Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die Sonderstellung des Netzedistrikts ein Ende. Dagegen tritt er in der Revolution von 1848 nun politisch gewisser¬ Die Probleme, die damit in die allgemeine Erörterung rückten, waren die Die Sonderstellung des Netzedistrikts ein Ende. Dagegen tritt er in der Revolution von 1848 nun politisch gewisser¬ Die Probleme, die damit in die allgemeine Erörterung rückten, waren die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335277"/> <fw type="header" place="top"> Die Sonderstellung des Netzedistrikts</fw><lb/> <p xml:id="ID_385" prev="#ID_384"> ein Ende. Dagegen tritt er in der Revolution von 1848 nun politisch gewisser¬<lb/> maßen von unten her, seinem Sondercharakter nach, in Erscheinung. Die März¬<lb/> revolution brachte den polnischen Separatismus zum Aufflammen. Im Einver¬<lb/> nehmen mit weitesten Kreisen der deutschen Demokratie machten die Polen daS<lb/> Anrecht auf Wiedererrichtung des selbständigen Polenstaates geltend. Die Negierung<lb/> antwortete am 7. März mit der Verhängung des Belagerungszustandes, der jedoch<lb/> schon am 2^. März wieder aufgehoben wurde. Das Deutschtum in der Stadt<lb/> Posen zeigte nicht viel Rückgrat, immerhin bildete sich am 23. März in Posen<lb/> ein „Komitee zur Wahrung der deutschen Interessen", das Fühlung auch mit dem<lb/> Deutschtum der Provinz suchte. Sonst gingen zunächst aus Westposen (Sabrina,<lb/> Meseritz, Birnbaum) Adressen an den König ab, die das Verbleiben nnter Preußen<lb/> verlangten, unter Anschluß an die Provinz Brandenburg. Am 26. März wurde<lb/> von Vrvmberg aus eine Proklamation an die deutschen Mitbürger im Groß-<lb/> Herzogtum Posen erlassen. Am 29. März versammelten sich die Deutschen aus<lb/> dem Netzedistrikt, bewaffneten sich und verlangten Teilung der Provinz nach<lb/> Nationalitäten und Abtrennung vom Posener Provinzialverbande.</p><lb/> <p xml:id="ID_386" next="#ID_387"> Die Probleme, die damit in die allgemeine Erörterung rückten, waren die<lb/> Frage der nationalen Reorganisation, nämlich der offiziellen kulturell verwaltungs¬<lb/> mäßigen Polonisierung der Provinz Posen oder einzelner ihrer Teile, die Frage<lb/> der Aufnahme Posens in den Deutschen Bund und der Beteiligung von Posener<lb/> Abgeordneten an der Nationalversammlung in Frankfurt, schließlich die Frage<lb/> der Demarkationslinie innerhalb Posens, die den zu reorganisierenden Teil vom<lb/> deutschbleibenden abtrennen sollte. Die Polen organisierten ihrerseits ein National-<lb/> komitce, bewaffneten unter der Hand die Bevölkerung und sprengten Gerüchte<lb/> über bevorstehenden Einmarsch von Truppen aus Russisch-Polen aus. Die Stellung<lb/> der Polen wurde noch verstärkt durch den Kommissar der königlichen Reorgani-<lb/> sationskommission, General von Willisen. der durch seine schwächliche nachgiebig,<lb/> keit gegenüber den Polen sich die öffentliche Beschimpfung von feiten der deutschen<lb/> und 'jüdischen Einwohnerschaft Posens zuzog. Die Negierung in Bromberg wies<lb/> die ihr unterstellten Behörden an, seineu Anordnungen nicht Folge zu leisten.<lb/> Die Negierung betrieb weiterhin den Anschluß der außerdeutschen Provinz an<lb/> den Bund. Der ständisch gebildete Provinziallcindtag lehnte den Anschluß ab.<lb/> Dagegen lehnte sich die Bevölkerung der deutschen Teile auf. Am 9. April fand<lb/> in Schneideinühl eine Volksversammlung der Kreise Brombera. Wirsitz, Kolmar,<lb/> Czarnikau. Obornik statt, die von Abgeordneten der Stadt Schneideinühl, Asch,<lb/> Kolmar, Samotsckin, Czarnikau, Filehne, Schönlanke und der umliegenden<lb/> Landgemeinden gut beschickt war. Diese Versammlung wählte einen per-<lb/> manenten Ausschuß für den Netzedistrikt, legte gegen die Anwendung der<lb/> Reorganisation aus dein Netzedistrikt Protest ein und forderte die Einverleibung<lb/> in Westpreußen und den Deutschen Bund, ferner für die anderen Deutschen<lb/> der Provinz eine bessere Garantie ihrer Nationalrechte als durch Willisens<lb/> Vorarbeiten. Am selben Tage erließ die Versammlung eine Petition an den<lb/> Bundistag um Aufnahme der ganzen Provinz Posen in den Deutschen Bund.<lb/> Die Erregung gegen die offizielle Politik der Krone war so groß, daß die<lb/> Proklamation einer eigenen Negierung für den Netzedistrikt als Möglichkeit in<lb/> die Nähe rückte. Unter dem Druck dieser Stimmungen erreichte die preußische<lb/> Regierung die Ausnahme von Ost- und Westpreußen in den Deutschen Bund<lb/> am ZI. April. Am 14. April befahl der König tatsächlich, das vorherrschend<lb/> deutsche Gebiet, nämlich die Kreise des ehemaligen Netzedistrikts Jnowrazlaw,<lb/> Schuoin, Vromberg, Wirsitz und teilweise die Kreise Czarnikau, Kolmar, Wongro-<lb/> Witz, Mogilno, und > aus dem Regierungsbezirk Posen die vier Kreise Birnbaum,<lb/> Meseritz, Bomst. Fraustadt zur Einverleibung in den Deutschen Bund vorzuschlagen<lb/> und die Wahlvorbereitungen dort zu treffen. Der Netzedistrikt forderte dagegen<lb/> in einer Petition vom 15. April in Bromberg die Einverleibung ganz Posens<lb/> in den Deutschen Bund unter Berufung aus den souveränen Willen der gesamten<lb/> Bevölkerung in den deutschen Kreisen und auf vorherrschende Stimmungen im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
Die Sonderstellung des Netzedistrikts
ein Ende. Dagegen tritt er in der Revolution von 1848 nun politisch gewisser¬
maßen von unten her, seinem Sondercharakter nach, in Erscheinung. Die März¬
revolution brachte den polnischen Separatismus zum Aufflammen. Im Einver¬
nehmen mit weitesten Kreisen der deutschen Demokratie machten die Polen daS
Anrecht auf Wiedererrichtung des selbständigen Polenstaates geltend. Die Negierung
antwortete am 7. März mit der Verhängung des Belagerungszustandes, der jedoch
schon am 2^. März wieder aufgehoben wurde. Das Deutschtum in der Stadt
Posen zeigte nicht viel Rückgrat, immerhin bildete sich am 23. März in Posen
ein „Komitee zur Wahrung der deutschen Interessen", das Fühlung auch mit dem
Deutschtum der Provinz suchte. Sonst gingen zunächst aus Westposen (Sabrina,
Meseritz, Birnbaum) Adressen an den König ab, die das Verbleiben nnter Preußen
verlangten, unter Anschluß an die Provinz Brandenburg. Am 26. März wurde
von Vrvmberg aus eine Proklamation an die deutschen Mitbürger im Groß-
Herzogtum Posen erlassen. Am 29. März versammelten sich die Deutschen aus
dem Netzedistrikt, bewaffneten sich und verlangten Teilung der Provinz nach
Nationalitäten und Abtrennung vom Posener Provinzialverbande.
Die Probleme, die damit in die allgemeine Erörterung rückten, waren die
Frage der nationalen Reorganisation, nämlich der offiziellen kulturell verwaltungs¬
mäßigen Polonisierung der Provinz Posen oder einzelner ihrer Teile, die Frage
der Aufnahme Posens in den Deutschen Bund und der Beteiligung von Posener
Abgeordneten an der Nationalversammlung in Frankfurt, schließlich die Frage
der Demarkationslinie innerhalb Posens, die den zu reorganisierenden Teil vom
deutschbleibenden abtrennen sollte. Die Polen organisierten ihrerseits ein National-
komitce, bewaffneten unter der Hand die Bevölkerung und sprengten Gerüchte
über bevorstehenden Einmarsch von Truppen aus Russisch-Polen aus. Die Stellung
der Polen wurde noch verstärkt durch den Kommissar der königlichen Reorgani-
sationskommission, General von Willisen. der durch seine schwächliche nachgiebig,
keit gegenüber den Polen sich die öffentliche Beschimpfung von feiten der deutschen
und 'jüdischen Einwohnerschaft Posens zuzog. Die Negierung in Bromberg wies
die ihr unterstellten Behörden an, seineu Anordnungen nicht Folge zu leisten.
Die Negierung betrieb weiterhin den Anschluß der außerdeutschen Provinz an
den Bund. Der ständisch gebildete Provinziallcindtag lehnte den Anschluß ab.
Dagegen lehnte sich die Bevölkerung der deutschen Teile auf. Am 9. April fand
in Schneideinühl eine Volksversammlung der Kreise Brombera. Wirsitz, Kolmar,
Czarnikau. Obornik statt, die von Abgeordneten der Stadt Schneideinühl, Asch,
Kolmar, Samotsckin, Czarnikau, Filehne, Schönlanke und der umliegenden
Landgemeinden gut beschickt war. Diese Versammlung wählte einen per-
manenten Ausschuß für den Netzedistrikt, legte gegen die Anwendung der
Reorganisation aus dein Netzedistrikt Protest ein und forderte die Einverleibung
in Westpreußen und den Deutschen Bund, ferner für die anderen Deutschen
der Provinz eine bessere Garantie ihrer Nationalrechte als durch Willisens
Vorarbeiten. Am selben Tage erließ die Versammlung eine Petition an den
Bundistag um Aufnahme der ganzen Provinz Posen in den Deutschen Bund.
Die Erregung gegen die offizielle Politik der Krone war so groß, daß die
Proklamation einer eigenen Negierung für den Netzedistrikt als Möglichkeit in
die Nähe rückte. Unter dem Druck dieser Stimmungen erreichte die preußische
Regierung die Ausnahme von Ost- und Westpreußen in den Deutschen Bund
am ZI. April. Am 14. April befahl der König tatsächlich, das vorherrschend
deutsche Gebiet, nämlich die Kreise des ehemaligen Netzedistrikts Jnowrazlaw,
Schuoin, Vromberg, Wirsitz und teilweise die Kreise Czarnikau, Kolmar, Wongro-
Witz, Mogilno, und > aus dem Regierungsbezirk Posen die vier Kreise Birnbaum,
Meseritz, Bomst. Fraustadt zur Einverleibung in den Deutschen Bund vorzuschlagen
und die Wahlvorbereitungen dort zu treffen. Der Netzedistrikt forderte dagegen
in einer Petition vom 15. April in Bromberg die Einverleibung ganz Posens
in den Deutschen Bund unter Berufung aus den souveränen Willen der gesamten
Bevölkerung in den deutschen Kreisen und auf vorherrschende Stimmungen im
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