Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die neue Demokratie und die Freiheit der Universitäten Jahren gegen einen bedeutenden Lehrer des Staatsrechts einen Professor für Cohns Worte über die Anschauungen demokratischer Republiken hinsichtlich Der Kultusminister Hoffmann hat die Anstellung von Professoren der Hoffmann ist aber weiter auch zu der unmittelbaren Forderung vorgeschritten: Wenn Hoffmann sozialdemokratische Professoren grundsätzlich für die Uni¬ i) Vgl. zur Kritik der Forderung einer "Soziologie" meine "Deutsche Geschichts¬
schreibung im neunzehnten Jahrhundert", S. 102. Die neue Demokratie und die Freiheit der Universitäten Jahren gegen einen bedeutenden Lehrer des Staatsrechts einen Professor für Cohns Worte über die Anschauungen demokratischer Republiken hinsichtlich Der Kultusminister Hoffmann hat die Anstellung von Professoren der Hoffmann ist aber weiter auch zu der unmittelbaren Forderung vorgeschritten: Wenn Hoffmann sozialdemokratische Professoren grundsätzlich für die Uni¬ i) Vgl. zur Kritik der Forderung einer „Soziologie" meine „Deutsche Geschichts¬
schreibung im neunzehnten Jahrhundert", S. 102. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335310"/> <fw type="header" place="top"> Die neue Demokratie und die Freiheit der Universitäten</fw><lb/> <p xml:id="ID_511" prev="#ID_510"> Jahren gegen einen bedeutenden Lehrer des Staatsrechts einen Professor für<lb/> demokratisches Staatsrecht ernannte, der wissenschaftlich völlig Null, aber auf das<lb/> demokratische Parteiprogramm eingeschworen war." Cohn schildert weiter, wie<lb/> in der nordamerikanischen Republik die „Freiheit" gleichfalls in der Weise zum<lb/> Ausdruck gebracht worden ist, daß politisch mißliebigen Professoren nicht sonderlich<lb/> zarte Rücksichten gewährt wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_512"> Cohns Worte über die Anschauungen demokratischer Republiken hinsichtlich<lb/> der Anstellung von Parteimännern erweisen sich als wahrhaft prophetisch. Die<lb/> Beobachtungen, zu denen die Schweiz und Amerika Anlaß gegeben haben, werden<lb/> durch die Aufrichtung unserer neuesten deutschen „Freiheit" vollauf bestätigt; wir<lb/> fürchten, die Bestätigung wird sich so urkräftig erweisen, wie man.es früher auch<lb/> nicht entfernt für möglich gehalten hat. Einige Beispiele von dem, was wir schon<lb/> in den wenigen Wochen des Bestehens unserer neuesten Demokratie erlebt haben<lb/> und was uns weiter droht, mögen hier namhaft gemacht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_513"> Der Kultusminister Hoffmann hat die Anstellung von Professoren der<lb/> „Soziologie" gefordert. Das Thema ist äußerst heilet, zumal angesehene wissen¬<lb/> schaftliche Kreise das Recht einer besonderen Wissenschaft der „Soziologie" bestreiten<lb/> (mein verstorbener Kollege Alfred Dove, ein Mann von feinem Witz, nannte die<lb/> „Soziologie" „Wortmaskenverleihinstitut").^) Die frühere preußische Unterrichts¬<lb/> verwaltung hätte in einem solchen Fall die Fakultäten gefragt, ob sie die Errichtung<lb/> besonderer Professuren für Soziologie für zweckmäßig halten würden. Die demo¬<lb/> kratische Verwaltung dagegen ordnet einfach an. Warum aber hat Minister<lb/> Hoffmann eine so große Vorliebe für „soziologische" Professuren? Warum fordert<lb/> er nicht z B. Professuren für Völkerpsychologie (was sachlich ungefähr auf das¬<lb/> selbe hinauskommen würde)? Offenbar lockt ihn der Bestandteil „sozio" in dem<lb/> Wort. Das hat er sich ohne Zweifel so gedeutet, daß der Soziolog ein Sozial¬<lb/> demokrat sei. Tatsächlich haben beide Dinge natürlich nichts miteinander zu tun.</p><lb/> <p xml:id="ID_514"> Hoffmann ist aber weiter auch zu der unmittelbaren Forderung vorgeschritten:<lb/> „Hervorragende wissenschaftliche Vertreter des Sozialismus sollen auf akademische<lb/> Lehrstühle berufen werden." Wenn er gefordert hätte: „hervorragende wissen¬<lb/> schaftliche Vertreter der Nationalökonomie sollen, ohne Rücksicht auf ihre Partei¬<lb/> richtung, berufen werden", so wären wir einverstanden. Allein in jener Forderung<lb/> wird als erste Voraussetzung das Bekenntnis zum Sozialismus verlangt. In<lb/> erster Linie soll also das politische Bekenntnis, in zweiter erst die wissenschaftliche<lb/> Tüchtigkeit in Betracht kommen. Wenn es sich jedoch nun so verhält — und eS<lb/> verhält sich in der Tat so —, daß die besten Kenner des Sozialismus unter<lb/> seinen Gegnern zu suchen sind? Um solche Schwierigkeiten macht sich Minister<lb/> Hoffmann keine Gedanken; er befiehlt einfach: Sou'cluster müssen berufen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Wenn Hoffmann sozialdemokratische Professoren grundsätzlich für die Uni¬<lb/> versitäten fordert, so stellt er sich in den Dienst eines allgemeinen politischen<lb/> Systems. Die heutige preußische Unterrichtsverwaltung versucht jedoch auch be¬<lb/> stimmte einzelne Personen in den Lehrkörper der Universitäten einzuschieben, weil<lb/> die betreffende Persönlichkeit ihr politisch genehm ist. Schon seit mehreren<lb/> Monaten wird ein Druck von verschiedenen Stellen zugunsten eines Dozenten<lb/> ausgeübt, der vor längerer Zeit aus seinem Amt auszuscheiden sich genötigt sah<lb/> (vgl. Preußische Jahrbücher Bd. 173, S. 116; Vortrupp 1918, S. 453; Größeres<lb/> Deutschland 19l8, S. 1069 und S. 1203). Um ihn zu stützen, wurde eine ganze<lb/> Legende über seine Dienstentlassung fabriziert. Neuerdings setzt nun auch das<lb/> preußische Kultusministerium seine Hebel in Bewegung, um jenem Dozenten ein<lb/> Amt zu verschaffen. Zu den Sozialisten wird man ihn schwerlich rechnen können;<lb/> indessen andere politische Gesichtspunkte empfehlen ihn dem Kultusministerium:<lb/> es handelt sich um ein Erbstück aus der Politik des alten Auswärtigen Amts,<lb/> die ja heute unter der neuen demokratischen Herrschaft fortgesetzt wird. Doch</p><lb/> <note xml:id="FID_24" place="foot"> i) Vgl. zur Kritik der Forderung einer „Soziologie" meine „Deutsche Geschichts¬<lb/> schreibung im neunzehnten Jahrhundert", S. 102.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
Die neue Demokratie und die Freiheit der Universitäten
Jahren gegen einen bedeutenden Lehrer des Staatsrechts einen Professor für
demokratisches Staatsrecht ernannte, der wissenschaftlich völlig Null, aber auf das
demokratische Parteiprogramm eingeschworen war." Cohn schildert weiter, wie
in der nordamerikanischen Republik die „Freiheit" gleichfalls in der Weise zum
Ausdruck gebracht worden ist, daß politisch mißliebigen Professoren nicht sonderlich
zarte Rücksichten gewährt wurden.
Cohns Worte über die Anschauungen demokratischer Republiken hinsichtlich
der Anstellung von Parteimännern erweisen sich als wahrhaft prophetisch. Die
Beobachtungen, zu denen die Schweiz und Amerika Anlaß gegeben haben, werden
durch die Aufrichtung unserer neuesten deutschen „Freiheit" vollauf bestätigt; wir
fürchten, die Bestätigung wird sich so urkräftig erweisen, wie man.es früher auch
nicht entfernt für möglich gehalten hat. Einige Beispiele von dem, was wir schon
in den wenigen Wochen des Bestehens unserer neuesten Demokratie erlebt haben
und was uns weiter droht, mögen hier namhaft gemacht werden.
Der Kultusminister Hoffmann hat die Anstellung von Professoren der
„Soziologie" gefordert. Das Thema ist äußerst heilet, zumal angesehene wissen¬
schaftliche Kreise das Recht einer besonderen Wissenschaft der „Soziologie" bestreiten
(mein verstorbener Kollege Alfred Dove, ein Mann von feinem Witz, nannte die
„Soziologie" „Wortmaskenverleihinstitut").^) Die frühere preußische Unterrichts¬
verwaltung hätte in einem solchen Fall die Fakultäten gefragt, ob sie die Errichtung
besonderer Professuren für Soziologie für zweckmäßig halten würden. Die demo¬
kratische Verwaltung dagegen ordnet einfach an. Warum aber hat Minister
Hoffmann eine so große Vorliebe für „soziologische" Professuren? Warum fordert
er nicht z B. Professuren für Völkerpsychologie (was sachlich ungefähr auf das¬
selbe hinauskommen würde)? Offenbar lockt ihn der Bestandteil „sozio" in dem
Wort. Das hat er sich ohne Zweifel so gedeutet, daß der Soziolog ein Sozial¬
demokrat sei. Tatsächlich haben beide Dinge natürlich nichts miteinander zu tun.
Hoffmann ist aber weiter auch zu der unmittelbaren Forderung vorgeschritten:
„Hervorragende wissenschaftliche Vertreter des Sozialismus sollen auf akademische
Lehrstühle berufen werden." Wenn er gefordert hätte: „hervorragende wissen¬
schaftliche Vertreter der Nationalökonomie sollen, ohne Rücksicht auf ihre Partei¬
richtung, berufen werden", so wären wir einverstanden. Allein in jener Forderung
wird als erste Voraussetzung das Bekenntnis zum Sozialismus verlangt. In
erster Linie soll also das politische Bekenntnis, in zweiter erst die wissenschaftliche
Tüchtigkeit in Betracht kommen. Wenn es sich jedoch nun so verhält — und eS
verhält sich in der Tat so —, daß die besten Kenner des Sozialismus unter
seinen Gegnern zu suchen sind? Um solche Schwierigkeiten macht sich Minister
Hoffmann keine Gedanken; er befiehlt einfach: Sou'cluster müssen berufen werden.
Wenn Hoffmann sozialdemokratische Professoren grundsätzlich für die Uni¬
versitäten fordert, so stellt er sich in den Dienst eines allgemeinen politischen
Systems. Die heutige preußische Unterrichtsverwaltung versucht jedoch auch be¬
stimmte einzelne Personen in den Lehrkörper der Universitäten einzuschieben, weil
die betreffende Persönlichkeit ihr politisch genehm ist. Schon seit mehreren
Monaten wird ein Druck von verschiedenen Stellen zugunsten eines Dozenten
ausgeübt, der vor längerer Zeit aus seinem Amt auszuscheiden sich genötigt sah
(vgl. Preußische Jahrbücher Bd. 173, S. 116; Vortrupp 1918, S. 453; Größeres
Deutschland 19l8, S. 1069 und S. 1203). Um ihn zu stützen, wurde eine ganze
Legende über seine Dienstentlassung fabriziert. Neuerdings setzt nun auch das
preußische Kultusministerium seine Hebel in Bewegung, um jenem Dozenten ein
Amt zu verschaffen. Zu den Sozialisten wird man ihn schwerlich rechnen können;
indessen andere politische Gesichtspunkte empfehlen ihn dem Kultusministerium:
es handelt sich um ein Erbstück aus der Politik des alten Auswärtigen Amts,
die ja heute unter der neuen demokratischen Herrschaft fortgesetzt wird. Doch
i) Vgl. zur Kritik der Forderung einer „Soziologie" meine „Deutsche Geschichts¬
schreibung im neunzehnten Jahrhundert", S. 102.
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