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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Gegenaktion deS Zentrums in Oberschlesien,
in Westfalen und im Rheinland hat nämlich
aufrüttelnd gewirkt, zumal der Massenabmarsch
der katholischen Arbeiterschaft aus dem Zen¬
trumslager zur Sozialdsmokratie, wie Haenisch
sagt, ins Stocken geraten ist, seit die führen¬
den Zentrumslcute ihren Gläubigen den
"Popanz" dieses "neuen Kulturkampfes" an
die Wand malen konnten. Wollte Haenisch
die Sachlage mit völlig nackten Worten kenn¬
zeichnen, so müßte er sagen: wir haben uns
in der strategischen Lage getauscht, so wie es
anderen größeren Geistern Passiert ist. In
der Verkennung der religiösen Gesinnung
weitester Volkskreise lag der politische Fehler
der Revolutionäre des Geistes und derer,
die ihnen nicht in den Arm fielen. In ihrem
siegesgewisser Rationalismus haben sie über¬
sehen, das; auch im Primitiven Menschen die
Ahnung von den Grenzen menschlicher Er¬
kenntnis wirkt, und das; er gerade dort, wo
nur ein Glauben und Hoffen die Rätsel des
Lebens löst, den Halt in seinem Kampfe
findet. Über die Bedeutung der Trennung
von Kirche und Staat können sich Wohl die
wenigsten Rechenschaft geben, handelt eS sich
doch hier um ein sehr kompliziertes Problem.
Wer wenn in den Schulen leine Weihnachts¬
lieder gesungen werden, das Schulgebet fort¬
fällt oder seine Beibehaltung von der Ab¬
stimmung unreifer Schüler abhängig gemacht
wird, so weiß auch der einfache Mann und
erst recht die Frau aus dem Volke, was die
Glocke geschlagen hat, und daß hier nicht der
verkehrte Wille eines einzelnen wirksam ist.
Der "Popanz" der Neligionsfeindschnft un¬
serer neuen Kulturverwaliung, die doch nicht
von Gottes, sondern von Proletarier Gnaden
eingesetzt ist, braucht wahrhaftig nicht erfunden
zu worden. Mag Haenisch jetzt betonen, daß
die Trennung der Kirche vom Staat vor der
Nationalversammlung nicht vorgenommen
werden wird, daß gewisse Maßnahmen, z. B.
die Aufhebung der geistlichen Achulaufsicht schon
jetzt gutgeheißen werden mußten, lediglich um
größeres Unheil zu verhüten, das durch den
Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräts
hätte angestiftet werden können, und daß er ent¬
schlossen ist, die Durchführung des Erlasses
über den Religionsunterricht überall dort,
wo sich ihr ernste Schwierigkeiten entgegen¬

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stellen, bis zur Entscheidung durch die National¬
versammlung aufzuschieben, so muß doch fest¬
gehalten werden, daß diese Konzessionen an
die öffentliche Meinung doch nur aus Gründen
der Staatsraison, d. h. im Interesse der
sozialdemokratischen Partei gemacht werden,
und daß selbst für den verständigen Haenisch
die Erlasse als solche, ihrem geistigen Gehalte
nach, durchaus aufrecht zu erhalten sind.
Der Neligionserlaß z. B. enthält nach seinen
eigenen Worten nur Selbstverständliches,
nämlich die Herstellung unbedingter religiöser
Gewissensfreiheit für Lehrer und Schüler.
Es braucht an dieser Stelle nicht ausdrück¬
lich betont zu werden, daß man über die
Gewissensfreiheit unreifer Kinder auch ander-S
denken kann, daß für uns erziehen empor-
ziehen bedeutet, auch dort, wo altkluges
Selbstbewußtsein über letzte Dinge zu urteilen
sich vermißt. Hier erst recht. Aber wie dein
auch sei. Wir begrüßen mit Freude die im
deutschen Volke allgemein auflodernde Em¬
pörung über tölpelhafte Vergewaltigung im
Namen der Freiheit, über verständnislose
Dünkelhaftigkeit in der Behandlung von
Fragen des kulturellen Lebens und Haenisch
wird es nicht gelingen, durch Verurteilung
und Rechtfertigung im eigenen Lager selbst
unter Preisgabe seiner Person die naiven
Selbstoffenbarungen des neuesten Kurses zu
löschen und uns zu überzeugen, daß wir gegen
ein Phantom im Kampfe stehen. "Die ich
rief, die Geister, werd ich nun nicht löst"^

DaS deutsche Heldentum in den Befrei¬
ungskriegen. Im zweiten Augustheft der
"Österreichischen Rundschau" behandelt Dr.
Edwin Rottele <Wien) "Die Entwicklung des
deutschen Heldenideals". Nachdem der Ver¬
fasser einleitend die Unterschiede zwischen
römischen, griechischen und germanischen Helden¬
typus beleuchtet und die Einheitlichkeit des
deutschen Ideals von der Völkerwnnderungs-
zeit bis zum Ende des achtzehnten Jahrhun¬
derts dargestellt, schreibt er, aufdieBefreiungs-
iriege übergehend:

"Als kaum nachdem Schillers großes Lied
erklungen, das Herz des Volkes wirklich in
den Staub getreten ward und in Jahren sich
nicht zu finden wußte, da tauchte neuerdings
und stärker als in der Sturm- und Drnng-
zeit der nationale Einheitsgedanke wieder auf.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Gegenaktion deS Zentrums in Oberschlesien,
in Westfalen und im Rheinland hat nämlich
aufrüttelnd gewirkt, zumal der Massenabmarsch
der katholischen Arbeiterschaft aus dem Zen¬
trumslager zur Sozialdsmokratie, wie Haenisch
sagt, ins Stocken geraten ist, seit die führen¬
den Zentrumslcute ihren Gläubigen den
„Popanz" dieses „neuen Kulturkampfes" an
die Wand malen konnten. Wollte Haenisch
die Sachlage mit völlig nackten Worten kenn¬
zeichnen, so müßte er sagen: wir haben uns
in der strategischen Lage getauscht, so wie es
anderen größeren Geistern Passiert ist. In
der Verkennung der religiösen Gesinnung
weitester Volkskreise lag der politische Fehler
der Revolutionäre des Geistes und derer,
die ihnen nicht in den Arm fielen. In ihrem
siegesgewisser Rationalismus haben sie über¬
sehen, das; auch im Primitiven Menschen die
Ahnung von den Grenzen menschlicher Er¬
kenntnis wirkt, und das; er gerade dort, wo
nur ein Glauben und Hoffen die Rätsel des
Lebens löst, den Halt in seinem Kampfe
findet. Über die Bedeutung der Trennung
von Kirche und Staat können sich Wohl die
wenigsten Rechenschaft geben, handelt eS sich
doch hier um ein sehr kompliziertes Problem.
Wer wenn in den Schulen leine Weihnachts¬
lieder gesungen werden, das Schulgebet fort¬
fällt oder seine Beibehaltung von der Ab¬
stimmung unreifer Schüler abhängig gemacht
wird, so weiß auch der einfache Mann und
erst recht die Frau aus dem Volke, was die
Glocke geschlagen hat, und daß hier nicht der
verkehrte Wille eines einzelnen wirksam ist.
Der „Popanz" der Neligionsfeindschnft un¬
serer neuen Kulturverwaliung, die doch nicht
von Gottes, sondern von Proletarier Gnaden
eingesetzt ist, braucht wahrhaftig nicht erfunden
zu worden. Mag Haenisch jetzt betonen, daß
die Trennung der Kirche vom Staat vor der
Nationalversammlung nicht vorgenommen
werden wird, daß gewisse Maßnahmen, z. B.
die Aufhebung der geistlichen Achulaufsicht schon
jetzt gutgeheißen werden mußten, lediglich um
größeres Unheil zu verhüten, das durch den
Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräts
hätte angestiftet werden können, und daß er ent¬
schlossen ist, die Durchführung des Erlasses
über den Religionsunterricht überall dort,
wo sich ihr ernste Schwierigkeiten entgegen¬

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stellen, bis zur Entscheidung durch die National¬
versammlung aufzuschieben, so muß doch fest¬
gehalten werden, daß diese Konzessionen an
die öffentliche Meinung doch nur aus Gründen
der Staatsraison, d. h. im Interesse der
sozialdemokratischen Partei gemacht werden,
und daß selbst für den verständigen Haenisch
die Erlasse als solche, ihrem geistigen Gehalte
nach, durchaus aufrecht zu erhalten sind.
Der Neligionserlaß z. B. enthält nach seinen
eigenen Worten nur Selbstverständliches,
nämlich die Herstellung unbedingter religiöser
Gewissensfreiheit für Lehrer und Schüler.
Es braucht an dieser Stelle nicht ausdrück¬
lich betont zu werden, daß man über die
Gewissensfreiheit unreifer Kinder auch ander-S
denken kann, daß für uns erziehen empor-
ziehen bedeutet, auch dort, wo altkluges
Selbstbewußtsein über letzte Dinge zu urteilen
sich vermißt. Hier erst recht. Aber wie dein
auch sei. Wir begrüßen mit Freude die im
deutschen Volke allgemein auflodernde Em¬
pörung über tölpelhafte Vergewaltigung im
Namen der Freiheit, über verständnislose
Dünkelhaftigkeit in der Behandlung von
Fragen des kulturellen Lebens und Haenisch
wird es nicht gelingen, durch Verurteilung
und Rechtfertigung im eigenen Lager selbst
unter Preisgabe seiner Person die naiven
Selbstoffenbarungen des neuesten Kurses zu
löschen und uns zu überzeugen, daß wir gegen
ein Phantom im Kampfe stehen. „Die ich
rief, die Geister, werd ich nun nicht löst"^

DaS deutsche Heldentum in den Befrei¬
ungskriegen. Im zweiten Augustheft der
„Österreichischen Rundschau" behandelt Dr.
Edwin Rottele <Wien) „Die Entwicklung des
deutschen Heldenideals". Nachdem der Ver¬
fasser einleitend die Unterschiede zwischen
römischen, griechischen und germanischen Helden¬
typus beleuchtet und die Einheitlichkeit des
deutschen Ideals von der Völkerwnnderungs-
zeit bis zum Ende des achtzehnten Jahrhun¬
derts dargestellt, schreibt er, aufdieBefreiungs-
iriege übergehend:

„Als kaum nachdem Schillers großes Lied
erklungen, das Herz des Volkes wirklich in
den Staub getreten ward und in Jahren sich
nicht zu finden wußte, da tauchte neuerdings
und stärker als in der Sturm- und Drnng-
zeit der nationale Einheitsgedanke wieder auf.

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[0038] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gegenaktion deS Zentrums in Oberschlesien, in Westfalen und im Rheinland hat nämlich aufrüttelnd gewirkt, zumal der Massenabmarsch der katholischen Arbeiterschaft aus dem Zen¬ trumslager zur Sozialdsmokratie, wie Haenisch sagt, ins Stocken geraten ist, seit die führen¬ den Zentrumslcute ihren Gläubigen den „Popanz" dieses „neuen Kulturkampfes" an die Wand malen konnten. Wollte Haenisch die Sachlage mit völlig nackten Worten kenn¬ zeichnen, so müßte er sagen: wir haben uns in der strategischen Lage getauscht, so wie es anderen größeren Geistern Passiert ist. In der Verkennung der religiösen Gesinnung weitester Volkskreise lag der politische Fehler der Revolutionäre des Geistes und derer, die ihnen nicht in den Arm fielen. In ihrem siegesgewisser Rationalismus haben sie über¬ sehen, das; auch im Primitiven Menschen die Ahnung von den Grenzen menschlicher Er¬ kenntnis wirkt, und das; er gerade dort, wo nur ein Glauben und Hoffen die Rätsel des Lebens löst, den Halt in seinem Kampfe findet. Über die Bedeutung der Trennung von Kirche und Staat können sich Wohl die wenigsten Rechenschaft geben, handelt eS sich doch hier um ein sehr kompliziertes Problem. Wer wenn in den Schulen leine Weihnachts¬ lieder gesungen werden, das Schulgebet fort¬ fällt oder seine Beibehaltung von der Ab¬ stimmung unreifer Schüler abhängig gemacht wird, so weiß auch der einfache Mann und erst recht die Frau aus dem Volke, was die Glocke geschlagen hat, und daß hier nicht der verkehrte Wille eines einzelnen wirksam ist. Der „Popanz" der Neligionsfeindschnft un¬ serer neuen Kulturverwaliung, die doch nicht von Gottes, sondern von Proletarier Gnaden eingesetzt ist, braucht wahrhaftig nicht erfunden zu worden. Mag Haenisch jetzt betonen, daß die Trennung der Kirche vom Staat vor der Nationalversammlung nicht vorgenommen werden wird, daß gewisse Maßnahmen, z. B. die Aufhebung der geistlichen Achulaufsicht schon jetzt gutgeheißen werden mußten, lediglich um größeres Unheil zu verhüten, das durch den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräts hätte angestiftet werden können, und daß er ent¬ schlossen ist, die Durchführung des Erlasses über den Religionsunterricht überall dort, wo sich ihr ernste Schwierigkeiten entgegen¬ stellen, bis zur Entscheidung durch die National¬ versammlung aufzuschieben, so muß doch fest¬ gehalten werden, daß diese Konzessionen an die öffentliche Meinung doch nur aus Gründen der Staatsraison, d. h. im Interesse der sozialdemokratischen Partei gemacht werden, und daß selbst für den verständigen Haenisch die Erlasse als solche, ihrem geistigen Gehalte nach, durchaus aufrecht zu erhalten sind. Der Neligionserlaß z. B. enthält nach seinen eigenen Worten nur Selbstverständliches, nämlich die Herstellung unbedingter religiöser Gewissensfreiheit für Lehrer und Schüler. Es braucht an dieser Stelle nicht ausdrück¬ lich betont zu werden, daß man über die Gewissensfreiheit unreifer Kinder auch ander-S denken kann, daß für uns erziehen empor- ziehen bedeutet, auch dort, wo altkluges Selbstbewußtsein über letzte Dinge zu urteilen sich vermißt. Hier erst recht. Aber wie dein auch sei. Wir begrüßen mit Freude die im deutschen Volke allgemein auflodernde Em¬ pörung über tölpelhafte Vergewaltigung im Namen der Freiheit, über verständnislose Dünkelhaftigkeit in der Behandlung von Fragen des kulturellen Lebens und Haenisch wird es nicht gelingen, durch Verurteilung und Rechtfertigung im eigenen Lager selbst unter Preisgabe seiner Person die naiven Selbstoffenbarungen des neuesten Kurses zu löschen und uns zu überzeugen, daß wir gegen ein Phantom im Kampfe stehen. „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht löst"^ DaS deutsche Heldentum in den Befrei¬ ungskriegen. Im zweiten Augustheft der „Österreichischen Rundschau" behandelt Dr. Edwin Rottele <Wien) „Die Entwicklung des deutschen Heldenideals". Nachdem der Ver¬ fasser einleitend die Unterschiede zwischen römischen, griechischen und germanischen Helden¬ typus beleuchtet und die Einheitlichkeit des deutschen Ideals von der Völkerwnnderungs- zeit bis zum Ende des achtzehnten Jahrhun¬ derts dargestellt, schreibt er, aufdieBefreiungs- iriege übergehend: „Als kaum nachdem Schillers großes Lied erklungen, das Herz des Volkes wirklich in den Staub getreten ward und in Jahren sich nicht zu finden wußte, da tauchte neuerdings und stärker als in der Sturm- und Drnng- zeit der nationale Einheitsgedanke wieder auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/38>, abgerufen am 05.02.2025.