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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Zur Neugeswltung des Deutschen Volksstaates

bilden, der seine liebe Not haben wird, es nicht jeden Augenblick mit dem einen
oder andern Einzelstaat zu verderben. Trotz aller Ander-um-gen also soll der alte
Fehler bleiben? Mus; -er bleiben?

Es soll niemand seine Heimat genommen werden. Aber Heimat ist nicht
dasselbe wie Staat. Namentlich in den kleinen Staaten sind wir gewohnt,
beides gleichzusetzen, weil es sich deckt. In Preußen dagegen ist der Staat nicht
"die Heimat", dafür ist dieser Staat viel zu groß. In Preußen ist die Provinj
die Heimat, und niemand wird .bestreiten wollen, daß ein guter Westfale oder
Pommer nicht ebenso viel Hoimatsgefühl habe wie ein guter Württemberger,
Braunschweiger oder Tiroler. Also, vom rein volkstümlichen Empfinden aus¬
gehend, das für Deutschland politisch sehr bedeutsam ist, weil es sich mit dem
Partikularismus deckt: es -geht auch ohne Staat im bisherigen exklusiven Sinne.
Die Wälle, die heute Deutschlands Einzelstaaten trennen, können abgetragen
werden, ohne etwas von dem volksmäßig Gewordenen, ohne häusliche Sitte und
sprachliche Eigenheiten wesentlich zu berühren. Aber die Organisation des
Einzelstaatswesens als sich selbst dirigierender, von den anderen abgesperrter
Staat, der Einzelstaat als Selbstzweck sollte fallen. Wenn ganz Deutschland,
ähnlich wie heute der österreichische Volksstaat, in einzelne, möglichst gleich
große "Länder" nach der Stammes- oder Landschaftsgrundlage eingeteilt würde,
wobei die -alten Bezeichnungen teilweise ebenso -wie die jetzigen Grenzen Neben¬
sache wären, und wenn dabei eine sozusagen neutrale neue Hauptstadt unter
gleichzeitiger Dezentralisation der unpolitischen, z. B. der wirtschaftlichen Be¬
hörden und Hauptreichsan-statten geschaffen würde, so könnte ein neues Reich
ohne die bisher so schädlichen Unterschiede geschaffen werden, in dem auch die
etwa acht Millionen Österreicher ohne viele Umstände aufgenommen werden
könnten.

Die Hemmnisse, die für derartige An-gi-iederungen sich schon 1871 bei
Elsaß-Lothringen leider als unheilvoll und verlustreich erwiesen haben, würden
sich jetzt ein zweites Mal Deutsch-O-sterrreich gegenüber zeigen, wenn in Deutsch¬
land die alten Staatenzustände blieben. Osterreich mit seinen Unterländern
würde etwas andres sein, als die andren deutschen Staaten. Auch dies ist nicht
mit zwei Worten als nebensächlich abzutun. Das Deutsche Reich ist schon völlig
kompliziert genug; wir müssen Gleichmäßigkeit, nicht noch weitere Unterschiede
zu schaffen suchen. Sonst entstehen aufs neue lose statt feste Zusammenhänge.
Es kommt hinzu, daß die Österreicher sich in dem deutschen Se-aatenwesen mit
seinen politischen Reibungen und Gehässigkeiten -nur schwer zurechtfinden würden,
daß sie leicht recht ernüchtert werden würden, wenn sie die wirkliche "Einigkeit"
und "Einheit" einmal selbst in engerer Verbindung mit uns verkosten müßten.
Man sieht in Osterveich, das im Kampf gegen Nichtdeutsche tief patriotisch denken
und handeln gelernt hat, das Reich wesentlich anders -- idealer -- an, als es ist.
Die Dinge, -die bei uns leider oft die Hauptsache sind, besonders volksmäßig,
wenn es gilt, Gegensätze lebendig zu erhalten und zu Pflegen, sind für den
Österreicher Nebensachen. Wir sollten von diesem Geiste lernen.

Wir müssen vor allem politisch denken und wägen, dann auch handeln
lernen. Rückblickend auf die traurige Ode unsrer Jammergeschichte, dürfen wir
nicht zufrieden meinen, es sei ja seit 1871 um vieles besser. Wir sind gar weit
davon entfernt, nach nationaler Vollkommenheit zu streben; denn diese verlangt
Opfer, nicht nur im kleinen; namentlich Otzfer der Eigenliebe. Wir ziehen eine ge¬
wisse Blindheit dem klaren Blicke vör. Wir fürchten uns, unsre Fehler, die Schäden
des Staatspartikularismus, zu sehen und dabei ablehnend zu verweilen, weil wir
sie dann eingestehen und bekämpfen müßten. Im Grunde gehört es ja längst nicht
mehr zum guten Ton, Partikularist zu sein. Wir haben aber öffentlich nicht den
Mut, das abzuschütteln, was uns aus der Zwangsjacke nicht herauskommen läßt.
So bleiben wir lieber drin. So haben wir unter den gemäßigten sogenannten
nationalen Parteien nicht eine einzige, die den Partikularismus ernstlich
bekämpfte und Veränderungen der Verfassung in diesem Sinne erstrebte. Viel¬
mehr betonen alle -- gebunden durch die Landtagsnotwendigkeiten -- die


Zur Neugeswltung des Deutschen Volksstaates

bilden, der seine liebe Not haben wird, es nicht jeden Augenblick mit dem einen
oder andern Einzelstaat zu verderben. Trotz aller Ander-um-gen also soll der alte
Fehler bleiben? Mus; -er bleiben?

Es soll niemand seine Heimat genommen werden. Aber Heimat ist nicht
dasselbe wie Staat. Namentlich in den kleinen Staaten sind wir gewohnt,
beides gleichzusetzen, weil es sich deckt. In Preußen dagegen ist der Staat nicht
„die Heimat", dafür ist dieser Staat viel zu groß. In Preußen ist die Provinj
die Heimat, und niemand wird .bestreiten wollen, daß ein guter Westfale oder
Pommer nicht ebenso viel Hoimatsgefühl habe wie ein guter Württemberger,
Braunschweiger oder Tiroler. Also, vom rein volkstümlichen Empfinden aus¬
gehend, das für Deutschland politisch sehr bedeutsam ist, weil es sich mit dem
Partikularismus deckt: es -geht auch ohne Staat im bisherigen exklusiven Sinne.
Die Wälle, die heute Deutschlands Einzelstaaten trennen, können abgetragen
werden, ohne etwas von dem volksmäßig Gewordenen, ohne häusliche Sitte und
sprachliche Eigenheiten wesentlich zu berühren. Aber die Organisation des
Einzelstaatswesens als sich selbst dirigierender, von den anderen abgesperrter
Staat, der Einzelstaat als Selbstzweck sollte fallen. Wenn ganz Deutschland,
ähnlich wie heute der österreichische Volksstaat, in einzelne, möglichst gleich
große „Länder" nach der Stammes- oder Landschaftsgrundlage eingeteilt würde,
wobei die -alten Bezeichnungen teilweise ebenso -wie die jetzigen Grenzen Neben¬
sache wären, und wenn dabei eine sozusagen neutrale neue Hauptstadt unter
gleichzeitiger Dezentralisation der unpolitischen, z. B. der wirtschaftlichen Be¬
hörden und Hauptreichsan-statten geschaffen würde, so könnte ein neues Reich
ohne die bisher so schädlichen Unterschiede geschaffen werden, in dem auch die
etwa acht Millionen Österreicher ohne viele Umstände aufgenommen werden
könnten.

Die Hemmnisse, die für derartige An-gi-iederungen sich schon 1871 bei
Elsaß-Lothringen leider als unheilvoll und verlustreich erwiesen haben, würden
sich jetzt ein zweites Mal Deutsch-O-sterrreich gegenüber zeigen, wenn in Deutsch¬
land die alten Staatenzustände blieben. Osterreich mit seinen Unterländern
würde etwas andres sein, als die andren deutschen Staaten. Auch dies ist nicht
mit zwei Worten als nebensächlich abzutun. Das Deutsche Reich ist schon völlig
kompliziert genug; wir müssen Gleichmäßigkeit, nicht noch weitere Unterschiede
zu schaffen suchen. Sonst entstehen aufs neue lose statt feste Zusammenhänge.
Es kommt hinzu, daß die Österreicher sich in dem deutschen Se-aatenwesen mit
seinen politischen Reibungen und Gehässigkeiten -nur schwer zurechtfinden würden,
daß sie leicht recht ernüchtert werden würden, wenn sie die wirkliche „Einigkeit"
und „Einheit" einmal selbst in engerer Verbindung mit uns verkosten müßten.
Man sieht in Osterveich, das im Kampf gegen Nichtdeutsche tief patriotisch denken
und handeln gelernt hat, das Reich wesentlich anders — idealer — an, als es ist.
Die Dinge, -die bei uns leider oft die Hauptsache sind, besonders volksmäßig,
wenn es gilt, Gegensätze lebendig zu erhalten und zu Pflegen, sind für den
Österreicher Nebensachen. Wir sollten von diesem Geiste lernen.

Wir müssen vor allem politisch denken und wägen, dann auch handeln
lernen. Rückblickend auf die traurige Ode unsrer Jammergeschichte, dürfen wir
nicht zufrieden meinen, es sei ja seit 1871 um vieles besser. Wir sind gar weit
davon entfernt, nach nationaler Vollkommenheit zu streben; denn diese verlangt
Opfer, nicht nur im kleinen; namentlich Otzfer der Eigenliebe. Wir ziehen eine ge¬
wisse Blindheit dem klaren Blicke vör. Wir fürchten uns, unsre Fehler, die Schäden
des Staatspartikularismus, zu sehen und dabei ablehnend zu verweilen, weil wir
sie dann eingestehen und bekämpfen müßten. Im Grunde gehört es ja längst nicht
mehr zum guten Ton, Partikularist zu sein. Wir haben aber öffentlich nicht den
Mut, das abzuschütteln, was uns aus der Zwangsjacke nicht herauskommen läßt.
So bleiben wir lieber drin. So haben wir unter den gemäßigten sogenannten
nationalen Parteien nicht eine einzige, die den Partikularismus ernstlich
bekämpfte und Veränderungen der Verfassung in diesem Sinne erstrebte. Viel¬
mehr betonen alle — gebunden durch die Landtagsnotwendigkeiten — die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/78>, abgerufen am 06.02.2025.