Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.und Engels beherrschte sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Umsturzgefahr Aus dem Todesjahre ist noch eine charakteristische Äußerung nachzutragen, In der auswärtigen Politik war das A und das O des Mahners im Die Nachfolger schwiegen über das Bekenntnis des Zaren und beschränk¬ ") Vgl. "Der neue Kurs", S. 60 f. Dom, was ich dort über den Glauben
Bismarcks an das Vertrauen des Zaren "usgesührt habe, wäre noch hinzuzufügen, daß dieser Glaube doch nicht so fest war. Zu dem Geh. Leg.-Rat v. Brauer, der im Herbst 1889 den Chef der Reichskanzlei in Friedrichsruh vertrat und den Fürsten zur Begegnung mit dem Zaren nach Berlin begleitete, sagte Bismarck unmittelbar nach der Audienz im Kgl. Schloß: "Der Zar hat wieder Vertrauen zu mir gewonnen, nach¬ dem man so viele Anstrengungen gemacht hatte, mich bei ihm zu verdächtigen ... Er ist überzeugt, daß ich die Wahrheit gesprochen habe .... Es fragt sich nur, wie lange fein Glaube anhält, wenn er erst wieder in Petersburg in den Händen von Pobjedonoszew und -Konsorten ist," (Erinnerungen an Bismarck, S. 59.) und Engels beherrschte sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Umsturzgefahr Aus dem Todesjahre ist noch eine charakteristische Äußerung nachzutragen, In der auswärtigen Politik war das A und das O des Mahners im Die Nachfolger schwiegen über das Bekenntnis des Zaren und beschränk¬ ") Vgl. „Der neue Kurs", S. 60 f. Dom, was ich dort über den Glauben
Bismarcks an das Vertrauen des Zaren «usgesührt habe, wäre noch hinzuzufügen, daß dieser Glaube doch nicht so fest war. Zu dem Geh. Leg.-Rat v. Brauer, der im Herbst 1889 den Chef der Reichskanzlei in Friedrichsruh vertrat und den Fürsten zur Begegnung mit dem Zaren nach Berlin begleitete, sagte Bismarck unmittelbar nach der Audienz im Kgl. Schloß: „Der Zar hat wieder Vertrauen zu mir gewonnen, nach¬ dem man so viele Anstrengungen gemacht hatte, mich bei ihm zu verdächtigen ... Er ist überzeugt, daß ich die Wahrheit gesprochen habe .... Es fragt sich nur, wie lange fein Glaube anhält, wenn er erst wieder in Petersburg in den Händen von Pobjedonoszew und -Konsorten ist," (Erinnerungen an Bismarck, S. 59.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88527"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1283" prev="#ID_1282"> und Engels beherrschte sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Umsturzgefahr<lb/> ein n e u e s S o z la ki se e n g e s e dz, sei es auch unter Verfassungsbruch, erlassen<lb/> werden füllte oder nicht, habe ich schon in dem „Neuen Kurs" ausführlich zu<lb/> schildern versucht. Unter den äußeren Gründen für die Entlassung des Fürsten<lb/> Bismarck aus seinen Andern hatte sein Widerstreben gegen die vom Kaiser ge¬<lb/> wünschte Ära verstärkten Arbeiterschutzes die Hauptrolle gespielt. Umgekehrt war<lb/> der Sturz seines Nachfolgers, des Grafen Caprivi, durch dessen Weigerung ver¬<lb/> anlaßt, nach dem von einem Anarchisten ein dem Präsidenten Carnot verübten<lb/> Morde mit einem neuen Ausnahmegesetz gegen die Arbeiterpartei vorzugehen.<lb/> Fürst Bismarck hat diesen Umschwung mit Genugtuung begrüßt und bis zu<lb/> seinem Lbensende alles getan, was in seinen Kräften stand, um die Minderheits-<lb/> Parteien zum Kampfe gegen den Umsturz anzufeuern. Nur wenige seiner per¬<lb/> sönlichen Anhänger unter den Parlamentariern und in der Presse folgten eben<lb/> hierin nicht und bewahrten sich ihr selbständiges Urteil.</p><lb/> <p xml:id="ID_1284"> Aus dem Todesjahre ist noch eine charakteristische Äußerung nachzutragen,<lb/> die Fürst Bismarck bei einem Besuch von Verehrern aus Sachsen tat und kurz<lb/> nach seinem Tode Professor Kümmel in Leipzig veröffentlichte. Der Fürst sagte:<lb/> „Als Deichhauptmann mußte ich nach dem Satze Verfahren: Wer nicht will mit¬<lb/> deichen, der muß weichen. In Rom war squ» vt igai illtsiäiotvs. wer sich<lb/> ^ulj.erhcilb der Rechtsordnung stellte, im Mittelalter nannte man das nahten.<lb/> Man sollte die SozialdemotraUe ähnlich behandeln, ihr die politischen Rechte,<lb/> das Wahlrecht nehmen. So weit würde ich gegangen sein. Man behandelt jeyt<lb/> die Sozialdemokratie viel zu leichtsinnig .... Der Kaiser war eingeschüchtert.<lb/> Er sagte mir, er wolle nicht einmal Kartütschenprinz heißen und nicht gleich am<lb/> Anfang seiner Regierung bis an die Knöchel im Blut waten. Ich sagte ihm:<lb/> Ew. Majestät werden noch tieser hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen."<lb/> Das entsprach ganz, dem Wort vom „blutigen Kataklhsmus", der, wie der Fürst<lb/> kurz nach seiner Entlassung meinte, die Lösung der sozialistischen Wirren fein<lb/> werde. Ein großer Irrtum! Wir haben es erlebt, daß die ganze Arbeiterschaft<lb/> und ihre Führer, als die Stunde der Not des Vaterlandes kam, mitgedeicht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1285"> In der auswärtigen Politik war das A und das O des Mahners im<lb/> Sachsenwalde: Rückkehr zu Nußlan d. In seinen öffentlichen Ansprachen<lb/> wie in seinen Eingebungen für die „Hamburger Nachrichten" kehrte häufig die<lb/> Klage wieder, daß die Rückendeckung bei Rußland leichtsinnig preisgegeben<lb/> worden sei. Gegründet war sie auf die Tatsache, daß sein Nachfolger das Neu-<lb/> tralitätsabkommen, das von 1887 bis 189!) ohne den früheren dritten Teilnehmer,<lb/> Oesterreich-Ungarn, fortgesetzt worden war, hatte versallen lassen. Dabei befand<lb/> sich Fürst Bismarck in dem Irrtum, daß das persönliche Vertrauen Alexanders<lb/> des Dritten zu ihm, wovon nach seiner eigenen Meinung der Wert des ganzen<lb/> Abkommens hauptsächlich abhing, in Wirklichkeit nicht vorhanden war. Die in<lb/> Narwa (Sommer 1890) zu Kaiser Wilhelm und seinem neuen Kanzler gesproche¬<lb/> nen Worte, in denen der ohnehin von Natur argwöhnische Zar sein tiefes Mi߬<lb/> trauen gegenüber dem alten Kanzler bekundete, sind erst lange nach dem Tode<lb/> Bismarcks bekannt geworden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1286" next="#ID_1287"> Die Nachfolger schwiegen über das Bekenntnis des Zaren und beschränk¬<lb/> ten sich gegen den wiederholten Vorwurf, den Draht nach Rußland abgerissen zu</p><lb/> <note xml:id="FID_79" place="foot"> ") Vgl. „Der neue Kurs", S. 60 f. Dom, was ich dort über den Glauben<lb/> Bismarcks an das Vertrauen des Zaren «usgesührt habe, wäre noch hinzuzufügen,<lb/> daß dieser Glaube doch nicht so fest war. Zu dem Geh. Leg.-Rat v. Brauer, der im<lb/> Herbst 1889 den Chef der Reichskanzlei in Friedrichsruh vertrat und den Fürsten zur<lb/> Begegnung mit dem Zaren nach Berlin begleitete, sagte Bismarck unmittelbar nach<lb/> der Audienz im Kgl. Schloß: „Der Zar hat wieder Vertrauen zu mir gewonnen, nach¬<lb/> dem man so viele Anstrengungen gemacht hatte, mich bei ihm zu verdächtigen ... Er<lb/> ist überzeugt, daß ich die Wahrheit gesprochen habe .... Es fragt sich nur, wie<lb/> lange fein Glaube anhält, wenn er erst wieder in Petersburg in den Händen von<lb/> Pobjedonoszew und -Konsorten ist," (Erinnerungen an Bismarck, S. 59.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
und Engels beherrschte sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Umsturzgefahr
ein n e u e s S o z la ki se e n g e s e dz, sei es auch unter Verfassungsbruch, erlassen
werden füllte oder nicht, habe ich schon in dem „Neuen Kurs" ausführlich zu
schildern versucht. Unter den äußeren Gründen für die Entlassung des Fürsten
Bismarck aus seinen Andern hatte sein Widerstreben gegen die vom Kaiser ge¬
wünschte Ära verstärkten Arbeiterschutzes die Hauptrolle gespielt. Umgekehrt war
der Sturz seines Nachfolgers, des Grafen Caprivi, durch dessen Weigerung ver¬
anlaßt, nach dem von einem Anarchisten ein dem Präsidenten Carnot verübten
Morde mit einem neuen Ausnahmegesetz gegen die Arbeiterpartei vorzugehen.
Fürst Bismarck hat diesen Umschwung mit Genugtuung begrüßt und bis zu
seinem Lbensende alles getan, was in seinen Kräften stand, um die Minderheits-
Parteien zum Kampfe gegen den Umsturz anzufeuern. Nur wenige seiner per¬
sönlichen Anhänger unter den Parlamentariern und in der Presse folgten eben
hierin nicht und bewahrten sich ihr selbständiges Urteil.
Aus dem Todesjahre ist noch eine charakteristische Äußerung nachzutragen,
die Fürst Bismarck bei einem Besuch von Verehrern aus Sachsen tat und kurz
nach seinem Tode Professor Kümmel in Leipzig veröffentlichte. Der Fürst sagte:
„Als Deichhauptmann mußte ich nach dem Satze Verfahren: Wer nicht will mit¬
deichen, der muß weichen. In Rom war squ» vt igai illtsiäiotvs. wer sich
^ulj.erhcilb der Rechtsordnung stellte, im Mittelalter nannte man das nahten.
Man sollte die SozialdemotraUe ähnlich behandeln, ihr die politischen Rechte,
das Wahlrecht nehmen. So weit würde ich gegangen sein. Man behandelt jeyt
die Sozialdemokratie viel zu leichtsinnig .... Der Kaiser war eingeschüchtert.
Er sagte mir, er wolle nicht einmal Kartütschenprinz heißen und nicht gleich am
Anfang seiner Regierung bis an die Knöchel im Blut waten. Ich sagte ihm:
Ew. Majestät werden noch tieser hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen."
Das entsprach ganz, dem Wort vom „blutigen Kataklhsmus", der, wie der Fürst
kurz nach seiner Entlassung meinte, die Lösung der sozialistischen Wirren fein
werde. Ein großer Irrtum! Wir haben es erlebt, daß die ganze Arbeiterschaft
und ihre Führer, als die Stunde der Not des Vaterlandes kam, mitgedeicht haben.
In der auswärtigen Politik war das A und das O des Mahners im
Sachsenwalde: Rückkehr zu Nußlan d. In seinen öffentlichen Ansprachen
wie in seinen Eingebungen für die „Hamburger Nachrichten" kehrte häufig die
Klage wieder, daß die Rückendeckung bei Rußland leichtsinnig preisgegeben
worden sei. Gegründet war sie auf die Tatsache, daß sein Nachfolger das Neu-
tralitätsabkommen, das von 1887 bis 189!) ohne den früheren dritten Teilnehmer,
Oesterreich-Ungarn, fortgesetzt worden war, hatte versallen lassen. Dabei befand
sich Fürst Bismarck in dem Irrtum, daß das persönliche Vertrauen Alexanders
des Dritten zu ihm, wovon nach seiner eigenen Meinung der Wert des ganzen
Abkommens hauptsächlich abhing, in Wirklichkeit nicht vorhanden war. Die in
Narwa (Sommer 1890) zu Kaiser Wilhelm und seinem neuen Kanzler gesproche¬
nen Worte, in denen der ohnehin von Natur argwöhnische Zar sein tiefes Mi߬
trauen gegenüber dem alten Kanzler bekundete, sind erst lange nach dem Tode
Bismarcks bekannt geworden.
Die Nachfolger schwiegen über das Bekenntnis des Zaren und beschränk¬
ten sich gegen den wiederholten Vorwurf, den Draht nach Rußland abgerissen zu
") Vgl. „Der neue Kurs", S. 60 f. Dom, was ich dort über den Glauben
Bismarcks an das Vertrauen des Zaren «usgesührt habe, wäre noch hinzuzufügen,
daß dieser Glaube doch nicht so fest war. Zu dem Geh. Leg.-Rat v. Brauer, der im
Herbst 1889 den Chef der Reichskanzlei in Friedrichsruh vertrat und den Fürsten zur
Begegnung mit dem Zaren nach Berlin begleitete, sagte Bismarck unmittelbar nach
der Audienz im Kgl. Schloß: „Der Zar hat wieder Vertrauen zu mir gewonnen, nach¬
dem man so viele Anstrengungen gemacht hatte, mich bei ihm zu verdächtigen ... Er
ist überzeugt, daß ich die Wahrheit gesprochen habe .... Es fragt sich nur, wie
lange fein Glaube anhält, wenn er erst wieder in Petersburg in den Händen von
Pobjedonoszew und -Konsorten ist," (Erinnerungen an Bismarck, S. 59.)
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