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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Berufswahl und BegaKteuschulc

praktisch doch nicht auszuschließenden Anspruch des Besitzes auf Eintritt in die
führenden Stände werden?

Die gegenwärtige Lage ist so, daß die Überfüllung aller höheren Berufe,
die schon zu einer Art Gelehrtenproletariat geführt hat, die späte Möglichkeit zur
Familiengründung bei allen, die nicht mit materiellen Gütern gesegnet sind, und
alle damit zusammenhängenden Gefahren und Nöte bereits als eine Erkrankung
unseres Volkskörpers angesprochen werden können. Schon werden Stimmen laut,
die eine koloniale Expansion von dem Gesichtspunkte aus befürworten, daß wir
für unseren "Überschuß an Intelligenz" ein Betätigungsfeld brauchen. Freilich
sollten uns unsere besten Söhne zu wertvoll sein, um sie als Produkte deutscher
Bildungsindustr.e zu exportieren; und man könnte hier wohl eher von einer Ver¬
schwendung mit dem geistigen Nationalwohlstand sprechen, als man neuerdings
zu tun pflegt, wenn einige Talente in ihren bisherigen Volkskreisen belassen und
nicht zu höheren Bildungsstufen hinaufgeführt werden.

Es wäre also nicht einzusehen, weshalb wir diese Überproduktion noch mehr
fördern sollten, wenn nicht der Krieg das Schlagwort "Freie Bahn dein Talent"
gebracht hätte, das dann alsbald so ausgelegt wurde, allen begabteren Kindern
unseres Volkes müßten die höheren Bildungsstufen zugänglich gemacht werden.
Verkennen wir es nicht: die ganze Bewegung, die jenes Schlagwort auf ihre
Fahne geschrieben und seitdem in einigen Großstädten die Begabtenschulm ins
Leben grrufm hat, ist eine Erscheinungsform der demokratischen Strömung, die
die Notzeit unseres Volkes für den richtigen Augenblick gehalten hat, ihren Zielen
näherzukommen. Die Begabtenschulen sucht man zwar sachlich zu begründen,
scheut sich aber auch nicht es auszusprechen, daß sie "aus innerpolitischen Gründen
im Vordergrunde des Interesses stehen".

Wir müssen heute mit diesen Verhältnissen rechnen; und wir wollen die
Wünsche derer nicht ablehnen, die darauf ausgehen, häufigere lind gangbarere
Wege aus einer Volksschicht in die andere anzulegen, denn wir hoffen auf ein
engeres Zusammenwachsen der einzelnen Stände untereinander und auf eine un¬
befangenere Wertung. Aber wir müssen es zum Wohle des Volkes ablehnen, da
infolge der neuzuschaffenden Möglichkeiten eine noch ungesündere "Jnflanon" de,
oberen Schicht stattfindet, deren Ansprüche dann von dem gesamten Volkstörpe''
nicht mehr erfüllt werden könnten. Es dürfen sich nicht mehr zu Tische setzen^
wo doch die Mahlzeit nicht vermehrt werden kann; will mau in noch höherem
Maße unsere besten Köpfe ins Ausland drängen?

Somit bleibt nur die eine Möglichkeit, soll das Volk nicht Schaden leiden:
dein Aufstieg der Begabten -- der in Grenzen gehalten werden muß, auch um
eine völlige Auslaugung der unteren Schichten zu verhüten -- muß ein Abstieg
der Unbegabten zur Seite gehen°). Viel Unglückliche wird es dann weniger
geben. Und wenn die Rücksicht auf den durch unbegabte Schüler und Studenten
gerabgesetzten Durchschnitt wegfällt, so können höher und straffer die Anforderungen
bestellt werden. Es ist denn doch zu hoffen, daß hierbei die bisherige Oberschicht,
in ganzen genommen, ihre Führerstellung erfolgreich verteidigen wird.

Zu alledem gehört nun eine andere Art der Beurteilung und Bewertung
von Schule und Mensch, wenn wir nicht wieder zu Einseitigkeiten kommen sollen,
die bei der scharf eingreifenden Rationalisierung der Ständeverschiebungen besonders
schwerwiegend sein müßten. Wir müssen daher die Auslesemethod'en besonders
sorgfältig erwägen, die den Übergang aus einem Stand in den andern vor¬
bereiten, und wir müssen verlangen, daß sie den ganzen Menschen zum Objekt
nehmen, nicht nur eine Seite seines Wesens. Die bekannteste Auslese, die in
Berlin bei den Begabtenschulen angewandte, entspricht dieser Forderung nichts,




2) Ich verweise hier auf die guten Ausführungen von Sebald Schwarz, Vierteljahrs"
schrift für kommunale Schulverwaltung Bd. l S. 58 f. (Leipzig 19>8, Teubner, jtthrl. 15 M,).
4
> Mvede-Pivrkowsli-Wolff, Die Berliner Begablenschulen, ihre Organisation und die
experimentellen Methoden der "vchülerauswahl, Langensalza 1918 (Beyer, Preis 4,80 M.).
Für die Einzelheiten, tue im Nahmen unseres Aufsatzes nicht besprochen werden können, sei
auf dieses in vieler Hinsicht interessante Buch verwiesen.
Berufswahl und BegaKteuschulc

praktisch doch nicht auszuschließenden Anspruch des Besitzes auf Eintritt in die
führenden Stände werden?

Die gegenwärtige Lage ist so, daß die Überfüllung aller höheren Berufe,
die schon zu einer Art Gelehrtenproletariat geführt hat, die späte Möglichkeit zur
Familiengründung bei allen, die nicht mit materiellen Gütern gesegnet sind, und
alle damit zusammenhängenden Gefahren und Nöte bereits als eine Erkrankung
unseres Volkskörpers angesprochen werden können. Schon werden Stimmen laut,
die eine koloniale Expansion von dem Gesichtspunkte aus befürworten, daß wir
für unseren „Überschuß an Intelligenz" ein Betätigungsfeld brauchen. Freilich
sollten uns unsere besten Söhne zu wertvoll sein, um sie als Produkte deutscher
Bildungsindustr.e zu exportieren; und man könnte hier wohl eher von einer Ver¬
schwendung mit dem geistigen Nationalwohlstand sprechen, als man neuerdings
zu tun pflegt, wenn einige Talente in ihren bisherigen Volkskreisen belassen und
nicht zu höheren Bildungsstufen hinaufgeführt werden.

Es wäre also nicht einzusehen, weshalb wir diese Überproduktion noch mehr
fördern sollten, wenn nicht der Krieg das Schlagwort „Freie Bahn dein Talent"
gebracht hätte, das dann alsbald so ausgelegt wurde, allen begabteren Kindern
unseres Volkes müßten die höheren Bildungsstufen zugänglich gemacht werden.
Verkennen wir es nicht: die ganze Bewegung, die jenes Schlagwort auf ihre
Fahne geschrieben und seitdem in einigen Großstädten die Begabtenschulm ins
Leben grrufm hat, ist eine Erscheinungsform der demokratischen Strömung, die
die Notzeit unseres Volkes für den richtigen Augenblick gehalten hat, ihren Zielen
näherzukommen. Die Begabtenschulen sucht man zwar sachlich zu begründen,
scheut sich aber auch nicht es auszusprechen, daß sie „aus innerpolitischen Gründen
im Vordergrunde des Interesses stehen".

Wir müssen heute mit diesen Verhältnissen rechnen; und wir wollen die
Wünsche derer nicht ablehnen, die darauf ausgehen, häufigere lind gangbarere
Wege aus einer Volksschicht in die andere anzulegen, denn wir hoffen auf ein
engeres Zusammenwachsen der einzelnen Stände untereinander und auf eine un¬
befangenere Wertung. Aber wir müssen es zum Wohle des Volkes ablehnen, da
infolge der neuzuschaffenden Möglichkeiten eine noch ungesündere „Jnflanon" de,
oberen Schicht stattfindet, deren Ansprüche dann von dem gesamten Volkstörpe''
nicht mehr erfüllt werden könnten. Es dürfen sich nicht mehr zu Tische setzen^
wo doch die Mahlzeit nicht vermehrt werden kann; will mau in noch höherem
Maße unsere besten Köpfe ins Ausland drängen?

Somit bleibt nur die eine Möglichkeit, soll das Volk nicht Schaden leiden:
dein Aufstieg der Begabten -- der in Grenzen gehalten werden muß, auch um
eine völlige Auslaugung der unteren Schichten zu verhüten — muß ein Abstieg
der Unbegabten zur Seite gehen°). Viel Unglückliche wird es dann weniger
geben. Und wenn die Rücksicht auf den durch unbegabte Schüler und Studenten
gerabgesetzten Durchschnitt wegfällt, so können höher und straffer die Anforderungen
bestellt werden. Es ist denn doch zu hoffen, daß hierbei die bisherige Oberschicht,
in ganzen genommen, ihre Führerstellung erfolgreich verteidigen wird.

Zu alledem gehört nun eine andere Art der Beurteilung und Bewertung
von Schule und Mensch, wenn wir nicht wieder zu Einseitigkeiten kommen sollen,
die bei der scharf eingreifenden Rationalisierung der Ständeverschiebungen besonders
schwerwiegend sein müßten. Wir müssen daher die Auslesemethod'en besonders
sorgfältig erwägen, die den Übergang aus einem Stand in den andern vor¬
bereiten, und wir müssen verlangen, daß sie den ganzen Menschen zum Objekt
nehmen, nicht nur eine Seite seines Wesens. Die bekannteste Auslese, die in
Berlin bei den Begabtenschulen angewandte, entspricht dieser Forderung nichts,




2) Ich verweise hier auf die guten Ausführungen von Sebald Schwarz, Vierteljahrs»
schrift für kommunale Schulverwaltung Bd. l S. 58 f. (Leipzig 19>8, Teubner, jtthrl. 15 M,).
4
> Mvede-Pivrkowsli-Wolff, Die Berliner Begablenschulen, ihre Organisation und die
experimentellen Methoden der «vchülerauswahl, Langensalza 1918 (Beyer, Preis 4,80 M.).
Für die Einzelheiten, tue im Nahmen unseres Aufsatzes nicht besprochen werden können, sei
auf dieses in vieler Hinsicht interessante Buch verwiesen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/153>, abgerufen am 22.07.2024.