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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

niemals in der Geschichte ein Staat waren, einen neuen halbdeutschen Partikula¬
rismus an der hart gefährdeten Grenze großzuziehen, wäre ein Schlag ins An¬
gesicht der neuen deutschen Einheit. Nur eine Provinzialvertretung. nicht ein
Landtag darf daher in Straßburg geduldet werden. Und ebensowenig darf sich
als Selbstherrscher ein eigenes Beamtentum festsetzen. Nur, die Freizügigkeit eines
zahlreichen Reichsbeamtentums kann die praktische Einheit des Reiches und die
unlösliche Verbindung der neuen Lande mit Kaiser und Reich gewährleisten.

Mit wahrhaft prophetischem Ernst hatte damit der größte Vertreter der uni¬
tarischen Gedanken alle Hoffnungen und Befürchtungen erörtert, die der Begriff
des Reichslandes für das Reich und für die neuerworbenen Länder selbst in sich
schloß. Die Kraft seiner Worte war groß genug, unter dem zwingenden Bann der
großen Tage der Reichsgründung selbst auch die Gegner zur Vorsicht zu mahnen,
die in den nächsten Tagen und Wochen die unitarische Wirkung dieser Rede zu
bekämpfen suchten. Vor allem Windhorst, der rüstigste Vorfechter der jungen
Zentrumspartei, wollte in der Schöpfung des "Reichslandes" eher bereits den
Keim eines "besonderen Staates" erblicken. Klar und bestimmt, meint er, hätte
sonst der Entwurf die Vereinigung der neu erworbenen Länder mit einem bereits
bestehenden Staate aussprechen müssen. Und eifrig sprangen ihm die Fortschrittler
bei, die kaum laut genug die Werbekraft gerade des deutschen Partikularismus für
die stammverwandte Eigenart der Elsässer und Lothringer zu rühmen wußten.
Doch, wie gesagt, neue Anschauungen, kommen in all diesen Erörterungen nicht
zur Geltung. Nur um geringfügige Änderungen in Form und Fassung konnte
es sich handeln, bis am 3. Juni 1871 anch die frei gewählte Vertretung des
deutschen Volkes mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erklärte. Als am 9. Juni
das Gesetz betreffend die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen
Reiche veröffentlicht wurde, fügte Bismarck damit den Schlußstein ins Werk der
Reichsgründung.

Es war Bismarcks eigenstes Werk, das er damit beschloß. Nichts ist rich¬
tiger! Aber gilt sür diese Schöpfung des "Reichslandes" nicht auch zugleich das
schöne Wort Rudolfs von Bennigsen, daß "Verfassungen überhaupt nur da ge¬
lingen, wo eine ganze Nation zur Arbeit berufen wird?" Als ich vor sieben Jahren
in den Süddeutschen Monatsheften die Grundzüge der vorliegenden Studien ver¬
öffentlichte, hat Andre Tardieu seinen elsässischen und französischen Lesern ihr
Ergebnis in einem geistreichelnden Satze deutlich zu machen gesucht. Das Reichs¬
land, schrieb er, sei der Amboß, auf dein die brutale Faust Bismarcks das deutsche
Siegfriedsschwert schmiedete. Selbstverständlich verzerrt diese Auslegung die. ge¬
schichtliche Wahrheit aufs gröblichste. Elsaß und Lothringens Stellung im'Rahmen
der Reichsgründung, so will sie in bitterer, aufreizender Schärfe predigen, verur¬
teilt das Land trotz aller "Verfassungsreformen" aus die Dauer zur Unfreiheit,
aus der es nur Frankreich wieder erlösen kann! Trotz dieser bewußten Einseitig¬
keit aber wird Tardieu der Bedeutung der Erwerbung der oberrheinischen Gebiete
und ihrer Gestaltung zum Reichslande im großen Ganzen doch gerecht. Auf alle
Fälle ist sein Urteil tiefer und sachkundiger, als die landläufige Meinung, die
das Werk Bismarcks kurzweg als "Verlegenheitsschöpfung" zu erklären versucht.
Aus dem, was aus Elsaß Lothringen geworden ist, wird nur zu leicht gefolgert,
was beide Länder als NeichLland staatsrechtlich und politisch dem werdenden
Reiche waren und was sie ihm werden konnten.

Mit Fug und Recht paßt vielmehr das Urteil Harry Breßlaus, daß
preußische und deutsche Gedanken bewußt und unzertrennlich im Werk und Wesen
des großen Kanzlers verbunden sind, vor allem auf unser Problem.

Gerade die in staatsrechtlicher Theorie unfaßbare Gestalt, die die von Frank¬
reich abgetretenen Gebiete in seiner Hand erhielten, spiegelt in fast erschreckender
Klarheit die tausendjährige Geschichte des deutschen Volkes. Kreuz und quer
durchziehen föderative und unitarische Strömungen das Bild, der öffentlichen
Meinung, wie es uns in Briefen, Aufsätzen und Reden von Staatsmännern und


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

niemals in der Geschichte ein Staat waren, einen neuen halbdeutschen Partikula¬
rismus an der hart gefährdeten Grenze großzuziehen, wäre ein Schlag ins An¬
gesicht der neuen deutschen Einheit. Nur eine Provinzialvertretung. nicht ein
Landtag darf daher in Straßburg geduldet werden. Und ebensowenig darf sich
als Selbstherrscher ein eigenes Beamtentum festsetzen. Nur, die Freizügigkeit eines
zahlreichen Reichsbeamtentums kann die praktische Einheit des Reiches und die
unlösliche Verbindung der neuen Lande mit Kaiser und Reich gewährleisten.

Mit wahrhaft prophetischem Ernst hatte damit der größte Vertreter der uni¬
tarischen Gedanken alle Hoffnungen und Befürchtungen erörtert, die der Begriff
des Reichslandes für das Reich und für die neuerworbenen Länder selbst in sich
schloß. Die Kraft seiner Worte war groß genug, unter dem zwingenden Bann der
großen Tage der Reichsgründung selbst auch die Gegner zur Vorsicht zu mahnen,
die in den nächsten Tagen und Wochen die unitarische Wirkung dieser Rede zu
bekämpfen suchten. Vor allem Windhorst, der rüstigste Vorfechter der jungen
Zentrumspartei, wollte in der Schöpfung des „Reichslandes" eher bereits den
Keim eines „besonderen Staates" erblicken. Klar und bestimmt, meint er, hätte
sonst der Entwurf die Vereinigung der neu erworbenen Länder mit einem bereits
bestehenden Staate aussprechen müssen. Und eifrig sprangen ihm die Fortschrittler
bei, die kaum laut genug die Werbekraft gerade des deutschen Partikularismus für
die stammverwandte Eigenart der Elsässer und Lothringer zu rühmen wußten.
Doch, wie gesagt, neue Anschauungen, kommen in all diesen Erörterungen nicht
zur Geltung. Nur um geringfügige Änderungen in Form und Fassung konnte
es sich handeln, bis am 3. Juni 1871 anch die frei gewählte Vertretung des
deutschen Volkes mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erklärte. Als am 9. Juni
das Gesetz betreffend die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen
Reiche veröffentlicht wurde, fügte Bismarck damit den Schlußstein ins Werk der
Reichsgründung.

Es war Bismarcks eigenstes Werk, das er damit beschloß. Nichts ist rich¬
tiger! Aber gilt sür diese Schöpfung des „Reichslandes" nicht auch zugleich das
schöne Wort Rudolfs von Bennigsen, daß „Verfassungen überhaupt nur da ge¬
lingen, wo eine ganze Nation zur Arbeit berufen wird?" Als ich vor sieben Jahren
in den Süddeutschen Monatsheften die Grundzüge der vorliegenden Studien ver¬
öffentlichte, hat Andre Tardieu seinen elsässischen und französischen Lesern ihr
Ergebnis in einem geistreichelnden Satze deutlich zu machen gesucht. Das Reichs¬
land, schrieb er, sei der Amboß, auf dein die brutale Faust Bismarcks das deutsche
Siegfriedsschwert schmiedete. Selbstverständlich verzerrt diese Auslegung die. ge¬
schichtliche Wahrheit aufs gröblichste. Elsaß und Lothringens Stellung im'Rahmen
der Reichsgründung, so will sie in bitterer, aufreizender Schärfe predigen, verur¬
teilt das Land trotz aller „Verfassungsreformen" aus die Dauer zur Unfreiheit,
aus der es nur Frankreich wieder erlösen kann! Trotz dieser bewußten Einseitig¬
keit aber wird Tardieu der Bedeutung der Erwerbung der oberrheinischen Gebiete
und ihrer Gestaltung zum Reichslande im großen Ganzen doch gerecht. Auf alle
Fälle ist sein Urteil tiefer und sachkundiger, als die landläufige Meinung, die
das Werk Bismarcks kurzweg als „Verlegenheitsschöpfung" zu erklären versucht.
Aus dem, was aus Elsaß Lothringen geworden ist, wird nur zu leicht gefolgert,
was beide Länder als NeichLland staatsrechtlich und politisch dem werdenden
Reiche waren und was sie ihm werden konnten.

Mit Fug und Recht paßt vielmehr das Urteil Harry Breßlaus, daß
preußische und deutsche Gedanken bewußt und unzertrennlich im Werk und Wesen
des großen Kanzlers verbunden sind, vor allem auf unser Problem.

Gerade die in staatsrechtlicher Theorie unfaßbare Gestalt, die die von Frank¬
reich abgetretenen Gebiete in seiner Hand erhielten, spiegelt in fast erschreckender
Klarheit die tausendjährige Geschichte des deutschen Volkes. Kreuz und quer
durchziehen föderative und unitarische Strömungen das Bild, der öffentlichen
Meinung, wie es uns in Briefen, Aufsätzen und Reden von Staatsmännern und


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[0052] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage niemals in der Geschichte ein Staat waren, einen neuen halbdeutschen Partikula¬ rismus an der hart gefährdeten Grenze großzuziehen, wäre ein Schlag ins An¬ gesicht der neuen deutschen Einheit. Nur eine Provinzialvertretung. nicht ein Landtag darf daher in Straßburg geduldet werden. Und ebensowenig darf sich als Selbstherrscher ein eigenes Beamtentum festsetzen. Nur, die Freizügigkeit eines zahlreichen Reichsbeamtentums kann die praktische Einheit des Reiches und die unlösliche Verbindung der neuen Lande mit Kaiser und Reich gewährleisten. Mit wahrhaft prophetischem Ernst hatte damit der größte Vertreter der uni¬ tarischen Gedanken alle Hoffnungen und Befürchtungen erörtert, die der Begriff des Reichslandes für das Reich und für die neuerworbenen Länder selbst in sich schloß. Die Kraft seiner Worte war groß genug, unter dem zwingenden Bann der großen Tage der Reichsgründung selbst auch die Gegner zur Vorsicht zu mahnen, die in den nächsten Tagen und Wochen die unitarische Wirkung dieser Rede zu bekämpfen suchten. Vor allem Windhorst, der rüstigste Vorfechter der jungen Zentrumspartei, wollte in der Schöpfung des „Reichslandes" eher bereits den Keim eines „besonderen Staates" erblicken. Klar und bestimmt, meint er, hätte sonst der Entwurf die Vereinigung der neu erworbenen Länder mit einem bereits bestehenden Staate aussprechen müssen. Und eifrig sprangen ihm die Fortschrittler bei, die kaum laut genug die Werbekraft gerade des deutschen Partikularismus für die stammverwandte Eigenart der Elsässer und Lothringer zu rühmen wußten. Doch, wie gesagt, neue Anschauungen, kommen in all diesen Erörterungen nicht zur Geltung. Nur um geringfügige Änderungen in Form und Fassung konnte es sich handeln, bis am 3. Juni 1871 anch die frei gewählte Vertretung des deutschen Volkes mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erklärte. Als am 9. Juni das Gesetz betreffend die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche veröffentlicht wurde, fügte Bismarck damit den Schlußstein ins Werk der Reichsgründung. Es war Bismarcks eigenstes Werk, das er damit beschloß. Nichts ist rich¬ tiger! Aber gilt sür diese Schöpfung des „Reichslandes" nicht auch zugleich das schöne Wort Rudolfs von Bennigsen, daß „Verfassungen überhaupt nur da ge¬ lingen, wo eine ganze Nation zur Arbeit berufen wird?" Als ich vor sieben Jahren in den Süddeutschen Monatsheften die Grundzüge der vorliegenden Studien ver¬ öffentlichte, hat Andre Tardieu seinen elsässischen und französischen Lesern ihr Ergebnis in einem geistreichelnden Satze deutlich zu machen gesucht. Das Reichs¬ land, schrieb er, sei der Amboß, auf dein die brutale Faust Bismarcks das deutsche Siegfriedsschwert schmiedete. Selbstverständlich verzerrt diese Auslegung die. ge¬ schichtliche Wahrheit aufs gröblichste. Elsaß und Lothringens Stellung im'Rahmen der Reichsgründung, so will sie in bitterer, aufreizender Schärfe predigen, verur¬ teilt das Land trotz aller „Verfassungsreformen" aus die Dauer zur Unfreiheit, aus der es nur Frankreich wieder erlösen kann! Trotz dieser bewußten Einseitig¬ keit aber wird Tardieu der Bedeutung der Erwerbung der oberrheinischen Gebiete und ihrer Gestaltung zum Reichslande im großen Ganzen doch gerecht. Auf alle Fälle ist sein Urteil tiefer und sachkundiger, als die landläufige Meinung, die das Werk Bismarcks kurzweg als „Verlegenheitsschöpfung" zu erklären versucht. Aus dem, was aus Elsaß Lothringen geworden ist, wird nur zu leicht gefolgert, was beide Länder als NeichLland staatsrechtlich und politisch dem werdenden Reiche waren und was sie ihm werden konnten. Mit Fug und Recht paßt vielmehr das Urteil Harry Breßlaus, daß preußische und deutsche Gedanken bewußt und unzertrennlich im Werk und Wesen des großen Kanzlers verbunden sind, vor allem auf unser Problem. Gerade die in staatsrechtlicher Theorie unfaßbare Gestalt, die die von Frank¬ reich abgetretenen Gebiete in seiner Hand erhielten, spiegelt in fast erschreckender Klarheit die tausendjährige Geschichte des deutschen Volkes. Kreuz und quer durchziehen föderative und unitarische Strömungen das Bild, der öffentlichen Meinung, wie es uns in Briefen, Aufsätzen und Reden von Staatsmännern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/52>, abgerufen am 22.07.2024.