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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Trennung von Staat lind Alles-.'

ten > Agitation zum Massenaustritt "aus der Landeskirche auch die Höhe der
Kirchensteuerbeträge sinken wird; manch einer wird noch um des lieben Geldes
willen sich, ohne daß er es nötig hätte, von der Kirchensteuer drücken. Warten
wir ab, wie die Dinge verlaufen werden! Auf jeden Fall werden wir uns zur
energischen Vertretung unserer Rechte gegen den Staat rüsten müssen, und im
übrigen uns zur Sparsamkeit und Opferwillig-l-eit erziehen. Zweifellos können
manche geistlichen Stellen in den Großstädten und auf dem Lande eingezogen
werden; die Kräfte und Gelder können dann an ander"" Stellen verwendet
werden. Unsere Gemeinden müssen über die finanzielle Lage ihrer Kirche noch
viel mehr aufgeklärt werden; es fehlt schon jetzt nicht an Beweisen, daß sie sich
bereitfinden lassen, für die Erhaltung der kirchlichen Pflege die notwendigen
Opfer zu bringen.

Im engsten Zusammenhang damit steht die Trennung der Kirche
von der Schule und die Lösung des Religionsunterrichts aus dem
Lehrplan der Schule. 'Darüber, an dieser Stelle nur wenige Worte!
Über die Aufhebung der geistlichen Ortsschulinspektion trauert ans evan¬
gelischer Seite nur eine Minderheit. Auch bei der Aushebung ist ja die freund¬
schaftliche Beziehung zwischen Pfarrer und Lehrer namentlich auf dem Lande
durchaus nicht zerstört. Dem Pfarrer wird irgendwie doch im Rahmen der
Schulverfassung die Möglichkeit bleiben, seine Wünsche wie jedes ändere Ge¬
meindeglied zum Ausdruck zu bringen. Aus eine Verständigung freundschaft¬
licher Art ist zu hoffen; das frühere "Vorgesetzten"-V-erhälinis soll ja im neuen
Staat durch sin ollgemeines "Vertrauensverhältnis" überall ersetzt werden.
'

Außerordentlich viel Mithilfe in der religiösen VoltLerziehnng
ginge der Kirche verloren, wenn wirklich die kürzlich erschienenen Be¬
stimmungen des Ministers Haenisch über die künftige Bedeutung des Religions¬
unterrichts im allgemeinen Jugendunterricht endgültig sein sollten. Die -Kirche
müßte dann den gesamten Religionsunterricht selbst organisieren und auch Wohl
selbst bezahlen. Mit größter Freude sehen wir jetzt schon, daß der weitaus größte
Teil der Lehrerschaft an allen Schulen bereit ist, den Religionsunterricht weiter¬
hin'zu erteilen.. Wir sind gewiß, daß die jetzt sich zeigende Bereitwilligkeit nach¬
haltig bleibt, und wollen kirchlicherseits alles tun, um das Vertrauensverhältnis
zwischen Kirche und Lehrerschaft zu vertiefen.

Wahrscheinlich würden bei einer Trennung von Staat und Kirche auch
die theologischen Fakultäten -an den Universitäten sich im der heutigen Form; nicht
halten lassen; zum Teil würden die einzelnen Disziplinen bei der philosophischen
Fakultät untergebracht werden, zum Teil würden sie, namentlich die "praktische"
Theologie, über die in dem letzten Jahren schon sehr viel verhandelt ist, in einer
Umformung auf Instituten der Kirche betrieben werden können.

Die Zukunft der .Arche ist also voller Sorgen und Nöte. Mit ub-erstiege-
nen Idealismus lassen sich diese Sorgen nicht gleich überwinden. Mag das
religiöse Leben wahrer und ehrlicher werden, wenn alle weltlichen Stützen zer¬
brechen, -- es kann auch manches Leben sterben, weil die Not zu groß wird.
Kirchliche Sitte ist leichter zerstört als ausgebaut. Und der Wert guter kirchlicher
Sitte steht außer- Zweifel. Auch der Trost ist nicht hinreichend, daß die jetzt er¬
klärte Opferwilligl'an der Kirchentreuen bleiben wird; -- wer kennt die harte-
Zukunft? Die Sorgen bleiben und machen Besonnenheit zur Pflicht.
Aber am notwendigsten bleibt natürlich eine starke religiöse Kraft.
Aus unserem kirchlichen Leben muß -alles überlebte, enge, büreaukratische,
hierarchische heraus, alle übertriebene Hochschätzung des altertümlichen,
und hinein muß der Mut auch zu neuen Formen der Andacht, eine immer
wärmere soziale Gesinnung, eine immer tiefere Versenkung in die Geheimnisse
und Seligkeiten des Glaubens, eine immer größere Andachtskraft und Festigkeit
gegenüber den Versuchungen und Wankelmütigk-eilen des irdischen Lebens. Einer
charaktervoller, 'einigem, volkstümlichen, seelenreinen Kirche -werden die Menschen
auch heute ihre Liebe schenken.




Trennung von Staat lind Alles-.'

ten > Agitation zum Massenaustritt »aus der Landeskirche auch die Höhe der
Kirchensteuerbeträge sinken wird; manch einer wird noch um des lieben Geldes
willen sich, ohne daß er es nötig hätte, von der Kirchensteuer drücken. Warten
wir ab, wie die Dinge verlaufen werden! Auf jeden Fall werden wir uns zur
energischen Vertretung unserer Rechte gegen den Staat rüsten müssen, und im
übrigen uns zur Sparsamkeit und Opferwillig-l-eit erziehen. Zweifellos können
manche geistlichen Stellen in den Großstädten und auf dem Lande eingezogen
werden; die Kräfte und Gelder können dann an ander«» Stellen verwendet
werden. Unsere Gemeinden müssen über die finanzielle Lage ihrer Kirche noch
viel mehr aufgeklärt werden; es fehlt schon jetzt nicht an Beweisen, daß sie sich
bereitfinden lassen, für die Erhaltung der kirchlichen Pflege die notwendigen
Opfer zu bringen.

Im engsten Zusammenhang damit steht die Trennung der Kirche
von der Schule und die Lösung des Religionsunterrichts aus dem
Lehrplan der Schule. 'Darüber, an dieser Stelle nur wenige Worte!
Über die Aufhebung der geistlichen Ortsschulinspektion trauert ans evan¬
gelischer Seite nur eine Minderheit. Auch bei der Aushebung ist ja die freund¬
schaftliche Beziehung zwischen Pfarrer und Lehrer namentlich auf dem Lande
durchaus nicht zerstört. Dem Pfarrer wird irgendwie doch im Rahmen der
Schulverfassung die Möglichkeit bleiben, seine Wünsche wie jedes ändere Ge¬
meindeglied zum Ausdruck zu bringen. Aus eine Verständigung freundschaft¬
licher Art ist zu hoffen; das frühere „Vorgesetzten"-V-erhälinis soll ja im neuen
Staat durch sin ollgemeines „Vertrauensverhältnis" überall ersetzt werden.
'

Außerordentlich viel Mithilfe in der religiösen VoltLerziehnng
ginge der Kirche verloren, wenn wirklich die kürzlich erschienenen Be¬
stimmungen des Ministers Haenisch über die künftige Bedeutung des Religions¬
unterrichts im allgemeinen Jugendunterricht endgültig sein sollten. Die -Kirche
müßte dann den gesamten Religionsunterricht selbst organisieren und auch Wohl
selbst bezahlen. Mit größter Freude sehen wir jetzt schon, daß der weitaus größte
Teil der Lehrerschaft an allen Schulen bereit ist, den Religionsunterricht weiter¬
hin'zu erteilen.. Wir sind gewiß, daß die jetzt sich zeigende Bereitwilligkeit nach¬
haltig bleibt, und wollen kirchlicherseits alles tun, um das Vertrauensverhältnis
zwischen Kirche und Lehrerschaft zu vertiefen.

Wahrscheinlich würden bei einer Trennung von Staat und Kirche auch
die theologischen Fakultäten -an den Universitäten sich im der heutigen Form; nicht
halten lassen; zum Teil würden die einzelnen Disziplinen bei der philosophischen
Fakultät untergebracht werden, zum Teil würden sie, namentlich die „praktische"
Theologie, über die in dem letzten Jahren schon sehr viel verhandelt ist, in einer
Umformung auf Instituten der Kirche betrieben werden können.

Die Zukunft der .Arche ist also voller Sorgen und Nöte. Mit ub-erstiege-
nen Idealismus lassen sich diese Sorgen nicht gleich überwinden. Mag das
religiöse Leben wahrer und ehrlicher werden, wenn alle weltlichen Stützen zer¬
brechen, — es kann auch manches Leben sterben, weil die Not zu groß wird.
Kirchliche Sitte ist leichter zerstört als ausgebaut. Und der Wert guter kirchlicher
Sitte steht außer- Zweifel. Auch der Trost ist nicht hinreichend, daß die jetzt er¬
klärte Opferwilligl'an der Kirchentreuen bleiben wird; — wer kennt die harte-
Zukunft? Die Sorgen bleiben und machen Besonnenheit zur Pflicht.
Aber am notwendigsten bleibt natürlich eine starke religiöse Kraft.
Aus unserem kirchlichen Leben muß -alles überlebte, enge, büreaukratische,
hierarchische heraus, alle übertriebene Hochschätzung des altertümlichen,
und hinein muß der Mut auch zu neuen Formen der Andacht, eine immer
wärmere soziale Gesinnung, eine immer tiefere Versenkung in die Geheimnisse
und Seligkeiten des Glaubens, eine immer größere Andachtskraft und Festigkeit
gegenüber den Versuchungen und Wankelmütigk-eilen des irdischen Lebens. Einer
charaktervoller, 'einigem, volkstümlichen, seelenreinen Kirche -werden die Menschen
auch heute ihre Liebe schenken.




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[0326] Trennung von Staat lind Alles-.' ten > Agitation zum Massenaustritt »aus der Landeskirche auch die Höhe der Kirchensteuerbeträge sinken wird; manch einer wird noch um des lieben Geldes willen sich, ohne daß er es nötig hätte, von der Kirchensteuer drücken. Warten wir ab, wie die Dinge verlaufen werden! Auf jeden Fall werden wir uns zur energischen Vertretung unserer Rechte gegen den Staat rüsten müssen, und im übrigen uns zur Sparsamkeit und Opferwillig-l-eit erziehen. Zweifellos können manche geistlichen Stellen in den Großstädten und auf dem Lande eingezogen werden; die Kräfte und Gelder können dann an ander«» Stellen verwendet werden. Unsere Gemeinden müssen über die finanzielle Lage ihrer Kirche noch viel mehr aufgeklärt werden; es fehlt schon jetzt nicht an Beweisen, daß sie sich bereitfinden lassen, für die Erhaltung der kirchlichen Pflege die notwendigen Opfer zu bringen. Im engsten Zusammenhang damit steht die Trennung der Kirche von der Schule und die Lösung des Religionsunterrichts aus dem Lehrplan der Schule. 'Darüber, an dieser Stelle nur wenige Worte! Über die Aufhebung der geistlichen Ortsschulinspektion trauert ans evan¬ gelischer Seite nur eine Minderheit. Auch bei der Aushebung ist ja die freund¬ schaftliche Beziehung zwischen Pfarrer und Lehrer namentlich auf dem Lande durchaus nicht zerstört. Dem Pfarrer wird irgendwie doch im Rahmen der Schulverfassung die Möglichkeit bleiben, seine Wünsche wie jedes ändere Ge¬ meindeglied zum Ausdruck zu bringen. Aus eine Verständigung freundschaft¬ licher Art ist zu hoffen; das frühere „Vorgesetzten"-V-erhälinis soll ja im neuen Staat durch sin ollgemeines „Vertrauensverhältnis" überall ersetzt werden. ' Außerordentlich viel Mithilfe in der religiösen VoltLerziehnng ginge der Kirche verloren, wenn wirklich die kürzlich erschienenen Be¬ stimmungen des Ministers Haenisch über die künftige Bedeutung des Religions¬ unterrichts im allgemeinen Jugendunterricht endgültig sein sollten. Die -Kirche müßte dann den gesamten Religionsunterricht selbst organisieren und auch Wohl selbst bezahlen. Mit größter Freude sehen wir jetzt schon, daß der weitaus größte Teil der Lehrerschaft an allen Schulen bereit ist, den Religionsunterricht weiter¬ hin'zu erteilen.. Wir sind gewiß, daß die jetzt sich zeigende Bereitwilligkeit nach¬ haltig bleibt, und wollen kirchlicherseits alles tun, um das Vertrauensverhältnis zwischen Kirche und Lehrerschaft zu vertiefen. Wahrscheinlich würden bei einer Trennung von Staat und Kirche auch die theologischen Fakultäten -an den Universitäten sich im der heutigen Form; nicht halten lassen; zum Teil würden die einzelnen Disziplinen bei der philosophischen Fakultät untergebracht werden, zum Teil würden sie, namentlich die „praktische" Theologie, über die in dem letzten Jahren schon sehr viel verhandelt ist, in einer Umformung auf Instituten der Kirche betrieben werden können. Die Zukunft der .Arche ist also voller Sorgen und Nöte. Mit ub-erstiege- nen Idealismus lassen sich diese Sorgen nicht gleich überwinden. Mag das religiöse Leben wahrer und ehrlicher werden, wenn alle weltlichen Stützen zer¬ brechen, — es kann auch manches Leben sterben, weil die Not zu groß wird. Kirchliche Sitte ist leichter zerstört als ausgebaut. Und der Wert guter kirchlicher Sitte steht außer- Zweifel. Auch der Trost ist nicht hinreichend, daß die jetzt er¬ klärte Opferwilligl'an der Kirchentreuen bleiben wird; — wer kennt die harte- Zukunft? Die Sorgen bleiben und machen Besonnenheit zur Pflicht. Aber am notwendigsten bleibt natürlich eine starke religiöse Kraft. Aus unserem kirchlichen Leben muß -alles überlebte, enge, büreaukratische, hierarchische heraus, alle übertriebene Hochschätzung des altertümlichen, und hinein muß der Mut auch zu neuen Formen der Andacht, eine immer wärmere soziale Gesinnung, eine immer tiefere Versenkung in die Geheimnisse und Seligkeiten des Glaubens, eine immer größere Andachtskraft und Festigkeit gegenüber den Versuchungen und Wankelmütigk-eilen des irdischen Lebens. Einer charaktervoller, 'einigem, volkstümlichen, seelenreinen Kirche -werden die Menschen auch heute ihre Liebe schenken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/326>, abgerufen am 24.11.2024.