden Ermattung nicht täuschen.
So gilt denn auch im Deutschland des 9. November seine nntionalpädagogische
Ermahnung: Nicht wiederhassen, und erst recht nicht sich von dem Hasse einer Welt --
in selbstbefleckender Weise -- anstecken lassen, wie es leider vielfach üblich ist,
auch nicht aufklären um jeden Preis, sondern "Selbstbeherrschung unserer eigenen
Haßaffekte, unbedingte Festhaltung des unerschöpflichen positiv deutschen
Wesens, ja das feste, glückliche, stolze, aber nicht hochmütige Gläubigseiu an die
Unendlichkeit und Hoheit dieses deutschen Wesens, aber nüchtern kühle Selbstkritik
aller deutschen Erscheinungsformen in den letzten Friedensjahren auf allen Gebieten".


Dr. H. O. Meisner


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls Sei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




Nachdruck sämtlicher Aufsitze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des "erlagS gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber Georg Eleinow in Berlin- Lichterselde West. -- Manuslrtutsenbungeu ""d
Brieie werden erbeten unter der Adresse'
An die Gchriftlcitnno. der Gr-nzboten in Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer SS->.
Fernlpi'cher bei Herausgebers- Amt Lichterselde 4W, des Verlags "ut der Schriftiettung: Amt LütZow "5l0,
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H, w Berlin SW it, Tempelhofer User 85".
"Druck: .Der N-tchibote" W, in. d. H. in Berlin SW 11, Wessciuer Strotze R/S7.
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einförmig, desgleichen weniger früh tätig gewesen seien. Was sind nun für
Scheler die unmittelbaren Ursachen des Deutschenhasses? Eine Reihe von ihnen
beruhen auf sozusagen notwendigen Mißverständnissen unseres Wesens; das ist
der Fall beim Militarismus und der Freiheitsidee. Augenblicklich droht diesen
Gedanken ja im eigenen Volke das gleiche Mißverständnis wie im Auslande, aber
der Tag wird kommen, wo man die Wahrheit der Schelerschen Unterscheidung
zwischen Ge^innungs- und Zweckmilitarismus bei uns wieder besser begreifen wird.
Abwendbare Mißverständnisse sind die falsche Beurteilung des Auslanddeutschen,
das unselige nationale Flagelluntcntum vor, in und nach dem Kriege, endlich die
schädlichen Wirkungen des alldeutschen Schrifttums. Der tragende Orgelpunkt
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ist etwas anderes I Der Deutsche hat die Welt aus ihrem Paradiese vertrieben,
er, der Arbeitsmensch, hat dem bequemen Lebensstil der Nachbarvölker, mochte es
sich nun um russische Kontemplation, englischen Komfort oder französisches
Nentncrtnm handeln, ein Ende gemacht. IIs travaillsnr trop, mit diesen drei
Worten begründete vor dem Kriege ein Franzose den universalen Haß gegen
Deutschland. Das geht auf eine alte deutsche Eigenschaft, die laboriosiws. wie
sie Leibniz nennt, jene Fähigkeit und Neigung zur Arbeit um der Arbeit willen,
einen seelischen Antrieb, der aus letzten Gründen unseres Seins quillt, zu der
ihm eigentümlichen moralischen Kategorie des unendlichen Strebens gehört und
dem Auslande unverständlich, unheimlich erscheint. Neben dem seelischen Motor
ist es das Tempo unserer Arbeit, das Beunruhigung erweckte. Denn es war
ungesund, ließ nicht die nötigen Pausen der Sammlung, Kontemplation, des
Lebensgenusses im höheren Sinne. Man versteckte die Unfähigkeit, „die Pausen
zwischen der Arbeit sinnvoll auszufüllen hinter einer vermeintlichen Pflicht, weiler¬
zuarbeiten." Aber auch jene Aktionsform: Unendlichkeit des Strebens konnte zu
schweren Fehlern führen. Ihr „Gehalt, im ersten Drittel des neunzehnten Jahr¬
hunderts einseitig theoretisch-geistiger Natur, materialisierte sich fast Mit einem
Schlage, mit derselben Maßlosigkeit und ekstatischen Verlorenheit in die Sache
schien dieses Volk jetzt aufzugehen in der Arbeit an seinen politischen, militärischen
und ökonomischen Daseinsgrundlagen". Hier drohte der kategorische Imperativ
des immer strebend Sichbemühens ans eine schiefe Bahn zu geraten. Denn „der
Märtyrer seines ökonomischen Arbeitsimpulses ist nicht erhaben, er ist komisch".
Er ist auch verdächtig und gefährlich, hier führt der Weg zu jenem radikalen
Mißverständnis des Auslandes von unserem angeblichen Welteroberertuml —
Schelers,Gedanken über die Hauptmsache des Deutschenhasses finden heute wohl
Zweifel und Ungläubigkeit. Wir dürfen uns aber angesichts der so gänzlich ver¬
wandeltem Gegenwart über ihre Berechtigung in der Vergangenheit und auch
wieder nach Überwindung dieser ungeheuren postmorbiden Ermattung nicht täuschen.
So gilt denn auch im Deutschland des 9. November seine nntionalpädagogische
Ermahnung: Nicht wiederhassen, und erst recht nicht sich von dem Hasse einer Welt —
in selbstbefleckender Weise — anstecken lassen, wie es leider vielfach üblich ist,
auch nicht aufklären um jeden Preis, sondern „Selbstbeherrschung unserer eigenen
Haßaffekte, unbedingte Festhaltung des unerschöpflichen positiv deutschen
Wesens, ja das feste, glückliche, stolze, aber nicht hochmütige Gläubigseiu an die
Unendlichkeit und Hoheit dieses deutschen Wesens, aber nüchtern kühle Selbstkritik
aller deutschen Erscheinungsformen in den letzten Friedensjahren auf allen Gebieten".


Dr. H. O. Meisner


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls Sei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




Nachdruck sämtlicher Aufsitze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des «erlagS gestattet.
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Brieie werden erbeten unter der Adresse'
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Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H, w Berlin SW it, Tempelhofer User 85».
«Druck: .Der N-tchibote" W, in. d. H. in Berlin SW 11, Wessciuer Strotze R/S7.
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[0108] Neue Bücher einförmig, desgleichen weniger früh tätig gewesen seien. Was sind nun für Scheler die unmittelbaren Ursachen des Deutschenhasses? Eine Reihe von ihnen beruhen auf sozusagen notwendigen Mißverständnissen unseres Wesens; das ist der Fall beim Militarismus und der Freiheitsidee. Augenblicklich droht diesen Gedanken ja im eigenen Volke das gleiche Mißverständnis wie im Auslande, aber der Tag wird kommen, wo man die Wahrheit der Schelerschen Unterscheidung zwischen Ge^innungs- und Zweckmilitarismus bei uns wieder besser begreifen wird. Abwendbare Mißverständnisse sind die falsche Beurteilung des Auslanddeutschen, das unselige nationale Flagelluntcntum vor, in und nach dem Kriege, endlich die schädlichen Wirkungen des alldeutschen Schrifttums. Der tragende Orgelpunkt im Stimmengewirr der Leidenschaften, das von Äderall her an unser Ohr brandet, ist etwas anderes I Der Deutsche hat die Welt aus ihrem Paradiese vertrieben, er, der Arbeitsmensch, hat dem bequemen Lebensstil der Nachbarvölker, mochte es sich nun um russische Kontemplation, englischen Komfort oder französisches Nentncrtnm handeln, ein Ende gemacht. IIs travaillsnr trop, mit diesen drei Worten begründete vor dem Kriege ein Franzose den universalen Haß gegen Deutschland. Das geht auf eine alte deutsche Eigenschaft, die laboriosiws. wie sie Leibniz nennt, jene Fähigkeit und Neigung zur Arbeit um der Arbeit willen, einen seelischen Antrieb, der aus letzten Gründen unseres Seins quillt, zu der ihm eigentümlichen moralischen Kategorie des unendlichen Strebens gehört und dem Auslande unverständlich, unheimlich erscheint. Neben dem seelischen Motor ist es das Tempo unserer Arbeit, das Beunruhigung erweckte. Denn es war ungesund, ließ nicht die nötigen Pausen der Sammlung, Kontemplation, des Lebensgenusses im höheren Sinne. Man versteckte die Unfähigkeit, „die Pausen zwischen der Arbeit sinnvoll auszufüllen hinter einer vermeintlichen Pflicht, weiler¬ zuarbeiten." Aber auch jene Aktionsform: Unendlichkeit des Strebens konnte zu schweren Fehlern führen. Ihr „Gehalt, im ersten Drittel des neunzehnten Jahr¬ hunderts einseitig theoretisch-geistiger Natur, materialisierte sich fast Mit einem Schlage, mit derselben Maßlosigkeit und ekstatischen Verlorenheit in die Sache schien dieses Volk jetzt aufzugehen in der Arbeit an seinen politischen, militärischen und ökonomischen Daseinsgrundlagen". Hier drohte der kategorische Imperativ des immer strebend Sichbemühens ans eine schiefe Bahn zu geraten. Denn „der Märtyrer seines ökonomischen Arbeitsimpulses ist nicht erhaben, er ist komisch". Er ist auch verdächtig und gefährlich, hier führt der Weg zu jenem radikalen Mißverständnis des Auslandes von unserem angeblichen Welteroberertuml — Schelers,Gedanken über die Hauptmsache des Deutschenhasses finden heute wohl Zweifel und Ungläubigkeit. Wir dürfen uns aber angesichts der so gänzlich ver¬ wandeltem Gegenwart über ihre Berechtigung in der Vergangenheit und auch wieder nach Überwindung dieser ungeheuren postmorbiden Ermattung nicht täuschen. So gilt denn auch im Deutschland des 9. November seine nntionalpädagogische Ermahnung: Nicht wiederhassen, und erst recht nicht sich von dem Hasse einer Welt — in selbstbefleckender Weise — anstecken lassen, wie es leider vielfach üblich ist, auch nicht aufklären um jeden Preis, sondern „Selbstbeherrschung unserer eigenen Haßaffekte, unbedingte Festhaltung des unerschöpflichen positiv deutschen Wesens, ja das feste, glückliche, stolze, aber nicht hochmütige Gläubigseiu an die Unendlichkeit und Hoheit dieses deutschen Wesens, aber nüchtern kühle Selbstkritik aller deutschen Erscheinungsformen in den letzten Friedensjahren auf allen Gebieten". Dr. H. O. Meisner Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls Sei Ablehnung eine Rücksendung nicht verbürgt werden kann. Nachdruck sämtlicher Aufsitze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des «erlagS gestattet. Verantwortlich: der Herausgeber Georg Eleinow in Berlin- Lichterselde West. — Manuslrtutsenbungeu »"d Brieie werden erbeten unter der Adresse' An die Gchriftlcitnno. der Gr-nzboten in Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer SS->. Fernlpi'cher bei Herausgebers- Amt Lichterselde 4W, des Verlags »ut der Schriftiettung: Amt LütZow »5l0, Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H, w Berlin SW it, Tempelhofer User 85». «Druck: .Der N-tchibote" W, in. d. H. in Berlin SW 11, Wessciuer Strotze R/S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/108>, abgerufen am 18.12.2024.