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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Die Politisierung der Frau

Deutsche Volkspartei mit ihrer liberalen und die Deutschnationale Volkspartei mit
ihrer konservativen Grundlage, Die Prüfungen werden noch einige Wochen
weiter gehen. Die Berliner Bevölkerung wird besonders zu leiden haben. Möge
die Provinz die Gelegenheit nützen, sich frei zu machen von Berliner geistiger
Bevormundung und selbst trachten, neue Parteigrundlagen zu schaffen.




Die Politisierung der Frau
Dr. Mathilde Kelchner von

s ist kein Zufall, daß die Lockerung des Besitzverhältnisses durch
das siegreiche Vordringen sozialistischer Grundsätze mit der
politischen Mündigkeitserklürnng der Frau zusammenfällt, denn
der Besitz ist der Orientierungspunkt für das soziale und
politische Machtverhältnis der Geschlechter gewesen, das infolge
größerer Erwerbsfähigkeit zugunsten des Mannes verschoben war.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die bessere körperliche Eignung des Mannes
für den Erwerb primitiver Gitter auf der ersten Entwicklungsstufe der mensch¬
lichen Gesellschaft der Anlaß gewesen ist, die ursprünglich bestehende Weiber¬
herrschaft zu brechen, die teils in der Mutterschaft, vor allem aber in der
größeren Bindung des Mannes durch seine Geschlechtlichkeit ihre Wurzel hatte.
Der Besitz wurde zu einem Äquivalent der Machte die die Frau in ältester Zeit
dank ihrer physiologischen Beschaffenheit: als Ziel männlichen Begehrens und als
geheimnisvoller Jungbrunnen der Menschheit, besaß, um allmählich in der
Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zum ausschlaggebenden Faktor zu
werden und dein Mann die Herrschaft zu verbürgen. Erst im letzten Drittel des
vorigen Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Emanzipation zahlreicher Frauen,
die in den Kampf um das Brot getrieben wurden und ihre Kraft zur Selbst-
erhaltung erwiesen, die durch die Geschichte geheiligten Vorrechte des Mannes
erschüttert. Aber erst jetzt, in der Morgenluft des Sozialismus sind sie
gebrochen, denn es sind weniger die liberalen Ideen der Gleichberechtigung aller
Menschen, als der Geist der Gemeinschaft, des sozialen Ausgleichs, des 'Getragen¬
seins des Einzelwesens durch die Gesamtheit, die die Frau auf die Höhe der
Gesellschaftsordnung heben. Fühlte sie sich stark genug infolge ihrer wirtschaft¬
lichen Emanzipation die politische Gleichberechtigung zu fordern, so wurde sie
ihr gegeben 'in der Erkenntnis, daß nicht der Besitz für die Einreihung in die
gesetzgebenden Faktoren ausschlaggebend ist, sondern die Notlage der Gesamtheit,
die nur durch den Willen und die Tat der Gesamtheit selbst behoben werden
kann. Nicht zuletzt sind es die Fragen der Bevölkerungspolitik, die der Frau die
Macht, die sie einst besaß, aufs neue in die Hände legen, denn es muß durchaus
unzweckmäßig erscheinen und einer gesunden Lebensauffassung widerstreben, daß
ureigenste Angelegenheiten des weiblichen Geschlechts, die aus dem Umkreis
privater Interessen herausgetreten sind, allein vor dem Forum der Männer
beurteilt und geregelt werden. Daß das Bevölkcrungsproblem in den nächsten
Jahren stark im Vordergrund der Erörterung und praktischer Lösunggsversuche
stehen wird, ist nicht zu bezweifeln, denn der Schaden, den unser Volkstum durch den
Krieg, in ersterReihe durch die unerhörte Hungerblockade genommen hat, wird erst
voll ermessen werden, wenn die friedliche Arbeit einsetzt und die durch Krankheit und
Tod gerissenen Lücken in der Allgemeinwirtschaft fühlbar werden. Die Gefahr
liegt vor, daß der Staat, dessen Allgegenwart wir immer stärker zu spüren
bekommen werden, in seinem Lebensdrange den Bannkreis überschreiten könnte,


Die Politisierung der Frau

Deutsche Volkspartei mit ihrer liberalen und die Deutschnationale Volkspartei mit
ihrer konservativen Grundlage, Die Prüfungen werden noch einige Wochen
weiter gehen. Die Berliner Bevölkerung wird besonders zu leiden haben. Möge
die Provinz die Gelegenheit nützen, sich frei zu machen von Berliner geistiger
Bevormundung und selbst trachten, neue Parteigrundlagen zu schaffen.




Die Politisierung der Frau
Dr. Mathilde Kelchner von

s ist kein Zufall, daß die Lockerung des Besitzverhältnisses durch
das siegreiche Vordringen sozialistischer Grundsätze mit der
politischen Mündigkeitserklürnng der Frau zusammenfällt, denn
der Besitz ist der Orientierungspunkt für das soziale und
politische Machtverhältnis der Geschlechter gewesen, das infolge
größerer Erwerbsfähigkeit zugunsten des Mannes verschoben war.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die bessere körperliche Eignung des Mannes
für den Erwerb primitiver Gitter auf der ersten Entwicklungsstufe der mensch¬
lichen Gesellschaft der Anlaß gewesen ist, die ursprünglich bestehende Weiber¬
herrschaft zu brechen, die teils in der Mutterschaft, vor allem aber in der
größeren Bindung des Mannes durch seine Geschlechtlichkeit ihre Wurzel hatte.
Der Besitz wurde zu einem Äquivalent der Machte die die Frau in ältester Zeit
dank ihrer physiologischen Beschaffenheit: als Ziel männlichen Begehrens und als
geheimnisvoller Jungbrunnen der Menschheit, besaß, um allmählich in der
Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zum ausschlaggebenden Faktor zu
werden und dein Mann die Herrschaft zu verbürgen. Erst im letzten Drittel des
vorigen Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Emanzipation zahlreicher Frauen,
die in den Kampf um das Brot getrieben wurden und ihre Kraft zur Selbst-
erhaltung erwiesen, die durch die Geschichte geheiligten Vorrechte des Mannes
erschüttert. Aber erst jetzt, in der Morgenluft des Sozialismus sind sie
gebrochen, denn es sind weniger die liberalen Ideen der Gleichberechtigung aller
Menschen, als der Geist der Gemeinschaft, des sozialen Ausgleichs, des 'Getragen¬
seins des Einzelwesens durch die Gesamtheit, die die Frau auf die Höhe der
Gesellschaftsordnung heben. Fühlte sie sich stark genug infolge ihrer wirtschaft¬
lichen Emanzipation die politische Gleichberechtigung zu fordern, so wurde sie
ihr gegeben 'in der Erkenntnis, daß nicht der Besitz für die Einreihung in die
gesetzgebenden Faktoren ausschlaggebend ist, sondern die Notlage der Gesamtheit,
die nur durch den Willen und die Tat der Gesamtheit selbst behoben werden
kann. Nicht zuletzt sind es die Fragen der Bevölkerungspolitik, die der Frau die
Macht, die sie einst besaß, aufs neue in die Hände legen, denn es muß durchaus
unzweckmäßig erscheinen und einer gesunden Lebensauffassung widerstreben, daß
ureigenste Angelegenheiten des weiblichen Geschlechts, die aus dem Umkreis
privater Interessen herausgetreten sind, allein vor dem Forum der Männer
beurteilt und geregelt werden. Daß das Bevölkcrungsproblem in den nächsten
Jahren stark im Vordergrund der Erörterung und praktischer Lösunggsversuche
stehen wird, ist nicht zu bezweifeln, denn der Schaden, den unser Volkstum durch den
Krieg, in ersterReihe durch die unerhörte Hungerblockade genommen hat, wird erst
voll ermessen werden, wenn die friedliche Arbeit einsetzt und die durch Krankheit und
Tod gerissenen Lücken in der Allgemeinwirtschaft fühlbar werden. Die Gefahr
liegt vor, daß der Staat, dessen Allgegenwart wir immer stärker zu spüren
bekommen werden, in seinem Lebensdrange den Bannkreis überschreiten könnte,


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[0261] Die Politisierung der Frau Deutsche Volkspartei mit ihrer liberalen und die Deutschnationale Volkspartei mit ihrer konservativen Grundlage, Die Prüfungen werden noch einige Wochen weiter gehen. Die Berliner Bevölkerung wird besonders zu leiden haben. Möge die Provinz die Gelegenheit nützen, sich frei zu machen von Berliner geistiger Bevormundung und selbst trachten, neue Parteigrundlagen zu schaffen. Die Politisierung der Frau Dr. Mathilde Kelchner von s ist kein Zufall, daß die Lockerung des Besitzverhältnisses durch das siegreiche Vordringen sozialistischer Grundsätze mit der politischen Mündigkeitserklürnng der Frau zusammenfällt, denn der Besitz ist der Orientierungspunkt für das soziale und politische Machtverhältnis der Geschlechter gewesen, das infolge größerer Erwerbsfähigkeit zugunsten des Mannes verschoben war. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die bessere körperliche Eignung des Mannes für den Erwerb primitiver Gitter auf der ersten Entwicklungsstufe der mensch¬ lichen Gesellschaft der Anlaß gewesen ist, die ursprünglich bestehende Weiber¬ herrschaft zu brechen, die teils in der Mutterschaft, vor allem aber in der größeren Bindung des Mannes durch seine Geschlechtlichkeit ihre Wurzel hatte. Der Besitz wurde zu einem Äquivalent der Machte die die Frau in ältester Zeit dank ihrer physiologischen Beschaffenheit: als Ziel männlichen Begehrens und als geheimnisvoller Jungbrunnen der Menschheit, besaß, um allmählich in der Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zum ausschlaggebenden Faktor zu werden und dein Mann die Herrschaft zu verbürgen. Erst im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Emanzipation zahlreicher Frauen, die in den Kampf um das Brot getrieben wurden und ihre Kraft zur Selbst- erhaltung erwiesen, die durch die Geschichte geheiligten Vorrechte des Mannes erschüttert. Aber erst jetzt, in der Morgenluft des Sozialismus sind sie gebrochen, denn es sind weniger die liberalen Ideen der Gleichberechtigung aller Menschen, als der Geist der Gemeinschaft, des sozialen Ausgleichs, des 'Getragen¬ seins des Einzelwesens durch die Gesamtheit, die die Frau auf die Höhe der Gesellschaftsordnung heben. Fühlte sie sich stark genug infolge ihrer wirtschaft¬ lichen Emanzipation die politische Gleichberechtigung zu fordern, so wurde sie ihr gegeben 'in der Erkenntnis, daß nicht der Besitz für die Einreihung in die gesetzgebenden Faktoren ausschlaggebend ist, sondern die Notlage der Gesamtheit, die nur durch den Willen und die Tat der Gesamtheit selbst behoben werden kann. Nicht zuletzt sind es die Fragen der Bevölkerungspolitik, die der Frau die Macht, die sie einst besaß, aufs neue in die Hände legen, denn es muß durchaus unzweckmäßig erscheinen und einer gesunden Lebensauffassung widerstreben, daß ureigenste Angelegenheiten des weiblichen Geschlechts, die aus dem Umkreis privater Interessen herausgetreten sind, allein vor dem Forum der Männer beurteilt und geregelt werden. Daß das Bevölkcrungsproblem in den nächsten Jahren stark im Vordergrund der Erörterung und praktischer Lösunggsversuche stehen wird, ist nicht zu bezweifeln, denn der Schaden, den unser Volkstum durch den Krieg, in ersterReihe durch die unerhörte Hungerblockade genommen hat, wird erst voll ermessen werden, wenn die friedliche Arbeit einsetzt und die durch Krankheit und Tod gerissenen Lücken in der Allgemeinwirtschaft fühlbar werden. Die Gefahr liegt vor, daß der Staat, dessen Allgegenwart wir immer stärker zu spüren bekommen werden, in seinem Lebensdrange den Bannkreis überschreiten könnte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/261>, abgerufen am 28.11.2024.