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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Katholizismus und völkervcisöhiunia

die des Regensburger Domdekans Franz Taver Kiefl über den "Katholizismus
als völkerverbindende Macht der Zukunft" (Bd. I S, 407 bis 428).

Kiefl.schätzt die völkerverbindenden Kräfte des Katholizismus besonders
hoch ein. Er kann sich dabei auf das Urteil Maeaulahs und Auguste Comtes be¬
rufen. Man wird ihr Vorhandensein in der Tat gern anerkennen. Die schwerste
Belastungsprobe für dies Anerkenntnis bildet die Tatsache des großen Geistes¬
kampfes zwischen dem deutschen und dem französischen Katholizismus, deu der
Krieg hervorgerufen hat. Ich habe früher in diesen Heften darüber berichtet.')
Kiefl weist darauf hin, daß die Kriegserklärung des französischen Katholizismus
an den deutschen nicht in der Form erfolgt sei, daß die Franzosen einfach die kirch¬
liche Gemeinschaft mißachteten, fondern weil sie den deutschen Staats- und Volks¬
geist unter dem Einfluß Hegels oder Nietzsches fiir kirchenfeindlich und die deutsche
Kirche unter der Wirkung solchen Geistes selbst für nicht mehr gut katholisch
hielten. Man könnte also sagen, daß gerade die Sorge um die katholische Einheit
die Angriffe des französischen Klerus auf die deutsche Kirche hervorrief. Kiefl
selbst betont, daß die Auffassung nur unter einem sehr subjektiv-nationalen Ge¬
sichtswinkel zu gewinnen war, unter dem die französischen Katholiken um fo lei¬
denschaftlicher die Dinge betrachteten, je mehr sie unter dem Abfall der Mehrheit
der eigenen Volksgenossen vom Katholizismus herbe religiöse und patriotische
Schmerzen litten. Zugegeben, daß die französischen Katholiken ihre Augriffe auf
den deutschen Geist wirklich nicht bloß aus nationalistischen Beweggründen, son¬
dern auch aus katholischer Überzeugung heraus unternahmen, so konnten sie doch
die Überzeugung, die deutsche Kirche sei von einem gefährlichen akatholischen
Geiste vergiftet, nur gewinnen, weil sie sie nicht ohne nationalistische Vorein¬
genommenheit und eine gewisse Eifersucht angesichts des durch die Kirchenfeind¬
schaft breiter maßgebender Volkskreise drohenden Niederganges der französischen
Kirche ansehen konnten. Kiefl wird nicht leugnen, daß französisch-lateinischer
Rassenchauvinismus denn doch bei den Franzosen zeitweilig mächtig genug war,
das katholische Bewußtsein zu trüben. Diese Tatsache habe ich in meinem vor¬
hin zitierten Aufsatze absichtlich scharf hervorgehoben. Wir würden uns selbst
täuschen, wenn wir sie vergessen wollten. Ich will aber nicht im mindesten daran
zweifeln, daß durch eifrige Propaganda für die Erkenntnis der Wahrheit und An¬
erkennung des brüderlichen Geistes auch gegenüber den deutschen Katholiken in
Zukunft ein besseres Verständnis der französischen Kirche sür die deutsche an¬
gebahnt werden kann. Ich glaube und hoffe von Herzen, daß der Katholizismus
gerade auch zwischen Deutschland und Frankreich manches Band der Versöhnung
knüpfen könnte. Nur muß man nicht denken, daß der französische Katholizismus
aus dem Kriege heraus schon völlig versöhnungsfertig käme. Das beste ist hier
erst noch zu tun.

Hat also der Katholizismus, wie das Beispiel der tiefen Verfeindung. auch
der Gläubigen Deutschlands und Frankreichs beweist, sür die Aufgabe der Völker¬
versöhnung leider nichts Vollkommenes geleistet, so hat Kiefl zweifellos recht,
wenn er sagt, daß andere Mächte, die dazu berufen gewesen wären,'Wohl noch
mehr versagt hätten. Von Comte stammt die Idee, daß die internationale
moderne Wissenschaft an Stelle der alten vnnoo?<ZkmUa oaÄioliog, berufen sei,
die Völker zu vereinigen. Bewußt oder unbewußt in seinem Geiste haben vor
dem Kriege die europäischen und amerikanischen Akademien nicht nur an der Be¬
wältigung internationaler Aufgaben der Wissenschaft gearbeitet, sondern auch
durch AÜstauschprofessuren, Kongresse und Festlichkeiten die völkerversöhnende
Aufgabe der Gelehrtenrepublik direkt zu fördern gesucht. Kiefl weist aber mit
Recht darauf hin, daß diese modernen Bestrebungen die mittelalterliche Solidari¬
tät der katholischen Wissenschaft mit ihrer internationalen lateinischen Lehrsprache
bei weitem nicht erreicht haben. Bei Ausbruch des Krieges siegte in den Aka¬
demien sehr vielfach sofort der nationalistische Geist; die Wissenschaft selber stellte
sich in den Dienst der Kriegsrüstung und Kriegspropaganda, und ein Gelehrter



"Lateinisch oder Katholisch", Grenzboten 1918 Ur. 9.
Katholizismus und völkervcisöhiunia

die des Regensburger Domdekans Franz Taver Kiefl über den „Katholizismus
als völkerverbindende Macht der Zukunft" (Bd. I S, 407 bis 428).

Kiefl.schätzt die völkerverbindenden Kräfte des Katholizismus besonders
hoch ein. Er kann sich dabei auf das Urteil Maeaulahs und Auguste Comtes be¬
rufen. Man wird ihr Vorhandensein in der Tat gern anerkennen. Die schwerste
Belastungsprobe für dies Anerkenntnis bildet die Tatsache des großen Geistes¬
kampfes zwischen dem deutschen und dem französischen Katholizismus, deu der
Krieg hervorgerufen hat. Ich habe früher in diesen Heften darüber berichtet.')
Kiefl weist darauf hin, daß die Kriegserklärung des französischen Katholizismus
an den deutschen nicht in der Form erfolgt sei, daß die Franzosen einfach die kirch¬
liche Gemeinschaft mißachteten, fondern weil sie den deutschen Staats- und Volks¬
geist unter dem Einfluß Hegels oder Nietzsches fiir kirchenfeindlich und die deutsche
Kirche unter der Wirkung solchen Geistes selbst für nicht mehr gut katholisch
hielten. Man könnte also sagen, daß gerade die Sorge um die katholische Einheit
die Angriffe des französischen Klerus auf die deutsche Kirche hervorrief. Kiefl
selbst betont, daß die Auffassung nur unter einem sehr subjektiv-nationalen Ge¬
sichtswinkel zu gewinnen war, unter dem die französischen Katholiken um fo lei¬
denschaftlicher die Dinge betrachteten, je mehr sie unter dem Abfall der Mehrheit
der eigenen Volksgenossen vom Katholizismus herbe religiöse und patriotische
Schmerzen litten. Zugegeben, daß die französischen Katholiken ihre Augriffe auf
den deutschen Geist wirklich nicht bloß aus nationalistischen Beweggründen, son¬
dern auch aus katholischer Überzeugung heraus unternahmen, so konnten sie doch
die Überzeugung, die deutsche Kirche sei von einem gefährlichen akatholischen
Geiste vergiftet, nur gewinnen, weil sie sie nicht ohne nationalistische Vorein¬
genommenheit und eine gewisse Eifersucht angesichts des durch die Kirchenfeind¬
schaft breiter maßgebender Volkskreise drohenden Niederganges der französischen
Kirche ansehen konnten. Kiefl wird nicht leugnen, daß französisch-lateinischer
Rassenchauvinismus denn doch bei den Franzosen zeitweilig mächtig genug war,
das katholische Bewußtsein zu trüben. Diese Tatsache habe ich in meinem vor¬
hin zitierten Aufsatze absichtlich scharf hervorgehoben. Wir würden uns selbst
täuschen, wenn wir sie vergessen wollten. Ich will aber nicht im mindesten daran
zweifeln, daß durch eifrige Propaganda für die Erkenntnis der Wahrheit und An¬
erkennung des brüderlichen Geistes auch gegenüber den deutschen Katholiken in
Zukunft ein besseres Verständnis der französischen Kirche sür die deutsche an¬
gebahnt werden kann. Ich glaube und hoffe von Herzen, daß der Katholizismus
gerade auch zwischen Deutschland und Frankreich manches Band der Versöhnung
knüpfen könnte. Nur muß man nicht denken, daß der französische Katholizismus
aus dem Kriege heraus schon völlig versöhnungsfertig käme. Das beste ist hier
erst noch zu tun.

Hat also der Katholizismus, wie das Beispiel der tiefen Verfeindung. auch
der Gläubigen Deutschlands und Frankreichs beweist, sür die Aufgabe der Völker¬
versöhnung leider nichts Vollkommenes geleistet, so hat Kiefl zweifellos recht,
wenn er sagt, daß andere Mächte, die dazu berufen gewesen wären,'Wohl noch
mehr versagt hätten. Von Comte stammt die Idee, daß die internationale
moderne Wissenschaft an Stelle der alten vnnoo?<ZkmUa oaÄioliog, berufen sei,
die Völker zu vereinigen. Bewußt oder unbewußt in seinem Geiste haben vor
dem Kriege die europäischen und amerikanischen Akademien nicht nur an der Be¬
wältigung internationaler Aufgaben der Wissenschaft gearbeitet, sondern auch
durch AÜstauschprofessuren, Kongresse und Festlichkeiten die völkerversöhnende
Aufgabe der Gelehrtenrepublik direkt zu fördern gesucht. Kiefl weist aber mit
Recht darauf hin, daß diese modernen Bestrebungen die mittelalterliche Solidari¬
tät der katholischen Wissenschaft mit ihrer internationalen lateinischen Lehrsprache
bei weitem nicht erreicht haben. Bei Ausbruch des Krieges siegte in den Aka¬
demien sehr vielfach sofort der nationalistische Geist; die Wissenschaft selber stellte
sich in den Dienst der Kriegsrüstung und Kriegspropaganda, und ein Gelehrter



„Lateinisch oder Katholisch", Grenzboten 1918 Ur. 9.
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[0314] Katholizismus und völkervcisöhiunia die des Regensburger Domdekans Franz Taver Kiefl über den „Katholizismus als völkerverbindende Macht der Zukunft" (Bd. I S, 407 bis 428). Kiefl.schätzt die völkerverbindenden Kräfte des Katholizismus besonders hoch ein. Er kann sich dabei auf das Urteil Maeaulahs und Auguste Comtes be¬ rufen. Man wird ihr Vorhandensein in der Tat gern anerkennen. Die schwerste Belastungsprobe für dies Anerkenntnis bildet die Tatsache des großen Geistes¬ kampfes zwischen dem deutschen und dem französischen Katholizismus, deu der Krieg hervorgerufen hat. Ich habe früher in diesen Heften darüber berichtet.') Kiefl weist darauf hin, daß die Kriegserklärung des französischen Katholizismus an den deutschen nicht in der Form erfolgt sei, daß die Franzosen einfach die kirch¬ liche Gemeinschaft mißachteten, fondern weil sie den deutschen Staats- und Volks¬ geist unter dem Einfluß Hegels oder Nietzsches fiir kirchenfeindlich und die deutsche Kirche unter der Wirkung solchen Geistes selbst für nicht mehr gut katholisch hielten. Man könnte also sagen, daß gerade die Sorge um die katholische Einheit die Angriffe des französischen Klerus auf die deutsche Kirche hervorrief. Kiefl selbst betont, daß die Auffassung nur unter einem sehr subjektiv-nationalen Ge¬ sichtswinkel zu gewinnen war, unter dem die französischen Katholiken um fo lei¬ denschaftlicher die Dinge betrachteten, je mehr sie unter dem Abfall der Mehrheit der eigenen Volksgenossen vom Katholizismus herbe religiöse und patriotische Schmerzen litten. Zugegeben, daß die französischen Katholiken ihre Augriffe auf den deutschen Geist wirklich nicht bloß aus nationalistischen Beweggründen, son¬ dern auch aus katholischer Überzeugung heraus unternahmen, so konnten sie doch die Überzeugung, die deutsche Kirche sei von einem gefährlichen akatholischen Geiste vergiftet, nur gewinnen, weil sie sie nicht ohne nationalistische Vorein¬ genommenheit und eine gewisse Eifersucht angesichts des durch die Kirchenfeind¬ schaft breiter maßgebender Volkskreise drohenden Niederganges der französischen Kirche ansehen konnten. Kiefl wird nicht leugnen, daß französisch-lateinischer Rassenchauvinismus denn doch bei den Franzosen zeitweilig mächtig genug war, das katholische Bewußtsein zu trüben. Diese Tatsache habe ich in meinem vor¬ hin zitierten Aufsatze absichtlich scharf hervorgehoben. Wir würden uns selbst täuschen, wenn wir sie vergessen wollten. Ich will aber nicht im mindesten daran zweifeln, daß durch eifrige Propaganda für die Erkenntnis der Wahrheit und An¬ erkennung des brüderlichen Geistes auch gegenüber den deutschen Katholiken in Zukunft ein besseres Verständnis der französischen Kirche sür die deutsche an¬ gebahnt werden kann. Ich glaube und hoffe von Herzen, daß der Katholizismus gerade auch zwischen Deutschland und Frankreich manches Band der Versöhnung knüpfen könnte. Nur muß man nicht denken, daß der französische Katholizismus aus dem Kriege heraus schon völlig versöhnungsfertig käme. Das beste ist hier erst noch zu tun. Hat also der Katholizismus, wie das Beispiel der tiefen Verfeindung. auch der Gläubigen Deutschlands und Frankreichs beweist, sür die Aufgabe der Völker¬ versöhnung leider nichts Vollkommenes geleistet, so hat Kiefl zweifellos recht, wenn er sagt, daß andere Mächte, die dazu berufen gewesen wären,'Wohl noch mehr versagt hätten. Von Comte stammt die Idee, daß die internationale moderne Wissenschaft an Stelle der alten vnnoo?<ZkmUa oaÄioliog, berufen sei, die Völker zu vereinigen. Bewußt oder unbewußt in seinem Geiste haben vor dem Kriege die europäischen und amerikanischen Akademien nicht nur an der Be¬ wältigung internationaler Aufgaben der Wissenschaft gearbeitet, sondern auch durch AÜstauschprofessuren, Kongresse und Festlichkeiten die völkerversöhnende Aufgabe der Gelehrtenrepublik direkt zu fördern gesucht. Kiefl weist aber mit Recht darauf hin, daß diese modernen Bestrebungen die mittelalterliche Solidari¬ tät der katholischen Wissenschaft mit ihrer internationalen lateinischen Lehrsprache bei weitem nicht erreicht haben. Bei Ausbruch des Krieges siegte in den Aka¬ demien sehr vielfach sofort der nationalistische Geist; die Wissenschaft selber stellte sich in den Dienst der Kriegsrüstung und Kriegspropaganda, und ein Gelehrter „Lateinisch oder Katholisch", Grenzboten 1918 Ur. 9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/314>, abgerufen am 24.11.2024.