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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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von kudendorff zu Ociyer

allerdings die Abdankung des Kaisers, um dem Volke den Weg zum Frieden auch
wirklich freizugeben. Dann war das deutsche Kaisertum zu retten in einem
jüngeren Zollernsproß, während der scheidende Monarch sich die Märtyrerkrone
um seines Volkes willen aufs Haupt setzte. Jetzt, nach Wilsons Note vom 23. Ok-
tober und nach Ludendorffs Rücktritt, liegt die Frage für die Nation erheblich ernster.
Denn sie ist eine Ehrenfrage geworden. Die Nation kann aus Selbstachtung
nicht wünschen, daß der Kaiser zurücktritt. Auch in dieser bedeutsamsten Frage
der Gegenwart ist die Nation auf das augewiesen, was die neue Regierung
beschließt. Sie besteht aber in der Mehrzahl ihrer Mitglieder aus Männern, die
dem Zollernhause eher mit Haß als mit Verständnis gegenüberstehen und die die
Monarchie für eine überlebte Einrichtung halten. Es sind großdeutsche Zentralisier:,
die in den Monarchen nur Hindernisse für die Beseitigung der Kleinstaaterei
scheut Sollte im gegenwärtigen oder in einem nahen Augenblicke die Abdankung
des Kaisers erfolgen, so dankte nicht die Person eines unglücklichen Monarchen,
sondern der monarchische Gedanke ab. Sie bedeutete eine unerträgliche Er¬
niedrigung für das deutsche Volk mit allen zermürbenden und demoralisierenden
Folgen einer solchen. Dann -- darüber sollte sich besonders das freisinnige
Bürgertum keinen Illusionen hingeben -- wäre die Atmosphäre für eine blutige
innere Krise, für die Diktatur des Proletariats geschaffenl




Wir müssen an diese zartesten Seiten unseres politischen Innenlebens rühren,
um klarzumachen, in welches Spannungszentrum wir dank der Politik vom
30. September geraten sind und um den Keim zu unserem neuen Unglück blo߬
zulegen. Es ist die Halbheit und Unaufrichtigkeit unseres innerpolitischen Lebens
vor und während des Krieges. Ludendorff hat versucht, ihrer Herr zu werden.
Mit unerbittlicher Energie hat er aus die Regierung gedrückt und sie zur Stetig-
keit im Handeln zu zwingen versucht. Seine Genialität als Feldherr schien aus¬
zureichen, um den Mangel an Popularität, auf die der rechtschaffene Mann keinen
Wert legte, auszugleichen. Tatsächlich reichte sie nicht aus.

Die Furcht vor einem siegreichen Heere, vor einem heimkehrenden Feldherrn,
den der Lorbeer des Siegers umkränzte, spukte schon in den erhebendsten Herbst,
tagen des Jahres 1914 in Köpfen und Herzen gewisser liberaler Kreise. Ludendorffs
Tage waren nach menschlicher Berechnung gezählt, als er sich die erste politische
Blöße gab. Die Führung entwunden hat ihm nun der Vizekanzler, Herr v. Payer.
Er muß nun beweisen, daß er nicht nur der geschicktere ist, sondern auch der
größere, der größere an moralischen und geistigen Kräften, ^- eine mächtige
Persönlichkeit, die die einmal zusammengeführten politischen Kräfte des Reiches
auch zum Heile der Nation zu führen vermag.




von kudendorff zu Ociyer

allerdings die Abdankung des Kaisers, um dem Volke den Weg zum Frieden auch
wirklich freizugeben. Dann war das deutsche Kaisertum zu retten in einem
jüngeren Zollernsproß, während der scheidende Monarch sich die Märtyrerkrone
um seines Volkes willen aufs Haupt setzte. Jetzt, nach Wilsons Note vom 23. Ok-
tober und nach Ludendorffs Rücktritt, liegt die Frage für die Nation erheblich ernster.
Denn sie ist eine Ehrenfrage geworden. Die Nation kann aus Selbstachtung
nicht wünschen, daß der Kaiser zurücktritt. Auch in dieser bedeutsamsten Frage
der Gegenwart ist die Nation auf das augewiesen, was die neue Regierung
beschließt. Sie besteht aber in der Mehrzahl ihrer Mitglieder aus Männern, die
dem Zollernhause eher mit Haß als mit Verständnis gegenüberstehen und die die
Monarchie für eine überlebte Einrichtung halten. Es sind großdeutsche Zentralisier:,
die in den Monarchen nur Hindernisse für die Beseitigung der Kleinstaaterei
scheut Sollte im gegenwärtigen oder in einem nahen Augenblicke die Abdankung
des Kaisers erfolgen, so dankte nicht die Person eines unglücklichen Monarchen,
sondern der monarchische Gedanke ab. Sie bedeutete eine unerträgliche Er¬
niedrigung für das deutsche Volk mit allen zermürbenden und demoralisierenden
Folgen einer solchen. Dann — darüber sollte sich besonders das freisinnige
Bürgertum keinen Illusionen hingeben — wäre die Atmosphäre für eine blutige
innere Krise, für die Diktatur des Proletariats geschaffenl




Wir müssen an diese zartesten Seiten unseres politischen Innenlebens rühren,
um klarzumachen, in welches Spannungszentrum wir dank der Politik vom
30. September geraten sind und um den Keim zu unserem neuen Unglück blo߬
zulegen. Es ist die Halbheit und Unaufrichtigkeit unseres innerpolitischen Lebens
vor und während des Krieges. Ludendorff hat versucht, ihrer Herr zu werden.
Mit unerbittlicher Energie hat er aus die Regierung gedrückt und sie zur Stetig-
keit im Handeln zu zwingen versucht. Seine Genialität als Feldherr schien aus¬
zureichen, um den Mangel an Popularität, auf die der rechtschaffene Mann keinen
Wert legte, auszugleichen. Tatsächlich reichte sie nicht aus.

Die Furcht vor einem siegreichen Heere, vor einem heimkehrenden Feldherrn,
den der Lorbeer des Siegers umkränzte, spukte schon in den erhebendsten Herbst,
tagen des Jahres 1914 in Köpfen und Herzen gewisser liberaler Kreise. Ludendorffs
Tage waren nach menschlicher Berechnung gezählt, als er sich die erste politische
Blöße gab. Die Führung entwunden hat ihm nun der Vizekanzler, Herr v. Payer.
Er muß nun beweisen, daß er nicht nur der geschicktere ist, sondern auch der
größere, der größere an moralischen und geistigen Kräften, ^- eine mächtige
Persönlichkeit, die die einmal zusammengeführten politischen Kräfte des Reiches
auch zum Heile der Nation zu führen vermag.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/121>, abgerufen am 25.08.2024.