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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Intervention deutlicher hervor. Der vielgenannte Walter Rathenau hat in einer
seiner Schriften dargelegt, Wie die Von ihm angeregte und als dringlich
empfohlene Errichtung einer Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegs¬
ministerium den Ausgangspunkt für die Begründung einer stetig sich vergrößern¬
den Zahl von kriegswirtschaftlichen Gesellschaften wurde, deren Zuständigkeiten
bald über die wichtigsten Teile der Industrie sich erstreckten und an die Stelle der
freien Wirtschaft den regulierten Verkehr setzten. Dieser neugeschaffene Kriegs-
sozialismus, seinem Wesen nach ein den Ausnahmeverhältnissen angepaßter
Staatssozialismus, durchbrach die alten Wirtschaftsordnungen und umgab die
Privatwirtschaftliche Betriebsführung mit einer Menge einschränkender
Bestimmungen. Er setzte für viele Artikel des Massenbedarfs Höchstpreise fest,
behielt sich die Verfügung über bestimmte Nahrungsmittel und Rohstoffe vor und
nahm die Befugnis zu ihrer Enteignung für sich in Anspruch.

Damit war ein Prozeß der Sozialisierung eingeleitet, wie ihn in der
kurzen Zeitspanne von einigen Monaten tiefgreifender auch eine aus den roten
Fluten unerwartet emporgetauchte Regierungsgewalt nicht hätte in Szene setzen
rönnen. Über die einzelnen Kavttel dieser uvsoiwerlnden Historie vel- V'igesell-
schaftung" ließen sich Bände schreiben, die freilich mehr von der Zeiten Not als
von einer folgerichtigen Entwicklung der produktiven Volkskräfte zeugen würden.
Es galt, das Prinzip des Durchhaltens bis zu den letzten Phasen zu verwirklichen,
ohne sich dabei vom Gedanken beirren zu lassen, daß man einer sozialistischen
Wirtschaftsordnung dadurch vielleicht neue Fußsteige eröffnete. Die Umstellung
der Volkswirtschaft erfolgte einzig unter dem Gesichtswinkel "der bestmöglichen
Befriedigung der ins Ungeheuerliche anwachsenden Kriegsbedürfnisse. Rathenau
schreibt: "Jetzt mußten n"e Rohstoffe des Landes Zwangsläufig werden, nichts
mehr durfte eigenem Willen und eigener Willkür folgen, jeder'Stoff und jedes
Halbprodukt mußte so fließen, daß nichts in die Wege des Luxus oder des neben¬
sächlichen Bedarfs gelangte; ihr Weg mußte gewaltsam eingedämmt werden, so
daß sie selbsttätig in diejenigen Endprodukte und Verwendungsformen mündeten,
die das Heer brauchte." Dazu kamen weitere Aufgaben: alle verfügbaren Stoffe
aus dem neutralen Auslande oder durch Beitreibung aus dem besetzten Gebiete
ins Land hineinzuziehen? ferner die Fabrikation nicht nur auf das Unentbehrliche
einzustellen, sondern zu neuen technischen Methoden anzuregen; schließlich die
schwer erhältlichen Stosse durch leichter beschaffbare zu ersetzen. Es handelte sich
also um Ausgaben, die später vom Gebiete der Rohstoffbefchaffung auf das ganze
deutsche Wirtschaftsleben übergriffen. Der staatlichen Aufficht und Lenkung
wurde aber auch das gesamte Ernührnngswesen unterworfen, ja gerade hier
wurde die zwangsweise Unterordnung der einzelnen unter die Gesamtwirtschast
mit kaum zu überbietender Genauigkeit durchgeführt. Daß die Rationierung der
Lebensmittel zur Stillung des Volkshungers nicht ausreichte und daneben der
Schleichhandel üppig wucherte, ändert nicht den gemeinwirtschaftlichen Charakter
der Versorgungseinrichtungen.

Der Kriegssozialismus war eine Anpassung an eine Um¬
formung des Wirtschaftslebens in sozialistischen Sinne, vorausgesetzt ncitür-
lich, daß das Zugeständnis in der Friedenswirtschaft nicht wieder rückgängig
gemacht wurde, vielmehr weitere Sozialisierungsakte nachfolgten. Indem der
Staat in Vertretung der Allgemeinheit über die Produktion und Verteilung der
wichtigsten Güter selbstherrlich Anordnungen erließ, unterband er den freien
Marktverkehr und die normale Preisbildung, schaltete er den Wettbewerb der
Privatwirtschaften aus und umgab den Unternehmergewinn mit einem Draht-
Mun. Das waren Auswirkungen staatssozialistischer Tendenzen, aber eine
Sozialisierung bürgerlichen Stils und -- was nicht aus den Augen verloren
werden darf! -- nicht auf die Dauer berechnet. Die Mobilmachung der Volks¬
wirtschaft für die .Kriegszwecke verlangte deren "Militarisierung", wie Professor
Edg. Jaffö diese zeitweiligen Umbildungen zusammenfassend genannt hat
n1916über

Bürgerliche Wirtschaftspolitiker haben in den Jahren 1915 ud
Wesen und Bewertung der damaligen Sozialisierung lebhafte Auseinander¬
setzungen gehabt. Zu jener Zeit konnte niemand voraussehen, zu welchem


Intervention deutlicher hervor. Der vielgenannte Walter Rathenau hat in einer
seiner Schriften dargelegt, Wie die Von ihm angeregte und als dringlich
empfohlene Errichtung einer Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegs¬
ministerium den Ausgangspunkt für die Begründung einer stetig sich vergrößern¬
den Zahl von kriegswirtschaftlichen Gesellschaften wurde, deren Zuständigkeiten
bald über die wichtigsten Teile der Industrie sich erstreckten und an die Stelle der
freien Wirtschaft den regulierten Verkehr setzten. Dieser neugeschaffene Kriegs-
sozialismus, seinem Wesen nach ein den Ausnahmeverhältnissen angepaßter
Staatssozialismus, durchbrach die alten Wirtschaftsordnungen und umgab die
Privatwirtschaftliche Betriebsführung mit einer Menge einschränkender
Bestimmungen. Er setzte für viele Artikel des Massenbedarfs Höchstpreise fest,
behielt sich die Verfügung über bestimmte Nahrungsmittel und Rohstoffe vor und
nahm die Befugnis zu ihrer Enteignung für sich in Anspruch.

Damit war ein Prozeß der Sozialisierung eingeleitet, wie ihn in der
kurzen Zeitspanne von einigen Monaten tiefgreifender auch eine aus den roten
Fluten unerwartet emporgetauchte Regierungsgewalt nicht hätte in Szene setzen
rönnen. Über die einzelnen Kavttel dieser uvsoiwerlnden Historie vel- V'igesell-
schaftung" ließen sich Bände schreiben, die freilich mehr von der Zeiten Not als
von einer folgerichtigen Entwicklung der produktiven Volkskräfte zeugen würden.
Es galt, das Prinzip des Durchhaltens bis zu den letzten Phasen zu verwirklichen,
ohne sich dabei vom Gedanken beirren zu lassen, daß man einer sozialistischen
Wirtschaftsordnung dadurch vielleicht neue Fußsteige eröffnete. Die Umstellung
der Volkswirtschaft erfolgte einzig unter dem Gesichtswinkel "der bestmöglichen
Befriedigung der ins Ungeheuerliche anwachsenden Kriegsbedürfnisse. Rathenau
schreibt: „Jetzt mußten n»e Rohstoffe des Landes Zwangsläufig werden, nichts
mehr durfte eigenem Willen und eigener Willkür folgen, jeder'Stoff und jedes
Halbprodukt mußte so fließen, daß nichts in die Wege des Luxus oder des neben¬
sächlichen Bedarfs gelangte; ihr Weg mußte gewaltsam eingedämmt werden, so
daß sie selbsttätig in diejenigen Endprodukte und Verwendungsformen mündeten,
die das Heer brauchte." Dazu kamen weitere Aufgaben: alle verfügbaren Stoffe
aus dem neutralen Auslande oder durch Beitreibung aus dem besetzten Gebiete
ins Land hineinzuziehen? ferner die Fabrikation nicht nur auf das Unentbehrliche
einzustellen, sondern zu neuen technischen Methoden anzuregen; schließlich die
schwer erhältlichen Stosse durch leichter beschaffbare zu ersetzen. Es handelte sich
also um Ausgaben, die später vom Gebiete der Rohstoffbefchaffung auf das ganze
deutsche Wirtschaftsleben übergriffen. Der staatlichen Aufficht und Lenkung
wurde aber auch das gesamte Ernührnngswesen unterworfen, ja gerade hier
wurde die zwangsweise Unterordnung der einzelnen unter die Gesamtwirtschast
mit kaum zu überbietender Genauigkeit durchgeführt. Daß die Rationierung der
Lebensmittel zur Stillung des Volkshungers nicht ausreichte und daneben der
Schleichhandel üppig wucherte, ändert nicht den gemeinwirtschaftlichen Charakter
der Versorgungseinrichtungen.

Der Kriegssozialismus war eine Anpassung an eine Um¬
formung des Wirtschaftslebens in sozialistischen Sinne, vorausgesetzt ncitür-
lich, daß das Zugeständnis in der Friedenswirtschaft nicht wieder rückgängig
gemacht wurde, vielmehr weitere Sozialisierungsakte nachfolgten. Indem der
Staat in Vertretung der Allgemeinheit über die Produktion und Verteilung der
wichtigsten Güter selbstherrlich Anordnungen erließ, unterband er den freien
Marktverkehr und die normale Preisbildung, schaltete er den Wettbewerb der
Privatwirtschaften aus und umgab den Unternehmergewinn mit einem Draht-
Mun. Das waren Auswirkungen staatssozialistischer Tendenzen, aber eine
Sozialisierung bürgerlichen Stils und — was nicht aus den Augen verloren
werden darf! — nicht auf die Dauer berechnet. Die Mobilmachung der Volks¬
wirtschaft für die .Kriegszwecke verlangte deren „Militarisierung", wie Professor
Edg. Jaffö diese zeitweiligen Umbildungen zusammenfassend genannt hat
n1916über

Bürgerliche Wirtschaftspolitiker haben in den Jahren 1915 ud
Wesen und Bewertung der damaligen Sozialisierung lebhafte Auseinander¬
setzungen gehabt. Zu jener Zeit konnte niemand voraussehen, zu welchem


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[0177] Intervention deutlicher hervor. Der vielgenannte Walter Rathenau hat in einer seiner Schriften dargelegt, Wie die Von ihm angeregte und als dringlich empfohlene Errichtung einer Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegs¬ ministerium den Ausgangspunkt für die Begründung einer stetig sich vergrößern¬ den Zahl von kriegswirtschaftlichen Gesellschaften wurde, deren Zuständigkeiten bald über die wichtigsten Teile der Industrie sich erstreckten und an die Stelle der freien Wirtschaft den regulierten Verkehr setzten. Dieser neugeschaffene Kriegs- sozialismus, seinem Wesen nach ein den Ausnahmeverhältnissen angepaßter Staatssozialismus, durchbrach die alten Wirtschaftsordnungen und umgab die Privatwirtschaftliche Betriebsführung mit einer Menge einschränkender Bestimmungen. Er setzte für viele Artikel des Massenbedarfs Höchstpreise fest, behielt sich die Verfügung über bestimmte Nahrungsmittel und Rohstoffe vor und nahm die Befugnis zu ihrer Enteignung für sich in Anspruch. Damit war ein Prozeß der Sozialisierung eingeleitet, wie ihn in der kurzen Zeitspanne von einigen Monaten tiefgreifender auch eine aus den roten Fluten unerwartet emporgetauchte Regierungsgewalt nicht hätte in Szene setzen rönnen. Über die einzelnen Kavttel dieser uvsoiwerlnden Historie vel- V'igesell- schaftung" ließen sich Bände schreiben, die freilich mehr von der Zeiten Not als von einer folgerichtigen Entwicklung der produktiven Volkskräfte zeugen würden. Es galt, das Prinzip des Durchhaltens bis zu den letzten Phasen zu verwirklichen, ohne sich dabei vom Gedanken beirren zu lassen, daß man einer sozialistischen Wirtschaftsordnung dadurch vielleicht neue Fußsteige eröffnete. Die Umstellung der Volkswirtschaft erfolgte einzig unter dem Gesichtswinkel "der bestmöglichen Befriedigung der ins Ungeheuerliche anwachsenden Kriegsbedürfnisse. Rathenau schreibt: „Jetzt mußten n»e Rohstoffe des Landes Zwangsläufig werden, nichts mehr durfte eigenem Willen und eigener Willkür folgen, jeder'Stoff und jedes Halbprodukt mußte so fließen, daß nichts in die Wege des Luxus oder des neben¬ sächlichen Bedarfs gelangte; ihr Weg mußte gewaltsam eingedämmt werden, so daß sie selbsttätig in diejenigen Endprodukte und Verwendungsformen mündeten, die das Heer brauchte." Dazu kamen weitere Aufgaben: alle verfügbaren Stoffe aus dem neutralen Auslande oder durch Beitreibung aus dem besetzten Gebiete ins Land hineinzuziehen? ferner die Fabrikation nicht nur auf das Unentbehrliche einzustellen, sondern zu neuen technischen Methoden anzuregen; schließlich die schwer erhältlichen Stosse durch leichter beschaffbare zu ersetzen. Es handelte sich also um Ausgaben, die später vom Gebiete der Rohstoffbefchaffung auf das ganze deutsche Wirtschaftsleben übergriffen. Der staatlichen Aufficht und Lenkung wurde aber auch das gesamte Ernührnngswesen unterworfen, ja gerade hier wurde die zwangsweise Unterordnung der einzelnen unter die Gesamtwirtschast mit kaum zu überbietender Genauigkeit durchgeführt. Daß die Rationierung der Lebensmittel zur Stillung des Volkshungers nicht ausreichte und daneben der Schleichhandel üppig wucherte, ändert nicht den gemeinwirtschaftlichen Charakter der Versorgungseinrichtungen. Der Kriegssozialismus war eine Anpassung an eine Um¬ formung des Wirtschaftslebens in sozialistischen Sinne, vorausgesetzt ncitür- lich, daß das Zugeständnis in der Friedenswirtschaft nicht wieder rückgängig gemacht wurde, vielmehr weitere Sozialisierungsakte nachfolgten. Indem der Staat in Vertretung der Allgemeinheit über die Produktion und Verteilung der wichtigsten Güter selbstherrlich Anordnungen erließ, unterband er den freien Marktverkehr und die normale Preisbildung, schaltete er den Wettbewerb der Privatwirtschaften aus und umgab den Unternehmergewinn mit einem Draht- Mun. Das waren Auswirkungen staatssozialistischer Tendenzen, aber eine Sozialisierung bürgerlichen Stils und — was nicht aus den Augen verloren werden darf! — nicht auf die Dauer berechnet. Die Mobilmachung der Volks¬ wirtschaft für die .Kriegszwecke verlangte deren „Militarisierung", wie Professor Edg. Jaffö diese zeitweiligen Umbildungen zusammenfassend genannt hat n1916über Bürgerliche Wirtschaftspolitiker haben in den Jahren 1915 ud Wesen und Bewertung der damaligen Sozialisierung lebhafte Auseinander¬ setzungen gehabt. Zu jener Zeit konnte niemand voraussehen, zu welchem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/177>, abgerufen am 05.02.2025.