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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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ist der Faden, der uns mit der Vergangenheit verbindet. Er wird manchmal
rauh zerstört, zum Beispiel durch einen Entmündigungsprozeß, gerade so wie
der noch viel stärkere Nimbus, der das Haupt der Könige umgibt, manchmal
durch einen verbrecherischen Krieg, den sie führen und in dem sie unter den Schlitten
der Weltgeschichte kommen, rauh zerstört wird. Das schadet aber dem Nimbus auf
die Dauer nicht. Wie immer in einem Prozeß Mit einem Prinzen umgegangen
wird, die Leute bleiben doch stehen, wenn er vorüberfährt oder in einen Laden geht,
um sich neue Sakkoanzüge zu bestellen. Ob ein König wie Ferdinand der Bekneipte
von Rumänien sein Volk ins Unglück stürzt oder nicht; wenn er Glück hat, darf
er weiterregieren, und wenn es warm wird, seine Sommerresidenz beziehen, und
langsam stellt sich der Nimbus wieder ein. Müssen nicht Prinzen und Könige
Ironiker werden, gerade wenn sie nichts getan haben, um den echten, soliden
Nimbus zu erringen, der ihre wertvollen Standesgenossen umstrahlt? Man denkt
darüber nach, wenn man den Entmündigungsprozeß liest, daß Ferdinand Potator
jetzt feuchtfröhlich, als wäre nichts geschehen, seine Sommerresidenz bezieht. Man
denkt daran, daß die Zeit, die eine Anzahl gekrönter Häupter beseitigt hat, eine
Anzahl neuer Anwartschaften auf Kronen schuf. Man denkt, daß es nichts Neues
unter der Sonne gibt; Königreiche vergehen, Königreiche kommen, und es geht
alles nebeneinander her, neue Demokratie und die alte Geschichte, daß, solange es
Menschen gibt, menschliche Gemeinschaften fürstliche Spitzen mit dem dazugehörigen
Apparat haben wollen und haben werden, von höherem oder geringerem
Wert. Auch die geringwertigen sind manchen Leuten so teuer, wie in der
kleiderlosen Zeit die märkischen Vogelscheuchenanzüge, und Ferdinand der Alko¬
holische ist unter den Königen, was die Vogelscheuche unter den Herrenanzügen.

Welches Volk kann ruhiger der Fortsetzung der unterbrochenen Laufbahn
eines minderwertigen Königs zusehen, als das deutsche, in dem nicht nur Prinzen
keine prinzlichen Freiheiten mehr genießen, sondern, und das ist die Hauptsache,
ein Fürstentypus entstanden ist, der alle Umwälzungen überdauert, weil er unter
allen Umständen die Begabung der Pflichttreue hat und sich vom Bürger in keiner
Bürgertugend übertreffen läßt. Das bürgerliche Jahrhundert hat uns die guten
Bürger auf den Thronen gebracht, und je bürgerlicher die Fürsten wurden, desto
fester ward der soliden, realistische Vernunftmonarchismus, der nicht wankt,
weil er auf dem festen Grunde klarer Einsichten und richtiger Urteile über das
innere Wesen großer Demokratien ruht. So kann das Weiterregieren des schlotte¬
rigen Königs von Rumänien im toleranten Deutschland keinen Schaden am
monarchischen Gedanken anrichten, und es bleiben an ihm und seiner Gattin, die
diesen König regiert, nur die schweren politischen Bedenken haften. Vom Stand¬
punkt des monarchischen Gedankens aus ist auch der Prinzenprozeß eine harmlose
Affäre, im übrigen ist er ein Zeitbild, dessen Vorführung jetzt besser unterblieben
wäre. Die öffentliche Verhandlung dieser Affüre ist eine Sünde wider den sozialen
Takt und wider den Geist der Zeit. Wenn Menschen aller Art, Klasse, Schicht
sterben und Menschen aller sozialen Stufen -- bis auf die Minderheit, die sich die
Zigarette mit Hundertmarkscheinen anzünden kann, wenn sie in der Laune ist --
das Notwendigste im Leibe und am Leibe entbehren müssen, ist es widerwärtig,
spaltenlange Untersuchungen über die Verschwendung eines jungen Herrn lesen
zu müssen, der, was immer er zu wenig haben mag, sicher viel zu viel Geld für
Nebenausgaben in Händen hatte.

Man hänge eine Zervelatwurst in ein Schaufenster und man wird Wirkliche
Geheimräte sehnsüchtig davor stehenbleiben sehen, länger, wie vor der Auslage
einer Spezialbnchhandlung für Staatswissenschaften. Wären die guten alten Volks¬
feste nicht leider ausgestorben und damit der schöne Brauch der Kletterbäume mit
hoch an der Spitze aufgehängten Preisen, so könnte man die vollkommenste Demo-
kratie erleben im Wettbeiverb der Kletterer nach ein paar Stiefeln und ähnlichen
sonst mit Geringschätzung behandelten Dingen. Professoren des Kirchenrechts
würden ebenso wie Sanitätsräte keinen Augenblick daran denken, daß - sie eine
Würde preiszugeben haben, hinge nur oben, was die verrückte Zeit selten gemacht


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ist der Faden, der uns mit der Vergangenheit verbindet. Er wird manchmal
rauh zerstört, zum Beispiel durch einen Entmündigungsprozeß, gerade so wie
der noch viel stärkere Nimbus, der das Haupt der Könige umgibt, manchmal
durch einen verbrecherischen Krieg, den sie führen und in dem sie unter den Schlitten
der Weltgeschichte kommen, rauh zerstört wird. Das schadet aber dem Nimbus auf
die Dauer nicht. Wie immer in einem Prozeß Mit einem Prinzen umgegangen
wird, die Leute bleiben doch stehen, wenn er vorüberfährt oder in einen Laden geht,
um sich neue Sakkoanzüge zu bestellen. Ob ein König wie Ferdinand der Bekneipte
von Rumänien sein Volk ins Unglück stürzt oder nicht; wenn er Glück hat, darf
er weiterregieren, und wenn es warm wird, seine Sommerresidenz beziehen, und
langsam stellt sich der Nimbus wieder ein. Müssen nicht Prinzen und Könige
Ironiker werden, gerade wenn sie nichts getan haben, um den echten, soliden
Nimbus zu erringen, der ihre wertvollen Standesgenossen umstrahlt? Man denkt
darüber nach, wenn man den Entmündigungsprozeß liest, daß Ferdinand Potator
jetzt feuchtfröhlich, als wäre nichts geschehen, seine Sommerresidenz bezieht. Man
denkt daran, daß die Zeit, die eine Anzahl gekrönter Häupter beseitigt hat, eine
Anzahl neuer Anwartschaften auf Kronen schuf. Man denkt, daß es nichts Neues
unter der Sonne gibt; Königreiche vergehen, Königreiche kommen, und es geht
alles nebeneinander her, neue Demokratie und die alte Geschichte, daß, solange es
Menschen gibt, menschliche Gemeinschaften fürstliche Spitzen mit dem dazugehörigen
Apparat haben wollen und haben werden, von höherem oder geringerem
Wert. Auch die geringwertigen sind manchen Leuten so teuer, wie in der
kleiderlosen Zeit die märkischen Vogelscheuchenanzüge, und Ferdinand der Alko¬
holische ist unter den Königen, was die Vogelscheuche unter den Herrenanzügen.

Welches Volk kann ruhiger der Fortsetzung der unterbrochenen Laufbahn
eines minderwertigen Königs zusehen, als das deutsche, in dem nicht nur Prinzen
keine prinzlichen Freiheiten mehr genießen, sondern, und das ist die Hauptsache,
ein Fürstentypus entstanden ist, der alle Umwälzungen überdauert, weil er unter
allen Umständen die Begabung der Pflichttreue hat und sich vom Bürger in keiner
Bürgertugend übertreffen läßt. Das bürgerliche Jahrhundert hat uns die guten
Bürger auf den Thronen gebracht, und je bürgerlicher die Fürsten wurden, desto
fester ward der soliden, realistische Vernunftmonarchismus, der nicht wankt,
weil er auf dem festen Grunde klarer Einsichten und richtiger Urteile über das
innere Wesen großer Demokratien ruht. So kann das Weiterregieren des schlotte¬
rigen Königs von Rumänien im toleranten Deutschland keinen Schaden am
monarchischen Gedanken anrichten, und es bleiben an ihm und seiner Gattin, die
diesen König regiert, nur die schweren politischen Bedenken haften. Vom Stand¬
punkt des monarchischen Gedankens aus ist auch der Prinzenprozeß eine harmlose
Affäre, im übrigen ist er ein Zeitbild, dessen Vorführung jetzt besser unterblieben
wäre. Die öffentliche Verhandlung dieser Affüre ist eine Sünde wider den sozialen
Takt und wider den Geist der Zeit. Wenn Menschen aller Art, Klasse, Schicht
sterben und Menschen aller sozialen Stufen — bis auf die Minderheit, die sich die
Zigarette mit Hundertmarkscheinen anzünden kann, wenn sie in der Laune ist —
das Notwendigste im Leibe und am Leibe entbehren müssen, ist es widerwärtig,
spaltenlange Untersuchungen über die Verschwendung eines jungen Herrn lesen
zu müssen, der, was immer er zu wenig haben mag, sicher viel zu viel Geld für
Nebenausgaben in Händen hatte.

Man hänge eine Zervelatwurst in ein Schaufenster und man wird Wirkliche
Geheimräte sehnsüchtig davor stehenbleiben sehen, länger, wie vor der Auslage
einer Spezialbnchhandlung für Staatswissenschaften. Wären die guten alten Volks¬
feste nicht leider ausgestorben und damit der schöne Brauch der Kletterbäume mit
hoch an der Spitze aufgehängten Preisen, so könnte man die vollkommenste Demo-
kratie erleben im Wettbeiverb der Kletterer nach ein paar Stiefeln und ähnlichen
sonst mit Geringschätzung behandelten Dingen. Professoren des Kirchenrechts
würden ebenso wie Sanitätsräte keinen Augenblick daran denken, daß - sie eine
Würde preiszugeben haben, hinge nur oben, was die verrückte Zeit selten gemacht


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[0054] Randglossen zum Tage ist der Faden, der uns mit der Vergangenheit verbindet. Er wird manchmal rauh zerstört, zum Beispiel durch einen Entmündigungsprozeß, gerade so wie der noch viel stärkere Nimbus, der das Haupt der Könige umgibt, manchmal durch einen verbrecherischen Krieg, den sie führen und in dem sie unter den Schlitten der Weltgeschichte kommen, rauh zerstört wird. Das schadet aber dem Nimbus auf die Dauer nicht. Wie immer in einem Prozeß Mit einem Prinzen umgegangen wird, die Leute bleiben doch stehen, wenn er vorüberfährt oder in einen Laden geht, um sich neue Sakkoanzüge zu bestellen. Ob ein König wie Ferdinand der Bekneipte von Rumänien sein Volk ins Unglück stürzt oder nicht; wenn er Glück hat, darf er weiterregieren, und wenn es warm wird, seine Sommerresidenz beziehen, und langsam stellt sich der Nimbus wieder ein. Müssen nicht Prinzen und Könige Ironiker werden, gerade wenn sie nichts getan haben, um den echten, soliden Nimbus zu erringen, der ihre wertvollen Standesgenossen umstrahlt? Man denkt darüber nach, wenn man den Entmündigungsprozeß liest, daß Ferdinand Potator jetzt feuchtfröhlich, als wäre nichts geschehen, seine Sommerresidenz bezieht. Man denkt daran, daß die Zeit, die eine Anzahl gekrönter Häupter beseitigt hat, eine Anzahl neuer Anwartschaften auf Kronen schuf. Man denkt, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt; Königreiche vergehen, Königreiche kommen, und es geht alles nebeneinander her, neue Demokratie und die alte Geschichte, daß, solange es Menschen gibt, menschliche Gemeinschaften fürstliche Spitzen mit dem dazugehörigen Apparat haben wollen und haben werden, von höherem oder geringerem Wert. Auch die geringwertigen sind manchen Leuten so teuer, wie in der kleiderlosen Zeit die märkischen Vogelscheuchenanzüge, und Ferdinand der Alko¬ holische ist unter den Königen, was die Vogelscheuche unter den Herrenanzügen. Welches Volk kann ruhiger der Fortsetzung der unterbrochenen Laufbahn eines minderwertigen Königs zusehen, als das deutsche, in dem nicht nur Prinzen keine prinzlichen Freiheiten mehr genießen, sondern, und das ist die Hauptsache, ein Fürstentypus entstanden ist, der alle Umwälzungen überdauert, weil er unter allen Umständen die Begabung der Pflichttreue hat und sich vom Bürger in keiner Bürgertugend übertreffen läßt. Das bürgerliche Jahrhundert hat uns die guten Bürger auf den Thronen gebracht, und je bürgerlicher die Fürsten wurden, desto fester ward der soliden, realistische Vernunftmonarchismus, der nicht wankt, weil er auf dem festen Grunde klarer Einsichten und richtiger Urteile über das innere Wesen großer Demokratien ruht. So kann das Weiterregieren des schlotte¬ rigen Königs von Rumänien im toleranten Deutschland keinen Schaden am monarchischen Gedanken anrichten, und es bleiben an ihm und seiner Gattin, die diesen König regiert, nur die schweren politischen Bedenken haften. Vom Stand¬ punkt des monarchischen Gedankens aus ist auch der Prinzenprozeß eine harmlose Affäre, im übrigen ist er ein Zeitbild, dessen Vorführung jetzt besser unterblieben wäre. Die öffentliche Verhandlung dieser Affüre ist eine Sünde wider den sozialen Takt und wider den Geist der Zeit. Wenn Menschen aller Art, Klasse, Schicht sterben und Menschen aller sozialen Stufen — bis auf die Minderheit, die sich die Zigarette mit Hundertmarkscheinen anzünden kann, wenn sie in der Laune ist — das Notwendigste im Leibe und am Leibe entbehren müssen, ist es widerwärtig, spaltenlange Untersuchungen über die Verschwendung eines jungen Herrn lesen zu müssen, der, was immer er zu wenig haben mag, sicher viel zu viel Geld für Nebenausgaben in Händen hatte. Man hänge eine Zervelatwurst in ein Schaufenster und man wird Wirkliche Geheimräte sehnsüchtig davor stehenbleiben sehen, länger, wie vor der Auslage einer Spezialbnchhandlung für Staatswissenschaften. Wären die guten alten Volks¬ feste nicht leider ausgestorben und damit der schöne Brauch der Kletterbäume mit hoch an der Spitze aufgehängten Preisen, so könnte man die vollkommenste Demo- kratie erleben im Wettbeiverb der Kletterer nach ein paar Stiefeln und ähnlichen sonst mit Geringschätzung behandelten Dingen. Professoren des Kirchenrechts würden ebenso wie Sanitätsräte keinen Augenblick daran denken, daß - sie eine Würde preiszugeben haben, hinge nur oben, was die verrückte Zeit selten gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/54>, abgerufen am 22.07.2024.