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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gewöhnlichen" Preis von fünfzehn Neichs-
pfennigen verdeutlicht, (Wenn dieser Preis
nicht mit dem Notschrei, sofort zu abonnieren,
um ein dauerndes Bestehen der "Zeitschrift"
zu ermöglichen, zusammenhängt!) Die mir
vorliegende Ur. S hat es auf den früheren
Kaiser abgesehen. Warum auch nicht, seine
Person ist moralisch vogelfrei; am Gitter des
Berliner Schlosses bieten jetzt Händler und
Händlerinnen, armselige Karikaturen auf die
Hohenzollern seil wie früher ihre Photo¬
graphien. Geschäft ist Geschäft I Der Kaiser
also hat an die "Deutsche Sozialaristokratie
zu Händen des Galgen" ein Telegramm
gerichtet, das; er sich der Regierung Ebert-
Haase zur Verfügung stelle. Großartiger
Witz, nicht Wahr? Und da wirb ihm denn
vom "Henker" mit freienr Gruße erwidert,
er solle bleiben, wo er ist, denn er habe
Deutschland zugrunde gerichtet, 1914 an¬
gefangen und nicht rechtzeitig aufgehört. --
Ansichtssache! Durch solchen "Leitartikel" ge¬
winnt man jedenfalls etwas sehr wichtiges,
nämlich eine "ziehende" Überschrift, die natür¬
lich "Des Kaisers Rückkehr nach Berlin"
heißt. Dieselbe Melodie des Monarchen¬
henkers Wird auf der zweiten-letzten Seite
variiert, wo "Danton" in Poetisch gar nicht
übler Form, dafür inhaltlich den sadistischen
Haß der Boulevardpresse fast noch über-
bietend, die Flüche der Toten, den Jammer
Ahasverus' auf das Haupt Wilhelms des
"Zweiten heravwünscht. Folgt die "Galgen¬
tribüne", eine Art "Sprechsaal", in dem die
Zuschrift eines Offiziers an die Redaktion,
die dieser Katze die Schelle umhängt, ab¬
gedruckt wird. "Ihr Blatt ist Schmutz und
Unmoral, lassen Sie uns zufrieden mit Ihren
blödsinnigen Ideen", heißt es da. "Wir
danken dem Herrn Leutnant vielmals für
seine interessanten Ausführungen," quittiert
grinsend Herr Plessner. Unter dem Strich
gibt's dann, auf das alle Instinkte der Leser¬
welt zu ihrem Rechte kommen, eine Artikel¬
serie von "Prof. G. Hardy" über Abtreibung,
Schwangerschaft und dergl. Seltsam mutet
in dieser Umgebung das Gedicht Watzmanns,
des Gründers , der "Deutschen Sozial¬
aristokratie", über die "wahre Freiheit" an:
Das ist die wahre Freiheit nicht, die jeden
Reichen haßt, die jeden Lumpen Bruder

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schimpft, weil er sein Geld verpraßt. Die
wahre Freiheit fordert nur, daß gleiches Recht
gedeih', doch nicht, daß jeder Diener Herr,
und umgekehrt es sei. So lange eine Welt
besteht, so lang gibt's arm und reich, kein
Boltsstaat, keine Republik, macht alle Men¬
schen gleich." Armes kleines Lied, es tut mi.r
weh, daß ich dich in der Gesellschaft fehl

Und doch ist sie noch vornehm gegenüber
dem "Geiste", der in der "Freien Presse" des
Herrn Hans Bahr sich austobt. Sie stellt alles
andere in den Schatten, selbst Liebknechts Leib¬
organ kann einpacken, denn sie ist die "Wochen¬
schrift für schrankenlose Freiheit". Endlich
ist's erreicht, das herrliche Ziel der Revo¬
lution. Der normale sekundärer' begreift
allerdings schon die in jenem Ausdruck liegende
coiNraclictio in scijöcto, aber Herr Bähr ist
über dergleichen Schulweisheit erhaben. Da
sein zweiter Redaktionswahlspruch "rücksicht¬
lose Bestrafung der Militaristen und Vvlts-
verräter" verkündet, so ist es ganz in der
Ordnung, wenn sich die Hauptartikel "Freie
Liebe" und "Fordert die Köpfe der Schuldigen
am Kriege" betiteln. Der Jugend beiderlei
Geschlechts ruft dieser Ehrenmann zu: "Atmet
auf und Vergällt euch die euch beschiedene
kurze Lebensfreude nicht durch die Angst vor
den eventuellen Folgen eures Liebesverkehrs:
denn niemand kann mehr über eure Körper
verfügen und euch zwingen, gegen euren
Willen Bater- und Mutierpflichten zu über¬
nehmen." Selbstverständlich; das um zwei
Millionen Männer geschwächte Deutschland
kann sich jetzt ohne weiteres die Segmingen
des Fiudelhaussystems n Is pgris leisten.
Sollten sich trotzdem Mißstände ergeben, so hilft
gewiß Herr Wyneken weiter. -- Die Schuld¬
frage beim Weltkriege findet die übliche
scharfsinnige Lösung. Wenigstens die "Haupt-'
schuldigen" müssen vom Leben zuni Tode
befördert werden, wie Herr Bähr in anmutigen
Hintertreppendeutsch sich ausdrückt, den "Mit¬
schuldigen" gebührt Zwangsarbeit in Belgien,
Frankreich und Galizien. Erst bleiben die
Massenmörder anonym, doch bald fällt das
Stichwort: "Junker, Militaristen, Nüstungs-
industrielle." Wär' der Gedanke nicht ver¬
wünscht gescheit, man könnte über die trostlose
Einfalt des Skribenten lächeln. -- Junker
und Militaristen kommen noch einmal unter

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gewöhnlichen" Preis von fünfzehn Neichs-
pfennigen verdeutlicht, (Wenn dieser Preis
nicht mit dem Notschrei, sofort zu abonnieren,
um ein dauerndes Bestehen der „Zeitschrift"
zu ermöglichen, zusammenhängt!) Die mir
vorliegende Ur. S hat es auf den früheren
Kaiser abgesehen. Warum auch nicht, seine
Person ist moralisch vogelfrei; am Gitter des
Berliner Schlosses bieten jetzt Händler und
Händlerinnen, armselige Karikaturen auf die
Hohenzollern seil wie früher ihre Photo¬
graphien. Geschäft ist Geschäft I Der Kaiser
also hat an die „Deutsche Sozialaristokratie
zu Händen des Galgen" ein Telegramm
gerichtet, das; er sich der Regierung Ebert-
Haase zur Verfügung stelle. Großartiger
Witz, nicht Wahr? Und da wirb ihm denn
vom „Henker" mit freienr Gruße erwidert,
er solle bleiben, wo er ist, denn er habe
Deutschland zugrunde gerichtet, 1914 an¬
gefangen und nicht rechtzeitig aufgehört. —
Ansichtssache! Durch solchen „Leitartikel" ge¬
winnt man jedenfalls etwas sehr wichtiges,
nämlich eine „ziehende" Überschrift, die natür¬
lich „Des Kaisers Rückkehr nach Berlin"
heißt. Dieselbe Melodie des Monarchen¬
henkers Wird auf der zweiten-letzten Seite
variiert, wo „Danton" in Poetisch gar nicht
übler Form, dafür inhaltlich den sadistischen
Haß der Boulevardpresse fast noch über-
bietend, die Flüche der Toten, den Jammer
Ahasverus' auf das Haupt Wilhelms des
„Zweiten heravwünscht. Folgt die „Galgen¬
tribüne", eine Art „Sprechsaal", in dem die
Zuschrift eines Offiziers an die Redaktion,
die dieser Katze die Schelle umhängt, ab¬
gedruckt wird. „Ihr Blatt ist Schmutz und
Unmoral, lassen Sie uns zufrieden mit Ihren
blödsinnigen Ideen", heißt es da. „Wir
danken dem Herrn Leutnant vielmals für
seine interessanten Ausführungen," quittiert
grinsend Herr Plessner. Unter dem Strich
gibt's dann, auf das alle Instinkte der Leser¬
welt zu ihrem Rechte kommen, eine Artikel¬
serie von „Prof. G. Hardy" über Abtreibung,
Schwangerschaft und dergl. Seltsam mutet
in dieser Umgebung das Gedicht Watzmanns,
des Gründers , der „Deutschen Sozial¬
aristokratie", über die „wahre Freiheit" an:
Das ist die wahre Freiheit nicht, die jeden
Reichen haßt, die jeden Lumpen Bruder

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schimpft, weil er sein Geld verpraßt. Die
wahre Freiheit fordert nur, daß gleiches Recht
gedeih', doch nicht, daß jeder Diener Herr,
und umgekehrt es sei. So lange eine Welt
besteht, so lang gibt's arm und reich, kein
Boltsstaat, keine Republik, macht alle Men¬
schen gleich." Armes kleines Lied, es tut mi.r
weh, daß ich dich in der Gesellschaft fehl

Und doch ist sie noch vornehm gegenüber
dem „Geiste", der in der „Freien Presse" des
Herrn Hans Bahr sich austobt. Sie stellt alles
andere in den Schatten, selbst Liebknechts Leib¬
organ kann einpacken, denn sie ist die „Wochen¬
schrift für schrankenlose Freiheit". Endlich
ist's erreicht, das herrliche Ziel der Revo¬
lution. Der normale sekundärer' begreift
allerdings schon die in jenem Ausdruck liegende
coiNraclictio in scijöcto, aber Herr Bähr ist
über dergleichen Schulweisheit erhaben. Da
sein zweiter Redaktionswahlspruch „rücksicht¬
lose Bestrafung der Militaristen und Vvlts-
verräter" verkündet, so ist es ganz in der
Ordnung, wenn sich die Hauptartikel „Freie
Liebe" und „Fordert die Köpfe der Schuldigen
am Kriege" betiteln. Der Jugend beiderlei
Geschlechts ruft dieser Ehrenmann zu: „Atmet
auf und Vergällt euch die euch beschiedene
kurze Lebensfreude nicht durch die Angst vor
den eventuellen Folgen eures Liebesverkehrs:
denn niemand kann mehr über eure Körper
verfügen und euch zwingen, gegen euren
Willen Bater- und Mutierpflichten zu über¬
nehmen." Selbstverständlich; das um zwei
Millionen Männer geschwächte Deutschland
kann sich jetzt ohne weiteres die Segmingen
des Fiudelhaussystems n Is pgris leisten.
Sollten sich trotzdem Mißstände ergeben, so hilft
gewiß Herr Wyneken weiter. — Die Schuld¬
frage beim Weltkriege findet die übliche
scharfsinnige Lösung. Wenigstens die „Haupt-'
schuldigen" müssen vom Leben zuni Tode
befördert werden, wie Herr Bähr in anmutigen
Hintertreppendeutsch sich ausdrückt, den „Mit¬
schuldigen" gebührt Zwangsarbeit in Belgien,
Frankreich und Galizien. Erst bleiben die
Massenmörder anonym, doch bald fällt das
Stichwort: „Junker, Militaristen, Nüstungs-
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wünscht gescheit, man könnte über die trostlose
Einfalt des Skribenten lächeln. — Junker
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[0071] Maßgebliches und Unmaßgebliches gewöhnlichen" Preis von fünfzehn Neichs- pfennigen verdeutlicht, (Wenn dieser Preis nicht mit dem Notschrei, sofort zu abonnieren, um ein dauerndes Bestehen der „Zeitschrift" zu ermöglichen, zusammenhängt!) Die mir vorliegende Ur. S hat es auf den früheren Kaiser abgesehen. Warum auch nicht, seine Person ist moralisch vogelfrei; am Gitter des Berliner Schlosses bieten jetzt Händler und Händlerinnen, armselige Karikaturen auf die Hohenzollern seil wie früher ihre Photo¬ graphien. Geschäft ist Geschäft I Der Kaiser also hat an die „Deutsche Sozialaristokratie zu Händen des Galgen" ein Telegramm gerichtet, das; er sich der Regierung Ebert- Haase zur Verfügung stelle. Großartiger Witz, nicht Wahr? Und da wirb ihm denn vom „Henker" mit freienr Gruße erwidert, er solle bleiben, wo er ist, denn er habe Deutschland zugrunde gerichtet, 1914 an¬ gefangen und nicht rechtzeitig aufgehört. — Ansichtssache! Durch solchen „Leitartikel" ge¬ winnt man jedenfalls etwas sehr wichtiges, nämlich eine „ziehende" Überschrift, die natür¬ lich „Des Kaisers Rückkehr nach Berlin" heißt. Dieselbe Melodie des Monarchen¬ henkers Wird auf der zweiten-letzten Seite variiert, wo „Danton" in Poetisch gar nicht übler Form, dafür inhaltlich den sadistischen Haß der Boulevardpresse fast noch über- bietend, die Flüche der Toten, den Jammer Ahasverus' auf das Haupt Wilhelms des „Zweiten heravwünscht. Folgt die „Galgen¬ tribüne", eine Art „Sprechsaal", in dem die Zuschrift eines Offiziers an die Redaktion, die dieser Katze die Schelle umhängt, ab¬ gedruckt wird. „Ihr Blatt ist Schmutz und Unmoral, lassen Sie uns zufrieden mit Ihren blödsinnigen Ideen", heißt es da. „Wir danken dem Herrn Leutnant vielmals für seine interessanten Ausführungen," quittiert grinsend Herr Plessner. Unter dem Strich gibt's dann, auf das alle Instinkte der Leser¬ welt zu ihrem Rechte kommen, eine Artikel¬ serie von „Prof. G. Hardy" über Abtreibung, Schwangerschaft und dergl. Seltsam mutet in dieser Umgebung das Gedicht Watzmanns, des Gründers , der „Deutschen Sozial¬ aristokratie", über die „wahre Freiheit" an: Das ist die wahre Freiheit nicht, die jeden Reichen haßt, die jeden Lumpen Bruder schimpft, weil er sein Geld verpraßt. Die wahre Freiheit fordert nur, daß gleiches Recht gedeih', doch nicht, daß jeder Diener Herr, und umgekehrt es sei. So lange eine Welt besteht, so lang gibt's arm und reich, kein Boltsstaat, keine Republik, macht alle Men¬ schen gleich." Armes kleines Lied, es tut mi.r weh, daß ich dich in der Gesellschaft fehl Und doch ist sie noch vornehm gegenüber dem „Geiste", der in der „Freien Presse" des Herrn Hans Bahr sich austobt. Sie stellt alles andere in den Schatten, selbst Liebknechts Leib¬ organ kann einpacken, denn sie ist die „Wochen¬ schrift für schrankenlose Freiheit". Endlich ist's erreicht, das herrliche Ziel der Revo¬ lution. Der normale sekundärer' begreift allerdings schon die in jenem Ausdruck liegende coiNraclictio in scijöcto, aber Herr Bähr ist über dergleichen Schulweisheit erhaben. Da sein zweiter Redaktionswahlspruch „rücksicht¬ lose Bestrafung der Militaristen und Vvlts- verräter" verkündet, so ist es ganz in der Ordnung, wenn sich die Hauptartikel „Freie Liebe" und „Fordert die Köpfe der Schuldigen am Kriege" betiteln. Der Jugend beiderlei Geschlechts ruft dieser Ehrenmann zu: „Atmet auf und Vergällt euch die euch beschiedene kurze Lebensfreude nicht durch die Angst vor den eventuellen Folgen eures Liebesverkehrs: denn niemand kann mehr über eure Körper verfügen und euch zwingen, gegen euren Willen Bater- und Mutierpflichten zu über¬ nehmen." Selbstverständlich; das um zwei Millionen Männer geschwächte Deutschland kann sich jetzt ohne weiteres die Segmingen des Fiudelhaussystems n Is pgris leisten. Sollten sich trotzdem Mißstände ergeben, so hilft gewiß Herr Wyneken weiter. — Die Schuld¬ frage beim Weltkriege findet die übliche scharfsinnige Lösung. Wenigstens die „Haupt-' schuldigen" müssen vom Leben zuni Tode befördert werden, wie Herr Bähr in anmutigen Hintertreppendeutsch sich ausdrückt, den „Mit¬ schuldigen" gebührt Zwangsarbeit in Belgien, Frankreich und Galizien. Erst bleiben die Massenmörder anonym, doch bald fällt das Stichwort: „Junker, Militaristen, Nüstungs- industrielle." Wär' der Gedanke nicht ver¬ wünscht gescheit, man könnte über die trostlose Einfalt des Skribenten lächeln. — Junker und Militaristen kommen noch einmal unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/71>, abgerufen am 05.02.2025.