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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Zur österreichischen Frage

Ungarn sinnfälligen Ausdruck fand, entsprang einem richtigen weltpolitischen In
stinkt Ungarns. Dieser Instinkt wurde einerseits durch die geographische Balance
bestätigt. Das alte Kraftzentrmn der überwundenen mittelalterlichen Neichseinheit,
Wien, mutzte in der Tat mit der Verlegung des Schwerpunktes Deutschlands nach
Berlin auch innerhalb Osterreich.Ungarns zugunsten von Budapest abdanken.
Aber auch rein machtpolitisch wurde Ungarn zum Rückgrat der modernen Donau¬
monarchie, indem es -- auch darin ein Gegenstück Preußens -- mit einer ungleich
brutaleren Energie seiner inneren Völkervielheit Herr und zu einem trotz seiner
nationalen Zerspaltung zentralistisch gefestigten modernen Machtstaat geworden
war. Namentlich in der überwältigenden Überlegenheit des ungarischen Par¬
laments über das zerklüftete österreichische kam dieser machtpolitische Vorrang
deutlich zum Ausdruck. Aus dem von Schüßler so geistvoll durchgeführten
Parallelismus des preußischen und ungarischen Aufstieges ergibt sich in höherem
Matze noch, als seine Kritik zugeben will, die weltpolitische Rechtfertigung des
ungarischen Vorherrschaftsstrebens, das Verständnis der über sich selbst hinaus¬
greifenden Sendung des ungarischen wie des preußischen Partikularismus. Das
Unglück des ungarischen Machtwillens gegenüber dem preußischen war es, daß er
sein Ziel nur halb erreichen konnte, weil größere Trümmer historischen Erbgutes
ihm die letzte Wegstrecke versperrten. Bismarck, der nach dem Scheitern der Einigungs-
bewegung von 1848 das Steuer der deutschen Geschicke eigenwillig in die Hand nahm,
zeigte einem seinen Methoden widerstrebenden Volke durch die überzeugungskräftige
Tat, daß nicht ein vorzeitiges Abbiegen vom Wege des preußischen Partikularismus
die deutsche Reichseinheit sichern konnte, daß vielmehr dieser Weg selber nicht nur
in die deutsche, nein sogar in die mitteleuropäische Einigung einmündete. Seine
Aufgabe war leichter, weil er bloß die Disharmonie der deutschen Stämme, nicht
den Widerstreit von Nationen und Rassen zu bändigen hatte. Auch Ungarn sah
mit einem Recht, das vielleicht erst dieser Friede voll erweisen wird, als erstes
unverrückbares Ziel die partikularistisch scheinende Festigung des ungarischen Einzel¬
staates selbst auf Kosten der habsburgischen Reichseinheit. Aber die stärkeren
Widerstände, die dieser ungarische Machtwille fand, trieben ihn auch in eine stärkere
Verhärtung und Verengung seines Partikularismus hinein und verdunkelten ihm
in eben demselben Maße das,, Endziel, das nicht in einer kleinungarischen Selbst-
ständigkeit, sondern in einer Überwindung der gesamt-österreichischen zentrifugalen
Tendenzen durch Schaffung eines festen ungarischen Machtkernes bestehen konnte.
Tatsachen wie die, daß in den wenigen gemeinsamen Institutionen wie dem Heere
die Kommandosprache die deutsche und nicht die ungarische war, trieben diesen
blindwütigen ungarischen Partikularismus zu Forderungen wie der magyarischen
Heeressprache, die nur zu einer Spaltung des Heeres führen könnte, also
nicht machtvereinheitlichend, sondern im Gegenteil machtsprengend wirken müßte.
Der Versuch Ungarns, seine geheime Vorherrschaft innerhalb der Habsburger-
Monarchie institutionell und verfassungsmäßig offenkundig auszuprägen, bedrohte
allenthalben diese tatsächlich bereits errungene Vormachtstellung, indem er den
Widerstand aller anderen Nationen gegen diese magyarozenlrische Umorientierung
des Habsburgerreiches mobil machte.

Dieser Prozeß mußte für Ungarn schon deshalb bedenkliche Folgen zeitigen,
weil eS ethnisch keineswegs die Einheitlichkeit besitzt, die es durch seine straffere
machtstaatliche Organisation und seine brutale Magyarisierungspoltik vortäuscht.
Ungarn ist in Wirklichkeit ein Österreich-Ungarn im kleinen. Alle seine Nationen
find auch diesseits der Leitha vertreten und wüten auch innerhalb der öster¬
reichischen Reichshälfte gegeneinander. Und der Druck, den Ungarn im eignen
Land auf diese seine fremdstämmigen Minderheiten ausübt, setzt sich so unmittelbar
nach Osterreich fort, erweckt dort bei den Volksgenossen der hier Unterdrückten
ein spontanes Echo. Schon um sich die Freiheit im eignen Haus zu wahren,
möchte Ungarn sich also vom österreichischen Einfluß nach'Möglichkeit frei machen.
Andererseits aber hat Osterreich nicht nur als Ganzes, sondern dazu noch in
jedem seiner Bestandteile ein stark gefühlsmäßig betontes Interesse daran, diese
ungarische Selbstherrlichkeit möglichst zu dämpfen.


Zur österreichischen Frage

Ungarn sinnfälligen Ausdruck fand, entsprang einem richtigen weltpolitischen In
stinkt Ungarns. Dieser Instinkt wurde einerseits durch die geographische Balance
bestätigt. Das alte Kraftzentrmn der überwundenen mittelalterlichen Neichseinheit,
Wien, mutzte in der Tat mit der Verlegung des Schwerpunktes Deutschlands nach
Berlin auch innerhalb Osterreich.Ungarns zugunsten von Budapest abdanken.
Aber auch rein machtpolitisch wurde Ungarn zum Rückgrat der modernen Donau¬
monarchie, indem es — auch darin ein Gegenstück Preußens — mit einer ungleich
brutaleren Energie seiner inneren Völkervielheit Herr und zu einem trotz seiner
nationalen Zerspaltung zentralistisch gefestigten modernen Machtstaat geworden
war. Namentlich in der überwältigenden Überlegenheit des ungarischen Par¬
laments über das zerklüftete österreichische kam dieser machtpolitische Vorrang
deutlich zum Ausdruck. Aus dem von Schüßler so geistvoll durchgeführten
Parallelismus des preußischen und ungarischen Aufstieges ergibt sich in höherem
Matze noch, als seine Kritik zugeben will, die weltpolitische Rechtfertigung des
ungarischen Vorherrschaftsstrebens, das Verständnis der über sich selbst hinaus¬
greifenden Sendung des ungarischen wie des preußischen Partikularismus. Das
Unglück des ungarischen Machtwillens gegenüber dem preußischen war es, daß er
sein Ziel nur halb erreichen konnte, weil größere Trümmer historischen Erbgutes
ihm die letzte Wegstrecke versperrten. Bismarck, der nach dem Scheitern der Einigungs-
bewegung von 1848 das Steuer der deutschen Geschicke eigenwillig in die Hand nahm,
zeigte einem seinen Methoden widerstrebenden Volke durch die überzeugungskräftige
Tat, daß nicht ein vorzeitiges Abbiegen vom Wege des preußischen Partikularismus
die deutsche Reichseinheit sichern konnte, daß vielmehr dieser Weg selber nicht nur
in die deutsche, nein sogar in die mitteleuropäische Einigung einmündete. Seine
Aufgabe war leichter, weil er bloß die Disharmonie der deutschen Stämme, nicht
den Widerstreit von Nationen und Rassen zu bändigen hatte. Auch Ungarn sah
mit einem Recht, das vielleicht erst dieser Friede voll erweisen wird, als erstes
unverrückbares Ziel die partikularistisch scheinende Festigung des ungarischen Einzel¬
staates selbst auf Kosten der habsburgischen Reichseinheit. Aber die stärkeren
Widerstände, die dieser ungarische Machtwille fand, trieben ihn auch in eine stärkere
Verhärtung und Verengung seines Partikularismus hinein und verdunkelten ihm
in eben demselben Maße das,, Endziel, das nicht in einer kleinungarischen Selbst-
ständigkeit, sondern in einer Überwindung der gesamt-österreichischen zentrifugalen
Tendenzen durch Schaffung eines festen ungarischen Machtkernes bestehen konnte.
Tatsachen wie die, daß in den wenigen gemeinsamen Institutionen wie dem Heere
die Kommandosprache die deutsche und nicht die ungarische war, trieben diesen
blindwütigen ungarischen Partikularismus zu Forderungen wie der magyarischen
Heeressprache, die nur zu einer Spaltung des Heeres führen könnte, also
nicht machtvereinheitlichend, sondern im Gegenteil machtsprengend wirken müßte.
Der Versuch Ungarns, seine geheime Vorherrschaft innerhalb der Habsburger-
Monarchie institutionell und verfassungsmäßig offenkundig auszuprägen, bedrohte
allenthalben diese tatsächlich bereits errungene Vormachtstellung, indem er den
Widerstand aller anderen Nationen gegen diese magyarozenlrische Umorientierung
des Habsburgerreiches mobil machte.

Dieser Prozeß mußte für Ungarn schon deshalb bedenkliche Folgen zeitigen,
weil eS ethnisch keineswegs die Einheitlichkeit besitzt, die es durch seine straffere
machtstaatliche Organisation und seine brutale Magyarisierungspoltik vortäuscht.
Ungarn ist in Wirklichkeit ein Österreich-Ungarn im kleinen. Alle seine Nationen
find auch diesseits der Leitha vertreten und wüten auch innerhalb der öster¬
reichischen Reichshälfte gegeneinander. Und der Druck, den Ungarn im eignen
Land auf diese seine fremdstämmigen Minderheiten ausübt, setzt sich so unmittelbar
nach Osterreich fort, erweckt dort bei den Volksgenossen der hier Unterdrückten
ein spontanes Echo. Schon um sich die Freiheit im eignen Haus zu wahren,
möchte Ungarn sich also vom österreichischen Einfluß nach'Möglichkeit frei machen.
Andererseits aber hat Osterreich nicht nur als Ganzes, sondern dazu noch in
jedem seiner Bestandteile ein stark gefühlsmäßig betontes Interesse daran, diese
ungarische Selbstherrlichkeit möglichst zu dämpfen.


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[0086] Zur österreichischen Frage Ungarn sinnfälligen Ausdruck fand, entsprang einem richtigen weltpolitischen In stinkt Ungarns. Dieser Instinkt wurde einerseits durch die geographische Balance bestätigt. Das alte Kraftzentrmn der überwundenen mittelalterlichen Neichseinheit, Wien, mutzte in der Tat mit der Verlegung des Schwerpunktes Deutschlands nach Berlin auch innerhalb Osterreich.Ungarns zugunsten von Budapest abdanken. Aber auch rein machtpolitisch wurde Ungarn zum Rückgrat der modernen Donau¬ monarchie, indem es — auch darin ein Gegenstück Preußens — mit einer ungleich brutaleren Energie seiner inneren Völkervielheit Herr und zu einem trotz seiner nationalen Zerspaltung zentralistisch gefestigten modernen Machtstaat geworden war. Namentlich in der überwältigenden Überlegenheit des ungarischen Par¬ laments über das zerklüftete österreichische kam dieser machtpolitische Vorrang deutlich zum Ausdruck. Aus dem von Schüßler so geistvoll durchgeführten Parallelismus des preußischen und ungarischen Aufstieges ergibt sich in höherem Matze noch, als seine Kritik zugeben will, die weltpolitische Rechtfertigung des ungarischen Vorherrschaftsstrebens, das Verständnis der über sich selbst hinaus¬ greifenden Sendung des ungarischen wie des preußischen Partikularismus. Das Unglück des ungarischen Machtwillens gegenüber dem preußischen war es, daß er sein Ziel nur halb erreichen konnte, weil größere Trümmer historischen Erbgutes ihm die letzte Wegstrecke versperrten. Bismarck, der nach dem Scheitern der Einigungs- bewegung von 1848 das Steuer der deutschen Geschicke eigenwillig in die Hand nahm, zeigte einem seinen Methoden widerstrebenden Volke durch die überzeugungskräftige Tat, daß nicht ein vorzeitiges Abbiegen vom Wege des preußischen Partikularismus die deutsche Reichseinheit sichern konnte, daß vielmehr dieser Weg selber nicht nur in die deutsche, nein sogar in die mitteleuropäische Einigung einmündete. Seine Aufgabe war leichter, weil er bloß die Disharmonie der deutschen Stämme, nicht den Widerstreit von Nationen und Rassen zu bändigen hatte. Auch Ungarn sah mit einem Recht, das vielleicht erst dieser Friede voll erweisen wird, als erstes unverrückbares Ziel die partikularistisch scheinende Festigung des ungarischen Einzel¬ staates selbst auf Kosten der habsburgischen Reichseinheit. Aber die stärkeren Widerstände, die dieser ungarische Machtwille fand, trieben ihn auch in eine stärkere Verhärtung und Verengung seines Partikularismus hinein und verdunkelten ihm in eben demselben Maße das,, Endziel, das nicht in einer kleinungarischen Selbst- ständigkeit, sondern in einer Überwindung der gesamt-österreichischen zentrifugalen Tendenzen durch Schaffung eines festen ungarischen Machtkernes bestehen konnte. Tatsachen wie die, daß in den wenigen gemeinsamen Institutionen wie dem Heere die Kommandosprache die deutsche und nicht die ungarische war, trieben diesen blindwütigen ungarischen Partikularismus zu Forderungen wie der magyarischen Heeressprache, die nur zu einer Spaltung des Heeres führen könnte, also nicht machtvereinheitlichend, sondern im Gegenteil machtsprengend wirken müßte. Der Versuch Ungarns, seine geheime Vorherrschaft innerhalb der Habsburger- Monarchie institutionell und verfassungsmäßig offenkundig auszuprägen, bedrohte allenthalben diese tatsächlich bereits errungene Vormachtstellung, indem er den Widerstand aller anderen Nationen gegen diese magyarozenlrische Umorientierung des Habsburgerreiches mobil machte. Dieser Prozeß mußte für Ungarn schon deshalb bedenkliche Folgen zeitigen, weil eS ethnisch keineswegs die Einheitlichkeit besitzt, die es durch seine straffere machtstaatliche Organisation und seine brutale Magyarisierungspoltik vortäuscht. Ungarn ist in Wirklichkeit ein Österreich-Ungarn im kleinen. Alle seine Nationen find auch diesseits der Leitha vertreten und wüten auch innerhalb der öster¬ reichischen Reichshälfte gegeneinander. Und der Druck, den Ungarn im eignen Land auf diese seine fremdstämmigen Minderheiten ausübt, setzt sich so unmittelbar nach Osterreich fort, erweckt dort bei den Volksgenossen der hier Unterdrückten ein spontanes Echo. Schon um sich die Freiheit im eignen Haus zu wahren, möchte Ungarn sich also vom österreichischen Einfluß nach'Möglichkeit frei machen. Andererseits aber hat Osterreich nicht nur als Ganzes, sondern dazu noch in jedem seiner Bestandteile ein stark gefühlsmäßig betontes Interesse daran, diese ungarische Selbstherrlichkeit möglichst zu dämpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/86>, abgerufen am 24.11.2024.