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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Regierung und Parlament in Deutschland

Angesichts der letzten Ereignisse wirft das Berliner Tageblatt die Flinte
ins Korn. Der "gegenwärtige Zustand habe mit wirklichem Parlamentarismus
auch nicht die geringste Ähnlichkeit", aber nach dieser "Übergangszeit" werde die
wahre Ära der Parteiregierung schon kommen. Der Vordersatz ist zweifellos irrig,
denn trotz der letzten Erfahrung ist ein Fortschritt in der Entwicklung unseres
Regierungssystems unverkennbar -- die Beweise sind mit Händen zu greifen --,
der Nachsatz aber gibt uns Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen über
das künftige Verhältnis von Regierung und Parlament in Deutschland.




Der Streit der Meinungen geht bekanntlich darum, ob, bezw. bis zu welchem
Grade unser bisheriges "konstitutionelles" (oder monarchisch-konstitutionelles) System
durch das parlamentarische ersetzt werden soll. Ersteres pflegt man neuerdings
häufig auch das büreaukratische zu nennen, ein sprachlich und inhaltlich gerecht¬
fertigter Vorgang, denn unter "konstitutioneller" Regierungsweise versteht man
anderorts, z. B. in England, gerade die parlamentarische, und dann entspricht
es auch dem Sachverhalt besser, statt durch die monarchische Einzelpersönlichkeit den
Begriff Regierung durch die ihm konformere Vielheit des verantwortlichen
Beamtentums wiederzugeben, ohne daß damit die eigentümliche Stellung der
deutschen, insbesondere der preußischen Monarchie, verkannt werden soll. In
einem früheren Aussatze (Grenzboten, Heft 23 d. I.) ist von dem charakteristischen
Unterschiede zwischen "Beamten" und (parlamentarischen) "Politikern" die Rede
gewesen. Dementsprechend läßt sich die zwiefache Entwicklungsrichtung moderner
Verfassungen auch noch anders bestimmen. Bei einer Beamtenregierung liegt der
Schwerpunkt und also die Stärke auf dem Gebiete der Verwaltung, bei der
parlamentarischen Geschäftsführung auf dem der Verfassung im engeren Sinne,
das heißt in der Art und Weise, wie die Kompetenzen der obersten Staats¬
organe unter sich zugunsten des parlamentarischen Faktors geregelt sind. Sucht
man sich zu diesen theoretischen Unterscheidungen die praktischen Beispiele,
so erscheinen natürlich sofort Deutschland und England aus der Bildfläche.
Und zwar für den geschichtlichen Blick nicht erst seit gestern. Schon vor hundert
Jahren drang durch den Chor der Englandschwärmer Ä w Montesquieu die
Stimme des preußischen Staatsmannes Niebuhr, der das große Werk der Städte¬
ordnung aus der Erkenntnis ableitete, daß die Freiheit mehr in der Verwaltung
als in der Verfassung zu suchen sei. So dachten wohl viele der damaligen Re¬
former, auch vom Freiherrn von Vincke, Steins Amtsnachfolger in Westfalen
und Mitarbeiter, werden uns ähnliche Worte bezeugt. Heute aber sind gerade
unsere Liberalen solchem Geiste abtrünnig geworden, so gern sie auch die Männer
jener Zeit als ihre Kronzeugen zu zitieren pflegen. Denn sie opfern mit vollen
Händen im Tempel des Parlamentarismus, den schon der verzückte Rückert "nach
Albions Exempel" erbaut sehen wollte. Andere, dem stolzen Reichsfreiherrn noch
unbekannte Volksgenossen, haben sein Erbe angetreten; Sozialdemokraten kämpfen
jetzt unter dem Banner des Verwaltungsstaates gegen das parlamentarische
Manchestertum der liberalen Bourgeoisie; und mit besserem Rechte als diese konnte
jüngst der ministrabel gewordene Genosse August Müller den Freiherrn vom Stein
gegen die Schatten Peels und Gladstones beschwören.

Wir werden auf den grundlegenden Dualismus der Verfassungssysteme noch
zurückkommen. Wie steht es nun um ihre Wertung? Ist wirklich der Übergang
vom bureaukratischen Verwältungsstaat zur Herrschaft der Partei-"Politiker", eine
"unvermeidliche" Notwendigkeit, wie es vou gewisser Seite heute dargestellt wird?
Wir erinnern hier an die früher besprochene Webersche Schrift. (Heft 23 d. I.)

Wenn man, wie es dort geschieht, von dem Beamtenregiment, trotz bei¬
läufiger Anerkennung, höchst Bedenkliches, vom Parlamentarismus, trotz beiläufiger
Kritik, höchst Erfreuliches erfährt, und dann noch über die Stellung des Monarchen
unter letzterem freundlichst "beruhigt" wird, so mag man allerdings die Schlu߬
folgerungen des Autors ganz einleuchtend finden. Ist das aber ein absolut


Regierung und Parlament in Deutschland

Angesichts der letzten Ereignisse wirft das Berliner Tageblatt die Flinte
ins Korn. Der „gegenwärtige Zustand habe mit wirklichem Parlamentarismus
auch nicht die geringste Ähnlichkeit", aber nach dieser „Übergangszeit" werde die
wahre Ära der Parteiregierung schon kommen. Der Vordersatz ist zweifellos irrig,
denn trotz der letzten Erfahrung ist ein Fortschritt in der Entwicklung unseres
Regierungssystems unverkennbar — die Beweise sind mit Händen zu greifen —,
der Nachsatz aber gibt uns Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen über
das künftige Verhältnis von Regierung und Parlament in Deutschland.




Der Streit der Meinungen geht bekanntlich darum, ob, bezw. bis zu welchem
Grade unser bisheriges „konstitutionelles" (oder monarchisch-konstitutionelles) System
durch das parlamentarische ersetzt werden soll. Ersteres pflegt man neuerdings
häufig auch das büreaukratische zu nennen, ein sprachlich und inhaltlich gerecht¬
fertigter Vorgang, denn unter „konstitutioneller" Regierungsweise versteht man
anderorts, z. B. in England, gerade die parlamentarische, und dann entspricht
es auch dem Sachverhalt besser, statt durch die monarchische Einzelpersönlichkeit den
Begriff Regierung durch die ihm konformere Vielheit des verantwortlichen
Beamtentums wiederzugeben, ohne daß damit die eigentümliche Stellung der
deutschen, insbesondere der preußischen Monarchie, verkannt werden soll. In
einem früheren Aussatze (Grenzboten, Heft 23 d. I.) ist von dem charakteristischen
Unterschiede zwischen „Beamten" und (parlamentarischen) „Politikern" die Rede
gewesen. Dementsprechend läßt sich die zwiefache Entwicklungsrichtung moderner
Verfassungen auch noch anders bestimmen. Bei einer Beamtenregierung liegt der
Schwerpunkt und also die Stärke auf dem Gebiete der Verwaltung, bei der
parlamentarischen Geschäftsführung auf dem der Verfassung im engeren Sinne,
das heißt in der Art und Weise, wie die Kompetenzen der obersten Staats¬
organe unter sich zugunsten des parlamentarischen Faktors geregelt sind. Sucht
man sich zu diesen theoretischen Unterscheidungen die praktischen Beispiele,
so erscheinen natürlich sofort Deutschland und England aus der Bildfläche.
Und zwar für den geschichtlichen Blick nicht erst seit gestern. Schon vor hundert
Jahren drang durch den Chor der Englandschwärmer Ä w Montesquieu die
Stimme des preußischen Staatsmannes Niebuhr, der das große Werk der Städte¬
ordnung aus der Erkenntnis ableitete, daß die Freiheit mehr in der Verwaltung
als in der Verfassung zu suchen sei. So dachten wohl viele der damaligen Re¬
former, auch vom Freiherrn von Vincke, Steins Amtsnachfolger in Westfalen
und Mitarbeiter, werden uns ähnliche Worte bezeugt. Heute aber sind gerade
unsere Liberalen solchem Geiste abtrünnig geworden, so gern sie auch die Männer
jener Zeit als ihre Kronzeugen zu zitieren pflegen. Denn sie opfern mit vollen
Händen im Tempel des Parlamentarismus, den schon der verzückte Rückert „nach
Albions Exempel" erbaut sehen wollte. Andere, dem stolzen Reichsfreiherrn noch
unbekannte Volksgenossen, haben sein Erbe angetreten; Sozialdemokraten kämpfen
jetzt unter dem Banner des Verwaltungsstaates gegen das parlamentarische
Manchestertum der liberalen Bourgeoisie; und mit besserem Rechte als diese konnte
jüngst der ministrabel gewordene Genosse August Müller den Freiherrn vom Stein
gegen die Schatten Peels und Gladstones beschwören.

Wir werden auf den grundlegenden Dualismus der Verfassungssysteme noch
zurückkommen. Wie steht es nun um ihre Wertung? Ist wirklich der Übergang
vom bureaukratischen Verwältungsstaat zur Herrschaft der Partei-„Politiker", eine
„unvermeidliche" Notwendigkeit, wie es vou gewisser Seite heute dargestellt wird?
Wir erinnern hier an die früher besprochene Webersche Schrift. (Heft 23 d. I.)

Wenn man, wie es dort geschieht, von dem Beamtenregiment, trotz bei¬
läufiger Anerkennung, höchst Bedenkliches, vom Parlamentarismus, trotz beiläufiger
Kritik, höchst Erfreuliches erfährt, und dann noch über die Stellung des Monarchen
unter letzterem freundlichst „beruhigt" wird, so mag man allerdings die Schlu߬
folgerungen des Autors ganz einleuchtend finden. Ist das aber ein absolut


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[0094] Regierung und Parlament in Deutschland Angesichts der letzten Ereignisse wirft das Berliner Tageblatt die Flinte ins Korn. Der „gegenwärtige Zustand habe mit wirklichem Parlamentarismus auch nicht die geringste Ähnlichkeit", aber nach dieser „Übergangszeit" werde die wahre Ära der Parteiregierung schon kommen. Der Vordersatz ist zweifellos irrig, denn trotz der letzten Erfahrung ist ein Fortschritt in der Entwicklung unseres Regierungssystems unverkennbar — die Beweise sind mit Händen zu greifen —, der Nachsatz aber gibt uns Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen über das künftige Verhältnis von Regierung und Parlament in Deutschland. Der Streit der Meinungen geht bekanntlich darum, ob, bezw. bis zu welchem Grade unser bisheriges „konstitutionelles" (oder monarchisch-konstitutionelles) System durch das parlamentarische ersetzt werden soll. Ersteres pflegt man neuerdings häufig auch das büreaukratische zu nennen, ein sprachlich und inhaltlich gerecht¬ fertigter Vorgang, denn unter „konstitutioneller" Regierungsweise versteht man anderorts, z. B. in England, gerade die parlamentarische, und dann entspricht es auch dem Sachverhalt besser, statt durch die monarchische Einzelpersönlichkeit den Begriff Regierung durch die ihm konformere Vielheit des verantwortlichen Beamtentums wiederzugeben, ohne daß damit die eigentümliche Stellung der deutschen, insbesondere der preußischen Monarchie, verkannt werden soll. In einem früheren Aussatze (Grenzboten, Heft 23 d. I.) ist von dem charakteristischen Unterschiede zwischen „Beamten" und (parlamentarischen) „Politikern" die Rede gewesen. Dementsprechend läßt sich die zwiefache Entwicklungsrichtung moderner Verfassungen auch noch anders bestimmen. Bei einer Beamtenregierung liegt der Schwerpunkt und also die Stärke auf dem Gebiete der Verwaltung, bei der parlamentarischen Geschäftsführung auf dem der Verfassung im engeren Sinne, das heißt in der Art und Weise, wie die Kompetenzen der obersten Staats¬ organe unter sich zugunsten des parlamentarischen Faktors geregelt sind. Sucht man sich zu diesen theoretischen Unterscheidungen die praktischen Beispiele, so erscheinen natürlich sofort Deutschland und England aus der Bildfläche. Und zwar für den geschichtlichen Blick nicht erst seit gestern. Schon vor hundert Jahren drang durch den Chor der Englandschwärmer Ä w Montesquieu die Stimme des preußischen Staatsmannes Niebuhr, der das große Werk der Städte¬ ordnung aus der Erkenntnis ableitete, daß die Freiheit mehr in der Verwaltung als in der Verfassung zu suchen sei. So dachten wohl viele der damaligen Re¬ former, auch vom Freiherrn von Vincke, Steins Amtsnachfolger in Westfalen und Mitarbeiter, werden uns ähnliche Worte bezeugt. Heute aber sind gerade unsere Liberalen solchem Geiste abtrünnig geworden, so gern sie auch die Männer jener Zeit als ihre Kronzeugen zu zitieren pflegen. Denn sie opfern mit vollen Händen im Tempel des Parlamentarismus, den schon der verzückte Rückert „nach Albions Exempel" erbaut sehen wollte. Andere, dem stolzen Reichsfreiherrn noch unbekannte Volksgenossen, haben sein Erbe angetreten; Sozialdemokraten kämpfen jetzt unter dem Banner des Verwaltungsstaates gegen das parlamentarische Manchestertum der liberalen Bourgeoisie; und mit besserem Rechte als diese konnte jüngst der ministrabel gewordene Genosse August Müller den Freiherrn vom Stein gegen die Schatten Peels und Gladstones beschwören. Wir werden auf den grundlegenden Dualismus der Verfassungssysteme noch zurückkommen. Wie steht es nun um ihre Wertung? Ist wirklich der Übergang vom bureaukratischen Verwältungsstaat zur Herrschaft der Partei-„Politiker", eine „unvermeidliche" Notwendigkeit, wie es vou gewisser Seite heute dargestellt wird? Wir erinnern hier an die früher besprochene Webersche Schrift. (Heft 23 d. I.) Wenn man, wie es dort geschieht, von dem Beamtenregiment, trotz bei¬ läufiger Anerkennung, höchst Bedenkliches, vom Parlamentarismus, trotz beiläufiger Kritik, höchst Erfreuliches erfährt, und dann noch über die Stellung des Monarchen unter letzterem freundlichst „beruhigt" wird, so mag man allerdings die Schlu߬ folgerungen des Autors ganz einleuchtend finden. Ist das aber ein absolut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/94>, abgerufen am 22.07.2024.