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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Regierung und Parlament in Deutschland

gültiges Bild der tatsächlichen Verhältnisse, wäre es nicht ein Leichtes, die Farben
anders zu mischen, die dunklen und hellen Stellen umzukehren wie beim Photo¬
graphieren? Wüs nützt uns die tröstliche Berufung auf den Einfluß Eduards
des Siebenten, der den Friedrich Wilhelms des Dritten, des "absolut" Regie-
renden. sicher weit übertraf. Deswegen bleibt der parlamentarische König doch
der die umgeworfenen Minister wieder aufrichtende "Kegeljunge" seines Parla¬
ments oder, wem dies Bonmot Labands zu "deutsch" empfunden ist, der Segel¬
mast eines mit Motorkraft betriebenen Schiffes, wie es der Amerikaner Lawrence
Lowell einmal ausdrücktI Man kann gewiß hinsichtlich der parlamentarischen
Regierungsweise Optimist sein, und niemand wird die großen Impulse und
inneren Kräfte einer "volks"regierung leugnen wollen. Wenn nur nicht die bis¬
herige Erfahrung lehrte, daß die ursprüngliche politische Idee des Parlamenta¬
rismus, gleich mancher ihrer religiösen Schwestern, getrübt wird vom Gebrauche
der Völker, daß sich hierarchisch-parteiliche Sonderinteressen an die "Lehre" heften
und daß schließlich etwas ganz anderes in die Erscheinung tritt als ihre Stifter und
Theoretiker gewollt haben. Zum Beweise dessen braucht man nur aus den vollen
Quellen zu schöpfen, die in den Heimatländern des Parlamentaris-mus selbst
Klagen, Spott und Verdruß über das angeblich überlegene System hervorsprudeln.

Lassen wir die romanische Form des Parlamentarismus ganz beiseite --
bei ihr dürften auch begeisterte Verehrer des Grundsatzes sich nicht mehr ganz
sicher fühlen -- und halten wir uns bloß an das Land der politischen Erb¬
weisheit. Auch hier aber brechen die Vorwürfe gegen das "psrt^ System" nicht
ab und neben jede Hymne des Auslandes, zumal des deutschen, ließe sich die
bittere Satire eines heimischen Engländers stellen. Die Dinge sehen eben von
innen anders aus als von außen. Beispiele zu geben ist überflüssig, da man sie
heutzutage auch in unseren liberalen Blättern bequem abgedruckt finden kann. Wer
diese Literatur kennt, wundert sich nicht darüber, daß immer häufiger von einer Krise
des Parlamentarismus die Rede ist, den ein Lamprecht schon vor geraumer Zeit
nicht mehr als moderne Erscheinung, sondern als "Schluß und letzten Scheitelpunkt
einer seit dem sechzehnten Jahrhundert verlaufenden, in der zweiten Hälfte deS
neunzehnten Jahrhunderts abnehmenden Entwicklung" aufgefaßt wissen wollte.

Hier stünde also Auffassung gegen Auffassung. Wenn aber die Optimisten
ihrer Natur entsprechend auf deutschem Neuland wegen der angeblich günstigeren
Bedingungen keine solche Entartungen der eingeführten fremden Pflanze befürchten,
so scheint uns dies Verfahren mit Wechseln auf lange Sicht politisch noch un¬
sicherer als sonst.

Wir halten diese ganze Methode des Schwarz-weißmalens nicht für glück¬
lich. Denn da es keine idealen Verfassungen gibt, wird man stets imstande sein,
bei einseitiger Parteinahme für einen bestimmten Typus den Gegenbeweis anzu¬
treten. Und, da jedes Ding, auch die Regierungsform eines Volkes, zwei Seiten
jat, so gelingt es fast immer, das vom Partner gefundene Gebresten mit einem
elbstentdeckten Vorzug auszugleichen, ja oft genug ihn mit denselben Waffen zu
chlagen. Nur ein paar Beispiele.

Was soll der Hinweis auf den Welterfolg englischer Politiker. Zunächst ließe
sich noch darüber streiten, ob dieser Welterfolg eine Frucht des Systems ist, ob der
Riesenbau des empire und die parlamentarische Regierungsform gleichsam politische
Komplementärfarben darstellen; auch^darf man wohl die Frage aufwerfen, wie in
Zukunft die Dinge sich gestalten werden, wo infolge der veränderten politischen
Verhältnisse dem bequemen wisser taire, Imsser aller in Englands Volkswirtschaft
das letzte Stündlein geschlagen hat. Daß man drüben mitten in einer sozialen
Revolutionierung steht, hat Paul Lensch überzeugend nachgewiesen. Doch davon
abgesehen, würde denn nicht jenes Bewährungsmoment gerade auch auf den viel¬
geschmähten preußisch-deutschen "Obrigkeits"Staat anwendbar sein, und zwar in so
starkem Maße, wie es der überzeugteste Kalvinist nur wünschen möchte? Zwar
nicht auf dem Gebiete des Ländererwerbs, "expsnsion" genannt, wo uns aller¬
dings ähnliche Leistungen fehlen mußten -- wie sollte bloß das zersplitterte


Regierung und Parlament in Deutschland

gültiges Bild der tatsächlichen Verhältnisse, wäre es nicht ein Leichtes, die Farben
anders zu mischen, die dunklen und hellen Stellen umzukehren wie beim Photo¬
graphieren? Wüs nützt uns die tröstliche Berufung auf den Einfluß Eduards
des Siebenten, der den Friedrich Wilhelms des Dritten, des „absolut" Regie-
renden. sicher weit übertraf. Deswegen bleibt der parlamentarische König doch
der die umgeworfenen Minister wieder aufrichtende „Kegeljunge" seines Parla¬
ments oder, wem dies Bonmot Labands zu „deutsch" empfunden ist, der Segel¬
mast eines mit Motorkraft betriebenen Schiffes, wie es der Amerikaner Lawrence
Lowell einmal ausdrücktI Man kann gewiß hinsichtlich der parlamentarischen
Regierungsweise Optimist sein, und niemand wird die großen Impulse und
inneren Kräfte einer „volks"regierung leugnen wollen. Wenn nur nicht die bis¬
herige Erfahrung lehrte, daß die ursprüngliche politische Idee des Parlamenta¬
rismus, gleich mancher ihrer religiösen Schwestern, getrübt wird vom Gebrauche
der Völker, daß sich hierarchisch-parteiliche Sonderinteressen an die „Lehre" heften
und daß schließlich etwas ganz anderes in die Erscheinung tritt als ihre Stifter und
Theoretiker gewollt haben. Zum Beweise dessen braucht man nur aus den vollen
Quellen zu schöpfen, die in den Heimatländern des Parlamentaris-mus selbst
Klagen, Spott und Verdruß über das angeblich überlegene System hervorsprudeln.

Lassen wir die romanische Form des Parlamentarismus ganz beiseite —
bei ihr dürften auch begeisterte Verehrer des Grundsatzes sich nicht mehr ganz
sicher fühlen — und halten wir uns bloß an das Land der politischen Erb¬
weisheit. Auch hier aber brechen die Vorwürfe gegen das „psrt^ System« nicht
ab und neben jede Hymne des Auslandes, zumal des deutschen, ließe sich die
bittere Satire eines heimischen Engländers stellen. Die Dinge sehen eben von
innen anders aus als von außen. Beispiele zu geben ist überflüssig, da man sie
heutzutage auch in unseren liberalen Blättern bequem abgedruckt finden kann. Wer
diese Literatur kennt, wundert sich nicht darüber, daß immer häufiger von einer Krise
des Parlamentarismus die Rede ist, den ein Lamprecht schon vor geraumer Zeit
nicht mehr als moderne Erscheinung, sondern als „Schluß und letzten Scheitelpunkt
einer seit dem sechzehnten Jahrhundert verlaufenden, in der zweiten Hälfte deS
neunzehnten Jahrhunderts abnehmenden Entwicklung" aufgefaßt wissen wollte.

Hier stünde also Auffassung gegen Auffassung. Wenn aber die Optimisten
ihrer Natur entsprechend auf deutschem Neuland wegen der angeblich günstigeren
Bedingungen keine solche Entartungen der eingeführten fremden Pflanze befürchten,
so scheint uns dies Verfahren mit Wechseln auf lange Sicht politisch noch un¬
sicherer als sonst.

Wir halten diese ganze Methode des Schwarz-weißmalens nicht für glück¬
lich. Denn da es keine idealen Verfassungen gibt, wird man stets imstande sein,
bei einseitiger Parteinahme für einen bestimmten Typus den Gegenbeweis anzu¬
treten. Und, da jedes Ding, auch die Regierungsform eines Volkes, zwei Seiten
jat, so gelingt es fast immer, das vom Partner gefundene Gebresten mit einem
elbstentdeckten Vorzug auszugleichen, ja oft genug ihn mit denselben Waffen zu
chlagen. Nur ein paar Beispiele.

Was soll der Hinweis auf den Welterfolg englischer Politiker. Zunächst ließe
sich noch darüber streiten, ob dieser Welterfolg eine Frucht des Systems ist, ob der
Riesenbau des empire und die parlamentarische Regierungsform gleichsam politische
Komplementärfarben darstellen; auch^darf man wohl die Frage aufwerfen, wie in
Zukunft die Dinge sich gestalten werden, wo infolge der veränderten politischen
Verhältnisse dem bequemen wisser taire, Imsser aller in Englands Volkswirtschaft
das letzte Stündlein geschlagen hat. Daß man drüben mitten in einer sozialen
Revolutionierung steht, hat Paul Lensch überzeugend nachgewiesen. Doch davon
abgesehen, würde denn nicht jenes Bewährungsmoment gerade auch auf den viel¬
geschmähten preußisch-deutschen „Obrigkeits"Staat anwendbar sein, und zwar in so
starkem Maße, wie es der überzeugteste Kalvinist nur wünschen möchte? Zwar
nicht auf dem Gebiete des Ländererwerbs, „expsnsion" genannt, wo uns aller¬
dings ähnliche Leistungen fehlen mußten — wie sollte bloß das zersplitterte


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[0095] Regierung und Parlament in Deutschland gültiges Bild der tatsächlichen Verhältnisse, wäre es nicht ein Leichtes, die Farben anders zu mischen, die dunklen und hellen Stellen umzukehren wie beim Photo¬ graphieren? Wüs nützt uns die tröstliche Berufung auf den Einfluß Eduards des Siebenten, der den Friedrich Wilhelms des Dritten, des „absolut" Regie- renden. sicher weit übertraf. Deswegen bleibt der parlamentarische König doch der die umgeworfenen Minister wieder aufrichtende „Kegeljunge" seines Parla¬ ments oder, wem dies Bonmot Labands zu „deutsch" empfunden ist, der Segel¬ mast eines mit Motorkraft betriebenen Schiffes, wie es der Amerikaner Lawrence Lowell einmal ausdrücktI Man kann gewiß hinsichtlich der parlamentarischen Regierungsweise Optimist sein, und niemand wird die großen Impulse und inneren Kräfte einer „volks"regierung leugnen wollen. Wenn nur nicht die bis¬ herige Erfahrung lehrte, daß die ursprüngliche politische Idee des Parlamenta¬ rismus, gleich mancher ihrer religiösen Schwestern, getrübt wird vom Gebrauche der Völker, daß sich hierarchisch-parteiliche Sonderinteressen an die „Lehre" heften und daß schließlich etwas ganz anderes in die Erscheinung tritt als ihre Stifter und Theoretiker gewollt haben. Zum Beweise dessen braucht man nur aus den vollen Quellen zu schöpfen, die in den Heimatländern des Parlamentaris-mus selbst Klagen, Spott und Verdruß über das angeblich überlegene System hervorsprudeln. Lassen wir die romanische Form des Parlamentarismus ganz beiseite — bei ihr dürften auch begeisterte Verehrer des Grundsatzes sich nicht mehr ganz sicher fühlen — und halten wir uns bloß an das Land der politischen Erb¬ weisheit. Auch hier aber brechen die Vorwürfe gegen das „psrt^ System« nicht ab und neben jede Hymne des Auslandes, zumal des deutschen, ließe sich die bittere Satire eines heimischen Engländers stellen. Die Dinge sehen eben von innen anders aus als von außen. Beispiele zu geben ist überflüssig, da man sie heutzutage auch in unseren liberalen Blättern bequem abgedruckt finden kann. Wer diese Literatur kennt, wundert sich nicht darüber, daß immer häufiger von einer Krise des Parlamentarismus die Rede ist, den ein Lamprecht schon vor geraumer Zeit nicht mehr als moderne Erscheinung, sondern als „Schluß und letzten Scheitelpunkt einer seit dem sechzehnten Jahrhundert verlaufenden, in der zweiten Hälfte deS neunzehnten Jahrhunderts abnehmenden Entwicklung" aufgefaßt wissen wollte. Hier stünde also Auffassung gegen Auffassung. Wenn aber die Optimisten ihrer Natur entsprechend auf deutschem Neuland wegen der angeblich günstigeren Bedingungen keine solche Entartungen der eingeführten fremden Pflanze befürchten, so scheint uns dies Verfahren mit Wechseln auf lange Sicht politisch noch un¬ sicherer als sonst. Wir halten diese ganze Methode des Schwarz-weißmalens nicht für glück¬ lich. Denn da es keine idealen Verfassungen gibt, wird man stets imstande sein, bei einseitiger Parteinahme für einen bestimmten Typus den Gegenbeweis anzu¬ treten. Und, da jedes Ding, auch die Regierungsform eines Volkes, zwei Seiten jat, so gelingt es fast immer, das vom Partner gefundene Gebresten mit einem elbstentdeckten Vorzug auszugleichen, ja oft genug ihn mit denselben Waffen zu chlagen. Nur ein paar Beispiele. Was soll der Hinweis auf den Welterfolg englischer Politiker. Zunächst ließe sich noch darüber streiten, ob dieser Welterfolg eine Frucht des Systems ist, ob der Riesenbau des empire und die parlamentarische Regierungsform gleichsam politische Komplementärfarben darstellen; auch^darf man wohl die Frage aufwerfen, wie in Zukunft die Dinge sich gestalten werden, wo infolge der veränderten politischen Verhältnisse dem bequemen wisser taire, Imsser aller in Englands Volkswirtschaft das letzte Stündlein geschlagen hat. Daß man drüben mitten in einer sozialen Revolutionierung steht, hat Paul Lensch überzeugend nachgewiesen. Doch davon abgesehen, würde denn nicht jenes Bewährungsmoment gerade auch auf den viel¬ geschmähten preußisch-deutschen „Obrigkeits"Staat anwendbar sein, und zwar in so starkem Maße, wie es der überzeugteste Kalvinist nur wünschen möchte? Zwar nicht auf dem Gebiete des Ländererwerbs, „expsnsion" genannt, wo uns aller¬ dings ähnliche Leistungen fehlen mußten — wie sollte bloß das zersplitterte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/95>, abgerufen am 25.08.2024.