Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.Akem" .Staatslehre 3. Zwischen Staaten gibt es kein Recht; denn es gibt keine Macht über den 9. Der uns Heutigen erreichbare Grad des Imperialismus ist der Großstaat. 10. Europas Entwicklung zum gleichen Ziele ist aus lange Zeit hinaus ver¬ 11. -,, Akem« .Staatslehre 3. Zwischen Staaten gibt es kein Recht; denn es gibt keine Macht über den 9. Der uns Heutigen erreichbare Grad des Imperialismus ist der Großstaat. 10. Europas Entwicklung zum gleichen Ziele ist aus lange Zeit hinaus ver¬ 11. -,, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88453"/> <fw type="header" place="top"> Akem« .Staatslehre</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3.</head><lb/> <p xml:id="ID_900"> Zwischen Staaten gibt es kein Recht; denn es gibt keine Macht über den<lb/> Staaten. Staaten leben nebeneinander im Urzustande der Gewalt. Zwar<lb/> schmeichelt man sich immer mit der Hoffnung und Forderung, daß die Gebote der<lb/> Ethik auch von Staat zu Staat gelten sollen. Allein man begeht einen Deut¬<lb/> fehler. Staaten sind keine Individuen, in denen Vernunft und Gewissen mächtig<lb/> wären. Staaten sind Institutionen. Klug, und also dumm, gut, und also<lb/> schlecht, können nicht die Staaten, nur ihre Beamten handeln. Der Privatmann<lb/> darf, um nicht wortbrüchig zu werden, lieber fein Glück und sein Loben preis¬<lb/> geben. Der Beamte darf nicht, um den Staatsvertrag zu halten, den Untergang<lb/> seines Staates riskieren. Gewiß wird er mit allen Kräften streben, auch im Ver¬<lb/> hältnis von Staat zu Staat die Treue zu wahren. Aus Klugheit, nicht aus Ethik;<lb/> denn auf Verträge sind die Staaten angewiesen und Treu und Glaube bleiben<lb/> ihre Voraussetzung. Sobald aber die Verpflichtung des Staates in Widerspruch<lb/> gerät zu seinem Wohl, wird kein Staatsmann der Welt die ethische Idee über<lb/> den praktischen Nutzen stellen. Er kann es nicht und er darf es nicht. Noch<lb/> immer hust das e>i> S n nneietz für t>en Swot?>u>aer: l^lit c>r vron^ —<lb/> ra? eouQtr^. überall wird der fremde Spion gehängt und gilt der eigene als<lb/> Märtyrer. Zwischen Staaten, auch wenn sie verbündet sind, kann kein anderes<lb/> Verhältnis bestehen als Feindschaft. So ist es und so wird es bleiben, so lange<lb/> es auf Erden mehr als einen Staat gibt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 9.</head><lb/> <p xml:id="ID_901"> Der uns Heutigen erreichbare Grad des Imperialismus ist der Großstaat.<lb/> Die ideale Form des Großstaates, die einen relativen Schutz gegen Kriege böte,<lb/> wäre der durch den Erdteil begrenzte Großstaat. Pcmamerika, ohne Zweifel im<lb/> Begriff zu entstehen, wird der gesündeste Staat der Welt sein.<lb/> '</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 10.</head><lb/> <p xml:id="ID_902"> Europas Entwicklung zum gleichen Ziele ist aus lange Zeit hinaus ver¬<lb/> dorben. Zwei seiner Glieder haben sich hypertrophisch entfaltet: Rußland über<lb/> Asien hinweg, England über den fünften Teil aller Länder der Erde. Was bleibt,<lb/> ist ein Stumpf, ist ein Haufe von Elementen, bestimmt, zwischen diesen beiden<lb/> Polen hin und her zu oszilliereu. Rußland steht vor der Auseinandersetzung mit<lb/> Asien; der Ausgang ist zweifelhaft (Asien siegt, wenn nicht die europäische<lb/> Menschheit, in rechter Erkenntnis der Entscheidung, um die es geht, seinem öst¬<lb/> lichen Bruder zu Hilfe kommt). England hat sich auf der Bahn zum unbegrenzten<lb/> Imperialismus am weitesten fortbewegt: es braucht nur noch den lange vorbe¬<lb/> reiteten Schritt zum erapirs zu wagen, so repräsentiert es einen schlechtweg vor¬<lb/> bildlichen und zukünftigen Staatstypus, dem wir uns, auf dem Wege zur voll¬<lb/> kommenen Organisation irgendwie werden einfügen müssen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 11.</head><lb/> <p xml:id="ID_903"> -,,<lb/> Die idyllische Zeit der Nationalstaaten ist vorüber. Der böse rationa¬<lb/> listische Mißgriff unnationaler Staaten muß wieder gutgemacht werden. Der<lb/> Staat der Zukunft ist übernational. Der Staat umfaßt/ hegt und pflegt die<lb/> Nation. Wie die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert die Menschenrechte prokla¬<lb/> miert hat, so soll an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert der Ruhm haften,<lb/> die Rechte der Nation begründet zu haben. Die Nation darf fordern eigene<lb/> Sprache, eigene Sitte, eigene Religion, eigene Presse und Literatur, eigenes Ge¬<lb/> richt und eigene Verwaltung; es muß ihr die Möglichkeit gegeben werden, einen<lb/> NalionnlwilU'N he'vmzubrii'gen und zu änster»; es muß ihr EmfluK auf die<lb/> Staatsregierung eingeräumt fein. Daß jede Nation selber Staat sei, wäre an sich<lb/> der ideale Fall, steht aber der Entwicklung im Wege und ist daher nicht mehr<lb/> möglich, übrigens auch nicht nötig, so wenig wie daß jeder Kaufmann Chef oder<lb/> jeder Soldat Offizier sei. Nationales Leben, das sich natürlich und ungehemmt<lb/> entfalten darf, frei von Krampf und Kampf, verdient allein den Namen Leben.<lb/> In der Nation liegt aller Reiz, Duft und Farbe. Eine Menschheit, die nur aus<lb/> Staat bestünde, Ware Wüste.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0215]
Akem« .Staatslehre
3.
Zwischen Staaten gibt es kein Recht; denn es gibt keine Macht über den
Staaten. Staaten leben nebeneinander im Urzustande der Gewalt. Zwar
schmeichelt man sich immer mit der Hoffnung und Forderung, daß die Gebote der
Ethik auch von Staat zu Staat gelten sollen. Allein man begeht einen Deut¬
fehler. Staaten sind keine Individuen, in denen Vernunft und Gewissen mächtig
wären. Staaten sind Institutionen. Klug, und also dumm, gut, und also
schlecht, können nicht die Staaten, nur ihre Beamten handeln. Der Privatmann
darf, um nicht wortbrüchig zu werden, lieber fein Glück und sein Loben preis¬
geben. Der Beamte darf nicht, um den Staatsvertrag zu halten, den Untergang
seines Staates riskieren. Gewiß wird er mit allen Kräften streben, auch im Ver¬
hältnis von Staat zu Staat die Treue zu wahren. Aus Klugheit, nicht aus Ethik;
denn auf Verträge sind die Staaten angewiesen und Treu und Glaube bleiben
ihre Voraussetzung. Sobald aber die Verpflichtung des Staates in Widerspruch
gerät zu seinem Wohl, wird kein Staatsmann der Welt die ethische Idee über
den praktischen Nutzen stellen. Er kann es nicht und er darf es nicht. Noch
immer hust das e>i> S n nneietz für t>en Swot?>u>aer: l^lit c>r vron^ —
ra? eouQtr^. überall wird der fremde Spion gehängt und gilt der eigene als
Märtyrer. Zwischen Staaten, auch wenn sie verbündet sind, kann kein anderes
Verhältnis bestehen als Feindschaft. So ist es und so wird es bleiben, so lange
es auf Erden mehr als einen Staat gibt.
9.
Der uns Heutigen erreichbare Grad des Imperialismus ist der Großstaat.
Die ideale Form des Großstaates, die einen relativen Schutz gegen Kriege böte,
wäre der durch den Erdteil begrenzte Großstaat. Pcmamerika, ohne Zweifel im
Begriff zu entstehen, wird der gesündeste Staat der Welt sein.
'
10.
Europas Entwicklung zum gleichen Ziele ist aus lange Zeit hinaus ver¬
dorben. Zwei seiner Glieder haben sich hypertrophisch entfaltet: Rußland über
Asien hinweg, England über den fünften Teil aller Länder der Erde. Was bleibt,
ist ein Stumpf, ist ein Haufe von Elementen, bestimmt, zwischen diesen beiden
Polen hin und her zu oszilliereu. Rußland steht vor der Auseinandersetzung mit
Asien; der Ausgang ist zweifelhaft (Asien siegt, wenn nicht die europäische
Menschheit, in rechter Erkenntnis der Entscheidung, um die es geht, seinem öst¬
lichen Bruder zu Hilfe kommt). England hat sich auf der Bahn zum unbegrenzten
Imperialismus am weitesten fortbewegt: es braucht nur noch den lange vorbe¬
reiteten Schritt zum erapirs zu wagen, so repräsentiert es einen schlechtweg vor¬
bildlichen und zukünftigen Staatstypus, dem wir uns, auf dem Wege zur voll¬
kommenen Organisation irgendwie werden einfügen müssen.
11.
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Die idyllische Zeit der Nationalstaaten ist vorüber. Der böse rationa¬
listische Mißgriff unnationaler Staaten muß wieder gutgemacht werden. Der
Staat der Zukunft ist übernational. Der Staat umfaßt/ hegt und pflegt die
Nation. Wie die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert die Menschenrechte prokla¬
miert hat, so soll an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert der Ruhm haften,
die Rechte der Nation begründet zu haben. Die Nation darf fordern eigene
Sprache, eigene Sitte, eigene Religion, eigene Presse und Literatur, eigenes Ge¬
richt und eigene Verwaltung; es muß ihr die Möglichkeit gegeben werden, einen
NalionnlwilU'N he'vmzubrii'gen und zu änster»; es muß ihr EmfluK auf die
Staatsregierung eingeräumt fein. Daß jede Nation selber Staat sei, wäre an sich
der ideale Fall, steht aber der Entwicklung im Wege und ist daher nicht mehr
möglich, übrigens auch nicht nötig, so wenig wie daß jeder Kaufmann Chef oder
jeder Soldat Offizier sei. Nationales Leben, das sich natürlich und ungehemmt
entfalten darf, frei von Krampf und Kampf, verdient allein den Namen Leben.
In der Nation liegt aller Reiz, Duft und Farbe. Eine Menschheit, die nur aus
Staat bestünde, Ware Wüste.
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