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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Gründe gegen die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit der preußischen
Monarchie vorliegen, darüber habe selbstverständlich das Ermessen der königlich
preußischen Negierung zu entscheiden. Hier sollte nur konstatiert werden, daß
mindestens kein Widerstreben einer solchen Lösung entgegentreten würde."

Ebensowenig konnte die langwierige Aussprache im Reichstage, die sich seit
dem 20. April im wesentlichen um das verfassungsrechtliche Verhältnis des Reichs-
landes zum und im Bundesstaat drehte, an dieser politischen Entscheidung irgend etwas
ändern. Nur Bismarck selbst ließ in seiner glänzenden Eröffnungsrede noch ein¬
mal alle die Möglichkeiten vorüberziehen, die für ihn bei der Einverleibung von
Elsaß und Lothringen in den deutschen Bundesstaat in Frage zu kommen schienen.
Eine Schleifung der Festungen, so führte er aus, konnte nicht genügen und eben¬
sowenig die Bildung eines neutralen Pufferstaates, dessen Neutralität Deutschland
niemals sicher gewesen wäre. Im Gegenteil: in erster Reihe müsse ein festes
Glacis geschaffen werden, das eine wirkungsvolle Verteidigung gegen Frankreich
erleichtere, ja überhaupt erst ermögliche. Als staatsrechtliche Form, diese Aufgabe
auf das Deutsche Reich zu übertragen, bot sich nur der gemeinsame Besitz, wenn
auch die Einzelheiten dieser neuen Schöpfung nur ein Provisorium sein konnten.
Wer die Veratungen in der Kommission, die nun folgten, sind wir nur spärlich
unterrichtet. Wir wissen jedoch, daß gerade hier die unitarischen und föderativem
Anschauungen, die bereits seit August 1!W in den Äußerungen der öffentlichen
Meinung zutage traten, noch einmal eifrig erörtert wurden. Aber zu bestimmten
Abänderungsvorschlägen kam es nicht. Da Preußen offen jede Angliederung ab¬
lehnte, trat die Mehrheit des Ausschusses im wesentlichen für Annahme des Gesetz¬
entwurfes ein, den die Verbündeten Regierungen vorgelegt hatten. Die Erklärung
Bismarcks: "den Gedanken, aus Elsaß und Lothringen ein staatliches Gebilde zu
schaffen, habe er nicht, und der Begriff eines Reichslandes sei mit dem eines
selbständigen Staatswesens nicht kongruent", beschwichtigte die Bedenken, die aus
dem Provisorium einen unheilvollen Zwitterzustand emporwachsen sahen. Willig
empfahl der Ausschnßbericht die Regierungsvorlage, das neue "Reichsland" als
gemeinsamen Pflegling der gesamten deutschen Nation, des gesamten deutschen
Reiches, aller seiner Faktoren zu übernehmen.

Unter diesen Umständen konnte auch die Redeschlacht der Vollsitzungen, in
der die Führer aller Parteien in die Bahn traten, an dem Ergebnis nichts ändern.
In der zweiten Lesung zwar schien sich anfangs das Feld zu weiten, als Heinrich
von Treitschke in wundervollen Worten noch einmal sein Bedauern aussprach,
daß Elsaß und Lothringen nicht sofort dem preußischen Staate einverleibt wurden.
"Die Aufgabe", so mahnt er eindringlich, "diese entfremdeten Stämme deutscher
Nation unserem Lande wieder einzufügen, ist so groß und schwer, daß man sie
nur erprobten Händen anvertrauen darf, und wo ist eine politische Kraft im
Deutschen Reiche, die die Gabe, zu germanisieren, erprobt hat, wie das alte glor¬
reiche Preußen? Die Clsässer sind uns nur zu fremd geworden als Mitglieder
eines zentralisierten fremden Staates', mit um so größerer Energie sollte man sie
hineinzwingen in einen deutschen Einheitsstaat, in jene fest geschlossene Kraft des
preußischen Staatslebens. Und endlich, es wäre für Preußen wie für Deutsch¬
land ein Glück gewesen, wenn der Staat, der Deutschland leitet, auch in seinem
Inneren zahlreiche süddeutsche Elemente enthielte. Preußen muß, wenn es Deutsch¬
land verstehen und leiten soll, in seinem Inneren süddeutsche Eigenart schätzen
und würdigen lernen." Aber auch der überzeugte Unitarier gesteht, daß es jetzt
gelte, nicht kleinlich an dem Ergebnis der Regierungsberatungen zu mäkeln, sondern
in ernster Arbeit das neue Reichsland in Wahrheit zu einem Gliede des Deutschen
Reiches zu machen -- trotzdem die geschichtlichen Erfahrungen wenig Vertrauen
auf einen Erfolg wecken! In ehrlicher Anerkennung der zu Recht bestehenden
Bundesverfassung müssen dabei alle unitarischen und föderalistischen Bestrebungen
zurücktreten. Doch unerfüllbar wird und muß auf jeden Fall der Wunsch bleiben,
die Provinz Elsaß und Lothringen zu einem Staat umzuwandeln. Einen neuen
Staat zu bilden aus drei Departements und einigen benachbarten Splittern, die


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Gründe gegen die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit der preußischen
Monarchie vorliegen, darüber habe selbstverständlich das Ermessen der königlich
preußischen Negierung zu entscheiden. Hier sollte nur konstatiert werden, daß
mindestens kein Widerstreben einer solchen Lösung entgegentreten würde."

Ebensowenig konnte die langwierige Aussprache im Reichstage, die sich seit
dem 20. April im wesentlichen um das verfassungsrechtliche Verhältnis des Reichs-
landes zum und im Bundesstaat drehte, an dieser politischen Entscheidung irgend etwas
ändern. Nur Bismarck selbst ließ in seiner glänzenden Eröffnungsrede noch ein¬
mal alle die Möglichkeiten vorüberziehen, die für ihn bei der Einverleibung von
Elsaß und Lothringen in den deutschen Bundesstaat in Frage zu kommen schienen.
Eine Schleifung der Festungen, so führte er aus, konnte nicht genügen und eben¬
sowenig die Bildung eines neutralen Pufferstaates, dessen Neutralität Deutschland
niemals sicher gewesen wäre. Im Gegenteil: in erster Reihe müsse ein festes
Glacis geschaffen werden, das eine wirkungsvolle Verteidigung gegen Frankreich
erleichtere, ja überhaupt erst ermögliche. Als staatsrechtliche Form, diese Aufgabe
auf das Deutsche Reich zu übertragen, bot sich nur der gemeinsame Besitz, wenn
auch die Einzelheiten dieser neuen Schöpfung nur ein Provisorium sein konnten.
Wer die Veratungen in der Kommission, die nun folgten, sind wir nur spärlich
unterrichtet. Wir wissen jedoch, daß gerade hier die unitarischen und föderativem
Anschauungen, die bereits seit August 1!W in den Äußerungen der öffentlichen
Meinung zutage traten, noch einmal eifrig erörtert wurden. Aber zu bestimmten
Abänderungsvorschlägen kam es nicht. Da Preußen offen jede Angliederung ab¬
lehnte, trat die Mehrheit des Ausschusses im wesentlichen für Annahme des Gesetz¬
entwurfes ein, den die Verbündeten Regierungen vorgelegt hatten. Die Erklärung
Bismarcks: „den Gedanken, aus Elsaß und Lothringen ein staatliches Gebilde zu
schaffen, habe er nicht, und der Begriff eines Reichslandes sei mit dem eines
selbständigen Staatswesens nicht kongruent", beschwichtigte die Bedenken, die aus
dem Provisorium einen unheilvollen Zwitterzustand emporwachsen sahen. Willig
empfahl der Ausschnßbericht die Regierungsvorlage, das neue „Reichsland" als
gemeinsamen Pflegling der gesamten deutschen Nation, des gesamten deutschen
Reiches, aller seiner Faktoren zu übernehmen.

Unter diesen Umständen konnte auch die Redeschlacht der Vollsitzungen, in
der die Führer aller Parteien in die Bahn traten, an dem Ergebnis nichts ändern.
In der zweiten Lesung zwar schien sich anfangs das Feld zu weiten, als Heinrich
von Treitschke in wundervollen Worten noch einmal sein Bedauern aussprach,
daß Elsaß und Lothringen nicht sofort dem preußischen Staate einverleibt wurden.
„Die Aufgabe", so mahnt er eindringlich, „diese entfremdeten Stämme deutscher
Nation unserem Lande wieder einzufügen, ist so groß und schwer, daß man sie
nur erprobten Händen anvertrauen darf, und wo ist eine politische Kraft im
Deutschen Reiche, die die Gabe, zu germanisieren, erprobt hat, wie das alte glor¬
reiche Preußen? Die Clsässer sind uns nur zu fremd geworden als Mitglieder
eines zentralisierten fremden Staates', mit um so größerer Energie sollte man sie
hineinzwingen in einen deutschen Einheitsstaat, in jene fest geschlossene Kraft des
preußischen Staatslebens. Und endlich, es wäre für Preußen wie für Deutsch¬
land ein Glück gewesen, wenn der Staat, der Deutschland leitet, auch in seinem
Inneren zahlreiche süddeutsche Elemente enthielte. Preußen muß, wenn es Deutsch¬
land verstehen und leiten soll, in seinem Inneren süddeutsche Eigenart schätzen
und würdigen lernen." Aber auch der überzeugte Unitarier gesteht, daß es jetzt
gelte, nicht kleinlich an dem Ergebnis der Regierungsberatungen zu mäkeln, sondern
in ernster Arbeit das neue Reichsland in Wahrheit zu einem Gliede des Deutschen
Reiches zu machen — trotzdem die geschichtlichen Erfahrungen wenig Vertrauen
auf einen Erfolg wecken! In ehrlicher Anerkennung der zu Recht bestehenden
Bundesverfassung müssen dabei alle unitarischen und föderalistischen Bestrebungen
zurücktreten. Doch unerfüllbar wird und muß auf jeden Fall der Wunsch bleiben,
die Provinz Elsaß und Lothringen zu einem Staat umzuwandeln. Einen neuen
Staat zu bilden aus drei Departements und einigen benachbarten Splittern, die


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[0051] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage Gründe gegen die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit der preußischen Monarchie vorliegen, darüber habe selbstverständlich das Ermessen der königlich preußischen Negierung zu entscheiden. Hier sollte nur konstatiert werden, daß mindestens kein Widerstreben einer solchen Lösung entgegentreten würde." Ebensowenig konnte die langwierige Aussprache im Reichstage, die sich seit dem 20. April im wesentlichen um das verfassungsrechtliche Verhältnis des Reichs- landes zum und im Bundesstaat drehte, an dieser politischen Entscheidung irgend etwas ändern. Nur Bismarck selbst ließ in seiner glänzenden Eröffnungsrede noch ein¬ mal alle die Möglichkeiten vorüberziehen, die für ihn bei der Einverleibung von Elsaß und Lothringen in den deutschen Bundesstaat in Frage zu kommen schienen. Eine Schleifung der Festungen, so führte er aus, konnte nicht genügen und eben¬ sowenig die Bildung eines neutralen Pufferstaates, dessen Neutralität Deutschland niemals sicher gewesen wäre. Im Gegenteil: in erster Reihe müsse ein festes Glacis geschaffen werden, das eine wirkungsvolle Verteidigung gegen Frankreich erleichtere, ja überhaupt erst ermögliche. Als staatsrechtliche Form, diese Aufgabe auf das Deutsche Reich zu übertragen, bot sich nur der gemeinsame Besitz, wenn auch die Einzelheiten dieser neuen Schöpfung nur ein Provisorium sein konnten. Wer die Veratungen in der Kommission, die nun folgten, sind wir nur spärlich unterrichtet. Wir wissen jedoch, daß gerade hier die unitarischen und föderativem Anschauungen, die bereits seit August 1!W in den Äußerungen der öffentlichen Meinung zutage traten, noch einmal eifrig erörtert wurden. Aber zu bestimmten Abänderungsvorschlägen kam es nicht. Da Preußen offen jede Angliederung ab¬ lehnte, trat die Mehrheit des Ausschusses im wesentlichen für Annahme des Gesetz¬ entwurfes ein, den die Verbündeten Regierungen vorgelegt hatten. Die Erklärung Bismarcks: „den Gedanken, aus Elsaß und Lothringen ein staatliches Gebilde zu schaffen, habe er nicht, und der Begriff eines Reichslandes sei mit dem eines selbständigen Staatswesens nicht kongruent", beschwichtigte die Bedenken, die aus dem Provisorium einen unheilvollen Zwitterzustand emporwachsen sahen. Willig empfahl der Ausschnßbericht die Regierungsvorlage, das neue „Reichsland" als gemeinsamen Pflegling der gesamten deutschen Nation, des gesamten deutschen Reiches, aller seiner Faktoren zu übernehmen. Unter diesen Umständen konnte auch die Redeschlacht der Vollsitzungen, in der die Führer aller Parteien in die Bahn traten, an dem Ergebnis nichts ändern. In der zweiten Lesung zwar schien sich anfangs das Feld zu weiten, als Heinrich von Treitschke in wundervollen Worten noch einmal sein Bedauern aussprach, daß Elsaß und Lothringen nicht sofort dem preußischen Staate einverleibt wurden. „Die Aufgabe", so mahnt er eindringlich, „diese entfremdeten Stämme deutscher Nation unserem Lande wieder einzufügen, ist so groß und schwer, daß man sie nur erprobten Händen anvertrauen darf, und wo ist eine politische Kraft im Deutschen Reiche, die die Gabe, zu germanisieren, erprobt hat, wie das alte glor¬ reiche Preußen? Die Clsässer sind uns nur zu fremd geworden als Mitglieder eines zentralisierten fremden Staates', mit um so größerer Energie sollte man sie hineinzwingen in einen deutschen Einheitsstaat, in jene fest geschlossene Kraft des preußischen Staatslebens. Und endlich, es wäre für Preußen wie für Deutsch¬ land ein Glück gewesen, wenn der Staat, der Deutschland leitet, auch in seinem Inneren zahlreiche süddeutsche Elemente enthielte. Preußen muß, wenn es Deutsch¬ land verstehen und leiten soll, in seinem Inneren süddeutsche Eigenart schätzen und würdigen lernen." Aber auch der überzeugte Unitarier gesteht, daß es jetzt gelte, nicht kleinlich an dem Ergebnis der Regierungsberatungen zu mäkeln, sondern in ernster Arbeit das neue Reichsland in Wahrheit zu einem Gliede des Deutschen Reiches zu machen — trotzdem die geschichtlichen Erfahrungen wenig Vertrauen auf einen Erfolg wecken! In ehrlicher Anerkennung der zu Recht bestehenden Bundesverfassung müssen dabei alle unitarischen und föderalistischen Bestrebungen zurücktreten. Doch unerfüllbar wird und muß auf jeden Fall der Wunsch bleiben, die Provinz Elsaß und Lothringen zu einem Staat umzuwandeln. Einen neuen Staat zu bilden aus drei Departements und einigen benachbarten Splittern, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/51>, abgerufen am 22.07.2024.