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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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vom "Großblock" zur "Mehrheit"

Stresemann nicht für die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917 stimmen
wollte, so mußte er doch -erkennen, daß sie zugleich zur Sammlung aller derer
führte, die die Macht dies Reichstags gegenüber dem Bundesrat, der kaiserlichen
Kommandogewalt und sonstigen konservativen Instanzen stärken wollten. Das
wollte Stresemann auch, denn er sprach ja ost sür gründliche Erneuerung der
Diplomatie, Einschränkung des persönlichen uns bureaukratischen Regiments,
Dinge, die doch gor nicht anders erreicht werden konnten als durch Stärkung der
Parlamentsmacht. Da hätte er also dafür sorgen müssen, daß die Partei¬
gruppierung der Juliresolution Episode blieb, und daß die Nationalliberalen im
übrigen um so stärker als Mitkämpfer um die Parlanleutarisierung erschienen.
Das wagte er aber anscheinend nicht in Rücksicht aus die breiten Parteikreise, die
zustimmten, wenn altdeutsche Heißsporne den Reichstag schmähten. So hat sich
Stresemann weder als vorausschauender Kopf, noch als politischer Charakter
erwiesen. Er hat seine Partei zwischen zwei Stühle gesetzt und nicht klar genug
erkannt, daß es für sie nur zwei Möglichkeiten gab: entweder mit der Demokratie
die Machtansprüche des Reichstags durchsetzen zu helfen oder sie an der Seite der
Konservativen zu bekämpfen. Vielleicht steht Stresemanns Führung auch unter
dem Einflüsse gewisser Theorien, wie sie der nationalliberale Historiker
Brandenburg in Leipzig lehrt. Brandenburg hat bei seinen Forschungen die ihm
überaus wertvoll -erscheinende Feststellung gemacht, daß der Liberalismus von der
Demokratie ebenso wesensverschieden sei, wie vom konservativen Gedanken. Das
mag richtig sein oder auch nicht: fatal ist es jedenfalls, daraus die politische Folge¬
rung zu ziehen, die nationalliberale Partei müsse zwischen den konservativen und
den 'demokratischen Ideen zurzeit einen Wirkungskreis ganz für ihre speziell
nationalliberale Betrachtungsweise suchen. Der "Gegensatz zwischen den oemo-
kvatisch-parlaMentarischen Prinzipien und der alten Ordnung im Reichsbau ist
so scharf, daß man zwischen beiden harten Mühlsteinen nur zerrieben werden
kann. Das Zentrum, das doch viel tiefere prinzipielle Gegensätze von der Linken
trennen, hat die Lage rechtzeitig begriffen und sich mit großer .Klugheit eine
gewichtige Stimme beim nunmehr eingeleiteten demokratisch - parlamentarischen
Umbau des Reiches gesichert. Nach dem Siege der Demokratie haben sich die
Nationallibcralen den Mehrheitsparteien angeschlossen, nicht ohne daß dabei die
Gefahr besteht, daß sie ein wenig fünftes Rad am Wagen bilden. Doch ist die
Bedrohung des 'Vaterlandes durch den auswärtigen Feind augenblicklich so groß,
daß der Mehrheit die sonst unnötige Verbreiterung der parlamentarischen Basis
ihrer Negierung immerhin sehr willkommen ist. Infolgedessen scheint es den
Nationalliberalen doch noch zu gelingen, ihre Stimme unter der neuen Ära zur
Geltung zu bringen. Trotzdem ist es bezeichnend, daß in das sogenannte engere
Kriegskabinett neben Payer, Haußmcmn, Scheidemann, Grober und Erzberger
kein Führer der nvtionalliberalen Reichstagsfraktion eingerückt ist.'

Zum ersten Male in der Geschichte des neuen Deutschen Reiches ist die
Volksvertretung seit dem Sommer 1917 mit einem organisierten Machtwillen
hervorgetreten. Ein "Großblock" bürgerlicher Parteien mit der Sozialdemokratie
ist tatsächlich zusammengekommen und hat dann auch ziemlich rasch die Macht im
Reiche an sich gerissen. Wenn das alles auch unter dem Druck des Krieges
beschleunigt worden ist, so ist es doch längst vorher angebahnt. Nur daß in der
"Mehrheit" von 1917 die Nationalliberalen, die sich Naumann als Großblock¬
genossen dachte, durch das Zentrum ersetzt sind und sich nur nachträglich ihr
wieder anschließen. Es ist auch kein Zufall, daß unter den führenden Männern
der Neuordnung schon seit Hertlings und .Kühlmanns Tagen die Süddeutschen,
besonders die Südwestdeutschen, die führende Rolle spielen, während unterm
"ÄiroisQ I'sgiws" der preußische Nordosten die maßgebenden Reichsämter besetzte.
Der Südwesten ist schon von alters her die Hochburg der deutschen Demokratie.
Zwei Badner: Prinz Max und Fehrenbach stehen an der Spitze der Reichs¬
regierung und des Reichstags; im engeren Kriegskäbinett sitzen nicht weniger als
vier Württemberger: Erzberger, Grober, Payer und Haußmann, und ein
Altelsässer, General Scheues, ist sogar preußischer .Kriegsminister. Mögen die


vom „Großblock" zur „Mehrheit"

Stresemann nicht für die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917 stimmen
wollte, so mußte er doch -erkennen, daß sie zugleich zur Sammlung aller derer
führte, die die Macht dies Reichstags gegenüber dem Bundesrat, der kaiserlichen
Kommandogewalt und sonstigen konservativen Instanzen stärken wollten. Das
wollte Stresemann auch, denn er sprach ja ost sür gründliche Erneuerung der
Diplomatie, Einschränkung des persönlichen uns bureaukratischen Regiments,
Dinge, die doch gor nicht anders erreicht werden konnten als durch Stärkung der
Parlamentsmacht. Da hätte er also dafür sorgen müssen, daß die Partei¬
gruppierung der Juliresolution Episode blieb, und daß die Nationalliberalen im
übrigen um so stärker als Mitkämpfer um die Parlanleutarisierung erschienen.
Das wagte er aber anscheinend nicht in Rücksicht aus die breiten Parteikreise, die
zustimmten, wenn altdeutsche Heißsporne den Reichstag schmähten. So hat sich
Stresemann weder als vorausschauender Kopf, noch als politischer Charakter
erwiesen. Er hat seine Partei zwischen zwei Stühle gesetzt und nicht klar genug
erkannt, daß es für sie nur zwei Möglichkeiten gab: entweder mit der Demokratie
die Machtansprüche des Reichstags durchsetzen zu helfen oder sie an der Seite der
Konservativen zu bekämpfen. Vielleicht steht Stresemanns Führung auch unter
dem Einflüsse gewisser Theorien, wie sie der nationalliberale Historiker
Brandenburg in Leipzig lehrt. Brandenburg hat bei seinen Forschungen die ihm
überaus wertvoll -erscheinende Feststellung gemacht, daß der Liberalismus von der
Demokratie ebenso wesensverschieden sei, wie vom konservativen Gedanken. Das
mag richtig sein oder auch nicht: fatal ist es jedenfalls, daraus die politische Folge¬
rung zu ziehen, die nationalliberale Partei müsse zwischen den konservativen und
den 'demokratischen Ideen zurzeit einen Wirkungskreis ganz für ihre speziell
nationalliberale Betrachtungsweise suchen. Der "Gegensatz zwischen den oemo-
kvatisch-parlaMentarischen Prinzipien und der alten Ordnung im Reichsbau ist
so scharf, daß man zwischen beiden harten Mühlsteinen nur zerrieben werden
kann. Das Zentrum, das doch viel tiefere prinzipielle Gegensätze von der Linken
trennen, hat die Lage rechtzeitig begriffen und sich mit großer .Klugheit eine
gewichtige Stimme beim nunmehr eingeleiteten demokratisch - parlamentarischen
Umbau des Reiches gesichert. Nach dem Siege der Demokratie haben sich die
Nationallibcralen den Mehrheitsparteien angeschlossen, nicht ohne daß dabei die
Gefahr besteht, daß sie ein wenig fünftes Rad am Wagen bilden. Doch ist die
Bedrohung des 'Vaterlandes durch den auswärtigen Feind augenblicklich so groß,
daß der Mehrheit die sonst unnötige Verbreiterung der parlamentarischen Basis
ihrer Negierung immerhin sehr willkommen ist. Infolgedessen scheint es den
Nationalliberalen doch noch zu gelingen, ihre Stimme unter der neuen Ära zur
Geltung zu bringen. Trotzdem ist es bezeichnend, daß in das sogenannte engere
Kriegskabinett neben Payer, Haußmcmn, Scheidemann, Grober und Erzberger
kein Führer der nvtionalliberalen Reichstagsfraktion eingerückt ist.'

Zum ersten Male in der Geschichte des neuen Deutschen Reiches ist die
Volksvertretung seit dem Sommer 1917 mit einem organisierten Machtwillen
hervorgetreten. Ein „Großblock" bürgerlicher Parteien mit der Sozialdemokratie
ist tatsächlich zusammengekommen und hat dann auch ziemlich rasch die Macht im
Reiche an sich gerissen. Wenn das alles auch unter dem Druck des Krieges
beschleunigt worden ist, so ist es doch längst vorher angebahnt. Nur daß in der
„Mehrheit" von 1917 die Nationalliberalen, die sich Naumann als Großblock¬
genossen dachte, durch das Zentrum ersetzt sind und sich nur nachträglich ihr
wieder anschließen. Es ist auch kein Zufall, daß unter den führenden Männern
der Neuordnung schon seit Hertlings und .Kühlmanns Tagen die Süddeutschen,
besonders die Südwestdeutschen, die führende Rolle spielen, während unterm
„ÄiroisQ I'sgiws" der preußische Nordosten die maßgebenden Reichsämter besetzte.
Der Südwesten ist schon von alters her die Hochburg der deutschen Demokratie.
Zwei Badner: Prinz Max und Fehrenbach stehen an der Spitze der Reichs¬
regierung und des Reichstags; im engeren Kriegskäbinett sitzen nicht weniger als
vier Württemberger: Erzberger, Grober, Payer und Haußmann, und ein
Altelsässer, General Scheues, ist sogar preußischer .Kriegsminister. Mögen die


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[0148] vom „Großblock" zur „Mehrheit" Stresemann nicht für die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917 stimmen wollte, so mußte er doch -erkennen, daß sie zugleich zur Sammlung aller derer führte, die die Macht dies Reichstags gegenüber dem Bundesrat, der kaiserlichen Kommandogewalt und sonstigen konservativen Instanzen stärken wollten. Das wollte Stresemann auch, denn er sprach ja ost sür gründliche Erneuerung der Diplomatie, Einschränkung des persönlichen uns bureaukratischen Regiments, Dinge, die doch gor nicht anders erreicht werden konnten als durch Stärkung der Parlamentsmacht. Da hätte er also dafür sorgen müssen, daß die Partei¬ gruppierung der Juliresolution Episode blieb, und daß die Nationalliberalen im übrigen um so stärker als Mitkämpfer um die Parlanleutarisierung erschienen. Das wagte er aber anscheinend nicht in Rücksicht aus die breiten Parteikreise, die zustimmten, wenn altdeutsche Heißsporne den Reichstag schmähten. So hat sich Stresemann weder als vorausschauender Kopf, noch als politischer Charakter erwiesen. Er hat seine Partei zwischen zwei Stühle gesetzt und nicht klar genug erkannt, daß es für sie nur zwei Möglichkeiten gab: entweder mit der Demokratie die Machtansprüche des Reichstags durchsetzen zu helfen oder sie an der Seite der Konservativen zu bekämpfen. Vielleicht steht Stresemanns Führung auch unter dem Einflüsse gewisser Theorien, wie sie der nationalliberale Historiker Brandenburg in Leipzig lehrt. Brandenburg hat bei seinen Forschungen die ihm überaus wertvoll -erscheinende Feststellung gemacht, daß der Liberalismus von der Demokratie ebenso wesensverschieden sei, wie vom konservativen Gedanken. Das mag richtig sein oder auch nicht: fatal ist es jedenfalls, daraus die politische Folge¬ rung zu ziehen, die nationalliberale Partei müsse zwischen den konservativen und den 'demokratischen Ideen zurzeit einen Wirkungskreis ganz für ihre speziell nationalliberale Betrachtungsweise suchen. Der "Gegensatz zwischen den oemo- kvatisch-parlaMentarischen Prinzipien und der alten Ordnung im Reichsbau ist so scharf, daß man zwischen beiden harten Mühlsteinen nur zerrieben werden kann. Das Zentrum, das doch viel tiefere prinzipielle Gegensätze von der Linken trennen, hat die Lage rechtzeitig begriffen und sich mit großer .Klugheit eine gewichtige Stimme beim nunmehr eingeleiteten demokratisch - parlamentarischen Umbau des Reiches gesichert. Nach dem Siege der Demokratie haben sich die Nationallibcralen den Mehrheitsparteien angeschlossen, nicht ohne daß dabei die Gefahr besteht, daß sie ein wenig fünftes Rad am Wagen bilden. Doch ist die Bedrohung des 'Vaterlandes durch den auswärtigen Feind augenblicklich so groß, daß der Mehrheit die sonst unnötige Verbreiterung der parlamentarischen Basis ihrer Negierung immerhin sehr willkommen ist. Infolgedessen scheint es den Nationalliberalen doch noch zu gelingen, ihre Stimme unter der neuen Ära zur Geltung zu bringen. Trotzdem ist es bezeichnend, daß in das sogenannte engere Kriegskabinett neben Payer, Haußmcmn, Scheidemann, Grober und Erzberger kein Führer der nvtionalliberalen Reichstagsfraktion eingerückt ist.' Zum ersten Male in der Geschichte des neuen Deutschen Reiches ist die Volksvertretung seit dem Sommer 1917 mit einem organisierten Machtwillen hervorgetreten. Ein „Großblock" bürgerlicher Parteien mit der Sozialdemokratie ist tatsächlich zusammengekommen und hat dann auch ziemlich rasch die Macht im Reiche an sich gerissen. Wenn das alles auch unter dem Druck des Krieges beschleunigt worden ist, so ist es doch längst vorher angebahnt. Nur daß in der „Mehrheit" von 1917 die Nationalliberalen, die sich Naumann als Großblock¬ genossen dachte, durch das Zentrum ersetzt sind und sich nur nachträglich ihr wieder anschließen. Es ist auch kein Zufall, daß unter den führenden Männern der Neuordnung schon seit Hertlings und .Kühlmanns Tagen die Süddeutschen, besonders die Südwestdeutschen, die führende Rolle spielen, während unterm „ÄiroisQ I'sgiws" der preußische Nordosten die maßgebenden Reichsämter besetzte. Der Südwesten ist schon von alters her die Hochburg der deutschen Demokratie. Zwei Badner: Prinz Max und Fehrenbach stehen an der Spitze der Reichs¬ regierung und des Reichstags; im engeren Kriegskäbinett sitzen nicht weniger als vier Württemberger: Erzberger, Grober, Payer und Haußmann, und ein Altelsässer, General Scheues, ist sogar preußischer .Kriegsminister. Mögen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/148>, abgerufen am 24.11.2024.