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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Zur Neugestaltung des Deutschen volksstacites

innere Operation gekommen ist, die geschehen, muß, weil es sich zu unserem Un¬
heil gezeigt hat, daß die alten Schwächen fortbestehen und daß unsere gepriesene
Einheit sehr leicht zusammenbricht, sowie einem der größeren Teilglieder etwas
nicht paßt, wo ihm ein wirkliches Opfer an Hergebrachten oder Liebgewordenem
zugunsten der Allgemeinheit zugemutet wird. -- Das Phrasentum der deutschen
Ministerreden, das ganz stereotyp mit der Betonung des Festhaltens am Reich
begann, -- wo sonst in der Welt ist eine solche Betonung in einem seiner selbst
sicheren großen Reiche nötig?! -- lief stets hinaus aus ein schleuniges: Aber ...!
Aber unsere Selbständigkeit werden wir wahren, und so weiter. Man kennt das.
Niemand fand daran etwas zu tadeln. Im Gegenteil! Wenn es gefehlt Hütte,
so hätte man's gefordert. Richtig betrachtet aber ist diese Rhetorik nichts als ein
Wegführen von dem, was zuerst versichert wurde. Der Bayer, der Sachse hört
davon nur das Nein; d. h. die im Gegensatz zur Einheit betonte stolze Selb¬
ständigkeit. Genau das Gleiche war (und ist noch) der Fall in einer anderen
stereotypen Wendung, die sich auch in der Programmrede des Prinzen Max sofort
wieder fand: Bekenntnis zu Deutschlands Einheit und Größe usw.; dann aber
ein Protest gegen eben diese Einheit in der Wendung, daß "jedoch" die kulturellen
Vorteile der Dezentralisation in den Einzelstaaten nicht angetastet werden dürfen.
Also auch hier dieser eMntümliche Sprung, dieser das erste wieder aufhebende
Widerspruch. Auch dies zeigt, wie wir an Widersprüchen im Staatsleben kranken.
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Dabei haben sich --auch von den so Redenden Wohl nur die allerwenigste"
Rechenschaft darüber gegeben, ob denn Einheit politischer Natur in Deutschland
die Kulturzentren München, Stuttgart, Dresden, Hamburg, wirklich abtöten ode"
schädigen würde, sofern sie aufhörten, Sitze eigener Regierrmgen zu sein! Die
Dynastien haben in der Schöpfung solcher Mittelpunkte ihr Bestes geleistet, und
wenn je eine Gefahr für das Bestehen dieser Zentren bestand, so ist es die Ab¬
setzung der Dynastien gewesen. Aber längst sind diese Kulturzentren über die
Dynastien selbstschaffend hinausgewachsen, und es sind ihrer sehr bedeutende auch
ohne deren Hilfe entstanden, z. B. oben Hamburg, dau-n Frankfurt, Nürnberg,
Leipzig. Was die deutschen Hochschulen angeht, so würden sie um nichts unbedeu¬
tender sein: Freiburg und Heidelberg würden aus landschaftlichen und traditio¬
nellen Gründen weiter blühen, auch wenn sie einmal nicht mehr rein basische,
sondern Mosj" deutsche Hochschulen wären. Das wird auch bewiesen durch das
Beharren der Kultuvwerte und durch das Aufblühen solcher Orte, woran se"
haften, in Italien, in Spanien (Barcelona) und England (Oxford usw., Canter-
bury und Nork). Das uns belastende Schreckgespenst ist doch' nur das zentrali¬
sierende Frankreich, das man sich ja aber nicht zum Vorbild zu nehmen braucht.
Wir haben es ja vollkommen in der Hand, sehr vielseitig zu dezentralisieren, wenn
wir wirklich innere Einheit geschaffen haben. Man kann die neue Rsichshaupt-
stadt ganz hübsch im Zaum halten, wenn man zur richtigen Zeit damit anfängt.

Daß es Berlin als Reichshauptstadt ans Leben geht, ist ein Glück. Aber
auch bei der Wahl des neuen Mittelpunktes darf keine Kleinlichkeit herrschen.
Frankfurt, das geschichtliche Ansprüche bat, ist Wohl aus leicht begreifliche"
Gründen sympathetischer Art nicht gerade der Ort. Unser Muster sollten Ameri¬
kaner und Australier sein, die einfach Neugründungen vornahmen: Washingtcm
in dem eigenen kleinen "Distrikt" Columbia; in Australien bei der Schaffung de,
Gesamtrepublik vor etwa fünfzehn Jahren eine ganz neu erbaute Bundeshaupt¬
stadt. Auch irgendwo in Mitteldeutschland wäre das möglich. Überdies könnte
man diese Stadt gleich teilweise (Archive, Banken, Bahnhöfe, Bibliotheken u. a.)
unterirdisch und bombensicher anlegen, im Hinblick ans feindliche Luft- und Fern¬
geschützangriffe. Die Wahl des Ortes aber dürfte nicht durch partikulare Eifer-
wcht oder Selbstsucht bestimmt werden, auch nicht durch die Größe irgend eines
Teilstaates. Die Forderungen, welche die Neugestaltungen im Reich uns auf¬
erlegen, sind so ernst, so gewaltig und so zwingend, daß aller Partikularismus
zu schweigen hat.

Dies gilt aber in allen Fragen. Und wo stehen wir da?! Welch ein
Wend! Es ist wirklich kaum besser als in den Zeiten von 1315--70, über


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innere Operation gekommen ist, die geschehen, muß, weil es sich zu unserem Un¬
heil gezeigt hat, daß die alten Schwächen fortbestehen und daß unsere gepriesene
Einheit sehr leicht zusammenbricht, sowie einem der größeren Teilglieder etwas
nicht paßt, wo ihm ein wirkliches Opfer an Hergebrachten oder Liebgewordenem
zugunsten der Allgemeinheit zugemutet wird. — Das Phrasentum der deutschen
Ministerreden, das ganz stereotyp mit der Betonung des Festhaltens am Reich
begann, — wo sonst in der Welt ist eine solche Betonung in einem seiner selbst
sicheren großen Reiche nötig?! — lief stets hinaus aus ein schleuniges: Aber ...!
Aber unsere Selbständigkeit werden wir wahren, und so weiter. Man kennt das.
Niemand fand daran etwas zu tadeln. Im Gegenteil! Wenn es gefehlt Hütte,
so hätte man's gefordert. Richtig betrachtet aber ist diese Rhetorik nichts als ein
Wegführen von dem, was zuerst versichert wurde. Der Bayer, der Sachse hört
davon nur das Nein; d. h. die im Gegensatz zur Einheit betonte stolze Selb¬
ständigkeit. Genau das Gleiche war (und ist noch) der Fall in einer anderen
stereotypen Wendung, die sich auch in der Programmrede des Prinzen Max sofort
wieder fand: Bekenntnis zu Deutschlands Einheit und Größe usw.; dann aber
ein Protest gegen eben diese Einheit in der Wendung, daß „jedoch" die kulturellen
Vorteile der Dezentralisation in den Einzelstaaten nicht angetastet werden dürfen.
Also auch hier dieser eMntümliche Sprung, dieser das erste wieder aufhebende
Widerspruch. Auch dies zeigt, wie wir an Widersprüchen im Staatsleben kranken.

Dabei haben sich —auch von den so Redenden Wohl nur die allerwenigste«
Rechenschaft darüber gegeben, ob denn Einheit politischer Natur in Deutschland
die Kulturzentren München, Stuttgart, Dresden, Hamburg, wirklich abtöten ode«
schädigen würde, sofern sie aufhörten, Sitze eigener Regierrmgen zu sein! Die
Dynastien haben in der Schöpfung solcher Mittelpunkte ihr Bestes geleistet, und
wenn je eine Gefahr für das Bestehen dieser Zentren bestand, so ist es die Ab¬
setzung der Dynastien gewesen. Aber längst sind diese Kulturzentren über die
Dynastien selbstschaffend hinausgewachsen, und es sind ihrer sehr bedeutende auch
ohne deren Hilfe entstanden, z. B. oben Hamburg, dau-n Frankfurt, Nürnberg,
Leipzig. Was die deutschen Hochschulen angeht, so würden sie um nichts unbedeu¬
tender sein: Freiburg und Heidelberg würden aus landschaftlichen und traditio¬
nellen Gründen weiter blühen, auch wenn sie einmal nicht mehr rein basische,
sondern Mosj" deutsche Hochschulen wären. Das wird auch bewiesen durch das
Beharren der Kultuvwerte und durch das Aufblühen solcher Orte, woran se»
haften, in Italien, in Spanien (Barcelona) und England (Oxford usw., Canter-
bury und Nork). Das uns belastende Schreckgespenst ist doch' nur das zentrali¬
sierende Frankreich, das man sich ja aber nicht zum Vorbild zu nehmen braucht.
Wir haben es ja vollkommen in der Hand, sehr vielseitig zu dezentralisieren, wenn
wir wirklich innere Einheit geschaffen haben. Man kann die neue Rsichshaupt-
stadt ganz hübsch im Zaum halten, wenn man zur richtigen Zeit damit anfängt.

Daß es Berlin als Reichshauptstadt ans Leben geht, ist ein Glück. Aber
auch bei der Wahl des neuen Mittelpunktes darf keine Kleinlichkeit herrschen.
Frankfurt, das geschichtliche Ansprüche bat, ist Wohl aus leicht begreifliche«
Gründen sympathetischer Art nicht gerade der Ort. Unser Muster sollten Ameri¬
kaner und Australier sein, die einfach Neugründungen vornahmen: Washingtcm
in dem eigenen kleinen „Distrikt" Columbia; in Australien bei der Schaffung de,
Gesamtrepublik vor etwa fünfzehn Jahren eine ganz neu erbaute Bundeshaupt¬
stadt. Auch irgendwo in Mitteldeutschland wäre das möglich. Überdies könnte
man diese Stadt gleich teilweise (Archive, Banken, Bahnhöfe, Bibliotheken u. a.)
unterirdisch und bombensicher anlegen, im Hinblick ans feindliche Luft- und Fern¬
geschützangriffe. Die Wahl des Ortes aber dürfte nicht durch partikulare Eifer-
wcht oder Selbstsucht bestimmt werden, auch nicht durch die Größe irgend eines
Teilstaates. Die Forderungen, welche die Neugestaltungen im Reich uns auf¬
erlegen, sind so ernst, so gewaltig und so zwingend, daß aller Partikularismus
zu schweigen hat.

Dies gilt aber in allen Fragen. Und wo stehen wir da?! Welch ein
Wend! Es ist wirklich kaum besser als in den Zeiten von 1315—70, über


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[0074] Zur Neugestaltung des Deutschen volksstacites innere Operation gekommen ist, die geschehen, muß, weil es sich zu unserem Un¬ heil gezeigt hat, daß die alten Schwächen fortbestehen und daß unsere gepriesene Einheit sehr leicht zusammenbricht, sowie einem der größeren Teilglieder etwas nicht paßt, wo ihm ein wirkliches Opfer an Hergebrachten oder Liebgewordenem zugunsten der Allgemeinheit zugemutet wird. — Das Phrasentum der deutschen Ministerreden, das ganz stereotyp mit der Betonung des Festhaltens am Reich begann, — wo sonst in der Welt ist eine solche Betonung in einem seiner selbst sicheren großen Reiche nötig?! — lief stets hinaus aus ein schleuniges: Aber ...! Aber unsere Selbständigkeit werden wir wahren, und so weiter. Man kennt das. Niemand fand daran etwas zu tadeln. Im Gegenteil! Wenn es gefehlt Hütte, so hätte man's gefordert. Richtig betrachtet aber ist diese Rhetorik nichts als ein Wegführen von dem, was zuerst versichert wurde. Der Bayer, der Sachse hört davon nur das Nein; d. h. die im Gegensatz zur Einheit betonte stolze Selb¬ ständigkeit. Genau das Gleiche war (und ist noch) der Fall in einer anderen stereotypen Wendung, die sich auch in der Programmrede des Prinzen Max sofort wieder fand: Bekenntnis zu Deutschlands Einheit und Größe usw.; dann aber ein Protest gegen eben diese Einheit in der Wendung, daß „jedoch" die kulturellen Vorteile der Dezentralisation in den Einzelstaaten nicht angetastet werden dürfen. Also auch hier dieser eMntümliche Sprung, dieser das erste wieder aufhebende Widerspruch. Auch dies zeigt, wie wir an Widersprüchen im Staatsleben kranken. — Dabei haben sich —auch von den so Redenden Wohl nur die allerwenigste« Rechenschaft darüber gegeben, ob denn Einheit politischer Natur in Deutschland die Kulturzentren München, Stuttgart, Dresden, Hamburg, wirklich abtöten ode« schädigen würde, sofern sie aufhörten, Sitze eigener Regierrmgen zu sein! Die Dynastien haben in der Schöpfung solcher Mittelpunkte ihr Bestes geleistet, und wenn je eine Gefahr für das Bestehen dieser Zentren bestand, so ist es die Ab¬ setzung der Dynastien gewesen. Aber längst sind diese Kulturzentren über die Dynastien selbstschaffend hinausgewachsen, und es sind ihrer sehr bedeutende auch ohne deren Hilfe entstanden, z. B. oben Hamburg, dau-n Frankfurt, Nürnberg, Leipzig. Was die deutschen Hochschulen angeht, so würden sie um nichts unbedeu¬ tender sein: Freiburg und Heidelberg würden aus landschaftlichen und traditio¬ nellen Gründen weiter blühen, auch wenn sie einmal nicht mehr rein basische, sondern Mosj" deutsche Hochschulen wären. Das wird auch bewiesen durch das Beharren der Kultuvwerte und durch das Aufblühen solcher Orte, woran se» haften, in Italien, in Spanien (Barcelona) und England (Oxford usw., Canter- bury und Nork). Das uns belastende Schreckgespenst ist doch' nur das zentrali¬ sierende Frankreich, das man sich ja aber nicht zum Vorbild zu nehmen braucht. Wir haben es ja vollkommen in der Hand, sehr vielseitig zu dezentralisieren, wenn wir wirklich innere Einheit geschaffen haben. Man kann die neue Rsichshaupt- stadt ganz hübsch im Zaum halten, wenn man zur richtigen Zeit damit anfängt. Daß es Berlin als Reichshauptstadt ans Leben geht, ist ein Glück. Aber auch bei der Wahl des neuen Mittelpunktes darf keine Kleinlichkeit herrschen. Frankfurt, das geschichtliche Ansprüche bat, ist Wohl aus leicht begreifliche« Gründen sympathetischer Art nicht gerade der Ort. Unser Muster sollten Ameri¬ kaner und Australier sein, die einfach Neugründungen vornahmen: Washingtcm in dem eigenen kleinen „Distrikt" Columbia; in Australien bei der Schaffung de, Gesamtrepublik vor etwa fünfzehn Jahren eine ganz neu erbaute Bundeshaupt¬ stadt. Auch irgendwo in Mitteldeutschland wäre das möglich. Überdies könnte man diese Stadt gleich teilweise (Archive, Banken, Bahnhöfe, Bibliotheken u. a.) unterirdisch und bombensicher anlegen, im Hinblick ans feindliche Luft- und Fern¬ geschützangriffe. Die Wahl des Ortes aber dürfte nicht durch partikulare Eifer- wcht oder Selbstsucht bestimmt werden, auch nicht durch die Größe irgend eines Teilstaates. Die Forderungen, welche die Neugestaltungen im Reich uns auf¬ erlegen, sind so ernst, so gewaltig und so zwingend, daß aller Partikularismus zu schweigen hat. Dies gilt aber in allen Fragen. Und wo stehen wir da?! Welch ein Wend! Es ist wirklich kaum besser als in den Zeiten von 1315—70, über

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/74>, abgerufen am 05.02.2025.