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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Bismarcks Vermächtnis

Für das Werk der nationalen Einigung, unter Ausschluß von Osterreich,
war mit der Begründung des Norddeutschen Bundes die größere Hälfte getan.
Seine Vollendung wurde zum Glück noch dadurch erleichtert, daß sich der Fran¬
zosenkaiser in seiner eitlen Rolle als festländischer Schiedsrichter dazu treiben
ließ, als Kompensation für Scidowa die bayrische Rheinpfalz und Rheinhessen
mit Mainz zu verlangen. Die Folge davon war der beschleunigte Abschluß von
Verhandlungen über Verträge, durch die sich die deutschen Südstaaten verpflichteten,
ihre Heeresmacht im Kriegsfall umer preußischen Oberbefehl zu stellen. Die beiden
Flankenmächle Europas ließen es zu, England leichter und williger als das'Ru߬
land Go-tichakows, daß von nun an die inneren Zustände Deutschlands nicht
mehr zum Vorwand für fremde Einmischungen und Machtgier dienen konnten.

Nach der blutigen Abrechnung mit dem friedlosen Nachbar im Westen ward
endlich das Schlußstück des deutschen Einigungswerkes im Saale von Versailles
vollendet. Die französischen Rheingelüste aus dem Zeitalter der Ludwige hatten
die große Revolution und des großen Napoleons Aufstieg und Sturz überlebt,
sie traten wahrend des zweiten Kaiserreichs wieder offen zutage und verschwanden
auch nach 1870 nur w-chlbehütet unter die Obeifläche. um zu gegebener Zeit von
neuem emporzuschießen. Der starke Sinn des Franzosen für Prestige war durch
Sedan viel empfindlicher gereift worden als durch Waterloo oder Sadowa. Des¬
halb hätte die vom Westen drohende Gefahr für das neue Reich vielleicht auch
ohne den Wiedererwerb Elsaß-LothnngenS fortgedauert, zu dem sich Bismarck
weniger, aus sentimentalen historischen Gründen als wegen der notwendigen
Sperrung der Einfallstore nach Süddeuischland verstand.^ Jedenfalls konnte die
Gefahr erst ausbrechen, wenn es Frankreich gelänge, Bundesgenossen zu einem
neuen Krieg gegen Deutschland zu finden. Das zu verhindern, war die Haupt¬
aufgabe der vorausschauenden Politik des Fürsten Bismarck in den beiden Jahr¬
zehnten nach der Reichsgründung bis zu seinem Rücktritt,

Die Kultur wies das junge Reich noch. Westen, die Geschichte nach Osten.
Vom Westen kam die Gefahr am Rhein, die unter den freundlichen höfischen Be-
zuhungen zwischen Bellin und Petersburg die Fortdauer der Rückendeckung an
Rußland empfahl. Aber Rußland war und blieb ein Erobererstaat mit abstoßenden
asiaiisch barbarischen Rcgierungsmethodcn. Zur Erhaltung und zum inneren Aus¬
bau brauchte das von Bismarck geschaffene Werk den Frieden, Rußland dagegen
den Krieg, weil ohne ihn die zarische Willkürherrschaft über eine Vielheit unter-



(17. Dezember 18S2) in seinem Auftrage: "Der Fürst ist niemals der Ansicht gewesen, daß
die Unlerstürzung der russischen Pläne Aufgabe der deutschen Diplomaten sein müsse, sondern
er hat die Ansicht rertreten, daß es nicht Sache Deutschlands sei, Rußland an der Aus¬
führung seiner Plans zu hindern. Das ist "in großer Unterschied. Rußlands Vordringen
zu hindern, fällt naturgemäß denjenigen Mächten zu, deren Interesse durch ein russisches
Vordringen direkt verletzt werden würde " -- In einem Schreiben an den deutschen Kron¬
prinzen'(l 5, Juli 188U) rechtfertigte er die Entsendung von Offizieren und Beamten nach
der Türkei mit den Worten: "Wenn in Rußland der Chauvinismus, Panslawismus und die
antideutschen Elemente uns angreifen sollten, so wäre die Haltung und Wehrhaftigkeit der
Türkei für uns nicht gleichgültig. Gefährlich könnte sie uns niemals werden, Wohl aber
können unter Uniständen ihre Feinde auch unsere werden." (Hohenlohe II, S. 302.) --
"Bismarck hat die immer näherkommende Gefahr mit dein klenn Zukunftsblick, der ihm
eigen war, erkannt; er hat den russischen Eroberungsplänen offen und im geheim Hindernisse
bereitet und dort, wo er sie scheinbar ermutigte, wie in Konstantinopi'l und am Balkan, dies
doch nur getan, um die Politik des Zaren mit der stärksten Gegnerschaft anderer Mächte zu
belasten,"' (Johannes Haller, Die auswärtige Politik des Fürsten Bülow; "Süddeutsche
Monatshefte" 191.7, Januar, S. 423,)
s) Aus der Reichstagsrede vom 3, März 1874: "Wir haben uns nicht geschmeichelt,
daß es uns rasch gelingen würde, die Elsässer glücklich zu machen, und wir haben auch
darum nicht die Annexion betrieben; wir haben ein Bollwerk gebaut gegen die Jrruptionen,
die seit zweihundert Jahren diese leidenschaftliche kriegerische'Böllerschaft, deren alleiniger
direkt ausgesetzter Rachbar in Europa zu fein Deutschland das Unglück und die Unannehm¬
lichkeit hat, unternimmt."
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Bismarcks Vermächtnis

Für das Werk der nationalen Einigung, unter Ausschluß von Osterreich,
war mit der Begründung des Norddeutschen Bundes die größere Hälfte getan.
Seine Vollendung wurde zum Glück noch dadurch erleichtert, daß sich der Fran¬
zosenkaiser in seiner eitlen Rolle als festländischer Schiedsrichter dazu treiben
ließ, als Kompensation für Scidowa die bayrische Rheinpfalz und Rheinhessen
mit Mainz zu verlangen. Die Folge davon war der beschleunigte Abschluß von
Verhandlungen über Verträge, durch die sich die deutschen Südstaaten verpflichteten,
ihre Heeresmacht im Kriegsfall umer preußischen Oberbefehl zu stellen. Die beiden
Flankenmächle Europas ließen es zu, England leichter und williger als das'Ru߬
land Go-tichakows, daß von nun an die inneren Zustände Deutschlands nicht
mehr zum Vorwand für fremde Einmischungen und Machtgier dienen konnten.

Nach der blutigen Abrechnung mit dem friedlosen Nachbar im Westen ward
endlich das Schlußstück des deutschen Einigungswerkes im Saale von Versailles
vollendet. Die französischen Rheingelüste aus dem Zeitalter der Ludwige hatten
die große Revolution und des großen Napoleons Aufstieg und Sturz überlebt,
sie traten wahrend des zweiten Kaiserreichs wieder offen zutage und verschwanden
auch nach 1870 nur w-chlbehütet unter die Obeifläche. um zu gegebener Zeit von
neuem emporzuschießen. Der starke Sinn des Franzosen für Prestige war durch
Sedan viel empfindlicher gereift worden als durch Waterloo oder Sadowa. Des¬
halb hätte die vom Westen drohende Gefahr für das neue Reich vielleicht auch
ohne den Wiedererwerb Elsaß-LothnngenS fortgedauert, zu dem sich Bismarck
weniger, aus sentimentalen historischen Gründen als wegen der notwendigen
Sperrung der Einfallstore nach Süddeuischland verstand.^ Jedenfalls konnte die
Gefahr erst ausbrechen, wenn es Frankreich gelänge, Bundesgenossen zu einem
neuen Krieg gegen Deutschland zu finden. Das zu verhindern, war die Haupt¬
aufgabe der vorausschauenden Politik des Fürsten Bismarck in den beiden Jahr¬
zehnten nach der Reichsgründung bis zu seinem Rücktritt,

Die Kultur wies das junge Reich noch. Westen, die Geschichte nach Osten.
Vom Westen kam die Gefahr am Rhein, die unter den freundlichen höfischen Be-
zuhungen zwischen Bellin und Petersburg die Fortdauer der Rückendeckung an
Rußland empfahl. Aber Rußland war und blieb ein Erobererstaat mit abstoßenden
asiaiisch barbarischen Rcgierungsmethodcn. Zur Erhaltung und zum inneren Aus¬
bau brauchte das von Bismarck geschaffene Werk den Frieden, Rußland dagegen
den Krieg, weil ohne ihn die zarische Willkürherrschaft über eine Vielheit unter-



(17. Dezember 18S2) in seinem Auftrage: „Der Fürst ist niemals der Ansicht gewesen, daß
die Unlerstürzung der russischen Pläne Aufgabe der deutschen Diplomaten sein müsse, sondern
er hat die Ansicht rertreten, daß es nicht Sache Deutschlands sei, Rußland an der Aus¬
führung seiner Plans zu hindern. Das ist «in großer Unterschied. Rußlands Vordringen
zu hindern, fällt naturgemäß denjenigen Mächten zu, deren Interesse durch ein russisches
Vordringen direkt verletzt werden würde " — In einem Schreiben an den deutschen Kron¬
prinzen'(l 5, Juli 188U) rechtfertigte er die Entsendung von Offizieren und Beamten nach
der Türkei mit den Worten: „Wenn in Rußland der Chauvinismus, Panslawismus und die
antideutschen Elemente uns angreifen sollten, so wäre die Haltung und Wehrhaftigkeit der
Türkei für uns nicht gleichgültig. Gefährlich könnte sie uns niemals werden, Wohl aber
können unter Uniständen ihre Feinde auch unsere werden." (Hohenlohe II, S. 302.) —
„Bismarck hat die immer näherkommende Gefahr mit dein klenn Zukunftsblick, der ihm
eigen war, erkannt; er hat den russischen Eroberungsplänen offen und im geheim Hindernisse
bereitet und dort, wo er sie scheinbar ermutigte, wie in Konstantinopi'l und am Balkan, dies
doch nur getan, um die Politik des Zaren mit der stärksten Gegnerschaft anderer Mächte zu
belasten,"' (Johannes Haller, Die auswärtige Politik des Fürsten Bülow; „Süddeutsche
Monatshefte" 191.7, Januar, S. 423,)
s) Aus der Reichstagsrede vom 3, März 1874: „Wir haben uns nicht geschmeichelt,
daß es uns rasch gelingen würde, die Elsässer glücklich zu machen, und wir haben auch
darum nicht die Annexion betrieben; wir haben ein Bollwerk gebaut gegen die Jrruptionen,
die seit zweihundert Jahren diese leidenschaftliche kriegerische'Böllerschaft, deren alleiniger
direkt ausgesetzter Rachbar in Europa zu fein Deutschland das Unglück und die Unannehm¬
lichkeit hat, unternimmt."
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[0283] Bismarcks Vermächtnis Für das Werk der nationalen Einigung, unter Ausschluß von Osterreich, war mit der Begründung des Norddeutschen Bundes die größere Hälfte getan. Seine Vollendung wurde zum Glück noch dadurch erleichtert, daß sich der Fran¬ zosenkaiser in seiner eitlen Rolle als festländischer Schiedsrichter dazu treiben ließ, als Kompensation für Scidowa die bayrische Rheinpfalz und Rheinhessen mit Mainz zu verlangen. Die Folge davon war der beschleunigte Abschluß von Verhandlungen über Verträge, durch die sich die deutschen Südstaaten verpflichteten, ihre Heeresmacht im Kriegsfall umer preußischen Oberbefehl zu stellen. Die beiden Flankenmächle Europas ließen es zu, England leichter und williger als das'Ru߬ land Go-tichakows, daß von nun an die inneren Zustände Deutschlands nicht mehr zum Vorwand für fremde Einmischungen und Machtgier dienen konnten. Nach der blutigen Abrechnung mit dem friedlosen Nachbar im Westen ward endlich das Schlußstück des deutschen Einigungswerkes im Saale von Versailles vollendet. Die französischen Rheingelüste aus dem Zeitalter der Ludwige hatten die große Revolution und des großen Napoleons Aufstieg und Sturz überlebt, sie traten wahrend des zweiten Kaiserreichs wieder offen zutage und verschwanden auch nach 1870 nur w-chlbehütet unter die Obeifläche. um zu gegebener Zeit von neuem emporzuschießen. Der starke Sinn des Franzosen für Prestige war durch Sedan viel empfindlicher gereift worden als durch Waterloo oder Sadowa. Des¬ halb hätte die vom Westen drohende Gefahr für das neue Reich vielleicht auch ohne den Wiedererwerb Elsaß-LothnngenS fortgedauert, zu dem sich Bismarck weniger, aus sentimentalen historischen Gründen als wegen der notwendigen Sperrung der Einfallstore nach Süddeuischland verstand.^ Jedenfalls konnte die Gefahr erst ausbrechen, wenn es Frankreich gelänge, Bundesgenossen zu einem neuen Krieg gegen Deutschland zu finden. Das zu verhindern, war die Haupt¬ aufgabe der vorausschauenden Politik des Fürsten Bismarck in den beiden Jahr¬ zehnten nach der Reichsgründung bis zu seinem Rücktritt, Die Kultur wies das junge Reich noch. Westen, die Geschichte nach Osten. Vom Westen kam die Gefahr am Rhein, die unter den freundlichen höfischen Be- zuhungen zwischen Bellin und Petersburg die Fortdauer der Rückendeckung an Rußland empfahl. Aber Rußland war und blieb ein Erobererstaat mit abstoßenden asiaiisch barbarischen Rcgierungsmethodcn. Zur Erhaltung und zum inneren Aus¬ bau brauchte das von Bismarck geschaffene Werk den Frieden, Rußland dagegen den Krieg, weil ohne ihn die zarische Willkürherrschaft über eine Vielheit unter- (17. Dezember 18S2) in seinem Auftrage: „Der Fürst ist niemals der Ansicht gewesen, daß die Unlerstürzung der russischen Pläne Aufgabe der deutschen Diplomaten sein müsse, sondern er hat die Ansicht rertreten, daß es nicht Sache Deutschlands sei, Rußland an der Aus¬ führung seiner Plans zu hindern. Das ist «in großer Unterschied. Rußlands Vordringen zu hindern, fällt naturgemäß denjenigen Mächten zu, deren Interesse durch ein russisches Vordringen direkt verletzt werden würde " — In einem Schreiben an den deutschen Kron¬ prinzen'(l 5, Juli 188U) rechtfertigte er die Entsendung von Offizieren und Beamten nach der Türkei mit den Worten: „Wenn in Rußland der Chauvinismus, Panslawismus und die antideutschen Elemente uns angreifen sollten, so wäre die Haltung und Wehrhaftigkeit der Türkei für uns nicht gleichgültig. Gefährlich könnte sie uns niemals werden, Wohl aber können unter Uniständen ihre Feinde auch unsere werden." (Hohenlohe II, S. 302.) — „Bismarck hat die immer näherkommende Gefahr mit dein klenn Zukunftsblick, der ihm eigen war, erkannt; er hat den russischen Eroberungsplänen offen und im geheim Hindernisse bereitet und dort, wo er sie scheinbar ermutigte, wie in Konstantinopi'l und am Balkan, dies doch nur getan, um die Politik des Zaren mit der stärksten Gegnerschaft anderer Mächte zu belasten,"' (Johannes Haller, Die auswärtige Politik des Fürsten Bülow; „Süddeutsche Monatshefte" 191.7, Januar, S. 423,) s) Aus der Reichstagsrede vom 3, März 1874: „Wir haben uns nicht geschmeichelt, daß es uns rasch gelingen würde, die Elsässer glücklich zu machen, und wir haben auch darum nicht die Annexion betrieben; wir haben ein Bollwerk gebaut gegen die Jrruptionen, die seit zweihundert Jahren diese leidenschaftliche kriegerische'Böllerschaft, deren alleiniger direkt ausgesetzter Rachbar in Europa zu fein Deutschland das Unglück und die Unannehm¬ lichkeit hat, unternimmt." 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/283>, abgerufen am 24.11.2024.