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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Belgischer Terrorismus

schon aus militärischen Gründen: einer im schwersten Kampfe liegenden Armee
darf nun und nimmer zugemutet werden, daß sie in ihrem Rücken unmittelbar
hinter der Front eine Bevölkerung von vielen Hunderttausenden feindlich gesinnten,
waffenfähigen Arbeitslosen verweilen läßt. Außerdem noch aus wirtschaftlichen
und moralischen Gründen: eine Arbeitslosigkeit breiter Volksmassen, die sich schon
über Jahre erstreckt hat und deren Dauer noch unabsehbar ist, hat unvermeidlich
die schwersten sittlichen Schäden für die Gesamtheit d"r Bevölkerung im Gefolge.
Die besetzende Macht hat einfach die Pflicht, demi nach Möglichkeit zu steuern,
wie sie auch die Pflicht gehabt und ausgeübt hat, die Gesundheit der Besatzungs¬
truppen zu bewahren, indem sie eine scharfe Sittenpolizei durchführte und damit
einem aus belgischer Zeit stammenden Übel gründlich zuleide rückte. Wer durch
öffentliche Mittel erhalten wird, hat auch die Pflicht, für die Allgemeinheit zu
arbeiten. Weigert er sich, so kann und muß er gezwungen werden. Ist in Belgien
keine Arbeitsmöglichkeit, so in Deutschland desto mehr.

Die Abtransportierungen sind im allgemeinen ruhig vor sich gegangen. Viele
Arbeiter, die wegen des Terrorismus nicht wagten, sich freiwillig anwerben zu
lassen, waren zufrieden, nun zur Arbeit gegen guten Lohn gezwungen zu werden.
Durch den Zwang glaubten sie sich vor Mißbilligung und Anfeindungen ihrer
Landsleute geschützt. Ruhig und nüchtern urteilende Belgier erkannten sehr wohl,
daß dieser Arbeitszwang für alle Beteiligten eine Wohltat war. Für Stadt und
Land in der belgischen Heimat durch die Abschiebung von Massen unnützer Esser
und durch die Ersparung vieler Millionen von Unterstützungsgeldern. Für
Deutschland durch die Gewinnung von Arbeitskräften, endlich für die Abgeschobenen
selber durch das Aufhören der entsittlichenden Arbeitslosigkeit und durch Erarbeitung
sehr reichlicher Löhne, die eine viel zureichendere Erhaltung der Familien ermög¬
lichen als die bisherigen sehr mageren Unterstützungen.

Was brauchten wir uns diesen Tatsachen gegenüber um alles Geschrei der
feindlichen und neutralen Ententebrüder von Unmenschlichkeit und Sklaverei zu
bekümmern? Besonders wegen der flämischen Arbeiter, die in niederdeutschen
Sprachgebiete arbeiten und da nach wenigen Tagen sich wie zu Hause fühlen
können? Wären die Ententebrüder in unserer Lage gewesen, sie hätten gewiß
nicht solange gewartet, ähnliche und jedenfalls viel weitergehende Maßregeln zu
ergreifen, und dazu die ihnen so gut zu Gesicht stehenden Phrasen von Menschlich¬
keit und Kultur gedroschen.

So zum offenbaren Nutzen aller Nächstbeteiligten und selbst von maßvoll
denkenden Belgiern gebilligt, hätte die Wirkung der Abschiebungen geradezu
glänzend werden können, wenn nicht die Ausführung im einzelnen durch Über¬
eilung und Ungeschicklichkeiten zu viel verdorben hätte.

Gewiß tragen die belgischen Gemeindebehörden durch ihre Weigerung,
Listen der unterstützten Arbeitslosen vorzulegen, einen sehr großen, jedenfalls den.
überwiegenden Teil an der Schuld. Aber warum hat man sie nicht zur Vor
legung der Listen gezwungen? Solcher Aufsässigkeit gegenüber wäre rücksichtsloses
Durchgreifen am Platze gewesen. Die durch das Fehlen brauchbarer Unterlagen
und die übereilte" Massenabführungen unvermeidlich gewordenen Mißgriffe
erschienen dem durch das tägliche Schauspiel der Abtransportierungen ohnehin
aufgeregten Volke als schonungslose Willkür und beabsichtigte Härte. Eine Lohe
neu erregten Hasses lief über das ganze Land, ja über die ganze Welt. Er
richtete sich natürlich nicht gegen die in erster Linie schuldigen belgischen Gemeinde¬
behörden, sondern allgemein gegen die Deutschen, denen doch nur Mißgriffe und
Versehen vorzuwerfen waren.

Die terroristische Verhetzung hatte jetzt leichtes Spiel. Durch das ganze
Land wurde das Stichwort ausgegeben, keinerlei Arbeitsverträge mehr mit Deutschen
abzuschließen, nicht zu "leckerer". Eine überaus rührige Agitation hämmerte es
den Leuten alle Tage ein. Wenn die Arbeiterzüge durch die belgischen Ortschaften
rollten, riefen die massenhaft an der Strecke versammelten Einwohner den Reisenden


Belgischer Terrorismus

schon aus militärischen Gründen: einer im schwersten Kampfe liegenden Armee
darf nun und nimmer zugemutet werden, daß sie in ihrem Rücken unmittelbar
hinter der Front eine Bevölkerung von vielen Hunderttausenden feindlich gesinnten,
waffenfähigen Arbeitslosen verweilen läßt. Außerdem noch aus wirtschaftlichen
und moralischen Gründen: eine Arbeitslosigkeit breiter Volksmassen, die sich schon
über Jahre erstreckt hat und deren Dauer noch unabsehbar ist, hat unvermeidlich
die schwersten sittlichen Schäden für die Gesamtheit d«r Bevölkerung im Gefolge.
Die besetzende Macht hat einfach die Pflicht, demi nach Möglichkeit zu steuern,
wie sie auch die Pflicht gehabt und ausgeübt hat, die Gesundheit der Besatzungs¬
truppen zu bewahren, indem sie eine scharfe Sittenpolizei durchführte und damit
einem aus belgischer Zeit stammenden Übel gründlich zuleide rückte. Wer durch
öffentliche Mittel erhalten wird, hat auch die Pflicht, für die Allgemeinheit zu
arbeiten. Weigert er sich, so kann und muß er gezwungen werden. Ist in Belgien
keine Arbeitsmöglichkeit, so in Deutschland desto mehr.

Die Abtransportierungen sind im allgemeinen ruhig vor sich gegangen. Viele
Arbeiter, die wegen des Terrorismus nicht wagten, sich freiwillig anwerben zu
lassen, waren zufrieden, nun zur Arbeit gegen guten Lohn gezwungen zu werden.
Durch den Zwang glaubten sie sich vor Mißbilligung und Anfeindungen ihrer
Landsleute geschützt. Ruhig und nüchtern urteilende Belgier erkannten sehr wohl,
daß dieser Arbeitszwang für alle Beteiligten eine Wohltat war. Für Stadt und
Land in der belgischen Heimat durch die Abschiebung von Massen unnützer Esser
und durch die Ersparung vieler Millionen von Unterstützungsgeldern. Für
Deutschland durch die Gewinnung von Arbeitskräften, endlich für die Abgeschobenen
selber durch das Aufhören der entsittlichenden Arbeitslosigkeit und durch Erarbeitung
sehr reichlicher Löhne, die eine viel zureichendere Erhaltung der Familien ermög¬
lichen als die bisherigen sehr mageren Unterstützungen.

Was brauchten wir uns diesen Tatsachen gegenüber um alles Geschrei der
feindlichen und neutralen Ententebrüder von Unmenschlichkeit und Sklaverei zu
bekümmern? Besonders wegen der flämischen Arbeiter, die in niederdeutschen
Sprachgebiete arbeiten und da nach wenigen Tagen sich wie zu Hause fühlen
können? Wären die Ententebrüder in unserer Lage gewesen, sie hätten gewiß
nicht solange gewartet, ähnliche und jedenfalls viel weitergehende Maßregeln zu
ergreifen, und dazu die ihnen so gut zu Gesicht stehenden Phrasen von Menschlich¬
keit und Kultur gedroschen.

So zum offenbaren Nutzen aller Nächstbeteiligten und selbst von maßvoll
denkenden Belgiern gebilligt, hätte die Wirkung der Abschiebungen geradezu
glänzend werden können, wenn nicht die Ausführung im einzelnen durch Über¬
eilung und Ungeschicklichkeiten zu viel verdorben hätte.

Gewiß tragen die belgischen Gemeindebehörden durch ihre Weigerung,
Listen der unterstützten Arbeitslosen vorzulegen, einen sehr großen, jedenfalls den.
überwiegenden Teil an der Schuld. Aber warum hat man sie nicht zur Vor
legung der Listen gezwungen? Solcher Aufsässigkeit gegenüber wäre rücksichtsloses
Durchgreifen am Platze gewesen. Die durch das Fehlen brauchbarer Unterlagen
und die übereilte« Massenabführungen unvermeidlich gewordenen Mißgriffe
erschienen dem durch das tägliche Schauspiel der Abtransportierungen ohnehin
aufgeregten Volke als schonungslose Willkür und beabsichtigte Härte. Eine Lohe
neu erregten Hasses lief über das ganze Land, ja über die ganze Welt. Er
richtete sich natürlich nicht gegen die in erster Linie schuldigen belgischen Gemeinde¬
behörden, sondern allgemein gegen die Deutschen, denen doch nur Mißgriffe und
Versehen vorzuwerfen waren.

Die terroristische Verhetzung hatte jetzt leichtes Spiel. Durch das ganze
Land wurde das Stichwort ausgegeben, keinerlei Arbeitsverträge mehr mit Deutschen
abzuschließen, nicht zu „leckerer". Eine überaus rührige Agitation hämmerte es
den Leuten alle Tage ein. Wenn die Arbeiterzüge durch die belgischen Ortschaften
rollten, riefen die massenhaft an der Strecke versammelten Einwohner den Reisenden


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[0075] Belgischer Terrorismus schon aus militärischen Gründen: einer im schwersten Kampfe liegenden Armee darf nun und nimmer zugemutet werden, daß sie in ihrem Rücken unmittelbar hinter der Front eine Bevölkerung von vielen Hunderttausenden feindlich gesinnten, waffenfähigen Arbeitslosen verweilen läßt. Außerdem noch aus wirtschaftlichen und moralischen Gründen: eine Arbeitslosigkeit breiter Volksmassen, die sich schon über Jahre erstreckt hat und deren Dauer noch unabsehbar ist, hat unvermeidlich die schwersten sittlichen Schäden für die Gesamtheit d«r Bevölkerung im Gefolge. Die besetzende Macht hat einfach die Pflicht, demi nach Möglichkeit zu steuern, wie sie auch die Pflicht gehabt und ausgeübt hat, die Gesundheit der Besatzungs¬ truppen zu bewahren, indem sie eine scharfe Sittenpolizei durchführte und damit einem aus belgischer Zeit stammenden Übel gründlich zuleide rückte. Wer durch öffentliche Mittel erhalten wird, hat auch die Pflicht, für die Allgemeinheit zu arbeiten. Weigert er sich, so kann und muß er gezwungen werden. Ist in Belgien keine Arbeitsmöglichkeit, so in Deutschland desto mehr. Die Abtransportierungen sind im allgemeinen ruhig vor sich gegangen. Viele Arbeiter, die wegen des Terrorismus nicht wagten, sich freiwillig anwerben zu lassen, waren zufrieden, nun zur Arbeit gegen guten Lohn gezwungen zu werden. Durch den Zwang glaubten sie sich vor Mißbilligung und Anfeindungen ihrer Landsleute geschützt. Ruhig und nüchtern urteilende Belgier erkannten sehr wohl, daß dieser Arbeitszwang für alle Beteiligten eine Wohltat war. Für Stadt und Land in der belgischen Heimat durch die Abschiebung von Massen unnützer Esser und durch die Ersparung vieler Millionen von Unterstützungsgeldern. Für Deutschland durch die Gewinnung von Arbeitskräften, endlich für die Abgeschobenen selber durch das Aufhören der entsittlichenden Arbeitslosigkeit und durch Erarbeitung sehr reichlicher Löhne, die eine viel zureichendere Erhaltung der Familien ermög¬ lichen als die bisherigen sehr mageren Unterstützungen. Was brauchten wir uns diesen Tatsachen gegenüber um alles Geschrei der feindlichen und neutralen Ententebrüder von Unmenschlichkeit und Sklaverei zu bekümmern? Besonders wegen der flämischen Arbeiter, die in niederdeutschen Sprachgebiete arbeiten und da nach wenigen Tagen sich wie zu Hause fühlen können? Wären die Ententebrüder in unserer Lage gewesen, sie hätten gewiß nicht solange gewartet, ähnliche und jedenfalls viel weitergehende Maßregeln zu ergreifen, und dazu die ihnen so gut zu Gesicht stehenden Phrasen von Menschlich¬ keit und Kultur gedroschen. So zum offenbaren Nutzen aller Nächstbeteiligten und selbst von maßvoll denkenden Belgiern gebilligt, hätte die Wirkung der Abschiebungen geradezu glänzend werden können, wenn nicht die Ausführung im einzelnen durch Über¬ eilung und Ungeschicklichkeiten zu viel verdorben hätte. Gewiß tragen die belgischen Gemeindebehörden durch ihre Weigerung, Listen der unterstützten Arbeitslosen vorzulegen, einen sehr großen, jedenfalls den. überwiegenden Teil an der Schuld. Aber warum hat man sie nicht zur Vor legung der Listen gezwungen? Solcher Aufsässigkeit gegenüber wäre rücksichtsloses Durchgreifen am Platze gewesen. Die durch das Fehlen brauchbarer Unterlagen und die übereilte« Massenabführungen unvermeidlich gewordenen Mißgriffe erschienen dem durch das tägliche Schauspiel der Abtransportierungen ohnehin aufgeregten Volke als schonungslose Willkür und beabsichtigte Härte. Eine Lohe neu erregten Hasses lief über das ganze Land, ja über die ganze Welt. Er richtete sich natürlich nicht gegen die in erster Linie schuldigen belgischen Gemeinde¬ behörden, sondern allgemein gegen die Deutschen, denen doch nur Mißgriffe und Versehen vorzuwerfen waren. Die terroristische Verhetzung hatte jetzt leichtes Spiel. Durch das ganze Land wurde das Stichwort ausgegeben, keinerlei Arbeitsverträge mehr mit Deutschen abzuschließen, nicht zu „leckerer". Eine überaus rührige Agitation hämmerte es den Leuten alle Tage ein. Wenn die Arbeiterzüge durch die belgischen Ortschaften rollten, riefen die massenhaft an der Strecke versammelten Einwohner den Reisenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/75>, abgerufen am 24.11.2024.