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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Der Rätegedanke

Wir können jetzt zusammenfassen. Diktatur des Proletariats in dem Sinne,
daß nur das handarbeiteude Volk, oder nur Mitglieder der sozialdemokratischen
Parteien regieren dürfen, bleibt sür uns undiskutabel. Das gerecht durchgeführte
Rätesystem, das heißt die Zusammensetzung der Zentralgewalt aus Vertretern der
Berufe statt geographisch begrenzter Wahlkreise, hat gegenüber dem einfachen
Parlamentarismus gewisse Nachteile und keinerlei Vorzüge. Wir finden daher
keinen Grund, das Rätesystem an die Stelle des Parlamentarismus zu setzen.
Kommt es aber doch dazu, oder legt der politische Takt es nahe, diese Konzession
an den Willen aufgeregter Massen zu machen, so sehen wir andererseits auch
keinen Anlaß, uns vor dem Nätesystem als vor dem schwarzen Mann zu fürchten.
Sehr viel anders als die allgemeine, gleiche und geheime Wahl unseres Parla-
mentarismus wird es auch nicht wirken; das eine wie das andere stellt ein
Filtriersystcm dar, um aus den Millionen der Namenlosen ein paar hundert
Führer auszuseien; das eine wie das andere wird mit leidlicher Zuverlässigkeit
funktionieren, wird leicht den Blender, Schwätzer und Demagogen an die Ober¬
fläche heben und das Genie nur durch Zufall finden. Man könnte also den
Massen sagen: Wenn ihr durchaus wollt -- meinethalben! Und könnte die
Weisheit für sich behalten, daß der Glaube des Volkes, mit dem Rätesystem das
große Glück zu verwuklichen, sich genau so als Aberglaube entpuppen und die
große Enttäuschung bringen wird, wie irgendein anderes System. Denn wir
wissen, was das Volk nie begreifen wird: daß alle Politik sich mit dem Unwesent¬
lichen und Vorläufigen befaßt,,, daß es sich bei allen politischen Umwälzungen nur
darum handelt, das lästig Außenlade die'es Lebens ein bißchen besser oder ein
bißchen schlechter zu betreiben; daß aber alles, worauf es ankommt, in einer ganz
anderen Sphäre sich abspielt.

In Bezug auf die Frage des Nätesystems in dem bis hierher ihm beigelegten
Sinne müssen wir also bekennen, daß wir weder warm noch kalt sind, sondern
lau. Und wenn die Sache damit erledigt wäre, so hätten wir uns den langen
Weg el sparen können. Allein der Rätegedan ke hat noch einen anderen Inhalt,
und zu ihm bekennen wir uns jetzt mit Leidenschaft.

' Es gehört nach unserer Meinung zu den unverlierbaren Errungenschaften
der Revolution vom 9. November, der Verkündung der Menschenrechte durch die
große französische Revolution vergleichbar: daß niemals mehr die Wenigen den
Vielen befehlen dürfen, ohne daß die Vielen die Möglichlichkeit siben, von Rechts
wegen ihre Stimme beratend und beschließend miizuerheben. Es lugt zwar, wie
es scheint, unveränderlich begründet in der Beschränktheit der menschlichen Natur,
daß wir, um miteinander leben und wirken zu können, der Organisation bedürfen;
daß Organisation nicht möglich ist anßer nach dein Schema der Über- und Unter¬
ordnung; daß also befohlen und gehorcht werden muß. und zwar, in allen ent¬
scheidenden Situationen, unbedingt befohlen und blind gehorcht. Allein eben weil
nicht auszukommen ist, ohne daß einzelne Macht haben, und weil die Kreatur zu
gebrechlich ist, um das Göttcrgeschenk der Macht in unversehrten Händen zu tragen,
darum muß der Macht die Machikontrolle entgegengesetzt werden. Die Form
dieser Kontrollorgane hat uns die Revolution spontan geschenkt, in der Gestalt
der Räte. Wie ihre Kompetenzen abzuleiten sind gegen die Selbständigkeit und
Verantwortlichkeit der Leitung, ist eine Frage der Organisation; sie bleibt theo-
reiischer Eröiterung und praktischem Ausprobieren noch auf lange Zeit überlassen.
Das Prinzip selbst ist errungen und darf nicht wieder verloren gehen Wie war
es vor dusem Sonnenaufgangs Man konnte im Felde nicht ganz selten erzählen
hören: "Unser Nachbart>ata>lion hat ruhige Tage. Wir haben fortwährend schwere
Verluste: denn uns r Major will das Eiserne erster haben und treibt uns ohne
Schonung zu Sturmangriffen." Vielleicht irrten sie sich; andrerseits -- wer begriffe
das nicht? -- soll dem einmal gegebenen Befehl zum Angriff unbedingt gehorcht
werden. Aber es muß eine legale Möglichkeit geben für jene, die den blutigen
Schaden zu tragen haben, solchen Verdacht zur Sprache zu bringen und Piüfung
und Ablösung durchzusetzen. Wo gab es bisher Schutz gegen die brutale Abhängig-
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Der Rätegedanke

Wir können jetzt zusammenfassen. Diktatur des Proletariats in dem Sinne,
daß nur das handarbeiteude Volk, oder nur Mitglieder der sozialdemokratischen
Parteien regieren dürfen, bleibt sür uns undiskutabel. Das gerecht durchgeführte
Rätesystem, das heißt die Zusammensetzung der Zentralgewalt aus Vertretern der
Berufe statt geographisch begrenzter Wahlkreise, hat gegenüber dem einfachen
Parlamentarismus gewisse Nachteile und keinerlei Vorzüge. Wir finden daher
keinen Grund, das Rätesystem an die Stelle des Parlamentarismus zu setzen.
Kommt es aber doch dazu, oder legt der politische Takt es nahe, diese Konzession
an den Willen aufgeregter Massen zu machen, so sehen wir andererseits auch
keinen Anlaß, uns vor dem Nätesystem als vor dem schwarzen Mann zu fürchten.
Sehr viel anders als die allgemeine, gleiche und geheime Wahl unseres Parla-
mentarismus wird es auch nicht wirken; das eine wie das andere stellt ein
Filtriersystcm dar, um aus den Millionen der Namenlosen ein paar hundert
Führer auszuseien; das eine wie das andere wird mit leidlicher Zuverlässigkeit
funktionieren, wird leicht den Blender, Schwätzer und Demagogen an die Ober¬
fläche heben und das Genie nur durch Zufall finden. Man könnte also den
Massen sagen: Wenn ihr durchaus wollt — meinethalben! Und könnte die
Weisheit für sich behalten, daß der Glaube des Volkes, mit dem Rätesystem das
große Glück zu verwuklichen, sich genau so als Aberglaube entpuppen und die
große Enttäuschung bringen wird, wie irgendein anderes System. Denn wir
wissen, was das Volk nie begreifen wird: daß alle Politik sich mit dem Unwesent¬
lichen und Vorläufigen befaßt,,, daß es sich bei allen politischen Umwälzungen nur
darum handelt, das lästig Außenlade die'es Lebens ein bißchen besser oder ein
bißchen schlechter zu betreiben; daß aber alles, worauf es ankommt, in einer ganz
anderen Sphäre sich abspielt.

In Bezug auf die Frage des Nätesystems in dem bis hierher ihm beigelegten
Sinne müssen wir also bekennen, daß wir weder warm noch kalt sind, sondern
lau. Und wenn die Sache damit erledigt wäre, so hätten wir uns den langen
Weg el sparen können. Allein der Rätegedan ke hat noch einen anderen Inhalt,
und zu ihm bekennen wir uns jetzt mit Leidenschaft.

' Es gehört nach unserer Meinung zu den unverlierbaren Errungenschaften
der Revolution vom 9. November, der Verkündung der Menschenrechte durch die
große französische Revolution vergleichbar: daß niemals mehr die Wenigen den
Vielen befehlen dürfen, ohne daß die Vielen die Möglichlichkeit siben, von Rechts
wegen ihre Stimme beratend und beschließend miizuerheben. Es lugt zwar, wie
es scheint, unveränderlich begründet in der Beschränktheit der menschlichen Natur,
daß wir, um miteinander leben und wirken zu können, der Organisation bedürfen;
daß Organisation nicht möglich ist anßer nach dein Schema der Über- und Unter¬
ordnung; daß also befohlen und gehorcht werden muß. und zwar, in allen ent¬
scheidenden Situationen, unbedingt befohlen und blind gehorcht. Allein eben weil
nicht auszukommen ist, ohne daß einzelne Macht haben, und weil die Kreatur zu
gebrechlich ist, um das Göttcrgeschenk der Macht in unversehrten Händen zu tragen,
darum muß der Macht die Machikontrolle entgegengesetzt werden. Die Form
dieser Kontrollorgane hat uns die Revolution spontan geschenkt, in der Gestalt
der Räte. Wie ihre Kompetenzen abzuleiten sind gegen die Selbständigkeit und
Verantwortlichkeit der Leitung, ist eine Frage der Organisation; sie bleibt theo-
reiischer Eröiterung und praktischem Ausprobieren noch auf lange Zeit überlassen.
Das Prinzip selbst ist errungen und darf nicht wieder verloren gehen Wie war
es vor dusem Sonnenaufgangs Man konnte im Felde nicht ganz selten erzählen
hören: „Unser Nachbart>ata>lion hat ruhige Tage. Wir haben fortwährend schwere
Verluste: denn uns r Major will das Eiserne erster haben und treibt uns ohne
Schonung zu Sturmangriffen." Vielleicht irrten sie sich; andrerseits — wer begriffe
das nicht? — soll dem einmal gegebenen Befehl zum Angriff unbedingt gehorcht
werden. Aber es muß eine legale Möglichkeit geben für jene, die den blutigen
Schaden zu tragen haben, solchen Verdacht zur Sprache zu bringen und Piüfung
und Ablösung durchzusetzen. Wo gab es bisher Schutz gegen die brutale Abhängig-
'


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[0209] Der Rätegedanke Wir können jetzt zusammenfassen. Diktatur des Proletariats in dem Sinne, daß nur das handarbeiteude Volk, oder nur Mitglieder der sozialdemokratischen Parteien regieren dürfen, bleibt sür uns undiskutabel. Das gerecht durchgeführte Rätesystem, das heißt die Zusammensetzung der Zentralgewalt aus Vertretern der Berufe statt geographisch begrenzter Wahlkreise, hat gegenüber dem einfachen Parlamentarismus gewisse Nachteile und keinerlei Vorzüge. Wir finden daher keinen Grund, das Rätesystem an die Stelle des Parlamentarismus zu setzen. Kommt es aber doch dazu, oder legt der politische Takt es nahe, diese Konzession an den Willen aufgeregter Massen zu machen, so sehen wir andererseits auch keinen Anlaß, uns vor dem Nätesystem als vor dem schwarzen Mann zu fürchten. Sehr viel anders als die allgemeine, gleiche und geheime Wahl unseres Parla- mentarismus wird es auch nicht wirken; das eine wie das andere stellt ein Filtriersystcm dar, um aus den Millionen der Namenlosen ein paar hundert Führer auszuseien; das eine wie das andere wird mit leidlicher Zuverlässigkeit funktionieren, wird leicht den Blender, Schwätzer und Demagogen an die Ober¬ fläche heben und das Genie nur durch Zufall finden. Man könnte also den Massen sagen: Wenn ihr durchaus wollt — meinethalben! Und könnte die Weisheit für sich behalten, daß der Glaube des Volkes, mit dem Rätesystem das große Glück zu verwuklichen, sich genau so als Aberglaube entpuppen und die große Enttäuschung bringen wird, wie irgendein anderes System. Denn wir wissen, was das Volk nie begreifen wird: daß alle Politik sich mit dem Unwesent¬ lichen und Vorläufigen befaßt,,, daß es sich bei allen politischen Umwälzungen nur darum handelt, das lästig Außenlade die'es Lebens ein bißchen besser oder ein bißchen schlechter zu betreiben; daß aber alles, worauf es ankommt, in einer ganz anderen Sphäre sich abspielt. In Bezug auf die Frage des Nätesystems in dem bis hierher ihm beigelegten Sinne müssen wir also bekennen, daß wir weder warm noch kalt sind, sondern lau. Und wenn die Sache damit erledigt wäre, so hätten wir uns den langen Weg el sparen können. Allein der Rätegedan ke hat noch einen anderen Inhalt, und zu ihm bekennen wir uns jetzt mit Leidenschaft. ' Es gehört nach unserer Meinung zu den unverlierbaren Errungenschaften der Revolution vom 9. November, der Verkündung der Menschenrechte durch die große französische Revolution vergleichbar: daß niemals mehr die Wenigen den Vielen befehlen dürfen, ohne daß die Vielen die Möglichlichkeit siben, von Rechts wegen ihre Stimme beratend und beschließend miizuerheben. Es lugt zwar, wie es scheint, unveränderlich begründet in der Beschränktheit der menschlichen Natur, daß wir, um miteinander leben und wirken zu können, der Organisation bedürfen; daß Organisation nicht möglich ist anßer nach dein Schema der Über- und Unter¬ ordnung; daß also befohlen und gehorcht werden muß. und zwar, in allen ent¬ scheidenden Situationen, unbedingt befohlen und blind gehorcht. Allein eben weil nicht auszukommen ist, ohne daß einzelne Macht haben, und weil die Kreatur zu gebrechlich ist, um das Göttcrgeschenk der Macht in unversehrten Händen zu tragen, darum muß der Macht die Machikontrolle entgegengesetzt werden. Die Form dieser Kontrollorgane hat uns die Revolution spontan geschenkt, in der Gestalt der Räte. Wie ihre Kompetenzen abzuleiten sind gegen die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der Leitung, ist eine Frage der Organisation; sie bleibt theo- reiischer Eröiterung und praktischem Ausprobieren noch auf lange Zeit überlassen. Das Prinzip selbst ist errungen und darf nicht wieder verloren gehen Wie war es vor dusem Sonnenaufgangs Man konnte im Felde nicht ganz selten erzählen hören: „Unser Nachbart>ata>lion hat ruhige Tage. Wir haben fortwährend schwere Verluste: denn uns r Major will das Eiserne erster haben und treibt uns ohne Schonung zu Sturmangriffen." Vielleicht irrten sie sich; andrerseits — wer begriffe das nicht? — soll dem einmal gegebenen Befehl zum Angriff unbedingt gehorcht werden. Aber es muß eine legale Möglichkeit geben für jene, die den blutigen Schaden zu tragen haben, solchen Verdacht zur Sprache zu bringen und Piüfung und Ablösung durchzusetzen. Wo gab es bisher Schutz gegen die brutale Abhängig- ' 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/209>, abgerufen am 05.02.2025.