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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

inneren, stciatbildenden Kräfte des Preußentums konnte er Begriff und Wesen des
neuen deutschen "Reiches" zur Vollendung seiner Politik benutzen. Und ähnlich
stand es doch auch mit der Frage der Einverleibung von Elsaß und Lothringen.
Wenn Bismarck die Forderung ablehnte, die wiederervberten Lande Preußen an¬
zugliedern, so kam er mit dieser scheinbaren Uneigennützigkeit nicht nur den süd¬
deutschen Regierungen und den Neutralen entgegen. Für Preußen, dem bereits
durch die Annexionen von 1866, durch Welsen und Kurhessen, eine starke innere
Opposition erwachsen war. errang er gleichzeitig den Vorteil, daß die deutsch¬
feindlichen Elemente der neuen Provinzen nicht allzu tief auf den allen Geist des
Hohenzollernschen Staates einwirkten. Durch Fernhalten der Elsässer und Loth¬
ringer vom preußischen Landtag entzog er -diesem eine ganze Reihe fremder, demo¬
kratischer und klerikaler Kräfte, die in Zukunft etwa seine Kreise stören konnten.
Bismarck und Treitschke, der Realpolitiker und der Historiker, haben sich damals
vielleicht am stärksten von all der Qberschwenglichkeit und dem Idealismus frei¬
gehalten, mit dem man 1870 wie 1815 die "wiedergewonnenen deutschen Brüder"
begrüßte. Auf der anderen Seite aber fesselte der Kanzler auch die Unitarier
durch ein greifbares Eingehen auf ihren Gedankengang an seine Pläne. Der Be¬
sitz der neuen Provinzen, so hatte die "Spenersche Zeitung" am 27. September
geschrieben, soll ein neues Band der Einheit werden, "die gemeinsame Bürgschaft
des ewigen Bundes zwischen dem Norden und Süden". Und ähnlich pries doch
der größte Teil der liberalen Presse den Gedanken des "Reichslandes". Hinter,
dem Schutzschild der Glacistheorie knüpfte Bismarck vorausschauend die Fäden,
die Elsaß und Lothringen mit seiner preußischen und mit seiner deutschen Politik
in der Zukunft verbinden sollten. In schroffen: Gegensatze zur unitarischen, reichs¬
terroristischen Bewegung von 1848 hat Bismarck durch, die ureigene Kraft des
preußischen Staates die deutsche Frage gelöst. Bewußt stützt sich seine Reichs¬
gründung auf die moralischen Eroberungen, die der Staatsmann der Hohenzollern
bei den Dynastien machte. Als starke Unterströmung aber benutzte auch er die ge¬
waltige Flut, die seit den Tagen der nationalen Romantik und seit dem großen
Erlebnis auf dem Schlachtfeld von Leipzig in immer wechselndem Wellenschlage
die starren Felsen des deutschen Territvrialstacites umbrandete. Die mühsam er¬
rungene Einheit festzuhalten und zu kräftigen, bedürfte auch Bismarck der Formeln,
die eine jahrhundertelange Sehnsucht tief in Herz und Geist des deutschen Volkes
gesenkt hatte. Mit den drei Worten "Reich, .Kaiser und Reichsland" fesselte er
dauernd die unitarischen Gedanken an sein Werk. In uralter, nie vergessener
Überlieferung umschloß das Reich alle deutschen Stämme und Parteien; hoch über
den Dynastien schwebte die Kaiserkrone. Eckstein und Symbol der endlich er¬
rungenen Einheit war und blieb, als Bismarck am 18. Januar 1871 im Spiegel¬
saal des Versailler Schlosses die Vollendung seines Werkes, aller Welt verkünden
ließ, das "Reichsland!" °

Die Verhandlungen und Beratungen der gesetzgebenden Körperschaften des
neuen Reiches, des Bundesrates und des Reichstages, konnten nach all den Ab¬
machungen, die Bismarck gepflogen hatte, nur mehr einen Epilog bilden. Aber
offen brachte der Bericht des Verfassungsausschusses der Verbündeten Regierungen,
den der württembergische Justizin inister von Mittnacht am 17. April 1871 er¬
stattete, zum Ausdruck, daß die Mehrheit im Bundesrat auch jetzt noch die Ein¬
verleibung Elsaß und Lothringens in Preußen als das einzig Naturgemäße
betrachte. "Was Preußen erwirbt", heißt es hier in deutlicher Anlehnung an
die uns bekannten Stimmen der öffentlichen Meinung, "ist zugleich Deutschland,
dem Reiche, erworben. -- Die Interessen des Reiches und Preußens in Elsaß
und Lothringen sind durchaus identisch. Die übrigen Glieder des Reiches würden
nicht glauben, beeinträchtigt zu sein, würden den mit Deutschland wieder ver¬
einigten Gebieten nicht ferner stehen, wenn Preußen statt als Mandatar des
Reiches kraft eigenen Rechtes die Souveränität über Elsaß und Lothringen über¬
nehme." Und fast unwillig klingt der Verzicht: "Ob durchschlagende und dauernde


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

inneren, stciatbildenden Kräfte des Preußentums konnte er Begriff und Wesen des
neuen deutschen „Reiches" zur Vollendung seiner Politik benutzen. Und ähnlich
stand es doch auch mit der Frage der Einverleibung von Elsaß und Lothringen.
Wenn Bismarck die Forderung ablehnte, die wiederervberten Lande Preußen an¬
zugliedern, so kam er mit dieser scheinbaren Uneigennützigkeit nicht nur den süd¬
deutschen Regierungen und den Neutralen entgegen. Für Preußen, dem bereits
durch die Annexionen von 1866, durch Welsen und Kurhessen, eine starke innere
Opposition erwachsen war. errang er gleichzeitig den Vorteil, daß die deutsch¬
feindlichen Elemente der neuen Provinzen nicht allzu tief auf den allen Geist des
Hohenzollernschen Staates einwirkten. Durch Fernhalten der Elsässer und Loth¬
ringer vom preußischen Landtag entzog er -diesem eine ganze Reihe fremder, demo¬
kratischer und klerikaler Kräfte, die in Zukunft etwa seine Kreise stören konnten.
Bismarck und Treitschke, der Realpolitiker und der Historiker, haben sich damals
vielleicht am stärksten von all der Qberschwenglichkeit und dem Idealismus frei¬
gehalten, mit dem man 1870 wie 1815 die „wiedergewonnenen deutschen Brüder"
begrüßte. Auf der anderen Seite aber fesselte der Kanzler auch die Unitarier
durch ein greifbares Eingehen auf ihren Gedankengang an seine Pläne. Der Be¬
sitz der neuen Provinzen, so hatte die „Spenersche Zeitung" am 27. September
geschrieben, soll ein neues Band der Einheit werden, „die gemeinsame Bürgschaft
des ewigen Bundes zwischen dem Norden und Süden". Und ähnlich pries doch
der größte Teil der liberalen Presse den Gedanken des „Reichslandes". Hinter,
dem Schutzschild der Glacistheorie knüpfte Bismarck vorausschauend die Fäden,
die Elsaß und Lothringen mit seiner preußischen und mit seiner deutschen Politik
in der Zukunft verbinden sollten. In schroffen: Gegensatze zur unitarischen, reichs¬
terroristischen Bewegung von 1848 hat Bismarck durch, die ureigene Kraft des
preußischen Staates die deutsche Frage gelöst. Bewußt stützt sich seine Reichs¬
gründung auf die moralischen Eroberungen, die der Staatsmann der Hohenzollern
bei den Dynastien machte. Als starke Unterströmung aber benutzte auch er die ge¬
waltige Flut, die seit den Tagen der nationalen Romantik und seit dem großen
Erlebnis auf dem Schlachtfeld von Leipzig in immer wechselndem Wellenschlage
die starren Felsen des deutschen Territvrialstacites umbrandete. Die mühsam er¬
rungene Einheit festzuhalten und zu kräftigen, bedürfte auch Bismarck der Formeln,
die eine jahrhundertelange Sehnsucht tief in Herz und Geist des deutschen Volkes
gesenkt hatte. Mit den drei Worten „Reich, .Kaiser und Reichsland" fesselte er
dauernd die unitarischen Gedanken an sein Werk. In uralter, nie vergessener
Überlieferung umschloß das Reich alle deutschen Stämme und Parteien; hoch über
den Dynastien schwebte die Kaiserkrone. Eckstein und Symbol der endlich er¬
rungenen Einheit war und blieb, als Bismarck am 18. Januar 1871 im Spiegel¬
saal des Versailler Schlosses die Vollendung seines Werkes, aller Welt verkünden
ließ, das „Reichsland!" °

Die Verhandlungen und Beratungen der gesetzgebenden Körperschaften des
neuen Reiches, des Bundesrates und des Reichstages, konnten nach all den Ab¬
machungen, die Bismarck gepflogen hatte, nur mehr einen Epilog bilden. Aber
offen brachte der Bericht des Verfassungsausschusses der Verbündeten Regierungen,
den der württembergische Justizin inister von Mittnacht am 17. April 1871 er¬
stattete, zum Ausdruck, daß die Mehrheit im Bundesrat auch jetzt noch die Ein¬
verleibung Elsaß und Lothringens in Preußen als das einzig Naturgemäße
betrachte. „Was Preußen erwirbt", heißt es hier in deutlicher Anlehnung an
die uns bekannten Stimmen der öffentlichen Meinung, „ist zugleich Deutschland,
dem Reiche, erworben. — Die Interessen des Reiches und Preußens in Elsaß
und Lothringen sind durchaus identisch. Die übrigen Glieder des Reiches würden
nicht glauben, beeinträchtigt zu sein, würden den mit Deutschland wieder ver¬
einigten Gebieten nicht ferner stehen, wenn Preußen statt als Mandatar des
Reiches kraft eigenen Rechtes die Souveränität über Elsaß und Lothringen über¬
nehme." Und fast unwillig klingt der Verzicht: „Ob durchschlagende und dauernde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/50>, abgerufen am 22.07.2024.