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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Frankreich und die Friedenskonferenz

Lob des französischen Volkes. Auch im Innern schien alles in der besten Ord¬
nung: die vom Ministerpräsidenten mit allen Mitteln bekämpften Defaitisten und
Versöhnungsfreunde, die Rechtsfriedenpropagandisten und Englandfeinde hatten
weit gründlicher Unrecht erhalten, als man in kühnsten Träumen hätte annehmen
können, Vertrauensabstimmungen ergaben glänzende Mehrheiten für die Regierung
und der weitaus größte Teil der Presse unterstützte die offizielle Politik willig
und wohlgefällig durch kräftige Beschimpfung der widerstrebenden Sozialisten.

Die Wirklichkeit entspricht nicht ganz dem schönen Schein. Breiter Massen
des Bürgertums Hut sich nach dem Verfliegen des ersten Siegesrausches eine sieu
von Woche zu Woche merkbar vertiefende Enttäuschung bemächtigt. Eindringlicher
- als England, das offenbar mehr Möglichkeiten hat. macht Frankreich die Erfahrung
durch, die auch einem siegreichen Deutschland nicht erspart geblieben wäre: teil;
nämlich Waffenstillstand nicht Friede, und Friedensschluß nicht friedliche Wirt-
schaftsverhültnisse bedeuten. Die kleinen Unannehmlichkeiten deS alltäglichen
Lebens: Knappheit an Nahrungsmitteln, Teuerung, Wohnungsnot, Kohlen-
mangcl usw. würde der genügsame Franzose ertragen, wie er sie bisher ertragen
hat, es zeigt sich aber -- und der seelische Faktor, der hierin liegt, darf ziemlich
hoch veranschlagt werden -- daß der Friedenszustand, von dem man ausgegangen
war und nach dem man sich, während vier Kriegsjahren unaufhörlich zurück-
gesehnt, der in der Erinnerung noch viel rosigere Formen angenommen hat, als
vielleicht der Wirklichkeit entsprach, sich keineswegs wiederherstellen läßt, daß man
nicht, wie wohl ein jeder, zumal von denen, die "draußen" gewesen sind, bei
sich gedacht haben 'mag, einfach wieder an das, was war, anknüpfen kann,
sondern daß sich sowohl die Menschen, wie auch alle Verhältnisse geändert
haben. Alle Vorberatungen über Übergangswirtschaft, die naturgemäß daran
tränkten, den Zeitpunkt des Kriegsendes und die zu diesem Zeitpunkt bestehenden
Verhältnisse nicht mit Sicherheit erwägen zu können und somit unabänderlicher¬
weise eigentlich in der Luft hingen, können z. B. nichts daran ändern, daß
Demvlnlisation zunächst Arbeitslose schafft, daß die "befreiten" Gebiete Nord-
frankreichs alles Nötigen entbehren, daß der deutsche Rückzug mit seinen aus
militärischer Notwendigkeit entstandenen Zerstörungen an Bahnübergängen und
Siraßenanlagen in dem plötzlich vergrößerten Wirtschaftsgebiet unbeschreibliche
Transport- und Verkehrskalamitäten geschaffen hat. die nicht von heut auf morgen
beseitigt werden können, die Unzufriedenheit im Lande aber in hellen Flammen
auflodern lassen. Viel böses Blut macht auch die Demobilisation. Sie kann
natürlich nnr langsam vor sich gehen, wenn die Negierung einerseits Katastrophen
auf dem Arbeitsmarkt verhüten, andererseits den von ihr erstrebten Machtfrieden
durchsetzen will, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Soldat
ungeduldig nach Hanse verlangt, die Familie enttäuscht und verbittert nach den
Ihrigen ruft und jeder Unternehmer natürlich seine Arbeiter znerst wiedersahen
und reklamieren will.

All das aber würde immerhin noch ertragen werden, wenn man nur die
Gewißheit, halte, daß der Krieg nun auch wirklich aus wäre. Aber da ist erstens
die wiedererwachte Sorge um die von den Bolschewisten wenigstens nnr teil- und
bedingungsweise anerkannte russische Milliarden schuld, die im Grunde eine, von
den in Paris, weilenden Vertretern des alten russischen Regimes eifrig unterstützte
unlitärische Intervention nötig machte, zu der im Lande jedoch, d. h, bei dene.n,
die zunächst weitere Kriegsopfer tragen müßten, auch nicht die geringste Stimmung
ist. da ist sodann die polnische Frage, die man wohl, schon um Deutschland zu
schädigen, lösen möchte, die sich aber andrerseits z. T. mit der tschechischen und der
ukrainischen schneidet und deren Lösung wiederum ohne militärisches Eingreifen, das
man vermeiden möchte, nicht möglich scheint. Da ist dann die durch die Veröffentlichung
der Syrien-Verträge von 1916 bedroht erscheinende traditionelle Stellung Frank¬
reichs im Orient, die durch die rasch zugreifende Besetzung Konstantinopels durch
die Engländer keineswegs günstiger geworden ist. da ist die Sorge um den
Anschluß Deutsch-Österreichs an Deutschland, der dem Feinde bedrohlichen Macht-


Frankreich und die Friedenskonferenz

Lob des französischen Volkes. Auch im Innern schien alles in der besten Ord¬
nung: die vom Ministerpräsidenten mit allen Mitteln bekämpften Defaitisten und
Versöhnungsfreunde, die Rechtsfriedenpropagandisten und Englandfeinde hatten
weit gründlicher Unrecht erhalten, als man in kühnsten Träumen hätte annehmen
können, Vertrauensabstimmungen ergaben glänzende Mehrheiten für die Regierung
und der weitaus größte Teil der Presse unterstützte die offizielle Politik willig
und wohlgefällig durch kräftige Beschimpfung der widerstrebenden Sozialisten.

Die Wirklichkeit entspricht nicht ganz dem schönen Schein. Breiter Massen
des Bürgertums Hut sich nach dem Verfliegen des ersten Siegesrausches eine sieu
von Woche zu Woche merkbar vertiefende Enttäuschung bemächtigt. Eindringlicher
- als England, das offenbar mehr Möglichkeiten hat. macht Frankreich die Erfahrung
durch, die auch einem siegreichen Deutschland nicht erspart geblieben wäre: teil;
nämlich Waffenstillstand nicht Friede, und Friedensschluß nicht friedliche Wirt-
schaftsverhültnisse bedeuten. Die kleinen Unannehmlichkeiten deS alltäglichen
Lebens: Knappheit an Nahrungsmitteln, Teuerung, Wohnungsnot, Kohlen-
mangcl usw. würde der genügsame Franzose ertragen, wie er sie bisher ertragen
hat, es zeigt sich aber — und der seelische Faktor, der hierin liegt, darf ziemlich
hoch veranschlagt werden — daß der Friedenszustand, von dem man ausgegangen
war und nach dem man sich, während vier Kriegsjahren unaufhörlich zurück-
gesehnt, der in der Erinnerung noch viel rosigere Formen angenommen hat, als
vielleicht der Wirklichkeit entsprach, sich keineswegs wiederherstellen läßt, daß man
nicht, wie wohl ein jeder, zumal von denen, die „draußen" gewesen sind, bei
sich gedacht haben 'mag, einfach wieder an das, was war, anknüpfen kann,
sondern daß sich sowohl die Menschen, wie auch alle Verhältnisse geändert
haben. Alle Vorberatungen über Übergangswirtschaft, die naturgemäß daran
tränkten, den Zeitpunkt des Kriegsendes und die zu diesem Zeitpunkt bestehenden
Verhältnisse nicht mit Sicherheit erwägen zu können und somit unabänderlicher¬
weise eigentlich in der Luft hingen, können z. B. nichts daran ändern, daß
Demvlnlisation zunächst Arbeitslose schafft, daß die „befreiten" Gebiete Nord-
frankreichs alles Nötigen entbehren, daß der deutsche Rückzug mit seinen aus
militärischer Notwendigkeit entstandenen Zerstörungen an Bahnübergängen und
Siraßenanlagen in dem plötzlich vergrößerten Wirtschaftsgebiet unbeschreibliche
Transport- und Verkehrskalamitäten geschaffen hat. die nicht von heut auf morgen
beseitigt werden können, die Unzufriedenheit im Lande aber in hellen Flammen
auflodern lassen. Viel böses Blut macht auch die Demobilisation. Sie kann
natürlich nnr langsam vor sich gehen, wenn die Negierung einerseits Katastrophen
auf dem Arbeitsmarkt verhüten, andererseits den von ihr erstrebten Machtfrieden
durchsetzen will, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Soldat
ungeduldig nach Hanse verlangt, die Familie enttäuscht und verbittert nach den
Ihrigen ruft und jeder Unternehmer natürlich seine Arbeiter znerst wiedersahen
und reklamieren will.

All das aber würde immerhin noch ertragen werden, wenn man nur die
Gewißheit, halte, daß der Krieg nun auch wirklich aus wäre. Aber da ist erstens
die wiedererwachte Sorge um die von den Bolschewisten wenigstens nnr teil- und
bedingungsweise anerkannte russische Milliarden schuld, die im Grunde eine, von
den in Paris, weilenden Vertretern des alten russischen Regimes eifrig unterstützte
unlitärische Intervention nötig machte, zu der im Lande jedoch, d. h, bei dene.n,
die zunächst weitere Kriegsopfer tragen müßten, auch nicht die geringste Stimmung
ist. da ist sodann die polnische Frage, die man wohl, schon um Deutschland zu
schädigen, lösen möchte, die sich aber andrerseits z. T. mit der tschechischen und der
ukrainischen schneidet und deren Lösung wiederum ohne militärisches Eingreifen, das
man vermeiden möchte, nicht möglich scheint. Da ist dann die durch die Veröffentlichung
der Syrien-Verträge von 1916 bedroht erscheinende traditionelle Stellung Frank¬
reichs im Orient, die durch die rasch zugreifende Besetzung Konstantinopels durch
die Engländer keineswegs günstiger geworden ist. da ist die Sorge um den
Anschluß Deutsch-Österreichs an Deutschland, der dem Feinde bedrohlichen Macht-


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[0131] Frankreich und die Friedenskonferenz Lob des französischen Volkes. Auch im Innern schien alles in der besten Ord¬ nung: die vom Ministerpräsidenten mit allen Mitteln bekämpften Defaitisten und Versöhnungsfreunde, die Rechtsfriedenpropagandisten und Englandfeinde hatten weit gründlicher Unrecht erhalten, als man in kühnsten Träumen hätte annehmen können, Vertrauensabstimmungen ergaben glänzende Mehrheiten für die Regierung und der weitaus größte Teil der Presse unterstützte die offizielle Politik willig und wohlgefällig durch kräftige Beschimpfung der widerstrebenden Sozialisten. Die Wirklichkeit entspricht nicht ganz dem schönen Schein. Breiter Massen des Bürgertums Hut sich nach dem Verfliegen des ersten Siegesrausches eine sieu von Woche zu Woche merkbar vertiefende Enttäuschung bemächtigt. Eindringlicher - als England, das offenbar mehr Möglichkeiten hat. macht Frankreich die Erfahrung durch, die auch einem siegreichen Deutschland nicht erspart geblieben wäre: teil; nämlich Waffenstillstand nicht Friede, und Friedensschluß nicht friedliche Wirt- schaftsverhültnisse bedeuten. Die kleinen Unannehmlichkeiten deS alltäglichen Lebens: Knappheit an Nahrungsmitteln, Teuerung, Wohnungsnot, Kohlen- mangcl usw. würde der genügsame Franzose ertragen, wie er sie bisher ertragen hat, es zeigt sich aber — und der seelische Faktor, der hierin liegt, darf ziemlich hoch veranschlagt werden — daß der Friedenszustand, von dem man ausgegangen war und nach dem man sich, während vier Kriegsjahren unaufhörlich zurück- gesehnt, der in der Erinnerung noch viel rosigere Formen angenommen hat, als vielleicht der Wirklichkeit entsprach, sich keineswegs wiederherstellen läßt, daß man nicht, wie wohl ein jeder, zumal von denen, die „draußen" gewesen sind, bei sich gedacht haben 'mag, einfach wieder an das, was war, anknüpfen kann, sondern daß sich sowohl die Menschen, wie auch alle Verhältnisse geändert haben. Alle Vorberatungen über Übergangswirtschaft, die naturgemäß daran tränkten, den Zeitpunkt des Kriegsendes und die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse nicht mit Sicherheit erwägen zu können und somit unabänderlicher¬ weise eigentlich in der Luft hingen, können z. B. nichts daran ändern, daß Demvlnlisation zunächst Arbeitslose schafft, daß die „befreiten" Gebiete Nord- frankreichs alles Nötigen entbehren, daß der deutsche Rückzug mit seinen aus militärischer Notwendigkeit entstandenen Zerstörungen an Bahnübergängen und Siraßenanlagen in dem plötzlich vergrößerten Wirtschaftsgebiet unbeschreibliche Transport- und Verkehrskalamitäten geschaffen hat. die nicht von heut auf morgen beseitigt werden können, die Unzufriedenheit im Lande aber in hellen Flammen auflodern lassen. Viel böses Blut macht auch die Demobilisation. Sie kann natürlich nnr langsam vor sich gehen, wenn die Negierung einerseits Katastrophen auf dem Arbeitsmarkt verhüten, andererseits den von ihr erstrebten Machtfrieden durchsetzen will, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Soldat ungeduldig nach Hanse verlangt, die Familie enttäuscht und verbittert nach den Ihrigen ruft und jeder Unternehmer natürlich seine Arbeiter znerst wiedersahen und reklamieren will. All das aber würde immerhin noch ertragen werden, wenn man nur die Gewißheit, halte, daß der Krieg nun auch wirklich aus wäre. Aber da ist erstens die wiedererwachte Sorge um die von den Bolschewisten wenigstens nnr teil- und bedingungsweise anerkannte russische Milliarden schuld, die im Grunde eine, von den in Paris, weilenden Vertretern des alten russischen Regimes eifrig unterstützte unlitärische Intervention nötig machte, zu der im Lande jedoch, d. h, bei dene.n, die zunächst weitere Kriegsopfer tragen müßten, auch nicht die geringste Stimmung ist. da ist sodann die polnische Frage, die man wohl, schon um Deutschland zu schädigen, lösen möchte, die sich aber andrerseits z. T. mit der tschechischen und der ukrainischen schneidet und deren Lösung wiederum ohne militärisches Eingreifen, das man vermeiden möchte, nicht möglich scheint. Da ist dann die durch die Veröffentlichung der Syrien-Verträge von 1916 bedroht erscheinende traditionelle Stellung Frank¬ reichs im Orient, die durch die rasch zugreifende Besetzung Konstantinopels durch die Engländer keineswegs günstiger geworden ist. da ist die Sorge um den Anschluß Deutsch-Österreichs an Deutschland, der dem Feinde bedrohlichen Macht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/131>, abgerufen am 05.02.2025.