Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung Angriff nur dadurch parieren zu können meinte, daß sie plötzlich ihr urpreußisches Da ist denn zunächst festzustellen, daß die Trübungen politischer Leidenschaft Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung Angriff nur dadurch parieren zu können meinte, daß sie plötzlich ihr urpreußisches Da ist denn zunächst festzustellen, daß die Trübungen politischer Leidenschaft <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335280"/> <fw type="header" place="top"> Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_394" prev="#ID_393"> Angriff nur dadurch parieren zu können meinte, daß sie plötzlich ihr urpreußisches<lb/> Herz entdeckte und in rührenden Ausrufen, nahezu im Stile der echtpreußischen<lb/> Leute, allen, die es hören wollten, kund gab. In Wirklichkeit wurzelt das Problem<lb/> tiefer als in den Kulissen eines Wahlkampfes; wollte man die streitenden Gegner<lb/> unterscheiden, so ergäben sich hüben wie drüben gar bunte Reihen. Nur im<lb/> Vorübergehen einige Beweise: Der Vorwärts befürwortete schon um die Jahres¬<lb/> wende die „Zerlegung" Preußens, unter anderem weil Bremen und Hamburg,<lb/> die als Träger historischer und weitgeachieter Namen fortbestehen sollen, ein<lb/> erweiterte's Hinterland brauchen (I). und erklärte sich neuerdings für die Vorschläge<lb/> des Staatssekretärs, da ein „wirkliches Interesse an der Erhaltung der weiland<lb/> hohenzollernschen Hausmacht, an der Aufrechterhaltung des alten Begriffs Preußen,<lb/> ja doch nur die altpreußischen Machthaber" hätten. Damit vergleiche man de«<lb/> lebhaften Protest der sozialistischen preußischen Rcgierungsmitglieder anläßlich der<lb/> ersten Diskussionen über den Entwurf am 24. Januar. Ferner: obwohl man in<lb/> süddeutschen Kreisen aus leicht begreiflichen Gründen gegen eine „Thüringisicrung"<lb/> des ehemaligen Hegemoniestaates nichts einzuwenden hat — die Augsburger Pop-<lb/> zeitüng und gleichgesinnte Organe wittern Morgenluft für ihren Partikularismus —<lb/> erheben sich doch auch jenseits des Mains Stimmen, die das gerade Gegenteil<lb/> vertreten, so in Württemberg, wo man von einer Zerlegung Preußens die<lb/> Errichtung einer zentralen Reichsgewalt und damit das Ende der bundesstaatlichen<lb/> Selbständigkeit befürchtet. Ebenso finden wir im konservativen und demokratischen<lb/> Lager die Meinungen geteilt. Während Männer wie von Batocki und Hoetzsch<lb/> sowie Friedrich Meinecke (als Vertreter der zweiten Gattung) einer Auflösung des<lb/> bisherigen preußischen Staatsverbandes zuneigen, kämpfen Georg Bernhard und<lb/> so links gerichtete Geister wie die Redakteure des Berliner Tageblattes, Dombrowski<lb/> und Senate, in einer Linie mit dem Hauptvorstand der Deutschnaüonalen Volks-<lb/> partei und der Kreuzzeitung für die Erhaltung eines konsolidierten, starken<lb/> Preußens I Mit der parteipolitischer Auswertung der Frage ist es also nichts,<lb/> so beliebt dieses Verfahren zur Zeit auch sein mag. Je mehr sie aber aus dem<lb/> Spiele bleibt, desto wahrscheinlicher wird eine sachliche Abwägung der Argument«<lb/> und eine Beantwortung des vorliegenden Problems im Sinne der haln3 public»,<lb/> die heute ganz anders noch als zu Hardenbergs Zeiten das oberste Gesetz für<lb/> jeden Deutschen sein muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_395" next="#ID_396"> Da ist denn zunächst festzustellen, daß die Trübungen politischer Leidenschaft<lb/> die Absichten des Staatssekretärs anders erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit<lb/> sind. Die künftige Reichsverfassung, wie sie der Ennvurf skizziert, macht im<lb/> ersten Augenblick einen stark dezentralisierten, föderalistisch-aufgelockerten Eindruck,<lb/> tatsächlich' aber wollte ihr Verfasser das keineswegs. „Nicht das Dasein der<lb/> Einzelstaaien ist das Erste und Entscheidende für die politische Lebensform des<lb/> deutschen Volkes; vielmehr das Dasein dieses Volkes selbst als eine geschichtlich<lb/> gegebene politische Einheit", so heißt es in der Denkschrift, und weiter: „Wenn<lb/> sich die bisherigen 25 Einzelstaaten in ihrer Verfassung und in ihrem territorialen<lb/> Bestände ohne Rücksicht auf die künftige Neichsgestaltung jetzt nach der Revolution<lb/> wieder konsolidieren, so ist eine der wichtigsten Errungenschaften dieser Revolution<lb/> von vornherein wieder beseitigt, die Möglichkeit freier Bahn für die politische<lb/> Selbstorganisation des ganzen deutschen Volkes nach den inneren Lebens¬<lb/> notwendigkeiten des modernen Nationalstaates". Für Preuß ist Ideal der<lb/> unitarische deutsche Volksstaat; da er aber die einem solchen entgegenstehenden<lb/> Hemmungen der deutschen -Psyche erkennt und — im Gegensatz zu neuerdings<lb/> laut gewordenen radikalen Zentralisationsvvrschlügen — anerkennt, möchte er<lb/> wenigstens durch eine Art politischer „Separations- und Verkoppelungs"-Gesetz-<lb/> gebung, wie sie die Reformer vor hundert Jahren wirtschaftlich betrieben, jenem<lb/> Ideale sich annähern. Durch eine mehr an- und ausgeglichene Formung der<lb/> Teilstaaten soll die Paßlichkeit und Festigkeit des Ganzen erhöht werden. Dieser<lb/> äußeren Korrektur entspricht es materiell, wenn der Entwurf die Gebiete der<lb/> sogenannten eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches (Z 3) und der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung
Angriff nur dadurch parieren zu können meinte, daß sie plötzlich ihr urpreußisches
Herz entdeckte und in rührenden Ausrufen, nahezu im Stile der echtpreußischen
Leute, allen, die es hören wollten, kund gab. In Wirklichkeit wurzelt das Problem
tiefer als in den Kulissen eines Wahlkampfes; wollte man die streitenden Gegner
unterscheiden, so ergäben sich hüben wie drüben gar bunte Reihen. Nur im
Vorübergehen einige Beweise: Der Vorwärts befürwortete schon um die Jahres¬
wende die „Zerlegung" Preußens, unter anderem weil Bremen und Hamburg,
die als Träger historischer und weitgeachieter Namen fortbestehen sollen, ein
erweiterte's Hinterland brauchen (I). und erklärte sich neuerdings für die Vorschläge
des Staatssekretärs, da ein „wirkliches Interesse an der Erhaltung der weiland
hohenzollernschen Hausmacht, an der Aufrechterhaltung des alten Begriffs Preußen,
ja doch nur die altpreußischen Machthaber" hätten. Damit vergleiche man de«
lebhaften Protest der sozialistischen preußischen Rcgierungsmitglieder anläßlich der
ersten Diskussionen über den Entwurf am 24. Januar. Ferner: obwohl man in
süddeutschen Kreisen aus leicht begreiflichen Gründen gegen eine „Thüringisicrung"
des ehemaligen Hegemoniestaates nichts einzuwenden hat — die Augsburger Pop-
zeitüng und gleichgesinnte Organe wittern Morgenluft für ihren Partikularismus —
erheben sich doch auch jenseits des Mains Stimmen, die das gerade Gegenteil
vertreten, so in Württemberg, wo man von einer Zerlegung Preußens die
Errichtung einer zentralen Reichsgewalt und damit das Ende der bundesstaatlichen
Selbständigkeit befürchtet. Ebenso finden wir im konservativen und demokratischen
Lager die Meinungen geteilt. Während Männer wie von Batocki und Hoetzsch
sowie Friedrich Meinecke (als Vertreter der zweiten Gattung) einer Auflösung des
bisherigen preußischen Staatsverbandes zuneigen, kämpfen Georg Bernhard und
so links gerichtete Geister wie die Redakteure des Berliner Tageblattes, Dombrowski
und Senate, in einer Linie mit dem Hauptvorstand der Deutschnaüonalen Volks-
partei und der Kreuzzeitung für die Erhaltung eines konsolidierten, starken
Preußens I Mit der parteipolitischer Auswertung der Frage ist es also nichts,
so beliebt dieses Verfahren zur Zeit auch sein mag. Je mehr sie aber aus dem
Spiele bleibt, desto wahrscheinlicher wird eine sachliche Abwägung der Argument«
und eine Beantwortung des vorliegenden Problems im Sinne der haln3 public»,
die heute ganz anders noch als zu Hardenbergs Zeiten das oberste Gesetz für
jeden Deutschen sein muß.
Da ist denn zunächst festzustellen, daß die Trübungen politischer Leidenschaft
die Absichten des Staatssekretärs anders erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit
sind. Die künftige Reichsverfassung, wie sie der Ennvurf skizziert, macht im
ersten Augenblick einen stark dezentralisierten, föderalistisch-aufgelockerten Eindruck,
tatsächlich' aber wollte ihr Verfasser das keineswegs. „Nicht das Dasein der
Einzelstaaien ist das Erste und Entscheidende für die politische Lebensform des
deutschen Volkes; vielmehr das Dasein dieses Volkes selbst als eine geschichtlich
gegebene politische Einheit", so heißt es in der Denkschrift, und weiter: „Wenn
sich die bisherigen 25 Einzelstaaten in ihrer Verfassung und in ihrem territorialen
Bestände ohne Rücksicht auf die künftige Neichsgestaltung jetzt nach der Revolution
wieder konsolidieren, so ist eine der wichtigsten Errungenschaften dieser Revolution
von vornherein wieder beseitigt, die Möglichkeit freier Bahn für die politische
Selbstorganisation des ganzen deutschen Volkes nach den inneren Lebens¬
notwendigkeiten des modernen Nationalstaates". Für Preuß ist Ideal der
unitarische deutsche Volksstaat; da er aber die einem solchen entgegenstehenden
Hemmungen der deutschen -Psyche erkennt und — im Gegensatz zu neuerdings
laut gewordenen radikalen Zentralisationsvvrschlügen — anerkennt, möchte er
wenigstens durch eine Art politischer „Separations- und Verkoppelungs"-Gesetz-
gebung, wie sie die Reformer vor hundert Jahren wirtschaftlich betrieben, jenem
Ideale sich annähern. Durch eine mehr an- und ausgeglichene Formung der
Teilstaaten soll die Paßlichkeit und Festigkeit des Ganzen erhöht werden. Dieser
äußeren Korrektur entspricht es materiell, wenn der Entwurf die Gebiete der
sogenannten eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches (Z 3) und der
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