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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Lin- und Ausblicke

Wem es von seinen Miigliedern beifüllt, sich in aufbauende Arbeit zu vertiefen,
dem wird sofort ein ent'prechmd junger Nachfolger bestimmt, der eine gewisse
Gewähr dafür bietet, den Umsturz durch neue Melhooen vielseitiger auszugestalten.
Es gehört zum Befähigungsnachweis auch eine gewisse Virtuosität in der Ver¬
schleuderung von Staatsmitteln. Die Unterbringung von 8(X) Millionen Mark
im Zeitraum von zwei Wochen scheint, wie der Etat der Soldaten- und Arbeiter¬
räte zeigt, noch lange keine Rekordleistung zu sein. Herr Ebett könnte der ganzen
Venvirrung in Berlin mit einem Schlage Herr werben, wenn er die dreitausend
Unteroffiziere der Berliner Garnison als Negierungsgarde anerkennen und ent-
sprechend verwenden würde, die sich ihm am 5. d. M. zur Versügung gestellt
haben. Doch -- man fürchtet sich dadurch der Reaktion in die Arme zu werfen.
Darum wird lieber gar keine Entscheidung getroffen. Man wartet die Entwicklung
ab und hofft wohl im stillen auf Engländer und Franzosen, die Ordnung schaffen
mögen, damit nur das deutsche Militär nicht wieder zu herrschen beginne.




In das Auswärtige Amt ist Herr Kautsky mit seiner Gattin ein¬
gezogen. Frau Kautsky hat gleich in den ersten Tagen ihres Erscheinens den
Nachweis dafür erbracht, daß nicht ihr Mann, sondern sie das Regiment führt.
Sie bestellt vortragende Räte und Direktoren, sie erläutert ihnen die Richtlinien
ilner Politik, sie ordnet die Einrichtung der Bureaus sowie des inneren Dienstes
an. Er, -- er ist schweigsam dabei. Die toben Räte des Auswärtigen Amis
haben das Unwürdige, das ihnen zugemutet wird, natürlich begriffen. Sie haben
sich die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten doch wohl etwas anders ge¬
dacht, als sie dem Einzug Davids und Scheidemanns zujubelten. Nun sie den¬
noch ausharren, bringen sie dem Vaterlande Opfer, die sich in ihrer Schwere
windig allen den Opfern anschließen, die die Nation draußen in den Schlachten
und drinnen schon gebracht hat. Wer heute einen Blick in die Bureaus des Aus¬
wärtigen Amis zu werfen Gelegenheit hat, wird ein Märtyrertum finden, das
ans Herz greift. Aber wie lange kann die seelische Folter ausgehalten werden?
Es kann sich nur um Wochen handeln, und wenn Dr. Sols etwa gezwungen
werden sollte, seinen Posten, den er zäh unter Aufbietung aller Energie im In¬
teresse des Vaterlandes verteidigt, zu verlassen, können uns nur noch Tage von
dem Zusammenbruch des gesamten auswärtigen Dienstes trennen. Und -- die
Herren Liebknecht, Haase, Elsner fordern, daß einer der ihren Solfs Platz ein¬
nehme, angeblich, weil ein Sozialist schneller zum Frieden kommen würde, wie
der "reaktionäre" Sols.




Schlimmer noch, wie im Auswärtigen Amt sieht es im preußischen
Kultusministerium aus, seit Adolf Hoffmann dort das Szepter führt. Herr
Hoffmann bleibt mit seinen Eingriffen nicht an der Oberfläche des bureaukratischen
Amtslebens; er greift der Nation ans Mark. Nicht anders kann die Wirkung
der Berufung des "Pädagogen" Dr, Wyneken in das Kultusministerium, dessen
Wirksamkeit als Gründer der "Freideutschen Jugend" und ihrer Zeitschrift "Der
Anfang" vor Jahr und Tag in den Grenzboten gewürdigt worden ist, bewertet
werden. Ein führender holländischer Sozialdemokrat, der bei der "Freideutschen
Jugend" seinen Sohn verlor, kennzeichnete das System Wynekens als "eine


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Wem es von seinen Miigliedern beifüllt, sich in aufbauende Arbeit zu vertiefen,
dem wird sofort ein ent'prechmd junger Nachfolger bestimmt, der eine gewisse
Gewähr dafür bietet, den Umsturz durch neue Melhooen vielseitiger auszugestalten.
Es gehört zum Befähigungsnachweis auch eine gewisse Virtuosität in der Ver¬
schleuderung von Staatsmitteln. Die Unterbringung von 8(X) Millionen Mark
im Zeitraum von zwei Wochen scheint, wie der Etat der Soldaten- und Arbeiter¬
räte zeigt, noch lange keine Rekordleistung zu sein. Herr Ebett könnte der ganzen
Venvirrung in Berlin mit einem Schlage Herr werben, wenn er die dreitausend
Unteroffiziere der Berliner Garnison als Negierungsgarde anerkennen und ent-
sprechend verwenden würde, die sich ihm am 5. d. M. zur Versügung gestellt
haben. Doch — man fürchtet sich dadurch der Reaktion in die Arme zu werfen.
Darum wird lieber gar keine Entscheidung getroffen. Man wartet die Entwicklung
ab und hofft wohl im stillen auf Engländer und Franzosen, die Ordnung schaffen
mögen, damit nur das deutsche Militär nicht wieder zu herrschen beginne.




In das Auswärtige Amt ist Herr Kautsky mit seiner Gattin ein¬
gezogen. Frau Kautsky hat gleich in den ersten Tagen ihres Erscheinens den
Nachweis dafür erbracht, daß nicht ihr Mann, sondern sie das Regiment führt.
Sie bestellt vortragende Räte und Direktoren, sie erläutert ihnen die Richtlinien
ilner Politik, sie ordnet die Einrichtung der Bureaus sowie des inneren Dienstes
an. Er, — er ist schweigsam dabei. Die toben Räte des Auswärtigen Amis
haben das Unwürdige, das ihnen zugemutet wird, natürlich begriffen. Sie haben
sich die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten doch wohl etwas anders ge¬
dacht, als sie dem Einzug Davids und Scheidemanns zujubelten. Nun sie den¬
noch ausharren, bringen sie dem Vaterlande Opfer, die sich in ihrer Schwere
windig allen den Opfern anschließen, die die Nation draußen in den Schlachten
und drinnen schon gebracht hat. Wer heute einen Blick in die Bureaus des Aus¬
wärtigen Amis zu werfen Gelegenheit hat, wird ein Märtyrertum finden, das
ans Herz greift. Aber wie lange kann die seelische Folter ausgehalten werden?
Es kann sich nur um Wochen handeln, und wenn Dr. Sols etwa gezwungen
werden sollte, seinen Posten, den er zäh unter Aufbietung aller Energie im In¬
teresse des Vaterlandes verteidigt, zu verlassen, können uns nur noch Tage von
dem Zusammenbruch des gesamten auswärtigen Dienstes trennen. Und — die
Herren Liebknecht, Haase, Elsner fordern, daß einer der ihren Solfs Platz ein¬
nehme, angeblich, weil ein Sozialist schneller zum Frieden kommen würde, wie
der „reaktionäre" Sols.




Schlimmer noch, wie im Auswärtigen Amt sieht es im preußischen
Kultusministerium aus, seit Adolf Hoffmann dort das Szepter führt. Herr
Hoffmann bleibt mit seinen Eingriffen nicht an der Oberfläche des bureaukratischen
Amtslebens; er greift der Nation ans Mark. Nicht anders kann die Wirkung
der Berufung des „Pädagogen" Dr, Wyneken in das Kultusministerium, dessen
Wirksamkeit als Gründer der „Freideutschen Jugend" und ihrer Zeitschrift „Der
Anfang" vor Jahr und Tag in den Grenzboten gewürdigt worden ist, bewertet
werden. Ein führender holländischer Sozialdemokrat, der bei der „Freideutschen
Jugend" seinen Sohn verlor, kennzeichnete das System Wynekens als „eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/258>, abgerufen am 24.11.2024.