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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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tvidigung 'des Lamarckismus anerkannt 'wird, und die nach ihm auch von dem¬
jenigen zuzugeben ist, der die Rolle, welche nach Darwin und Weismann die
Selektion bei der Entstehung der Arten gespielt hat, für gering erachten. Es sei
dies ausdrücklich hervorgehoben angesichts neuerer, von namhafter Seite unter¬
nommener Versuche, den Wert des Auslesegedankens für die Entwicklungs¬
geschichte der Organismen herabzusetzen und im Gefolge davon den "ethischen,
sozialen und politischen Darwinismus" abzuwehren. "Alle Gestalten sind ähn¬
lich, doch keine gleicht der anderen und so deutet der Chor auf ein geheimes
Gesetz." (Goethe.) Dieses Gesetz hat, soweit die Verschiedenheit zwischen Art¬
genossen, Eltern und Kindern und Geschwistern untereinander in Betracht
kommt, der Mendelismus im Verein mit der neuen Zellforschung aufgedeckt.
Was man früher als erbliche Varietät bezeichnete und über dessen Ursächlich¬
keit man sich keine Rechenschaft geben konnte, beruht darauf, daß bei der Reifung
der Geschlechtszellen eines Individuums einige, aber nicht immer die gleichen
Erbeinheiten (Gene) ausgestoßen werden und daß die einzelnen Gene sich ge¬
trennt > vererben und in der mannigfaltigsten Meise miteinander verbinden
können. Änderungen des Erbbildes durch unmittelbare Einwirkung äußerer
Faktoren auf die Erbmasse, sog. Mutationen, scheinen nur in sehr geringem Um¬
fang vorzukommen. Ihre Entstehung bedarf noch der Aufklärung. Beim
Menschen rechnet man dazu die Schädigung der Erbmasse durch sog. Keimgifte,
Alkohol, Nikotin, Blei, Phorsphor, Quecksilber, das Malaria-, Tuberkulosen-
und Syphilisgift und so weiter. In der 2. Auflage erkannte Schallmayer dem
Alkohol noch eine schädigende Einwirkung lauf die Erbmasse zu. Neuerdings
steht er der Frage der Keimgifte zweifelnd gegenüber. Mit Recht betont er, daß
Gifte, welche in die Geschlechtszellen eindringen, deshalb noch nicht die im Zell¬
kern besonders geschützt liegende Erbsubstanz zu erreichen brauchen. Es kann
sich bei der Minderwertigkeit der Alkoholikerkinder sehr Wohl nur um eine
Minderwertigkeit des Erscheinungsbildes, bedingt durch die meist sehr schlechten
Aufzuchtsbedingungen in Trinkerfamilien handeln. Es ist zuzugeben, daß die
Statistiker und Experimente, welche die entartende Wirkung des Alkohols be¬
weisen sollen, durchaus der Nachprüfung bedürfen. Der Kampf gegen den
Alkohol wird dadurch aber nicht berührt. Ganz abgesehen davon, daß er not¬
wendig ist aus individuellen und sozialen Gründen, gereicht er auch der Nasse
zum Vorteil; denn der Alkoholismus übt mittelbar einen >sehr ungünstigen Ein¬
fluß auf den Rasseprozeß aus.

Da, wie wir sahen, die Beeinflussung des Evbbildes durch Umweltsein-
wirkungen, welche das Erscheinungsbild treffen, abgelehnt werden muß, Muta¬
tionen aber nur eine sehr geringe Rolle spielen und insonderheit Mutationen im
Sinne einer Verbesserung der Erbverfassung beim Menschen nicht beobachtet
worden sind, so bleibt, wie schon angedeutet, zur Erreichung des Zieles der
Rassenhhgiene nichts anderes übrig als die Auslese, und zwar die Fortpflan¬
zungsauslese. Die in der Natur herrschende Lebensauslese, die dadurch züchtend
wirkt, daß der Schwache, ehe er zur Fortpflanzung gelangt, hinweggerafft wird,
kann für die Rassenhygiene nicht in Betracht kommen. Denn diese will nicht,
wie ihr das zuweilen unterstellt wird, zur Barbarei zurückkehren, sondern ledig¬
lich Ausgleiche schaffen für die im Wesen unserer .Kultur liegende Gefahr der
Entartung.

Während anfangs die meisten vorwiegend Rassenhygieniker durch Ausschal¬
tung minderwertiger Erdmassen bei der Fortpflanzung die durchschnittliche Erbgüte
der Bevölkerung zu heben trachteten, wird heute von denjenigen, die sich am ein¬
gehendsten mit dem Problem beschäftigt haben, so auch von Schallmayer als
einem der ersten, der Nachdruck auf die größere Fruchtbarkeit der überdurch¬
schnittlich Tüchtigen gelegt. Die Tüchtigen müssen sozusagen die Mindertüchti¬
gen überwuchern. Während in China die geistig und sittlich höher stehenden
Klassen eine größere Kindevzahl haben als die tieferstehenden, hat unsere euro-.
patsche Kultur dahin geführt, 'daß sich das höhere geistig-sittliche Erbgut schwächer


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tvidigung 'des Lamarckismus anerkannt 'wird, und die nach ihm auch von dem¬
jenigen zuzugeben ist, der die Rolle, welche nach Darwin und Weismann die
Selektion bei der Entstehung der Arten gespielt hat, für gering erachten. Es sei
dies ausdrücklich hervorgehoben angesichts neuerer, von namhafter Seite unter¬
nommener Versuche, den Wert des Auslesegedankens für die Entwicklungs¬
geschichte der Organismen herabzusetzen und im Gefolge davon den „ethischen,
sozialen und politischen Darwinismus" abzuwehren. „Alle Gestalten sind ähn¬
lich, doch keine gleicht der anderen und so deutet der Chor auf ein geheimes
Gesetz." (Goethe.) Dieses Gesetz hat, soweit die Verschiedenheit zwischen Art¬
genossen, Eltern und Kindern und Geschwistern untereinander in Betracht
kommt, der Mendelismus im Verein mit der neuen Zellforschung aufgedeckt.
Was man früher als erbliche Varietät bezeichnete und über dessen Ursächlich¬
keit man sich keine Rechenschaft geben konnte, beruht darauf, daß bei der Reifung
der Geschlechtszellen eines Individuums einige, aber nicht immer die gleichen
Erbeinheiten (Gene) ausgestoßen werden und daß die einzelnen Gene sich ge¬
trennt > vererben und in der mannigfaltigsten Meise miteinander verbinden
können. Änderungen des Erbbildes durch unmittelbare Einwirkung äußerer
Faktoren auf die Erbmasse, sog. Mutationen, scheinen nur in sehr geringem Um¬
fang vorzukommen. Ihre Entstehung bedarf noch der Aufklärung. Beim
Menschen rechnet man dazu die Schädigung der Erbmasse durch sog. Keimgifte,
Alkohol, Nikotin, Blei, Phorsphor, Quecksilber, das Malaria-, Tuberkulosen-
und Syphilisgift und so weiter. In der 2. Auflage erkannte Schallmayer dem
Alkohol noch eine schädigende Einwirkung lauf die Erbmasse zu. Neuerdings
steht er der Frage der Keimgifte zweifelnd gegenüber. Mit Recht betont er, daß
Gifte, welche in die Geschlechtszellen eindringen, deshalb noch nicht die im Zell¬
kern besonders geschützt liegende Erbsubstanz zu erreichen brauchen. Es kann
sich bei der Minderwertigkeit der Alkoholikerkinder sehr Wohl nur um eine
Minderwertigkeit des Erscheinungsbildes, bedingt durch die meist sehr schlechten
Aufzuchtsbedingungen in Trinkerfamilien handeln. Es ist zuzugeben, daß die
Statistiker und Experimente, welche die entartende Wirkung des Alkohols be¬
weisen sollen, durchaus der Nachprüfung bedürfen. Der Kampf gegen den
Alkohol wird dadurch aber nicht berührt. Ganz abgesehen davon, daß er not¬
wendig ist aus individuellen und sozialen Gründen, gereicht er auch der Nasse
zum Vorteil; denn der Alkoholismus übt mittelbar einen >sehr ungünstigen Ein¬
fluß auf den Rasseprozeß aus.

Da, wie wir sahen, die Beeinflussung des Evbbildes durch Umweltsein-
wirkungen, welche das Erscheinungsbild treffen, abgelehnt werden muß, Muta¬
tionen aber nur eine sehr geringe Rolle spielen und insonderheit Mutationen im
Sinne einer Verbesserung der Erbverfassung beim Menschen nicht beobachtet
worden sind, so bleibt, wie schon angedeutet, zur Erreichung des Zieles der
Rassenhhgiene nichts anderes übrig als die Auslese, und zwar die Fortpflan¬
zungsauslese. Die in der Natur herrschende Lebensauslese, die dadurch züchtend
wirkt, daß der Schwache, ehe er zur Fortpflanzung gelangt, hinweggerafft wird,
kann für die Rassenhygiene nicht in Betracht kommen. Denn diese will nicht,
wie ihr das zuweilen unterstellt wird, zur Barbarei zurückkehren, sondern ledig¬
lich Ausgleiche schaffen für die im Wesen unserer .Kultur liegende Gefahr der
Entartung.

Während anfangs die meisten vorwiegend Rassenhygieniker durch Ausschal¬
tung minderwertiger Erdmassen bei der Fortpflanzung die durchschnittliche Erbgüte
der Bevölkerung zu heben trachteten, wird heute von denjenigen, die sich am ein¬
gehendsten mit dem Problem beschäftigt haben, so auch von Schallmayer als
einem der ersten, der Nachdruck auf die größere Fruchtbarkeit der überdurch¬
schnittlich Tüchtigen gelegt. Die Tüchtigen müssen sozusagen die Mindertüchti¬
gen überwuchern. Während in China die geistig und sittlich höher stehenden
Klassen eine größere Kindevzahl haben als die tieferstehenden, hat unsere euro-.
patsche Kultur dahin geführt, 'daß sich das höhere geistig-sittliche Erbgut schwächer


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[0104] Neue Bücher tvidigung 'des Lamarckismus anerkannt 'wird, und die nach ihm auch von dem¬ jenigen zuzugeben ist, der die Rolle, welche nach Darwin und Weismann die Selektion bei der Entstehung der Arten gespielt hat, für gering erachten. Es sei dies ausdrücklich hervorgehoben angesichts neuerer, von namhafter Seite unter¬ nommener Versuche, den Wert des Auslesegedankens für die Entwicklungs¬ geschichte der Organismen herabzusetzen und im Gefolge davon den „ethischen, sozialen und politischen Darwinismus" abzuwehren. „Alle Gestalten sind ähn¬ lich, doch keine gleicht der anderen und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz." (Goethe.) Dieses Gesetz hat, soweit die Verschiedenheit zwischen Art¬ genossen, Eltern und Kindern und Geschwistern untereinander in Betracht kommt, der Mendelismus im Verein mit der neuen Zellforschung aufgedeckt. Was man früher als erbliche Varietät bezeichnete und über dessen Ursächlich¬ keit man sich keine Rechenschaft geben konnte, beruht darauf, daß bei der Reifung der Geschlechtszellen eines Individuums einige, aber nicht immer die gleichen Erbeinheiten (Gene) ausgestoßen werden und daß die einzelnen Gene sich ge¬ trennt > vererben und in der mannigfaltigsten Meise miteinander verbinden können. Änderungen des Erbbildes durch unmittelbare Einwirkung äußerer Faktoren auf die Erbmasse, sog. Mutationen, scheinen nur in sehr geringem Um¬ fang vorzukommen. Ihre Entstehung bedarf noch der Aufklärung. Beim Menschen rechnet man dazu die Schädigung der Erbmasse durch sog. Keimgifte, Alkohol, Nikotin, Blei, Phorsphor, Quecksilber, das Malaria-, Tuberkulosen- und Syphilisgift und so weiter. In der 2. Auflage erkannte Schallmayer dem Alkohol noch eine schädigende Einwirkung lauf die Erbmasse zu. Neuerdings steht er der Frage der Keimgifte zweifelnd gegenüber. Mit Recht betont er, daß Gifte, welche in die Geschlechtszellen eindringen, deshalb noch nicht die im Zell¬ kern besonders geschützt liegende Erbsubstanz zu erreichen brauchen. Es kann sich bei der Minderwertigkeit der Alkoholikerkinder sehr Wohl nur um eine Minderwertigkeit des Erscheinungsbildes, bedingt durch die meist sehr schlechten Aufzuchtsbedingungen in Trinkerfamilien handeln. Es ist zuzugeben, daß die Statistiker und Experimente, welche die entartende Wirkung des Alkohols be¬ weisen sollen, durchaus der Nachprüfung bedürfen. Der Kampf gegen den Alkohol wird dadurch aber nicht berührt. Ganz abgesehen davon, daß er not¬ wendig ist aus individuellen und sozialen Gründen, gereicht er auch der Nasse zum Vorteil; denn der Alkoholismus übt mittelbar einen >sehr ungünstigen Ein¬ fluß auf den Rasseprozeß aus. Da, wie wir sahen, die Beeinflussung des Evbbildes durch Umweltsein- wirkungen, welche das Erscheinungsbild treffen, abgelehnt werden muß, Muta¬ tionen aber nur eine sehr geringe Rolle spielen und insonderheit Mutationen im Sinne einer Verbesserung der Erbverfassung beim Menschen nicht beobachtet worden sind, so bleibt, wie schon angedeutet, zur Erreichung des Zieles der Rassenhhgiene nichts anderes übrig als die Auslese, und zwar die Fortpflan¬ zungsauslese. Die in der Natur herrschende Lebensauslese, die dadurch züchtend wirkt, daß der Schwache, ehe er zur Fortpflanzung gelangt, hinweggerafft wird, kann für die Rassenhygiene nicht in Betracht kommen. Denn diese will nicht, wie ihr das zuweilen unterstellt wird, zur Barbarei zurückkehren, sondern ledig¬ lich Ausgleiche schaffen für die im Wesen unserer .Kultur liegende Gefahr der Entartung. Während anfangs die meisten vorwiegend Rassenhygieniker durch Ausschal¬ tung minderwertiger Erdmassen bei der Fortpflanzung die durchschnittliche Erbgüte der Bevölkerung zu heben trachteten, wird heute von denjenigen, die sich am ein¬ gehendsten mit dem Problem beschäftigt haben, so auch von Schallmayer als einem der ersten, der Nachdruck auf die größere Fruchtbarkeit der überdurch¬ schnittlich Tüchtigen gelegt. Die Tüchtigen müssen sozusagen die Mindertüchti¬ gen überwuchern. Während in China die geistig und sittlich höher stehenden Klassen eine größere Kindevzahl haben als die tieferstehenden, hat unsere euro-. patsche Kultur dahin geführt, 'daß sich das höhere geistig-sittliche Erbgut schwächer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/104>, abgerufen am 27.07.2024.