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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Berufswahl und Legabtenschule

Ja, wir müssen künftig neben der Bevölkerungspolitik, der ja schon vor dem
Kriege die Aufmerksamkeit vieler zugewendet war, auch eine Berufspolitik treiben.
Nicht nur, wie von manchen Seiten gesagt wird, weil wir mit unseren Talenten
sparsam umgehen müßten, und weil es Verschwendung wäre, ein Talent in einem
ihm nicht gemäßen Berufe zu verwenden, -- nein, auch um der Ethik des Be¬
rufes selber willen ist es nötig, daß einer sich berufen weiß, wenn er in den Beruf
eintritt, und um der persönlichen Zufriedenheit jedes einzelnen willen.

Das ist auch der eigentliche Sinn des vielmißbrauchten Wortes "Freie Bahn
dem Tüchtigen", daß er das ihm gemäße Tun finde und nicht gezwungen werde,
seine guten Kräfte in unwürdiger Form zu zersplittern, sei es auch die im Vor¬
urteil der populären Schätzung "höhere" Berufsform.

So ist es in derNastlosigkeit des heutigen Lebens dahin gekommen, daß dieSorge
unserer idealistischen Erzieher heute nicht mehr allein die reinmenschliche Bildung
des Zöglings sein darf; frühzeitig muß sich der Blick der Erzieher auf seine
künftige Berufsgattung richten, und der Zögling muß lernen, den Beruf als einen
notwendigen Bestandteil nicht nur des nun einmal leider so gearteten Lebens,
sondern des Lebmsideals zu erfassen; derart, daß nicht mehr das Nenaissantt-
ideal der geistig regen Muße seine Zukunftsträume bestimmt, sondern das Gegcn-
wartsideal ein'er Berufstätigkeit als Glied des völkischen Organismus.

Es ist keine leichte Aufgabe, die unserer Zeit hiermit gestellt ist, aber ihre
Lösung ist dringend, insbesondere für diejenigen unter unserem Nachwuchs, deren
Wesensart Profil genug zeigt, um eine Fehllösung zu einem persönlichen und dem
Maße entsprechend zu einem nationalen Übel zu gestalten. Und zur Lösung der
Aufgabe ist offenbar zweierlei erforderlich: erstens Kenntnis der physiologischen
und psychologischen, der sozialen und materiellen Voraussetzungen der einzelnen
Berufe, und zweitens Erkenntnis der Wesensart des jugendlichen Menschen, um
ihn auf den Weg zu dem ihm gemäßen Berufe führen zu können. Dabei kann
natürlich auf eine restlose Lösung des Problems nicht immer gerechnet werden. Die
komplizierte Zusammensetzung jeder Individualität findet wohl oft nicht ihre Ent¬
sprechung in der Reihe der vorhandenen Berufe. Es ist also auch nach der Er¬
füllung aller Erfordernisse einer künftigen Berufspolitik notwendig, auf diejenige
Eigenschaft des Menschen zu rechnen, die bisher bei der Berufswahl die größte
Rolle gespielt hat: die Anpassungsfähigkeit, die Einstellbarkeit auf die Forderungen
des Berufes, die als sittliche Forderung mit sich bringt, daß der Mensch manche
seiner Neigungen unterdrücke, Fähigkeiten nicht ausübe -- und so der Tragik sich
unterwerfe, die aus der Unstimmigkeit der idealen und der realen Forderungen
des Lebens entspringt. Gerade der moderne Mensch mit seiner Vielseitigkeit wird
nach wie vor manchen bitteren Tropfen auszukosten haben.

Aber zur Besserung dieser Zustände können und müssen wir kommen; und
so bleibt vor allem die Entwicklung einer förmlichen Berufsforschung^) eine
Forderung des Tages. Ihre Ergebnisse müssen denen vertraut werden, die einen
Einfluß auf die Berufswahl auszuüben haben. Nicht nur die Statistik der Berufe
muß noch mehr ausgebildet und an sie die Soziologie der Berufe angeschlossen
werden; auch die Hygiene der Berufe wäre klarer zu erfassen -- vielleicht erweitert
sich die Aufgabe des Forschungsinstituts für Arbeitsphysiologie einmal nach dieser
Seite --; am wichtigsten aber erscheint mir doch die Psychologie der Berufe, ein
Gebiet, das der heutigen angewandten Psychologie keine allzu schweren Aufgaben
stellen dürfte. Von der physischen Fähigkeit aus und der Ermüdbarkeitsmessung
bis zur inneren Stellung des Arbeiters zu seinem Tun, von der allgemeinen
Intelligenz bis zum moralischen Status deß Individuums können und sollen die
Eigenschaften festgestellt werden, die zur Ausübung eines bestimmten Berufes
gehören; nicht an letzter Stelle die Charaktereigenschaften, Temperament und



i) Diese Forderung vertritt mit vollem Recht das vorzügliche Buch von Aloys Fischer:
"Über Beruf, Berufswahl und Berufsberatung als Erziehungsfrngen", Leipzig 1918.
(Quelle u, Mey.-r, gev, -t,40 M,),
Berufswahl und Legabtenschule

Ja, wir müssen künftig neben der Bevölkerungspolitik, der ja schon vor dem
Kriege die Aufmerksamkeit vieler zugewendet war, auch eine Berufspolitik treiben.
Nicht nur, wie von manchen Seiten gesagt wird, weil wir mit unseren Talenten
sparsam umgehen müßten, und weil es Verschwendung wäre, ein Talent in einem
ihm nicht gemäßen Berufe zu verwenden, — nein, auch um der Ethik des Be¬
rufes selber willen ist es nötig, daß einer sich berufen weiß, wenn er in den Beruf
eintritt, und um der persönlichen Zufriedenheit jedes einzelnen willen.

Das ist auch der eigentliche Sinn des vielmißbrauchten Wortes „Freie Bahn
dem Tüchtigen", daß er das ihm gemäße Tun finde und nicht gezwungen werde,
seine guten Kräfte in unwürdiger Form zu zersplittern, sei es auch die im Vor¬
urteil der populären Schätzung „höhere" Berufsform.

So ist es in derNastlosigkeit des heutigen Lebens dahin gekommen, daß dieSorge
unserer idealistischen Erzieher heute nicht mehr allein die reinmenschliche Bildung
des Zöglings sein darf; frühzeitig muß sich der Blick der Erzieher auf seine
künftige Berufsgattung richten, und der Zögling muß lernen, den Beruf als einen
notwendigen Bestandteil nicht nur des nun einmal leider so gearteten Lebens,
sondern des Lebmsideals zu erfassen; derart, daß nicht mehr das Nenaissantt-
ideal der geistig regen Muße seine Zukunftsträume bestimmt, sondern das Gegcn-
wartsideal ein'er Berufstätigkeit als Glied des völkischen Organismus.

Es ist keine leichte Aufgabe, die unserer Zeit hiermit gestellt ist, aber ihre
Lösung ist dringend, insbesondere für diejenigen unter unserem Nachwuchs, deren
Wesensart Profil genug zeigt, um eine Fehllösung zu einem persönlichen und dem
Maße entsprechend zu einem nationalen Übel zu gestalten. Und zur Lösung der
Aufgabe ist offenbar zweierlei erforderlich: erstens Kenntnis der physiologischen
und psychologischen, der sozialen und materiellen Voraussetzungen der einzelnen
Berufe, und zweitens Erkenntnis der Wesensart des jugendlichen Menschen, um
ihn auf den Weg zu dem ihm gemäßen Berufe führen zu können. Dabei kann
natürlich auf eine restlose Lösung des Problems nicht immer gerechnet werden. Die
komplizierte Zusammensetzung jeder Individualität findet wohl oft nicht ihre Ent¬
sprechung in der Reihe der vorhandenen Berufe. Es ist also auch nach der Er¬
füllung aller Erfordernisse einer künftigen Berufspolitik notwendig, auf diejenige
Eigenschaft des Menschen zu rechnen, die bisher bei der Berufswahl die größte
Rolle gespielt hat: die Anpassungsfähigkeit, die Einstellbarkeit auf die Forderungen
des Berufes, die als sittliche Forderung mit sich bringt, daß der Mensch manche
seiner Neigungen unterdrücke, Fähigkeiten nicht ausübe — und so der Tragik sich
unterwerfe, die aus der Unstimmigkeit der idealen und der realen Forderungen
des Lebens entspringt. Gerade der moderne Mensch mit seiner Vielseitigkeit wird
nach wie vor manchen bitteren Tropfen auszukosten haben.

Aber zur Besserung dieser Zustände können und müssen wir kommen; und
so bleibt vor allem die Entwicklung einer förmlichen Berufsforschung^) eine
Forderung des Tages. Ihre Ergebnisse müssen denen vertraut werden, die einen
Einfluß auf die Berufswahl auszuüben haben. Nicht nur die Statistik der Berufe
muß noch mehr ausgebildet und an sie die Soziologie der Berufe angeschlossen
werden; auch die Hygiene der Berufe wäre klarer zu erfassen — vielleicht erweitert
sich die Aufgabe des Forschungsinstituts für Arbeitsphysiologie einmal nach dieser
Seite —; am wichtigsten aber erscheint mir doch die Psychologie der Berufe, ein
Gebiet, das der heutigen angewandten Psychologie keine allzu schweren Aufgaben
stellen dürfte. Von der physischen Fähigkeit aus und der Ermüdbarkeitsmessung
bis zur inneren Stellung des Arbeiters zu seinem Tun, von der allgemeinen
Intelligenz bis zum moralischen Status deß Individuums können und sollen die
Eigenschaften festgestellt werden, die zur Ausübung eines bestimmten Berufes
gehören; nicht an letzter Stelle die Charaktereigenschaften, Temperament und



i) Diese Forderung vertritt mit vollem Recht das vorzügliche Buch von Aloys Fischer:
„Über Beruf, Berufswahl und Berufsberatung als Erziehungsfrngen", Leipzig 1918.
(Quelle u, Mey.-r, gev, -t,40 M,),
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[0150] Berufswahl und Legabtenschule Ja, wir müssen künftig neben der Bevölkerungspolitik, der ja schon vor dem Kriege die Aufmerksamkeit vieler zugewendet war, auch eine Berufspolitik treiben. Nicht nur, wie von manchen Seiten gesagt wird, weil wir mit unseren Talenten sparsam umgehen müßten, und weil es Verschwendung wäre, ein Talent in einem ihm nicht gemäßen Berufe zu verwenden, — nein, auch um der Ethik des Be¬ rufes selber willen ist es nötig, daß einer sich berufen weiß, wenn er in den Beruf eintritt, und um der persönlichen Zufriedenheit jedes einzelnen willen. Das ist auch der eigentliche Sinn des vielmißbrauchten Wortes „Freie Bahn dem Tüchtigen", daß er das ihm gemäße Tun finde und nicht gezwungen werde, seine guten Kräfte in unwürdiger Form zu zersplittern, sei es auch die im Vor¬ urteil der populären Schätzung „höhere" Berufsform. So ist es in derNastlosigkeit des heutigen Lebens dahin gekommen, daß dieSorge unserer idealistischen Erzieher heute nicht mehr allein die reinmenschliche Bildung des Zöglings sein darf; frühzeitig muß sich der Blick der Erzieher auf seine künftige Berufsgattung richten, und der Zögling muß lernen, den Beruf als einen notwendigen Bestandteil nicht nur des nun einmal leider so gearteten Lebens, sondern des Lebmsideals zu erfassen; derart, daß nicht mehr das Nenaissantt- ideal der geistig regen Muße seine Zukunftsträume bestimmt, sondern das Gegcn- wartsideal ein'er Berufstätigkeit als Glied des völkischen Organismus. Es ist keine leichte Aufgabe, die unserer Zeit hiermit gestellt ist, aber ihre Lösung ist dringend, insbesondere für diejenigen unter unserem Nachwuchs, deren Wesensart Profil genug zeigt, um eine Fehllösung zu einem persönlichen und dem Maße entsprechend zu einem nationalen Übel zu gestalten. Und zur Lösung der Aufgabe ist offenbar zweierlei erforderlich: erstens Kenntnis der physiologischen und psychologischen, der sozialen und materiellen Voraussetzungen der einzelnen Berufe, und zweitens Erkenntnis der Wesensart des jugendlichen Menschen, um ihn auf den Weg zu dem ihm gemäßen Berufe führen zu können. Dabei kann natürlich auf eine restlose Lösung des Problems nicht immer gerechnet werden. Die komplizierte Zusammensetzung jeder Individualität findet wohl oft nicht ihre Ent¬ sprechung in der Reihe der vorhandenen Berufe. Es ist also auch nach der Er¬ füllung aller Erfordernisse einer künftigen Berufspolitik notwendig, auf diejenige Eigenschaft des Menschen zu rechnen, die bisher bei der Berufswahl die größte Rolle gespielt hat: die Anpassungsfähigkeit, die Einstellbarkeit auf die Forderungen des Berufes, die als sittliche Forderung mit sich bringt, daß der Mensch manche seiner Neigungen unterdrücke, Fähigkeiten nicht ausübe — und so der Tragik sich unterwerfe, die aus der Unstimmigkeit der idealen und der realen Forderungen des Lebens entspringt. Gerade der moderne Mensch mit seiner Vielseitigkeit wird nach wie vor manchen bitteren Tropfen auszukosten haben. Aber zur Besserung dieser Zustände können und müssen wir kommen; und so bleibt vor allem die Entwicklung einer förmlichen Berufsforschung^) eine Forderung des Tages. Ihre Ergebnisse müssen denen vertraut werden, die einen Einfluß auf die Berufswahl auszuüben haben. Nicht nur die Statistik der Berufe muß noch mehr ausgebildet und an sie die Soziologie der Berufe angeschlossen werden; auch die Hygiene der Berufe wäre klarer zu erfassen — vielleicht erweitert sich die Aufgabe des Forschungsinstituts für Arbeitsphysiologie einmal nach dieser Seite —; am wichtigsten aber erscheint mir doch die Psychologie der Berufe, ein Gebiet, das der heutigen angewandten Psychologie keine allzu schweren Aufgaben stellen dürfte. Von der physischen Fähigkeit aus und der Ermüdbarkeitsmessung bis zur inneren Stellung des Arbeiters zu seinem Tun, von der allgemeinen Intelligenz bis zum moralischen Status deß Individuums können und sollen die Eigenschaften festgestellt werden, die zur Ausübung eines bestimmten Berufes gehören; nicht an letzter Stelle die Charaktereigenschaften, Temperament und i) Diese Forderung vertritt mit vollem Recht das vorzügliche Buch von Aloys Fischer: „Über Beruf, Berufswahl und Berufsberatung als Erziehungsfrngen", Leipzig 1918. (Quelle u, Mey.-r, gev, -t,40 M,),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/150>, abgerufen am 24.11.2024.