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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Ein- und Ausblicke
Georg Llcinow von

teuerlos schwankt das deutsche Reichsschiff auf den Wogen, erzittert
bis in die letzten Spanten von jedem Schlag, den ihm die an¬
stürmenden Wellen versetzen. Leck an mehreren Stellen, sinkt es
tiefer und tiefer, während keine Pumpen in Betrieb gesetzt werden
können, da die Besatzung sich um Führerschaft und Verwendung
der nachgevliebenen Vorräte streitet. Nach menschlicher Berechnung kann das
Schiff höchstens noch wenige Wochen oder gar nur Tage schwimmen, wenn nicht
Selbstbesinnung das Ärgste abwendet. Soweit ist es mit uns gekommen......!




Die Kop'losigkeit in Berlin ist vollkommen. Der sechsteilige Reichs¬
kanzler hat, wie Bethmann Hollweg, zwei Seelen in seiner Brust, eine bolsche¬
wistisch-revolutionäre und eine sozialistisch-reformerische. Haase begünstigt, ob
absichtlich oder unabsichtlich kommt auf dasselbe heraus, die Spartakusmänner
und sucht zu verhindern, daß das deutsche Volk zu Ruhe und Besinnung kommt;
Ebert, dem am Freitag, den 6.d.M. die Präsidentschaft von einer Kompagnie Soldaten
zum ersten Male angeboten ward, erschauert vor dem Gedanken, auch nur einen
Schritt mit bürgerlichen Parteien zusammen gehen zu sollen. Darum geschieht
nichlsl Gearbeitet wird nicht, wenn man von Solfs Klagebriefen an die Entente
absehen will, von regieren merkt man nichts. Die vortragenden Räte des Aus¬
wärtigen Amts können Reste aufarbeiten, die des Neichsamts des Innern schreiben
Noten an die Reichskanzlei aus Ernährungsrücksichten. In Gedankenarmut und
Feigheit brütet der sechsköpfige Reichskanzler über die Merkwürdigkeit der Tat-
sache, daß aufbauen schwerer ist, wie einreihen. Noch ein paar Tage so weiter
und die Maschine der Reichsregierung ist zertrümmert.

Die große innerpolitische Frage des Augenblicks ist, ob die reformsozialistische
Hülste des Reichskanzlers den Mut findet, die ihr von der Berliner Garnison
angebotene Hilfe anzunehmen und mit den SpartakusleuKn aufzuräumen, oder
ob sie, sich noch fernerhin der Diktatur des Vollzugsausschusses der Berliner
Soldaten- und Arbeiterräte unterwerfen will. Der ursprünglich achtundzwanzig
Mitglieder zählende Vollzugsausschuß ist inzwischen auf dreiundvierzig angewachsen;
er ist so etwas wie ein Regentschaftsrat, der sich dauernd automatisch verjüngt.


Grenzboten IV 1918 21


Ein- und Ausblicke
Georg Llcinow von

teuerlos schwankt das deutsche Reichsschiff auf den Wogen, erzittert
bis in die letzten Spanten von jedem Schlag, den ihm die an¬
stürmenden Wellen versetzen. Leck an mehreren Stellen, sinkt es
tiefer und tiefer, während keine Pumpen in Betrieb gesetzt werden
können, da die Besatzung sich um Führerschaft und Verwendung
der nachgevliebenen Vorräte streitet. Nach menschlicher Berechnung kann das
Schiff höchstens noch wenige Wochen oder gar nur Tage schwimmen, wenn nicht
Selbstbesinnung das Ärgste abwendet. Soweit ist es mit uns gekommen......!




Die Kop'losigkeit in Berlin ist vollkommen. Der sechsteilige Reichs¬
kanzler hat, wie Bethmann Hollweg, zwei Seelen in seiner Brust, eine bolsche¬
wistisch-revolutionäre und eine sozialistisch-reformerische. Haase begünstigt, ob
absichtlich oder unabsichtlich kommt auf dasselbe heraus, die Spartakusmänner
und sucht zu verhindern, daß das deutsche Volk zu Ruhe und Besinnung kommt;
Ebert, dem am Freitag, den 6.d.M. die Präsidentschaft von einer Kompagnie Soldaten
zum ersten Male angeboten ward, erschauert vor dem Gedanken, auch nur einen
Schritt mit bürgerlichen Parteien zusammen gehen zu sollen. Darum geschieht
nichlsl Gearbeitet wird nicht, wenn man von Solfs Klagebriefen an die Entente
absehen will, von regieren merkt man nichts. Die vortragenden Räte des Aus¬
wärtigen Amts können Reste aufarbeiten, die des Neichsamts des Innern schreiben
Noten an die Reichskanzlei aus Ernährungsrücksichten. In Gedankenarmut und
Feigheit brütet der sechsköpfige Reichskanzler über die Merkwürdigkeit der Tat-
sache, daß aufbauen schwerer ist, wie einreihen. Noch ein paar Tage so weiter
und die Maschine der Reichsregierung ist zertrümmert.

Die große innerpolitische Frage des Augenblicks ist, ob die reformsozialistische
Hülste des Reichskanzlers den Mut findet, die ihr von der Berliner Garnison
angebotene Hilfe anzunehmen und mit den SpartakusleuKn aufzuräumen, oder
ob sie, sich noch fernerhin der Diktatur des Vollzugsausschusses der Berliner
Soldaten- und Arbeiterräte unterwerfen will. Der ursprünglich achtundzwanzig
Mitglieder zählende Vollzugsausschuß ist inzwischen auf dreiundvierzig angewachsen;
er ist so etwas wie ein Regentschaftsrat, der sich dauernd automatisch verjüngt.


Grenzboten IV 1918 21
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[0257] [Abbildung] Ein- und Ausblicke Georg Llcinow von teuerlos schwankt das deutsche Reichsschiff auf den Wogen, erzittert bis in die letzten Spanten von jedem Schlag, den ihm die an¬ stürmenden Wellen versetzen. Leck an mehreren Stellen, sinkt es tiefer und tiefer, während keine Pumpen in Betrieb gesetzt werden können, da die Besatzung sich um Führerschaft und Verwendung der nachgevliebenen Vorräte streitet. Nach menschlicher Berechnung kann das Schiff höchstens noch wenige Wochen oder gar nur Tage schwimmen, wenn nicht Selbstbesinnung das Ärgste abwendet. Soweit ist es mit uns gekommen......! Die Kop'losigkeit in Berlin ist vollkommen. Der sechsteilige Reichs¬ kanzler hat, wie Bethmann Hollweg, zwei Seelen in seiner Brust, eine bolsche¬ wistisch-revolutionäre und eine sozialistisch-reformerische. Haase begünstigt, ob absichtlich oder unabsichtlich kommt auf dasselbe heraus, die Spartakusmänner und sucht zu verhindern, daß das deutsche Volk zu Ruhe und Besinnung kommt; Ebert, dem am Freitag, den 6.d.M. die Präsidentschaft von einer Kompagnie Soldaten zum ersten Male angeboten ward, erschauert vor dem Gedanken, auch nur einen Schritt mit bürgerlichen Parteien zusammen gehen zu sollen. Darum geschieht nichlsl Gearbeitet wird nicht, wenn man von Solfs Klagebriefen an die Entente absehen will, von regieren merkt man nichts. Die vortragenden Räte des Aus¬ wärtigen Amts können Reste aufarbeiten, die des Neichsamts des Innern schreiben Noten an die Reichskanzlei aus Ernährungsrücksichten. In Gedankenarmut und Feigheit brütet der sechsköpfige Reichskanzler über die Merkwürdigkeit der Tat- sache, daß aufbauen schwerer ist, wie einreihen. Noch ein paar Tage so weiter und die Maschine der Reichsregierung ist zertrümmert. Die große innerpolitische Frage des Augenblicks ist, ob die reformsozialistische Hülste des Reichskanzlers den Mut findet, die ihr von der Berliner Garnison angebotene Hilfe anzunehmen und mit den SpartakusleuKn aufzuräumen, oder ob sie, sich noch fernerhin der Diktatur des Vollzugsausschusses der Berliner Soldaten- und Arbeiterräte unterwerfen will. Der ursprünglich achtundzwanzig Mitglieder zählende Vollzugsausschuß ist inzwischen auf dreiundvierzig angewachsen; er ist so etwas wie ein Regentschaftsrat, der sich dauernd automatisch verjüngt. Grenzboten IV 1918 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/257>, abgerufen am 24.11.2024.