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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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reich gegen solches Unrecht, das nicht selten in Widerspruch zu kaum erst oder
gleichzeitig gegebenen Zusagen verübt wird, muß unter dem Mangel an militäri¬
schen Hilfsmitteln schwer leiden. Auch wenn Mir davon absehen, daß der Krieg,
den Deutschen viel schwerere Blutverluste auferlegte, als den Tschechen -- die
Südslawen haben sich bester gehalten und daher ebenfalls stark gelitten -- ergibt
sich ein großer Unterschied daraus, daß die Truppen aller anderen Völker ent-
weder früher sich nach Hause wandten oder aber von den Feinden in der Heim¬
kehr weniger behindert, ja gelegentlich heimgeschickt werden. Deutsche Truppen
lind besonders Offiziere standen zum Teil an den fernsten Fronten, wie Beß-
arabien, Albanien, Frankreich; Deutsche bildeten den Kern der Tiroler Verteidi¬
gungsstellung und sind durch deren Umgehung und durch die vertragswidrigen Ge¬
fangennahmen im Etschtal in großer Zahl in die Hände der Italiener gefallen.
Die Heimkehrenden konnten nach der Katastrophe am Piave, wo sie das Opfer der
Zurückgehenden geworden waren, nicht wie diese in geschlossenen Verbänden mar¬
schieren und sich ans Feindes- und Freundesland versorgen'. Sie wurden vielfach
von ihren bisherigen Kampfgenossen, der Bevölkerung und den als Bundes¬
genossen der Entente auftretenden südslawischen und italienischen Behörden ent¬
waffnet, beraubt, ja entkleidet. Dabei haben auch die Madjaren einen ebenso
starken, wenig rühmlichen Anteil gehabt, wie an Raub und Plünderung auf den
Rückmärschen. Kann man sich Wundern, daß ein großer Teil der deutschöster¬
reichischen Krieger, auch aus geschlossen heimkehrenden Gruppen, einfach in die
Heimatorte ging, nachdem sie wochenlang eine solche Auflösung gesehen hatten?
Da die deutsthösterreichische Staatsgewalt'über Nacht ins Leben treten mußte --
ihre Einrichtungen waren ja nicht, wie die der Tschechen und Slowenen, durch
eine systematische geheime Zusammenarbeit einheimischer Verschwörer und der
"Emigration" vorbereitet worden -- so griff sie nicht rasch genug ein, um einen
erheblichen Teil der Heimkehrer beisammen Zu erhalten. Es drohte den Durch¬
zugsländern Südösterreichs, vor allem der Steiermark aber eine weit größere Ge¬
fahr als die von auseinanderlaufenden, zuchtlosen,und verwilderten Kriegern, die
vielfach Waffen, Ausrüstung und Pferde verkauften, vielfach auch Neigung zum
Räuberleben zeigten, nämlich der Durchmarsch von Hunderttausenden bewaff¬
neter, räuberisch' oder feindselig gesinnter Madjaren, Tschechen und Südslawen.-
Wo diese nicht aufgelöst, sondern geschlossen in Eisenbahntransporteil und Marsch-
Verbänden kamen, waren sie fast eine größere Bedrohung, welche die Städte vor
allem betraf, als die über das flache Land zerstreuten Marodeure. Daß wir dieser -
Gefahr Herr wurden, mit gelegentlichen Plündereien und Schießereien auf den
Bahnen und in der Nähe der Bahnhöfe 'wegkamen, danken wir der Entschlossen¬
heit, mit welcher aus Studenten, Arbeitern, Bürgern, verbleibenden und gegen
hohen Sold neu gewordenen Soldaten, auch den heimgeschickten deutschen Ma¬
trosen Stadt- und Volkswachen und Bahilhofswach'en gebildet wurden, zu einem
sehr großen Teil aber der opferwilligen Tatkraft der deutschen Eisenbahner. Wäh-
rend'diese für möglichst raschen Abtransport sorgten -- der Privatverkehr war so
gut wie ganz eingestellt -- führten die Bahuhofwachen die Entwaffnung und
(nach dem Vorbild der anderen Völker, aber mit größerer Zurückhaltung und'
ohne Roheiten) die Beschlagnahme des Materials' und des Übermaßes mit¬
geschleppter Lebensmittel und anderer Vorräte durch. Dieses entschlossene Vor¬
gehen bewirkte, daß da und dort Vereinbarungen mit den Nachbarn über gegen¬
seitigen Durchzug erzielt wurden. Nachdem so die plötzliche Gefahr vorüber¬
gegangen war, wurde die Nenaufstellung von Volkswehren systematischer durch¬
geführt. Aber sie sind zu schwach, um wirklichen feindlichen Einfällen erfolgreich
zu widerstehen, auch unzuverlässige Elemente fanden anfangs in sie Eingang und
gegen den Willen der Regierung bildete und erhielt sich in Wien eine Rote Garde,
der mißlungene Putschversuch gegen die Nationalversammlung bildete eine hä߬
liche Begleiterscheinung bei der Ausrufung der neuen Republik. Deutschböhmen
konnte keinen Widerstand gegen die meisten tschechischen Einbrüche wagen. In
Südmähren hat nur Znaim eine leidlich zureichende Verteidigungstruppe organi¬
sieren können. In den Sudetenländern, wie im Süden mußten große deutsche


reich gegen solches Unrecht, das nicht selten in Widerspruch zu kaum erst oder
gleichzeitig gegebenen Zusagen verübt wird, muß unter dem Mangel an militäri¬
schen Hilfsmitteln schwer leiden. Auch wenn Mir davon absehen, daß der Krieg,
den Deutschen viel schwerere Blutverluste auferlegte, als den Tschechen — die
Südslawen haben sich bester gehalten und daher ebenfalls stark gelitten — ergibt
sich ein großer Unterschied daraus, daß die Truppen aller anderen Völker ent-
weder früher sich nach Hause wandten oder aber von den Feinden in der Heim¬
kehr weniger behindert, ja gelegentlich heimgeschickt werden. Deutsche Truppen
lind besonders Offiziere standen zum Teil an den fernsten Fronten, wie Beß-
arabien, Albanien, Frankreich; Deutsche bildeten den Kern der Tiroler Verteidi¬
gungsstellung und sind durch deren Umgehung und durch die vertragswidrigen Ge¬
fangennahmen im Etschtal in großer Zahl in die Hände der Italiener gefallen.
Die Heimkehrenden konnten nach der Katastrophe am Piave, wo sie das Opfer der
Zurückgehenden geworden waren, nicht wie diese in geschlossenen Verbänden mar¬
schieren und sich ans Feindes- und Freundesland versorgen'. Sie wurden vielfach
von ihren bisherigen Kampfgenossen, der Bevölkerung und den als Bundes¬
genossen der Entente auftretenden südslawischen und italienischen Behörden ent¬
waffnet, beraubt, ja entkleidet. Dabei haben auch die Madjaren einen ebenso
starken, wenig rühmlichen Anteil gehabt, wie an Raub und Plünderung auf den
Rückmärschen. Kann man sich Wundern, daß ein großer Teil der deutschöster¬
reichischen Krieger, auch aus geschlossen heimkehrenden Gruppen, einfach in die
Heimatorte ging, nachdem sie wochenlang eine solche Auflösung gesehen hatten?
Da die deutsthösterreichische Staatsgewalt'über Nacht ins Leben treten mußte —
ihre Einrichtungen waren ja nicht, wie die der Tschechen und Slowenen, durch
eine systematische geheime Zusammenarbeit einheimischer Verschwörer und der
„Emigration" vorbereitet worden — so griff sie nicht rasch genug ein, um einen
erheblichen Teil der Heimkehrer beisammen Zu erhalten. Es drohte den Durch¬
zugsländern Südösterreichs, vor allem der Steiermark aber eine weit größere Ge¬
fahr als die von auseinanderlaufenden, zuchtlosen,und verwilderten Kriegern, die
vielfach Waffen, Ausrüstung und Pferde verkauften, vielfach auch Neigung zum
Räuberleben zeigten, nämlich der Durchmarsch von Hunderttausenden bewaff¬
neter, räuberisch' oder feindselig gesinnter Madjaren, Tschechen und Südslawen.-
Wo diese nicht aufgelöst, sondern geschlossen in Eisenbahntransporteil und Marsch-
Verbänden kamen, waren sie fast eine größere Bedrohung, welche die Städte vor
allem betraf, als die über das flache Land zerstreuten Marodeure. Daß wir dieser -
Gefahr Herr wurden, mit gelegentlichen Plündereien und Schießereien auf den
Bahnen und in der Nähe der Bahnhöfe 'wegkamen, danken wir der Entschlossen¬
heit, mit welcher aus Studenten, Arbeitern, Bürgern, verbleibenden und gegen
hohen Sold neu gewordenen Soldaten, auch den heimgeschickten deutschen Ma¬
trosen Stadt- und Volkswachen und Bahilhofswach'en gebildet wurden, zu einem
sehr großen Teil aber der opferwilligen Tatkraft der deutschen Eisenbahner. Wäh-
rend'diese für möglichst raschen Abtransport sorgten — der Privatverkehr war so
gut wie ganz eingestellt — führten die Bahuhofwachen die Entwaffnung und
(nach dem Vorbild der anderen Völker, aber mit größerer Zurückhaltung und'
ohne Roheiten) die Beschlagnahme des Materials' und des Übermaßes mit¬
geschleppter Lebensmittel und anderer Vorräte durch. Dieses entschlossene Vor¬
gehen bewirkte, daß da und dort Vereinbarungen mit den Nachbarn über gegen¬
seitigen Durchzug erzielt wurden. Nachdem so die plötzliche Gefahr vorüber¬
gegangen war, wurde die Nenaufstellung von Volkswehren systematischer durch¬
geführt. Aber sie sind zu schwach, um wirklichen feindlichen Einfällen erfolgreich
zu widerstehen, auch unzuverlässige Elemente fanden anfangs in sie Eingang und
gegen den Willen der Regierung bildete und erhielt sich in Wien eine Rote Garde,
der mißlungene Putschversuch gegen die Nationalversammlung bildete eine hä߬
liche Begleiterscheinung bei der Ausrufung der neuen Republik. Deutschböhmen
konnte keinen Widerstand gegen die meisten tschechischen Einbrüche wagen. In
Südmähren hat nur Znaim eine leidlich zureichende Verteidigungstruppe organi¬
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[0267] reich gegen solches Unrecht, das nicht selten in Widerspruch zu kaum erst oder gleichzeitig gegebenen Zusagen verübt wird, muß unter dem Mangel an militäri¬ schen Hilfsmitteln schwer leiden. Auch wenn Mir davon absehen, daß der Krieg, den Deutschen viel schwerere Blutverluste auferlegte, als den Tschechen — die Südslawen haben sich bester gehalten und daher ebenfalls stark gelitten — ergibt sich ein großer Unterschied daraus, daß die Truppen aller anderen Völker ent- weder früher sich nach Hause wandten oder aber von den Feinden in der Heim¬ kehr weniger behindert, ja gelegentlich heimgeschickt werden. Deutsche Truppen lind besonders Offiziere standen zum Teil an den fernsten Fronten, wie Beß- arabien, Albanien, Frankreich; Deutsche bildeten den Kern der Tiroler Verteidi¬ gungsstellung und sind durch deren Umgehung und durch die vertragswidrigen Ge¬ fangennahmen im Etschtal in großer Zahl in die Hände der Italiener gefallen. Die Heimkehrenden konnten nach der Katastrophe am Piave, wo sie das Opfer der Zurückgehenden geworden waren, nicht wie diese in geschlossenen Verbänden mar¬ schieren und sich ans Feindes- und Freundesland versorgen'. Sie wurden vielfach von ihren bisherigen Kampfgenossen, der Bevölkerung und den als Bundes¬ genossen der Entente auftretenden südslawischen und italienischen Behörden ent¬ waffnet, beraubt, ja entkleidet. Dabei haben auch die Madjaren einen ebenso starken, wenig rühmlichen Anteil gehabt, wie an Raub und Plünderung auf den Rückmärschen. Kann man sich Wundern, daß ein großer Teil der deutschöster¬ reichischen Krieger, auch aus geschlossen heimkehrenden Gruppen, einfach in die Heimatorte ging, nachdem sie wochenlang eine solche Auflösung gesehen hatten? Da die deutsthösterreichische Staatsgewalt'über Nacht ins Leben treten mußte — ihre Einrichtungen waren ja nicht, wie die der Tschechen und Slowenen, durch eine systematische geheime Zusammenarbeit einheimischer Verschwörer und der „Emigration" vorbereitet worden — so griff sie nicht rasch genug ein, um einen erheblichen Teil der Heimkehrer beisammen Zu erhalten. Es drohte den Durch¬ zugsländern Südösterreichs, vor allem der Steiermark aber eine weit größere Ge¬ fahr als die von auseinanderlaufenden, zuchtlosen,und verwilderten Kriegern, die vielfach Waffen, Ausrüstung und Pferde verkauften, vielfach auch Neigung zum Räuberleben zeigten, nämlich der Durchmarsch von Hunderttausenden bewaff¬ neter, räuberisch' oder feindselig gesinnter Madjaren, Tschechen und Südslawen.- Wo diese nicht aufgelöst, sondern geschlossen in Eisenbahntransporteil und Marsch- Verbänden kamen, waren sie fast eine größere Bedrohung, welche die Städte vor allem betraf, als die über das flache Land zerstreuten Marodeure. Daß wir dieser - Gefahr Herr wurden, mit gelegentlichen Plündereien und Schießereien auf den Bahnen und in der Nähe der Bahnhöfe 'wegkamen, danken wir der Entschlossen¬ heit, mit welcher aus Studenten, Arbeitern, Bürgern, verbleibenden und gegen hohen Sold neu gewordenen Soldaten, auch den heimgeschickten deutschen Ma¬ trosen Stadt- und Volkswachen und Bahilhofswach'en gebildet wurden, zu einem sehr großen Teil aber der opferwilligen Tatkraft der deutschen Eisenbahner. Wäh- rend'diese für möglichst raschen Abtransport sorgten — der Privatverkehr war so gut wie ganz eingestellt — führten die Bahuhofwachen die Entwaffnung und (nach dem Vorbild der anderen Völker, aber mit größerer Zurückhaltung und' ohne Roheiten) die Beschlagnahme des Materials' und des Übermaßes mit¬ geschleppter Lebensmittel und anderer Vorräte durch. Dieses entschlossene Vor¬ gehen bewirkte, daß da und dort Vereinbarungen mit den Nachbarn über gegen¬ seitigen Durchzug erzielt wurden. Nachdem so die plötzliche Gefahr vorüber¬ gegangen war, wurde die Nenaufstellung von Volkswehren systematischer durch¬ geführt. Aber sie sind zu schwach, um wirklichen feindlichen Einfällen erfolgreich zu widerstehen, auch unzuverlässige Elemente fanden anfangs in sie Eingang und gegen den Willen der Regierung bildete und erhielt sich in Wien eine Rote Garde, der mißlungene Putschversuch gegen die Nationalversammlung bildete eine hä߬ liche Begleiterscheinung bei der Ausrufung der neuen Republik. Deutschböhmen konnte keinen Widerstand gegen die meisten tschechischen Einbrüche wagen. In Südmähren hat nur Znaim eine leidlich zureichende Verteidigungstruppe organi¬ sieren können. In den Sudetenländern, wie im Süden mußten große deutsche

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/267>, abgerufen am 24.11.2024.