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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Zur österreichischen Lrage

gewissen Pikanterie nicht ermangelt, daß Ungarn ein Interesse daran hat, seine
tatsächliche Führerschaft innerhalb der Monarchie durch äußerliche Aufrechterhaltung
des Dualismus zu verschleiern. Auch Österreich-Ungarn ist wie Preußen eine
Schöpfung seiner Dynastie. Das Jahr 1526 ist die Geburtsstunde der Donau¬
monarchie. Ferdinand der Erste hat als erster mit vollem Bewußtsein durch
Schaffung gemeinsamer Zentralbehörden dem Gesamtstaatsgedanken den Eingang
in die Wirklichkeit angebahnt. Der Ausgangspunkt war der Trialismus, die
Verbindung Österreichs. Böhmens und Ungarns. Das Ziel der Entwicklung bis
zu Joseph dem Zweiten war die Überwindung dieses Trialismus durch den
Zentralismus. Dieser Idee fiel zunächst die Selbständigkeit Böhmens zum Opfer.
Hier kommt Ferdinand dem Zweiten ein besonderes Verdienst zu. Die Pragmatische
Sanktion von 1713 wird alsdann zur Magna Charta des Dualismus und ist
als solche noch heute das historisch-dokumentarische Felsmassiv, an dem sich
Ungarns Selbständigkeitsbestreben bricht. Ihr Kern ist das Verbot dynastischer
Teilungen, das fortan den territorialen Bestand der Monarchie sichert; damit
wird sie zur ersten Deklaration der österreichischen Reichsidee. Zugleich ist
mit ihr der innere Widerspruch in die österreichische Geschichte hineingetragen
worden, der dem wirklichen Zusammenwachsen zu einem einheitlichen Staat von
innen her entgegenwirkt. Die Geschichte des Versuchs seiner Überwindung zeigt
deutlich eine erste Stufe, die von Osterreich, eine zweite, die von Ungarn aus
zentriert war. Die endgültige Überwindung des österreichisch-böhmischen Dualis¬
mus setzte Maria Theresia durch. Ihr genialer Sohn Joseph der Zweite scheiterte
am Versuch des nächsten Schrittes, der auch die österreichisch-ungarische Spannung
in einer höheren Einheit aufheben wollte. Der Zentralismus führte ihn zu einer
Überspannung des Vereinheitlichungsstrebens, die mißglückte und damit jene noch
heute fortbestehende Hegemonie Ungarns herausführte. '

j Ein besonderes Interesse erweckt der überzeugend durchgeführte Nachweis,
daß Ungarns Erstarkung mit dem Aufstieg Preußens in geheimem Zusammenhang
stand, der sich in überraschender Weise stets aufs neue bestätigt. Beide sind im
Kampf gegen den wienerischen Reichsgedanken, jenes mittelalterliche Erbe, empor¬
gekommen. Die Zusammenhänge schießen hin und her, wie die Fäden im Gewebe.
Preußens Sieg über das Osterreich Maria Theresias verschaffte ihm die zukunfts-
sichere Vorherrschaft im Reich und hinderte Maria Theresia an der vollen Durch¬
führung ihrer zentralistischen Ideen in Ungarn. Die mitteleuropäischen Kräfte, die
sich in Wien zu sammeln strebten, traten in die beiden Pole Berlin und Budapest
auseinander. Ein ungarischer Ministerpräsident hielt die österreichischen Revanche¬
pläne nach Königgrätz im entscheidenden Jahre 1870 nieder, sicherte dadurch Preußen
seine Hegemonie im Norden und ermöglichte..jenen höheren mitteleuropäischen
Dualismus, der zum mindesten eine relative Überwindung einerseits des inner-
deutschen, andererseits des innerösterreichischen Dualismus -voraussetzte. Es ent¬
behrt nicht einer tiefen Tragik, diesen Gedanken auf die gegenwärtige Lage anzu¬
wenden und ihn in die Problematik der nächsten Zukunft auszuspinnen.

Diese Wendung des mittelalterlichen Reichszentralismus Europas zum kunst¬
voll cmsbalanzierten Mitteleuropadualismus Berlin-Budapest, der Keimzelle der
Berlin-Bagdadidee, gibt den Hintergrund für die ganze Geschichte des letzten halben
Jahrhunderts, das um Berlin den mit preußischem Mark gesteifter Machtstaat
des Deutschen Reiches gruppierte, in Österreich-Ungarn jedoch nicht zu einer
gleichermaßen glatten Lösung führte. Denn während sich die Vorherrschaft
Preußens in Deutschland politisch eindeutig in der Reichsverfassung aus¬
prägte, zerrieb sich der zentralistische Machtstcmtswille der Donaumonarchie
an dem unüberwindlichen inneren Dualismus zwi chen Ungarn und Osterreich und
an der rationalistisch verwickelten Aufgabe einer staatlichen Einigung des füdost-
europäischen Völkerchaos. Das unvollkommene Gegenstück der deutschen Reichs¬
einigung war der ungarisch-österreichische Ausgleich von 1867. Der scheinbar rein
partikularistische Sonderwille Ungarns, der die Parität der beiden Staaten der
Donaumonarchie erzwang, wie sie in der Krönung Franz Josefs zum König von


Vrenzbottn IV 1918 6
Zur österreichischen Lrage

gewissen Pikanterie nicht ermangelt, daß Ungarn ein Interesse daran hat, seine
tatsächliche Führerschaft innerhalb der Monarchie durch äußerliche Aufrechterhaltung
des Dualismus zu verschleiern. Auch Österreich-Ungarn ist wie Preußen eine
Schöpfung seiner Dynastie. Das Jahr 1526 ist die Geburtsstunde der Donau¬
monarchie. Ferdinand der Erste hat als erster mit vollem Bewußtsein durch
Schaffung gemeinsamer Zentralbehörden dem Gesamtstaatsgedanken den Eingang
in die Wirklichkeit angebahnt. Der Ausgangspunkt war der Trialismus, die
Verbindung Österreichs. Böhmens und Ungarns. Das Ziel der Entwicklung bis
zu Joseph dem Zweiten war die Überwindung dieses Trialismus durch den
Zentralismus. Dieser Idee fiel zunächst die Selbständigkeit Böhmens zum Opfer.
Hier kommt Ferdinand dem Zweiten ein besonderes Verdienst zu. Die Pragmatische
Sanktion von 1713 wird alsdann zur Magna Charta des Dualismus und ist
als solche noch heute das historisch-dokumentarische Felsmassiv, an dem sich
Ungarns Selbständigkeitsbestreben bricht. Ihr Kern ist das Verbot dynastischer
Teilungen, das fortan den territorialen Bestand der Monarchie sichert; damit
wird sie zur ersten Deklaration der österreichischen Reichsidee. Zugleich ist
mit ihr der innere Widerspruch in die österreichische Geschichte hineingetragen
worden, der dem wirklichen Zusammenwachsen zu einem einheitlichen Staat von
innen her entgegenwirkt. Die Geschichte des Versuchs seiner Überwindung zeigt
deutlich eine erste Stufe, die von Osterreich, eine zweite, die von Ungarn aus
zentriert war. Die endgültige Überwindung des österreichisch-böhmischen Dualis¬
mus setzte Maria Theresia durch. Ihr genialer Sohn Joseph der Zweite scheiterte
am Versuch des nächsten Schrittes, der auch die österreichisch-ungarische Spannung
in einer höheren Einheit aufheben wollte. Der Zentralismus führte ihn zu einer
Überspannung des Vereinheitlichungsstrebens, die mißglückte und damit jene noch
heute fortbestehende Hegemonie Ungarns herausführte. '

j Ein besonderes Interesse erweckt der überzeugend durchgeführte Nachweis,
daß Ungarns Erstarkung mit dem Aufstieg Preußens in geheimem Zusammenhang
stand, der sich in überraschender Weise stets aufs neue bestätigt. Beide sind im
Kampf gegen den wienerischen Reichsgedanken, jenes mittelalterliche Erbe, empor¬
gekommen. Die Zusammenhänge schießen hin und her, wie die Fäden im Gewebe.
Preußens Sieg über das Osterreich Maria Theresias verschaffte ihm die zukunfts-
sichere Vorherrschaft im Reich und hinderte Maria Theresia an der vollen Durch¬
führung ihrer zentralistischen Ideen in Ungarn. Die mitteleuropäischen Kräfte, die
sich in Wien zu sammeln strebten, traten in die beiden Pole Berlin und Budapest
auseinander. Ein ungarischer Ministerpräsident hielt die österreichischen Revanche¬
pläne nach Königgrätz im entscheidenden Jahre 1870 nieder, sicherte dadurch Preußen
seine Hegemonie im Norden und ermöglichte..jenen höheren mitteleuropäischen
Dualismus, der zum mindesten eine relative Überwindung einerseits des inner-
deutschen, andererseits des innerösterreichischen Dualismus -voraussetzte. Es ent¬
behrt nicht einer tiefen Tragik, diesen Gedanken auf die gegenwärtige Lage anzu¬
wenden und ihn in die Problematik der nächsten Zukunft auszuspinnen.

Diese Wendung des mittelalterlichen Reichszentralismus Europas zum kunst¬
voll cmsbalanzierten Mitteleuropadualismus Berlin-Budapest, der Keimzelle der
Berlin-Bagdadidee, gibt den Hintergrund für die ganze Geschichte des letzten halben
Jahrhunderts, das um Berlin den mit preußischem Mark gesteifter Machtstaat
des Deutschen Reiches gruppierte, in Österreich-Ungarn jedoch nicht zu einer
gleichermaßen glatten Lösung führte. Denn während sich die Vorherrschaft
Preußens in Deutschland politisch eindeutig in der Reichsverfassung aus¬
prägte, zerrieb sich der zentralistische Machtstcmtswille der Donaumonarchie
an dem unüberwindlichen inneren Dualismus zwi chen Ungarn und Osterreich und
an der rationalistisch verwickelten Aufgabe einer staatlichen Einigung des füdost-
europäischen Völkerchaos. Das unvollkommene Gegenstück der deutschen Reichs¬
einigung war der ungarisch-österreichische Ausgleich von 1867. Der scheinbar rein
partikularistische Sonderwille Ungarns, der die Parität der beiden Staaten der
Donaumonarchie erzwang, wie sie in der Krönung Franz Josefs zum König von


Vrenzbottn IV 1918 6
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[0085] Zur österreichischen Lrage gewissen Pikanterie nicht ermangelt, daß Ungarn ein Interesse daran hat, seine tatsächliche Führerschaft innerhalb der Monarchie durch äußerliche Aufrechterhaltung des Dualismus zu verschleiern. Auch Österreich-Ungarn ist wie Preußen eine Schöpfung seiner Dynastie. Das Jahr 1526 ist die Geburtsstunde der Donau¬ monarchie. Ferdinand der Erste hat als erster mit vollem Bewußtsein durch Schaffung gemeinsamer Zentralbehörden dem Gesamtstaatsgedanken den Eingang in die Wirklichkeit angebahnt. Der Ausgangspunkt war der Trialismus, die Verbindung Österreichs. Böhmens und Ungarns. Das Ziel der Entwicklung bis zu Joseph dem Zweiten war die Überwindung dieses Trialismus durch den Zentralismus. Dieser Idee fiel zunächst die Selbständigkeit Böhmens zum Opfer. Hier kommt Ferdinand dem Zweiten ein besonderes Verdienst zu. Die Pragmatische Sanktion von 1713 wird alsdann zur Magna Charta des Dualismus und ist als solche noch heute das historisch-dokumentarische Felsmassiv, an dem sich Ungarns Selbständigkeitsbestreben bricht. Ihr Kern ist das Verbot dynastischer Teilungen, das fortan den territorialen Bestand der Monarchie sichert; damit wird sie zur ersten Deklaration der österreichischen Reichsidee. Zugleich ist mit ihr der innere Widerspruch in die österreichische Geschichte hineingetragen worden, der dem wirklichen Zusammenwachsen zu einem einheitlichen Staat von innen her entgegenwirkt. Die Geschichte des Versuchs seiner Überwindung zeigt deutlich eine erste Stufe, die von Osterreich, eine zweite, die von Ungarn aus zentriert war. Die endgültige Überwindung des österreichisch-böhmischen Dualis¬ mus setzte Maria Theresia durch. Ihr genialer Sohn Joseph der Zweite scheiterte am Versuch des nächsten Schrittes, der auch die österreichisch-ungarische Spannung in einer höheren Einheit aufheben wollte. Der Zentralismus führte ihn zu einer Überspannung des Vereinheitlichungsstrebens, die mißglückte und damit jene noch heute fortbestehende Hegemonie Ungarns herausführte. ' j Ein besonderes Interesse erweckt der überzeugend durchgeführte Nachweis, daß Ungarns Erstarkung mit dem Aufstieg Preußens in geheimem Zusammenhang stand, der sich in überraschender Weise stets aufs neue bestätigt. Beide sind im Kampf gegen den wienerischen Reichsgedanken, jenes mittelalterliche Erbe, empor¬ gekommen. Die Zusammenhänge schießen hin und her, wie die Fäden im Gewebe. Preußens Sieg über das Osterreich Maria Theresias verschaffte ihm die zukunfts- sichere Vorherrschaft im Reich und hinderte Maria Theresia an der vollen Durch¬ führung ihrer zentralistischen Ideen in Ungarn. Die mitteleuropäischen Kräfte, die sich in Wien zu sammeln strebten, traten in die beiden Pole Berlin und Budapest auseinander. Ein ungarischer Ministerpräsident hielt die österreichischen Revanche¬ pläne nach Königgrätz im entscheidenden Jahre 1870 nieder, sicherte dadurch Preußen seine Hegemonie im Norden und ermöglichte..jenen höheren mitteleuropäischen Dualismus, der zum mindesten eine relative Überwindung einerseits des inner- deutschen, andererseits des innerösterreichischen Dualismus -voraussetzte. Es ent¬ behrt nicht einer tiefen Tragik, diesen Gedanken auf die gegenwärtige Lage anzu¬ wenden und ihn in die Problematik der nächsten Zukunft auszuspinnen. Diese Wendung des mittelalterlichen Reichszentralismus Europas zum kunst¬ voll cmsbalanzierten Mitteleuropadualismus Berlin-Budapest, der Keimzelle der Berlin-Bagdadidee, gibt den Hintergrund für die ganze Geschichte des letzten halben Jahrhunderts, das um Berlin den mit preußischem Mark gesteifter Machtstaat des Deutschen Reiches gruppierte, in Österreich-Ungarn jedoch nicht zu einer gleichermaßen glatten Lösung führte. Denn während sich die Vorherrschaft Preußens in Deutschland politisch eindeutig in der Reichsverfassung aus¬ prägte, zerrieb sich der zentralistische Machtstcmtswille der Donaumonarchie an dem unüberwindlichen inneren Dualismus zwi chen Ungarn und Osterreich und an der rationalistisch verwickelten Aufgabe einer staatlichen Einigung des füdost- europäischen Völkerchaos. Das unvollkommene Gegenstück der deutschen Reichs¬ einigung war der ungarisch-österreichische Ausgleich von 1867. Der scheinbar rein partikularistische Sonderwille Ungarns, der die Parität der beiden Staaten der Donaumonarchie erzwang, wie sie in der Krönung Franz Josefs zum König von Vrenzbottn IV 1918 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/85>, abgerufen am 28.11.2024.