Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
versunken

Solch einen Menschen findest Du allerdings nicht unter denen, die bisher
uns Minister und Kanzler geliefert haben. Unsere versandete und sterile Bureau¬
kratie bewältigt mit Ach und Krach Tagesaufgaben; mehr kann sie nicht. Wer
in der defekten Korkweste stets nah am Versaufen ist, wie mag der Brücken und
Dämme bauen? Alls dem Mandarinentum, das nach Pfauenfedern schielt,
kommen die Männer nicht, die wir brauchen.

. Jetzt ist in der Hecke mal wieder ein Loch. Ich soll mich mit dem Rücken
davor setzen. Dafür bin ich zu gut. Es ist nicht die Zeit, zu si-inter. Die Stunde
gebietet einzureihen und aufzubauen. Dafür bin ich zu alt und zu stumpf.
Ich kann reden, sehr klug, sehr weise, ober ich kann nicht handeln. Der Mann,
den ich ersetzen soll, hat es auf hundert Tage gebracht. Mir würden vielleicht
dreihundert oder vierhundert beschieden fein. Dreihundert oder vierhundert zu
viel kostbare Tage, die ungenützt verrinnen". Diese Verantwortung kann ich nicht
übernehmen vor Gott, vor der Geschichte, vor mir selbst.
Derohalben, mein lieber Freund: Abgekehrt!


In Treuen Dein B.
III.

November 1918


Teuerster Professor!

Wirklich sehr nett von Ihnen, meiner so gütig zu gedenken. Na, ich kann
es ja mal auf ein paar Wochen probieren, ob die schöne Kammerrede, die mir
mem Freund Johannes Müller zurecht gedeichselt hat, mich über Wasser halten
wird. Jedenfalls -wird er mich nicht im Stich lassen. Wenn Not an Mann geht,
habe ich noch eine kleine Sammlung prächtig wirkender Stichworte.

Denken Sie wirklich, mein bester pio^ssssur, daß ich Ihnen so schreiben
würde? Davon bin ich weit entfernt. Ich setze meinen Ruf und meine Grund¬
sätze weder nach links noch nach rechts aufs Spiel.

Teilen Sie Ihren Freunden mit, daß sie ein für allemal auf mich ver¬
zichten müßten. Mag ein anderer Fiasko machen!


Herzlichst
Ihr wohlgewogener C.


Wir stehen träumend oft in alten Tagen
An einem grauen Meer, das dehnt sich weit;
Ein stolzes Schiff hat fernher uns getragen --
Wie ruht es still, das graue Meer der Zeit...
Es war ein glückhaft Schiff; in seinem Innern
Barg es die goldnen Barren, schwer und blank --
Durch alte Herzen geht ein müd Erinnern
An Sturmesnächte, da das Schiff versank.
Und träumend stehen wir am öden Strande,
Mit grauen Haaren spielt ein sanfter Wind;
Wohl übers Meer aus fernem Jugendlande
Kommt zu den Alten er, die Bettler sind.

Karl Berner


versunken

Solch einen Menschen findest Du allerdings nicht unter denen, die bisher
uns Minister und Kanzler geliefert haben. Unsere versandete und sterile Bureau¬
kratie bewältigt mit Ach und Krach Tagesaufgaben; mehr kann sie nicht. Wer
in der defekten Korkweste stets nah am Versaufen ist, wie mag der Brücken und
Dämme bauen? Alls dem Mandarinentum, das nach Pfauenfedern schielt,
kommen die Männer nicht, die wir brauchen.

. Jetzt ist in der Hecke mal wieder ein Loch. Ich soll mich mit dem Rücken
davor setzen. Dafür bin ich zu gut. Es ist nicht die Zeit, zu si-inter. Die Stunde
gebietet einzureihen und aufzubauen. Dafür bin ich zu alt und zu stumpf.
Ich kann reden, sehr klug, sehr weise, ober ich kann nicht handeln. Der Mann,
den ich ersetzen soll, hat es auf hundert Tage gebracht. Mir würden vielleicht
dreihundert oder vierhundert beschieden fein. Dreihundert oder vierhundert zu
viel kostbare Tage, die ungenützt verrinnen". Diese Verantwortung kann ich nicht
übernehmen vor Gott, vor der Geschichte, vor mir selbst.
Derohalben, mein lieber Freund: Abgekehrt!


In Treuen Dein B.
III.

November 1918


Teuerster Professor!

Wirklich sehr nett von Ihnen, meiner so gütig zu gedenken. Na, ich kann
es ja mal auf ein paar Wochen probieren, ob die schöne Kammerrede, die mir
mem Freund Johannes Müller zurecht gedeichselt hat, mich über Wasser halten
wird. Jedenfalls -wird er mich nicht im Stich lassen. Wenn Not an Mann geht,
habe ich noch eine kleine Sammlung prächtig wirkender Stichworte.

Denken Sie wirklich, mein bester pio^ssssur, daß ich Ihnen so schreiben
würde? Davon bin ich weit entfernt. Ich setze meinen Ruf und meine Grund¬
sätze weder nach links noch nach rechts aufs Spiel.

Teilen Sie Ihren Freunden mit, daß sie ein für allemal auf mich ver¬
zichten müßten. Mag ein anderer Fiasko machen!


Herzlichst
Ihr wohlgewogener C.


Wir stehen träumend oft in alten Tagen
An einem grauen Meer, das dehnt sich weit;
Ein stolzes Schiff hat fernher uns getragen —
Wie ruht es still, das graue Meer der Zeit...
Es war ein glückhaft Schiff; in seinem Innern
Barg es die goldnen Barren, schwer und blank —
Durch alte Herzen geht ein müd Erinnern
An Sturmesnächte, da das Schiff versank.
Und träumend stehen wir am öden Strande,
Mit grauen Haaren spielt ein sanfter Wind;
Wohl übers Meer aus fernem Jugendlande
Kommt zu den Alten er, die Bettler sind.

Karl Berner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88488"/>
            <fw type="header" place="top"> versunken</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1098"> Solch einen Menschen findest Du allerdings nicht unter denen, die bisher<lb/>
uns Minister und Kanzler geliefert haben. Unsere versandete und sterile Bureau¬<lb/>
kratie bewältigt mit Ach und Krach Tagesaufgaben; mehr kann sie nicht. Wer<lb/>
in der defekten Korkweste stets nah am Versaufen ist, wie mag der Brücken und<lb/>
Dämme bauen? Alls dem Mandarinentum, das nach Pfauenfedern schielt,<lb/>
kommen die Männer nicht, die wir brauchen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1099"> . Jetzt ist in der Hecke mal wieder ein Loch. Ich soll mich mit dem Rücken<lb/>
davor setzen. Dafür bin ich zu gut. Es ist nicht die Zeit, zu si-inter. Die Stunde<lb/>
gebietet einzureihen und aufzubauen. Dafür bin ich zu alt und zu stumpf.<lb/>
Ich kann reden, sehr klug, sehr weise, ober ich kann nicht handeln. Der Mann,<lb/>
den ich ersetzen soll, hat es auf hundert Tage gebracht. Mir würden vielleicht<lb/>
dreihundert oder vierhundert beschieden fein. Dreihundert oder vierhundert zu<lb/>
viel kostbare Tage, die ungenützt verrinnen". Diese Verantwortung kann ich nicht<lb/>
übernehmen vor Gott, vor der Geschichte, vor mir selbst.<lb/>
Derohalben, mein lieber Freund: Abgekehrt!</p><lb/>
            <note type="closer"> In Treuen Dein<note type="bibl"> B.</note></note><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1100"> November 1918</p><lb/>
            <note type="salute"> Teuerster Professor!</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1101"> Wirklich sehr nett von Ihnen, meiner so gütig zu gedenken. Na, ich kann<lb/>
es ja mal auf ein paar Wochen probieren, ob die schöne Kammerrede, die mir<lb/>
mem Freund Johannes Müller zurecht gedeichselt hat, mich über Wasser halten<lb/>
wird. Jedenfalls -wird er mich nicht im Stich lassen. Wenn Not an Mann geht,<lb/>
habe ich noch eine kleine Sammlung prächtig wirkender Stichworte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1102"> Denken Sie wirklich, mein bester pio^ssssur, daß ich Ihnen so schreiben<lb/>
würde? Davon bin ich weit entfernt. Ich setze meinen Ruf und meine Grund¬<lb/>
sätze weder nach links noch nach rechts aufs Spiel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1103"> Teilen Sie Ihren Freunden mit, daß sie ein für allemal auf mich ver¬<lb/>
zichten müßten. Mag ein anderer Fiasko machen!</p><lb/>
            <note type="closer"> Herzlichst<lb/>
Ihr wohlgewogener<note type="bibl"> C.</note></note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> </head><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
            <l> Wir stehen träumend oft in alten Tagen<lb/>
An einem grauen Meer, das dehnt sich weit;<lb/>
Ein stolzes Schiff hat fernher uns getragen &#x2014;<lb/>
Wie ruht es still, das graue Meer der Zeit...</l>
            <l> Es war ein glückhaft Schiff; in seinem Innern<lb/>
Barg es die goldnen Barren, schwer und blank &#x2014;<lb/>
Durch alte Herzen geht ein müd Erinnern<lb/>
An Sturmesnächte, da das Schiff versank.</l>
            <l> Und träumend stehen wir am öden Strande,<lb/>
Mit grauen Haaren spielt ein sanfter Wind;<lb/>
Wohl übers Meer aus fernem Jugendlande<lb/>
Kommt zu den Alten er, die Bettler sind.</l>
          </lg><lb/>
          <note type="byline"> Karl Berner</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] versunken Solch einen Menschen findest Du allerdings nicht unter denen, die bisher uns Minister und Kanzler geliefert haben. Unsere versandete und sterile Bureau¬ kratie bewältigt mit Ach und Krach Tagesaufgaben; mehr kann sie nicht. Wer in der defekten Korkweste stets nah am Versaufen ist, wie mag der Brücken und Dämme bauen? Alls dem Mandarinentum, das nach Pfauenfedern schielt, kommen die Männer nicht, die wir brauchen. . Jetzt ist in der Hecke mal wieder ein Loch. Ich soll mich mit dem Rücken davor setzen. Dafür bin ich zu gut. Es ist nicht die Zeit, zu si-inter. Die Stunde gebietet einzureihen und aufzubauen. Dafür bin ich zu alt und zu stumpf. Ich kann reden, sehr klug, sehr weise, ober ich kann nicht handeln. Der Mann, den ich ersetzen soll, hat es auf hundert Tage gebracht. Mir würden vielleicht dreihundert oder vierhundert beschieden fein. Dreihundert oder vierhundert zu viel kostbare Tage, die ungenützt verrinnen". Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen vor Gott, vor der Geschichte, vor mir selbst. Derohalben, mein lieber Freund: Abgekehrt! In Treuen Dein B. III. November 1918 Teuerster Professor! Wirklich sehr nett von Ihnen, meiner so gütig zu gedenken. Na, ich kann es ja mal auf ein paar Wochen probieren, ob die schöne Kammerrede, die mir mem Freund Johannes Müller zurecht gedeichselt hat, mich über Wasser halten wird. Jedenfalls -wird er mich nicht im Stich lassen. Wenn Not an Mann geht, habe ich noch eine kleine Sammlung prächtig wirkender Stichworte. Denken Sie wirklich, mein bester pio^ssssur, daß ich Ihnen so schreiben würde? Davon bin ich weit entfernt. Ich setze meinen Ruf und meine Grund¬ sätze weder nach links noch nach rechts aufs Spiel. Teilen Sie Ihren Freunden mit, daß sie ein für allemal auf mich ver¬ zichten müßten. Mag ein anderer Fiasko machen! Herzlichst Ihr wohlgewogener C. Wir stehen träumend oft in alten Tagen An einem grauen Meer, das dehnt sich weit; Ein stolzes Schiff hat fernher uns getragen — Wie ruht es still, das graue Meer der Zeit... Es war ein glückhaft Schiff; in seinem Innern Barg es die goldnen Barren, schwer und blank — Durch alte Herzen geht ein müd Erinnern An Sturmesnächte, da das Schiff versank. Und träumend stehen wir am öden Strande, Mit grauen Haaren spielt ein sanfter Wind; Wohl übers Meer aus fernem Jugendlande Kommt zu den Alten er, die Bettler sind. Karl Berner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/250>, abgerufen am 22.07.2024.