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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Schichtung und Umschichtung

hat Erfolg, jener hat keinen Erfolg. Dieser hat den Erfolg, hundert Jahre nach
seinem Tode weltberühmt zu werden und es dreihundert Jahre lang zu bleiben,
zener hat den Mißerfolg, nie genannt worden oder endgültig und unwiderruflich
vergessen zu sein. Weiter gelangen wir nicht. Gerechtigkeit? Verdienst? Wer
weiß etwas darüber?

Wenn denn also die natürliche Rangordnung von uns unvollkommenen
Menschen nicht verwirklicht werden kann, so bleibt der Demokratisierung noch ein
anderer Weg offen: Abschaffung der sozialen Schichtung. Es soll überhaupt nicht
der eine oben und der andere unten stehen. Diese Formel klingt so einfach, so
einleuchtend, so gerecht, daß man meinen sollte, jeder Unvoreingenomniene müßte
sie sich ohne weiteres zu eigen machen und zu seinem ethischen Ideal erheben.
Allein wie das mit den einfachen, einleuchtenden und gerechten Formeln so geht:
sie haben alle diese Eigenschaften nur, fo lange man ihren langenehmen Klang mit
den Ohren aufnimmt und nicht bis in die Mühle des Denkens gelangen läßt.

Wenn wir von sozialer Schichtung, von Rangordnung, von einem
Stufenbau reden: worin besteht die Verschiedenheit? Welches ist der rangbildcnde
Faktor? Offenbar ist es die Macht, über die jeder verfügt, Macht im aller-
weitesten Sinne genommen. Worauf aber beruht seine Macht? . Offenbar auf
dem, was man tut und treibt, auf dem Beruf, auf der Arbeit, der Begriff wieder
im allerweitesten Sinne genommen, worunter denn auch fallen würde, daß man
überhaupt nicht zu arbeiten braucht. Ob einer mit dem Kopfe schafft oder mit der
Faust, ob er anordnet oder ausführt, ob er arbeitet, wann, wie und was er will,
oder ob man ihn zwingt zu arbeiten, und zu dieser Zeit, in dieser Weise, an
diesem Fleck zu 'arbeitet:: davon 'hängt alles weitere ab. In gewisser Weise läuft
Rangordnung der Menschen hinaus auf Rangordnung der Arbeit.

In bezug auf den Rang der Arbeit sind nun zwei Anschauungen gleich¬
zeitig im Schwange. Man kennt den brav demokratischen Grundsatz: Arbeit
schändet nicht. Und den anderen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wem
ist es schon aufgefallen, daß diese Sätze einander widersprechen und sich gegen¬
seitig aufheben? Arbeit schündet nicht, bedeutet: eine Arbeit ist so viel wert wie
jede andere; es ist im Grunde gleich, ob einer auf dem Katheder der Universität
steht oder im Heizraunl des Schnelldampfers, ob er mit -der Feder arbeitet oder
mit der Steinhacke. Wer nicht'arbeitet, soll auch nicht essen, das bedeutet: Arbeit
ist ungleichwertig, Arbeit hat Rangunterschiede. Es ist ungerecht, daß die
niederen Arbeiten dauernd von dem einen, größeren Teil der Menschheit geleistet
werden müssen, während der andere, kleinere, dauernd von ihm befreit bleibt. Es
ist ungerecht, daß die einen für die anderen arbeiten sollen, daß die einen die
anderen für sich arbeiten lassen dürfen. Zwischen Gleichwertigkeit und Abstufung
der Arbeit müsste denn also zunächst entschieden werden.

Unzweifelhaft gibt es einen Standpunkt, von dem aus die eine Arbeit als
so viel wert wie die andere betrachtet werden darf; nämlich insofern sie alle gleich
notwendig sind. Es muß regiert werden, es muß Recht gesprochen werden, es
muß gelehrt werden -- aber es müssen auch die Straßen gekehrt, die Kamine
gefegt, die Latrinen geräumt werden. Dies ?se richtig. Wer aber daraufhin die
Gleichwertigkeit der Arbeit zum Prinzip erhebt oder' als Dogma verkündet, der
verrennt sich in eine bloße Theorie, die vom Leben in jedem Augenblick Lügen
gestraft wirb. In der Wirklichkeit gibt es die Rangordnung der Arbeit. Freilich
fehlt durchaus der entscheidende Maßstab. Soll man nach der Schwierigkeit und
Seltenheit des Berufes urteilen? Dann gehört Seiltänzer und Feuerfressen zu
den ganz hohen Berufen. Soll man die geistige Arbeit über die körperliche stellen?
Dann hat der Nevolverjournalist oder Verfasser von Schundromanen mehr Wert
als der Elektromonteur oder der Flugzeugführer. Soll die Gefährlichkeit
entscheiden? Dann steht der Feuerwehrmann über dem Bürgermeister, der Lotse
über dem Schiffsreeder. Die Rangordnung der Berufe herzustellen, ist also eine
verzweifelte Ausgabe. Bleibt endlich als einfache und unzweideutige Skala die
Höhe der Einnahmen. Auch sie'entscheidet nicht. Indessen der Lohn ist immerhin
eine Wertung, die sich greifen, nennen und messen läßt, und die Abstufung der


Schichtung und Umschichtung

hat Erfolg, jener hat keinen Erfolg. Dieser hat den Erfolg, hundert Jahre nach
seinem Tode weltberühmt zu werden und es dreihundert Jahre lang zu bleiben,
zener hat den Mißerfolg, nie genannt worden oder endgültig und unwiderruflich
vergessen zu sein. Weiter gelangen wir nicht. Gerechtigkeit? Verdienst? Wer
weiß etwas darüber?

Wenn denn also die natürliche Rangordnung von uns unvollkommenen
Menschen nicht verwirklicht werden kann, so bleibt der Demokratisierung noch ein
anderer Weg offen: Abschaffung der sozialen Schichtung. Es soll überhaupt nicht
der eine oben und der andere unten stehen. Diese Formel klingt so einfach, so
einleuchtend, so gerecht, daß man meinen sollte, jeder Unvoreingenomniene müßte
sie sich ohne weiteres zu eigen machen und zu seinem ethischen Ideal erheben.
Allein wie das mit den einfachen, einleuchtenden und gerechten Formeln so geht:
sie haben alle diese Eigenschaften nur, fo lange man ihren langenehmen Klang mit
den Ohren aufnimmt und nicht bis in die Mühle des Denkens gelangen läßt.

Wenn wir von sozialer Schichtung, von Rangordnung, von einem
Stufenbau reden: worin besteht die Verschiedenheit? Welches ist der rangbildcnde
Faktor? Offenbar ist es die Macht, über die jeder verfügt, Macht im aller-
weitesten Sinne genommen. Worauf aber beruht seine Macht? . Offenbar auf
dem, was man tut und treibt, auf dem Beruf, auf der Arbeit, der Begriff wieder
im allerweitesten Sinne genommen, worunter denn auch fallen würde, daß man
überhaupt nicht zu arbeiten braucht. Ob einer mit dem Kopfe schafft oder mit der
Faust, ob er anordnet oder ausführt, ob er arbeitet, wann, wie und was er will,
oder ob man ihn zwingt zu arbeiten, und zu dieser Zeit, in dieser Weise, an
diesem Fleck zu 'arbeitet:: davon 'hängt alles weitere ab. In gewisser Weise läuft
Rangordnung der Menschen hinaus auf Rangordnung der Arbeit.

In bezug auf den Rang der Arbeit sind nun zwei Anschauungen gleich¬
zeitig im Schwange. Man kennt den brav demokratischen Grundsatz: Arbeit
schändet nicht. Und den anderen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wem
ist es schon aufgefallen, daß diese Sätze einander widersprechen und sich gegen¬
seitig aufheben? Arbeit schündet nicht, bedeutet: eine Arbeit ist so viel wert wie
jede andere; es ist im Grunde gleich, ob einer auf dem Katheder der Universität
steht oder im Heizraunl des Schnelldampfers, ob er mit -der Feder arbeitet oder
mit der Steinhacke. Wer nicht'arbeitet, soll auch nicht essen, das bedeutet: Arbeit
ist ungleichwertig, Arbeit hat Rangunterschiede. Es ist ungerecht, daß die
niederen Arbeiten dauernd von dem einen, größeren Teil der Menschheit geleistet
werden müssen, während der andere, kleinere, dauernd von ihm befreit bleibt. Es
ist ungerecht, daß die einen für die anderen arbeiten sollen, daß die einen die
anderen für sich arbeiten lassen dürfen. Zwischen Gleichwertigkeit und Abstufung
der Arbeit müsste denn also zunächst entschieden werden.

Unzweifelhaft gibt es einen Standpunkt, von dem aus die eine Arbeit als
so viel wert wie die andere betrachtet werden darf; nämlich insofern sie alle gleich
notwendig sind. Es muß regiert werden, es muß Recht gesprochen werden, es
muß gelehrt werden — aber es müssen auch die Straßen gekehrt, die Kamine
gefegt, die Latrinen geräumt werden. Dies ?se richtig. Wer aber daraufhin die
Gleichwertigkeit der Arbeit zum Prinzip erhebt oder' als Dogma verkündet, der
verrennt sich in eine bloße Theorie, die vom Leben in jedem Augenblick Lügen
gestraft wirb. In der Wirklichkeit gibt es die Rangordnung der Arbeit. Freilich
fehlt durchaus der entscheidende Maßstab. Soll man nach der Schwierigkeit und
Seltenheit des Berufes urteilen? Dann gehört Seiltänzer und Feuerfressen zu
den ganz hohen Berufen. Soll man die geistige Arbeit über die körperliche stellen?
Dann hat der Nevolverjournalist oder Verfasser von Schundromanen mehr Wert
als der Elektromonteur oder der Flugzeugführer. Soll die Gefährlichkeit
entscheiden? Dann steht der Feuerwehrmann über dem Bürgermeister, der Lotse
über dem Schiffsreeder. Die Rangordnung der Berufe herzustellen, ist also eine
verzweifelte Ausgabe. Bleibt endlich als einfache und unzweideutige Skala die
Höhe der Einnahmen. Auch sie'entscheidet nicht. Indessen der Lohn ist immerhin
eine Wertung, die sich greifen, nennen und messen läßt, und die Abstufung der


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[0303] Schichtung und Umschichtung hat Erfolg, jener hat keinen Erfolg. Dieser hat den Erfolg, hundert Jahre nach seinem Tode weltberühmt zu werden und es dreihundert Jahre lang zu bleiben, zener hat den Mißerfolg, nie genannt worden oder endgültig und unwiderruflich vergessen zu sein. Weiter gelangen wir nicht. Gerechtigkeit? Verdienst? Wer weiß etwas darüber? Wenn denn also die natürliche Rangordnung von uns unvollkommenen Menschen nicht verwirklicht werden kann, so bleibt der Demokratisierung noch ein anderer Weg offen: Abschaffung der sozialen Schichtung. Es soll überhaupt nicht der eine oben und der andere unten stehen. Diese Formel klingt so einfach, so einleuchtend, so gerecht, daß man meinen sollte, jeder Unvoreingenomniene müßte sie sich ohne weiteres zu eigen machen und zu seinem ethischen Ideal erheben. Allein wie das mit den einfachen, einleuchtenden und gerechten Formeln so geht: sie haben alle diese Eigenschaften nur, fo lange man ihren langenehmen Klang mit den Ohren aufnimmt und nicht bis in die Mühle des Denkens gelangen läßt. Wenn wir von sozialer Schichtung, von Rangordnung, von einem Stufenbau reden: worin besteht die Verschiedenheit? Welches ist der rangbildcnde Faktor? Offenbar ist es die Macht, über die jeder verfügt, Macht im aller- weitesten Sinne genommen. Worauf aber beruht seine Macht? . Offenbar auf dem, was man tut und treibt, auf dem Beruf, auf der Arbeit, der Begriff wieder im allerweitesten Sinne genommen, worunter denn auch fallen würde, daß man überhaupt nicht zu arbeiten braucht. Ob einer mit dem Kopfe schafft oder mit der Faust, ob er anordnet oder ausführt, ob er arbeitet, wann, wie und was er will, oder ob man ihn zwingt zu arbeiten, und zu dieser Zeit, in dieser Weise, an diesem Fleck zu 'arbeitet:: davon 'hängt alles weitere ab. In gewisser Weise läuft Rangordnung der Menschen hinaus auf Rangordnung der Arbeit. In bezug auf den Rang der Arbeit sind nun zwei Anschauungen gleich¬ zeitig im Schwange. Man kennt den brav demokratischen Grundsatz: Arbeit schändet nicht. Und den anderen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wem ist es schon aufgefallen, daß diese Sätze einander widersprechen und sich gegen¬ seitig aufheben? Arbeit schündet nicht, bedeutet: eine Arbeit ist so viel wert wie jede andere; es ist im Grunde gleich, ob einer auf dem Katheder der Universität steht oder im Heizraunl des Schnelldampfers, ob er mit -der Feder arbeitet oder mit der Steinhacke. Wer nicht'arbeitet, soll auch nicht essen, das bedeutet: Arbeit ist ungleichwertig, Arbeit hat Rangunterschiede. Es ist ungerecht, daß die niederen Arbeiten dauernd von dem einen, größeren Teil der Menschheit geleistet werden müssen, während der andere, kleinere, dauernd von ihm befreit bleibt. Es ist ungerecht, daß die einen für die anderen arbeiten sollen, daß die einen die anderen für sich arbeiten lassen dürfen. Zwischen Gleichwertigkeit und Abstufung der Arbeit müsste denn also zunächst entschieden werden. Unzweifelhaft gibt es einen Standpunkt, von dem aus die eine Arbeit als so viel wert wie die andere betrachtet werden darf; nämlich insofern sie alle gleich notwendig sind. Es muß regiert werden, es muß Recht gesprochen werden, es muß gelehrt werden — aber es müssen auch die Straßen gekehrt, die Kamine gefegt, die Latrinen geräumt werden. Dies ?se richtig. Wer aber daraufhin die Gleichwertigkeit der Arbeit zum Prinzip erhebt oder' als Dogma verkündet, der verrennt sich in eine bloße Theorie, die vom Leben in jedem Augenblick Lügen gestraft wirb. In der Wirklichkeit gibt es die Rangordnung der Arbeit. Freilich fehlt durchaus der entscheidende Maßstab. Soll man nach der Schwierigkeit und Seltenheit des Berufes urteilen? Dann gehört Seiltänzer und Feuerfressen zu den ganz hohen Berufen. Soll man die geistige Arbeit über die körperliche stellen? Dann hat der Nevolverjournalist oder Verfasser von Schundromanen mehr Wert als der Elektromonteur oder der Flugzeugführer. Soll die Gefährlichkeit entscheiden? Dann steht der Feuerwehrmann über dem Bürgermeister, der Lotse über dem Schiffsreeder. Die Rangordnung der Berufe herzustellen, ist also eine verzweifelte Ausgabe. Bleibt endlich als einfache und unzweideutige Skala die Höhe der Einnahmen. Auch sie'entscheidet nicht. Indessen der Lohn ist immerhin eine Wertung, die sich greifen, nennen und messen läßt, und die Abstufung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/303>, abgerufen am 22.07.2024.